Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.08.2013, Az. 4 StR 311/13

4. Strafsenat | REWIS RS 2013, 3218

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 311/13

vom
27. August
2013
in der Strafsache
gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 27.
August
2013
gemäß §
349 Abs.
2 und 4 [X.] beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 16.
April 2013 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zur [X.] Tat aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere [X.] des [X.] zurück-verwiesen.
2.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten vom Vorwurf der gefährlichen Kör-perverletzung wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit bei Begehung der Tat freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Kranken-haus angeordnet (§
63 StGB). Hiergegen wendet sich die Revision des Ange-klagten mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt 1
-
3
-
zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Jedoch können die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zur [X.]
bestehen bleiben (§
353 Abs.
2 [X.]).
I.
Das Rechtsmittel des Angeklagten ist zulässig.
Zwar weist der [X.] zur Begründung seiner abwei-chenden Auffassung zutreffend darauf hin, dass ein ausdrücklicher Revisions-antrag des Beschwerdeführers im Sinne des §
344 Abs.
1 [X.] fehlt. Der [X.] hat in der [X.] lediglich beantragt, den [X.] über seine einstweilige Unterbringung aufzuheben und ihn aus dem Maßregelvollzug zu entlassen. Indes ist nach ständiger Rechtsprechung des [X.] das Fehlen eines ausdrücklichen Antrags im Sinne des §
344 Abs.
1 [X.] unschädlich, wenn sich der Umfang der Anfechtung aus dem Inhalt der Revisionsbegründung ergibt. Dabei genügt es, wenn die Aus-führungen des Beschwerdeführers erkennen lassen, dass er das tatrichter-
liche Urteil insgesamt angreift (vgl. nur [X.], Beschluss vom 7.
November
2002

5
StR
336/02, [X.], 120 mwN; Beschluss vom 25.
Juli
2013

3
StR
76/13; KK-[X.]/[X.], 6.
Aufl., §
344 Rn.
3). So verhält es sich hier. Der Beschwerdeführer, der das Rechtsmittel der Revision rechtzeitig eingelegt und seinen Schriftsatz auch ausdrücklich als Begründung der Revision [X.] hat, wendet sich in dieser Begründung gegen die Ausführungen des [X.] zu den Voraussetzungen der §§
20, 21 StGB sowie gegen die Anordnung der Maßregel nach §
63 StGB. Damit hat er hinreichend zu erken-nen gegeben, dass er eine umfassende Überprüfung der angefochtenen Ent-scheidung in sachlich-rechtlicher Hinsicht begehrt, soweit diese ihn beschwert.
2
3
-
4
-
II.
Das Rechtsmittel hat auch in der Sache überwiegend Erfolg. Die Anord-nung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Kranken-haus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1.
a)
Nach den Feststellungen sah sich der vorwiegend wegen Vermö-gens-
und Eigentumsdelikten vorbestrafte Angeklagte

in einem Strafverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung und anderer Straftaten wurde er im Jah-re
2010 wegen Schuldunfähigkeit im Sinne von §
20 StGB freigesprochen

seit mehreren Jahren in wahnhafter Verkennung der Realität als Opfer von Intrigen und Angriffen seines Umfeldes, insbesondere von solchen seiner Nachbarn, denen gegenüber er Schadensersatzansprüche in Millionen-
und Milliarden-höhe zu haben glaubte. Entsprechende Geldforderungen verknüpfte der Ange-klagte seit längerem mit Beschimpfungen, Bedrohungen und Beleidigungen. Eine gerichtlich angeordnete Unterbringung zur Behandlung in einer [X.] Einrichtung lastete er seinem Nachbarn

S.

an, weshalb er die-
sen und dessen Familie in besonderer Weise als seine Feinde betrachtete.
Als der Angeklagte den Geschädigten S.

am 26.
August 2011 zufäl-
lig in einem Getränkemarkt in L.

traf, stellte er sich ihm in den Weg und

h-len. Obwohl sich der Geschädigte auf eine bloße verbale Weigerung be-schränkte, nahm der Angeklagte in wahnhafter Verkennung der Situation an, er werde nunmehr umgehend von dem Zeugen S.

angegriffen. Er zog das in
einer Jackentasche
mitgeführte Pfefferspray hervor und sprühte es dem [X.] ins Gesicht, wobei er insbesondere dessen linkes Auge traf. Infolge des stechenden Schmerzes war der Geschädigte nicht mehr in der Lage sich 4
5
6
-
5
-
zu wehren. Der Angeklagte entfernte sich daraufhin
mit seinem Fahrrad. Der Geschädigte erlitt eine Augenentzündung, die medikamentös behandelt werden musste.
b)
Das sachverständig beratene [X.] hat angenommen, die Schuldfähigkeit des Angeklagten sei zum Tatzeitpunkt infolge einer krankhaften seelischen Störung im Sinne von §
20 StGB gemäß §
21 StGB erheblich ver-mindert gewesen; deren völlige
Aufhebung könne nicht ausgeschlossen wer-den. In seinem schriftlichen Gutachten habe der psychiatrische Sachverständi-ge bei dem Angeklagten, der eine Exploration verweigert habe, eine anhaltende wahnhafte Störung diagnostiziert, ohne dass er diese Erkrankung als organi-sche, schizophrene oder affektive Störung klassifizieren könne. In der [X.] bedingt sei, da der Angeklagte unter einer fortschreitenden Parkinson-Erkrankung leide. Ein entsprechender Abbauprozess im Gehirn habe sich über die Jahre schleichend entwickelt. Die dadurch behinderte Fähigkeit zum Reali-tätsabgleich führe beim Angeklagten zu einem als real empfundenen Bedro-hungserleben, das mit gesteigerter Aggressionsbereitschaft und massiver Kri-tikminderung einhergehe. Da die organische Erkrankung progredient verlaufe, sei mit einer Zunahme seiner Ängste und seines Bedrohungserlebens zu rech-nen, was zu weiteren impulsiven Reaktionen führen werde. Daher sei die Ge-fahr weiterer Gewaltdelikte wie gefährlicher Körperverletzungen hoch; mit tät-lichen Angriffen gegenüber [X.] unter Einsatz von Waffen oder gefährlichen

2.
Mit diesen Ausführungen werden die Voraussetzungen einer Unter-bringung nach §
63 StGB nicht in jeder Hinsicht rechtsfehlerfrei belegt.
7
8
-
6
-
a)
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach §
63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der [X.] bei der Begehung der [X.](en) aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig
oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (vgl. [X.], Beschluss vom 11.
März
2009

2
StR
42/09,
[X.], 198; Beschluss vom 8.
April 2003

3
StR
79/03, [X.], 232). Dieser Zustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein (Senatsbeschluss vom 29.
August
2012

4
StR
205/12, [X.], 367; [X.], Senatsurteil vom 6.
März
1986

4
StR
40/86, [X.]St 34, 22, 27).
b)
Das Vorliegen dieser Voraussetzungen wird durch die Ausführungen der [X.] nicht hinreichend belegt.
Zwar hat sich die [X.] insoweit der Einschätzung des Sachver-ständigen angeschlossen, der Angeklagte leide an einer anhaltenden wahnhaf-ten Störung ([X.]; [X.])

(UA
11) organischen
wahn-haften Störung ([X.] eine organische wahnhafte Störung vorliege, also eine psychische Stö-rung im Zusammenwirken mit der Parkinson-Erkrankung. War der Sachver-ständige jedoch nicht in der Lage, eine derartige organische wahnhafte Erkran-kung sicher festzustellen, durfte die [X.] allein diese Alternative ihrer Gefährlichkeitsprognose, die maßgeblich auf den zu erwartenden progredienten Verlauf dieser Erkrankung abstellt, nicht zu Grunde legen.
3.
Im Hinblick auf die Ausführungen des [X.] zur Gefährlich-keitsprognose weist der Senat für die neue Verhandlung und Entscheidung auf Folgendes hin:
9
10
11
12
-
7
-
Eine Unterbringung nach §
63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustandes in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben ([X.], Urteil vom 2.
März 2011

2
StR
550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 22.
Februar 2011

4
StR
635/10, NStZ-RR 2011, 202). Dies hat der Tatrichter anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles zu entscheiden (Senatsbeschluss vom 22.
Februar 2011 aaO; vgl. auch Senatsbeschluss vom 26.
April 2001

4
StR
538/00, [X.], 477
f.). Sind die zu erwartenden Delikte nicht wenigstens dem Bereich der mitt-leren Kriminalität zuzuordnen, ist diese Voraussetzung nur in Ausnahmefällen begründbar (Senatsbeschlüsse vom 18.
März 2008

4
StR
6/08; vom 18.
Fe-bruar 1992

4
StR
27/92, [X.]R StGB §
63 Gefährlichkeit
16; und vom 28.
Juni 2005

4
StR
223/05, [X.], 303, 304). Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der [X.], seines [X.] und der von ihm begangenen [X.](en) zu entwickeln (Senatsbeschluss vom 26.
September 2012

4
StR
348/12, Tz.
10; [X.], Urteil vom 17.
November 1999

2
StR
453/99, [X.]R StGB §
63 Gefährlichkeit
27). An diese Darlegungen sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksich-tigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§
62 StGB) um einen Grenzfall handelt (Senatsbeschluss vom 26.
September 2012 aaO; Senatsbeschluss vom 4.
Juli 2012

4
StR
224/12, [X.], 337, 338; vgl. auch [X.], [X.] vom 8.
November 2006

2
StR
465/06, [X.], 73, 74; vgl. auch [X.]/[X.], §
63 Rn.
34
f.).
Gemessen daran wird der zur neuen Entscheidung berufene Tatrichter im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose den bisherigen Lebensweg des Ange-klagten umfassender als bisher geschehen in den Blick nehmen und sein be-13
14
-
8
-
sonderes Augenmerk auf dessen strafrechtliche Vorbelastung, auf das Gewicht der [X.]

auch im Hinblick auf die Schwereskala denkbarer gefährlicher Körperverletzungen im Sinne des §
224 Abs.
1 Nr.
1 StGB

sowie auf die vom Sachverständigen

sollte sie sich bestätigen

als progredient eingeschätzte Parkinson-Erkrankung richten müssen. Welche prognoserelevanten Schlüsse daraus zu ziehen sind, bedarf der eingehenden Darlegung in den [X.].
Vor dem Hintergrund der Verwendung eines Pfeffersprays bei Begehung der [X.] und der im angefochtenen Urteil mitgeteilten Feststellungen aus dem Urteil des [X.] [X.] vom 18.
Februar 2010 gilt dies auch für die Annahme des Sachverständigen,

(UA
14).
VRin[X.] Sost-Scheible ist urlaubsabwesend und [X.] an der Unterschrift ge-hindert.
Roggenbuck
Roggenbuck
Franke

Mutzbauer

Quentin

Meta

4 StR 311/13

27.08.2013

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.08.2013, Az. 4 StR 311/13 (REWIS RS 2013, 3218)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3218

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 StR 311/13 (Bundesgerichtshof)

Zulässigkeit der Revision in Strafsachen: Fehlen eines ausdrücklichen Revisionsantrags


1 StR 637/16 (Bundesgerichtshof)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Notwendige Darstellung der die Unterbringung rechtfertigenden Umstände; Gefährlichkeitsprognose


1 StR 637/16 (Bundesgerichtshof)


1 StR 445/16 (Bundesgerichtshof)

Sicherungsverfahren: Voraussetzungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bei Aufhebung der Einsichtsfähigkeit wegen Schizophrenie; Anforderungen …


4 StR 195/18 (Bundesgerichtshof)

Voraussetzungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

4 StR 311/13

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.