Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.03.2011, Az. 2 AZR 790/09

2. Senat | REWIS RS 2011, 8281

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Gegenstand

Personenbedingte Kündigung - mehrjährige Freiheitsstrafe


Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 27. Mai 2009 - 2 Sa 1261/08 - aufgehoben.

2. Die Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 24. Juni 2008 - 5 Ca 105/08 - wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2

Der 1976 geborene ledige Kläger war seit 1992 bei der Beklagten als Industriemechaniker tätig. Sein monatlicher Bruttoverdienst betrug zuletzt 2.500,00 Euro. Die Beklagte ist ein Unternehmen der Automobilindustrie. Sie beschäftigt regelmäßig weit mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden.

3

Im November 2006 wurde der Kläger in Untersuchungshaft genommen. Am 8. Mai 2007 wurde er - bei fortbestehender Inhaftierung - wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sieben Monaten verurteilt. Zudem erfolgte der Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung, die ihm im Hinblick auf eine frühere Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten gewährt worden war.

4

Die Beklagte erfuhr im [X.] 2007 von der - inzwischen rechtskräftigen - Verurteilung des [X.]. Die Parteien verhandelten daraufhin über den Abschluss und die Modalitäten eines Aufhebungsvertrags. Im November 2007 teilte der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten mit, er strebe den offenen Vollzug an und rechne mit baldiger Arbeitsaufnahme.

5

Mitte Januar 2008 wurde für den Kläger ein Vollzugsplan erstellt. Darin sind der „2/3-Zeitpunkt“ für den 16. Februar 2011 und das Strafende für den 7. April 2013 notiert. Die Möglichkeit eines offenen Vollzugs wurde zunächst verneint. Eine Überprüfung dieser Entscheidung war gemäß dem Plan „im Rahmen einer langfristigen vollzuglichen Perspektivplanung“ und vor dem Hintergrund einer möglichen Beschäftigung bei der Beklagten - nach erfolgter Bewährung des [X.] in [X.] - für Dezember 2008 „angedacht“.

6

Noch im Januar 2008 lehnte der Kläger einen Aufhebungsvertrag endgültig ab. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis - nach Anhörung des Betriebsrats - mit Schreiben vom 8. Februar 2008 ordentlich zum 30. April 2008. Den Arbeitsplatz des [X.] besetzte sie aus ihrem Personalpool. Zu diesem gehören Mitarbeiter, deren Beschäftigungsmöglichkeit entfallen ist, die aber nicht aus dem Unternehmen ausgeschieden sind. Betriebsbedingte Kündigungen sind bei der Beklagten tarifvertraglich ausgeschlossen.

7

Der Kläger hat Kündigungsschutzklage erhoben und geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. [X.] seien nicht eingetreten. Der Beklagten sei es möglich und zumutbar gewesen, die Zeit seiner Inhaftierung bis zur Gewährung von [X.] zu überbrücken. Insbesondere sei ihr zumutbar gewesen, befristet Mitarbeiter einzustellen oder die Stelle intern nur vorübergehend zu besetzen. Sie sei zudem verpflichtet gewesen, ihn bei der Erlangung des Freigängerstatus zu unterstützen. Zumindest habe sie seine Aussicht hierauf nicht durch Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereiteln dürfen. Schließlich fehle es an einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats. Die Beklagte habe es versäumt, diesen von der für Dezember 2008 angedachten Prüfung seiner Eignung für den offenen Vollzug zu unterrichten.

8

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 8. Februar 2008 nicht aufgelöst worden ist.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, durch den haftbedingten mehrjährigen Ausfall des [X.] sei das Arbeitsverhältnis inhaltsleer geworden. Die befristete Beschäftigung eines anderen Arbeitnehmers auf dem Arbeitsplatz des [X.] habe sie wegen der langen Haftdauer nicht in Betracht ziehen müssen, zumal eine sachgrundlose Befristung lediglich für einen Zeitraum von zwei Jahren möglich sei. Unabhängig davon benötige sie Planungssicherheit. Sie habe den Arbeitsplatz deshalb dauerhaft anderweitig besetzen dürfen. Ihre Anhörungspflicht nach § 102 [X.] habe sie nicht verletzt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat auf die Berufung des [X.] die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Kündigungsschutzklage ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die ordentliche Kündigung vom 8. Februar 2008 aufgelöst worden.

I. Die Kündigung ist durch Gründe in der Person des [X.] sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG.

1. Als personenbedingter Kündigungsgrund kommen solche Umstände in Betracht, die auf einer in den persönlichen Verhältnissen oder Eigenschaften des Arbeitnehmers liegenden „Störquelle“ beruhen ([X.] 5. Juni 2008 - 2 [X.] - Rn. 27 mwN, [X.] § 626 Nr. 212 = EzA KSchG § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 22). Dazu zählt - anknüpfend an frühere Wertungen des Gesetzgebers in § 72 Abs. 1 Nr. 3 HGB (aF) - auch eine Arbeitsverhinderung des Arbeitnehmers, die auf einer Straf- oder Untersuchungshaft beruht (st. Rspr., [X.] 25. November 2010 - 2 [X.] - Rn. 12; 22. September 1994 - 2 [X.] 719/93 - zu II 1 der Gründe, [X.] 1969 § 1 Nr. 25 = EzA KSchG § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 11). Diese Betrachtung lässt es zu, auf eine mögliche Resozialisierung des straffällig gewordenen Arbeitnehmers Bedacht zu nehmen. Nicht jede Freiheitsstrafe kann ohne Rücksicht auf ihre Dauer und ihre Auswirkungen zum Verlust des Arbeitsplatzes führen ([X.] 25. November 2010 - 2 [X.] - aaO; 15. November 1984 - 2 [X.] 613/83 - [X.] § 626 Nr. 87 = [X.] § 626 nF Nr. 95).

Eine Würdigung des Geschehens unter verhaltensbedingten Gesichtspunkten ist nur veranlasst, wenn die der Verurteilung zugrunde liegenden Taten einen Bezug zum Arbeitsverhältnis haben oder der Arbeitnehmer auf andere Weise arbeitsvertragliche Pflichten, insbesondere seine Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) verletzt hat ([X.] 25. November 2010 - 2 [X.] - Rn. 13; 10. September 2009 - 2 [X.] 257/08 - Rn. 19 ff., [X.] 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 60 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 77). Auf einen solchen, im Verhalten des [X.] begründeten Kündigungssachverhalt beruft sich die Beklagte nicht. Sie stützt die Kündigung ausschließlich auf die haftbedingten Abwesenheitszeiten des [X.].

2. Voraussetzung einer - ordentlichen wie außerordentlichen - Kündigung wegen [X.] Arbeitsverhinderung ist, dass der Arbeitnehmer für eine verhältnismäßig erhebliche [X.] nicht in der Lage sein wird, seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen ([X.] 20. November 1997 - 2 [X.] 805/96 - zu II 3 der Gründe, [X.] 6a Nr. 154; 10. Juni 1965 - 2 [X.] 339/64 - zu III der Gründe, [X.]E 17, 186). Die Nichterfüllung der Arbeitspflicht muss sich außerdem nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken. Da der Arbeitgeber im Fall der haftbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers typischerweise von der Lohnzahlungspflicht befreit ist (§ 616 Abs. 1, § 275 Abs. 1, § 326 Abs. 1 BGB), hängt es von der Dauer sowie Art und Ausmaß der betrieblichen Auswirkungen ab, ob die Inhaftierung geeignet ist, einen Grund zur Kündigung abzugeben ([X.] 20. November 1997 - 2 [X.] 805/96 - zu II 3 der Gründe, aaO; 9. März 1995 - 2 [X.] 497/94 - zu II 3 der Gründe, [X.] § 626 Nr. 123 = [X.] § 626 nF Nr. 154 ). Liegt eine beachtliche Störung vor, bedarf es der abschließenden, alle Umstände des Einzelfalls einbeziehenden Abwägung, ob es dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar war, das Arbeitsverhältnis bis zum Wegfall des [X.] fortzusetzen ([X.] 22. September 1994 - 2 [X.] 719/93 - [X.] 1969 § 1 Nr. 25 = EzA KSchG § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 11; 15. November 1984 - 2 [X.] 613/83 - zu II 2 c der Gründe, [X.] § 626 Nr. 87 = [X.] § 626 nF Nr. 95). Sowohl bei der Frage, ob von einer erheblichen Störung des [X.] auszugehen ist, als auch bei der Interessenabwägung ist im Fall einer Kündigung wegen Verbüßung einer Freiheitsstrafe zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer die Arbeitsverhinderung in aller Regel zu vertreten hat. Deshalb sind dem Arbeitgeber zur Überbrückung des [X.] regelmäßig nicht die gleichen Anstrengungen und Belastungen zuzumuten wie etwa bei einer Krankheit ([X.] 25. November 2010 - 2 [X.] - Rn. 14, 18).

3. Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt ein Kündigungsgrund vor. Das Arbeitsverhältnis war im Kündigungszeitpunkt durch die haftbedingt zu erwartende Arbeitsverhinderung des [X.] erheblich belastet. Das Freihalten des Arbeitsplatzes war der Beklagten nach den Umständen des Falls nicht zumutbar.

a) Maßgebliche Beurteilungsgrundlage für die Rechtmäßigkeit einer Kündigung sind die objektiven Verhältnisse im [X.]punkt des Zugangs der Kündigungserklärung. Die tatsächliche Entwicklung nach [X.] kann nur in eng begrenzten Ausnahmefällen Berücksichtigung finden ([X.] 10. Juni 2010 - 2 [X.] 541/09 - Rn. 52, [X.] 2002 § 626 Nr. 32; 27. November 2003 - 2 [X.] 48/03 - zu [X.] a der Gründe, [X.]E 109, 40).

b) Im Kündigungszeitpunkt musste die Beklagte damit rechnen, dass der Kläger für die Dauer von mehr als zwei Jahren an seiner Arbeitsleistung verhindert wäre. Der Kläger war - unter Einbeziehung der Strafe aus einer vorhergehenden Verurteilung - zu einer Freiheitsstrafe von über sechs Jahren verurteilt worden, von der im Kündigungszeitpunkt noch knapp fünf Jahre zu verbüßen waren. Konkrete Anhaltspunkte für eine baldige Vollzugslockerung durch die Gewährung von Freigang (§ 11 [X.] in der bis 31. Dezember 2009 geltenden Fassung) lagen nicht vor. Die Mitteilung des [X.] vom November 2007, er rechne mit einer baldigen Arbeitsaufnahme, beruhte auf seiner rein subjektiven Einschätzung, die durch die Feststellungen des [X.] widerlegt ist. Das Ergebnis einer für Dezember 2008 „angedachten“ erneuten Prüfung der Möglichkeit einer Vollzugslockerung war völlig offen. Dieses hing insbesondere vom künftigen, keineswegs vorhersehbaren Verhalten des [X.] im Vollzug ab. Als frühestmöglicher [X.]punkt für eine Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung aufgrund von § 57 Abs. 1 StGB war im Vollzugsplan ein Termin im Februar 2011 notiert. Auch insoweit ist überdies das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug von Bedeutung und bedarf es zudem deren Einwilligung. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen kann nicht schon für Jahre im Voraus vorhergesagt werden (ähnlich [X.] 25. November 2010 - 2 [X.] - Rn. 17).

c) Unter diesen Umständen war der Beklagten ein Festhalten am Arbeitsverhältnis über die ordentliche Kündigungsfrist hinaus nicht zumutbar. Der Darlegung konkreter Betriebsablaufstörungen bedurfte es angesichts der vom Kläger noch zu [X.], 24 Monate deutlich übersteigenden Freiheitsstrafe nicht.

aa) Der Arbeitsvertrag ist auf den ständigen Austausch von Leistung und Gegenleistung gerichtet. Die Verpflichtung des Arbeitnehmers geht dahin, dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, damit dieser sie im Rahmen seiner arbeitsteiligen Betriebsorganisation sinnvoll einsetzen kann. Ist der Arbeitnehmer dazu nicht in der Lage, tritt hinsichtlich seiner Arbeitsleistung Unmöglichkeit ein, wenn - wie bei lang andauernder Arbeitsverhinderung die Regel - eine Nachleistung beiden Seiten nicht zugemutet werden kann ([X.]/Preis 11. Aufl. § 611 Rn. 676). Zugleich ist der Arbeitgeber gehindert, von seinem Weisungsrecht Gebrauch zu machen und muss, wenn er seine bisherige [X.] unverändert aufrechterhalten will, für eine anderweitige Erledigung der Arbeit sorgen. Bereits darin liegt eine Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen ([X.] 25. November 2010 - 2 [X.] - Rn. 22).

bb) Der Beklagten war es nicht zumutbar, zur Beseitigung der langfristigen Störung bloße Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen und dem Kläger den Arbeitsplatz bis zur Rückkehr aus der Haft freizuhalten.

(1) Angesichts der in der Regel vom Arbeitnehmer selbst verschuldeten Arbeitsverhinderung ist fraglich, ob dem Arbeitgeber bei rechtskräftig verhängter Freiheitsstrafe überhaupt zugemutet werden kann, für die [X.] nach Ablauf der [X.] zu ergreifen, wenn eine Wiederaufnahme der Arbeit nicht kurzfristig zu erwarten steht (vgl. [X.]/[X.] 5. Aufl. § 626 BGB Rn. 204). Auch bei befristeter Einstellung läuft er immerhin Gefahr, auf den unbefristeten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses in Anspruch genommen zu werden. Hält er eine Personalreserve vor, dient diese üblicherweise nicht dem Zweck, haftbedingte Ausfälle zu überbrücken. Auch mögen zwar die Folgen langer Strafhaft für den Arbeitgeber besser zu kalkulieren sein als die einer Untersuchungshaft von unabsehbarer Dauer. Dennoch besteht die Unsicherheit, ob nicht der Arbeitnehmer gerade vorzeitig aus der Haft entlassen oder ihm eine Vollzugslockerung gewährt wird. Erlangt der Arbeitgeber davon nicht rechtzeitig Kenntnis, kann dies dazu führen, dass er sowohl von der Ersatzkraft als auch von dem aus der Haft entlassenen Arbeitnehmer auf Lohnzahlung in Anspruch genommen wird ([X.] 25. November 2010 - 2 [X.] - Rn. 24; [X.]. zu Senat 9. März 1995 - 2 [X.] 497/94 - [X.] 1996, 37, 38).

(2) Zumindest dann, wenn im Kündigungszeitpunkt noch eine Haftstrafe von mehr als zwei Jahren zu verbüßen ist und eine Entlassung vor Ablauf von zwei Jahren nicht sicher zu erwarten steht, kann dem Arbeitgeber regelmäßig nicht zugemutet werden, lediglich Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen und auf eine dauerhafte Neubesetzung des Arbeitsplatzes zu verzichten. Dabei ist neben den bereits angesprochenen Unwägbarkeiten zu berücksichtigen, dass dem Arbeitgeber die Möglichkeit zur Beschäftigung einer Aushilfskraft im sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnis lediglich für einen [X.]raum von 24 Monaten eröffnet ist. Er kann deshalb bei längerer Haftzeit nicht damit rechnen, die Abwesenheit des Arbeitnehmers einigermaßen problemlos überbrücken zu können. Hinzu kommt, dass mit zunehmender Haftdauer die Verwirklichung des Vertragszwecks in Frage gestellt wird. Eine mehrjährige Abwesenheit des Arbeitnehmers geht typischerweise mit einer Lockerung seiner Bindungen an den Betrieb und die Belegschaft sowie dem Verlust von Erfahrungswissen einher, das aus der täglichen Routine resultiert. Dementsprechend muss der Arbeitgeber bei der Rückkehr eines langjährig inhaftierten Arbeitnehmers mit [X.] rechnen ([X.] 25. November 2010 - 2 [X.] - Rn. 25).

Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, selbst bei mehrjähriger Haftstrafe bloße Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen, besteht auch nicht aus Gründen der Resozialisierung. Zwar ist bei kurzzeitigen Inhaftierungen oder in Fällen, in denen nach Ablauf der Kündigungsfrist zeitnah eine Weiterbeschäftigung im offenen Vollzug möglich ist, auf die entsprechenden Belange des Arbeitnehmers angemessen Rücksicht zu nehmen. Dies rechtfertigt es aber nicht, vom Arbeitgeber zu verlangen, den Arbeitsplatz für den inhaftierten Arbeitnehmer für voraussichtlich mehr als zwei Jahre frei zu halten und ihm die damit verbundenen Lasten aufzuerlegen. Dies gilt insbesondere angesichts des Umstands, dass der Gesetzgeber für Fälle, in denen er es für erforderlich erachtet, dem Arbeitnehmer den Arbeitsplatz bei persönlicher Leistungsverhinderung mit Rücksicht auf übergeordnete Interessen (Schutz von Ehe und Familie; Erfüllung staatsbürgerschaftlicher Pflichten) zu sichern, ausdrückliche, eigenständige Regelungen (bspw. §§ 15, 16 [X.]; §§ 3, 4 [X.]; § 1 ArbPlSchG) getroffen hat. Die durchaus strengeren Anforderungen an eine Kündigung wegen lang anhaltender Erkrankung (bspw. [X.] 12. Juli 2007 - 2 [X.] 716/06 - Rn. 27 mwN, [X.]E 123, 234; 29. April 1999 - 2 [X.] 431/98 - zu II 3 a der Gründe, [X.]E 91, 271) rechtfertigen sich daraus, dass eine schwere Krankheit - anders als eine Freiheitsstrafe - für den Betroffenen in der Regel unvermeidbar war ([X.] 25. November 2010 - 2 [X.] - Rn. 26).

cc) Die Besonderheiten des vorliegenden Falls verlangen keine andere Beurteilung.

(1) Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger alsbald den Freigängerstatus erlangen würde, waren bei [X.] nicht ersichtlich. Es bestand auch keine Verpflichtung der Beklagten, den Arbeitsplatz zumindest bis zur Entscheidung über eine etwaige Vollzugslockerung im Dezember 2008 freizuhalten. Zwar kann sich aus § 241 Abs. 2 BGB eine Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, bei der Erlangung des Freigängerstatus des Arbeitnehmers mitzuwirken, wenn dies für den Arbeitgeber nicht risikobehaftet ist ([X.] 25. November 2010 - 2 [X.] - Rn. 28; 9. März 1995 - 2 [X.] 497/94 - zu II 5 der Gründe, [X.] § 626 Nr. 123 = [X.] § 626 nF Nr. 154). Im Streitfall war aber völlig ungewiss, ob dem Kläger eine so weitreichende Vollzugslockerung gewährt würde. Die Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer in seinem Resozialisierungsbemühen zu unterstützen, geht nicht so weit, diesem auf die vage Aussicht hin, in ferner Zukunft eine Vollzugslockerung zu erreichen, den Arbeitsplatz bis zu einer Klärung, ggf. über Monate hinweg freizuhalten. Ob die Beklagte davon auszugehen hatte, eine Beschäftigung des [X.] im Rahmen eines offenen Vollzugs wäre für sie risikofrei, kann unter diesen Umständen dahinstehen.

(2) Unerheblich ist, dass die Beklagte den Arbeitsausfall des [X.] durch eine interne Umbesetzung ausgeglichen hat. Damit hat sie nicht zugleich gezeigt, dass ihr eine Überbrückung des [X.] zumutbar war. Um eine in diesem Sinne vorläufige Maßnahme handelte es sich nicht. Vielmehr hat die Beklagte den Arbeitsplatz des [X.] dauerhaft mit einem Arbeitnehmer aus dem Personalpool besetzt.

(3) Ebenso wenig kommt es darauf an, dass die Beklagte nach der Inhaftierung des [X.] für eine nicht unerhebliche [X.] mit der Besetzung des Arbeitsplatzes zugewartet hat. Die damit verbundene Rücksichtnahme auf die Interessen des [X.] belegt - zumal angesichts laufender Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags - nicht, dass es ihr zumutbar gewesen wäre, den Arbeitsplatz des [X.] auch angesichts der Verurteilung des [X.] zu einer mehr als zweijährigen Freiheitsstrafe frei zu halten. Dass die Beklagte in anderen Arbeitsbereichen des Unternehmens einen Personalabbau betrieben haben mag, ist für die Besetzung der Stelle des [X.] nicht relevant. Der Kläger stellt nicht in Abrede, dass bei Ausspruch der Kündigung in seinem Tätigkeitsbereich Beschäftigungsbedarf bestand.

4. Die Interessenabwägung führt nicht zu einem Überwiegen der Belange des [X.]. Zwar ist zu seinen Gunsten eine mehr als fünfzehnjährige Dauer der Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen, deren beanstandungsfreier Verlauf unterstellt werden kann. Gleichwohl geht das Beendigungsinteresse der Beklagten vor. Der Kläger hat seinen langen Ausfall selbst verschuldet. Dabei wiegt besonders schwer, dass er während einer laufenden Bewährungsphase erneut straffällig geworden ist. Hinzu kommt, dass die Beklagte nach der Inhaftierung des [X.] mit der Kündigung über ein Jahr zugewartet und bereits dadurch in erheblichem Umfang auf dessen Interessen Rücksicht genommen hat. Außerdem war sie, wie die Neubesetzung des Arbeitsplatzes indiziert, auf die Erledigung der dem Kläger übertragenen Arbeit angewiesen.

II. Die Entscheidung des [X.] stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).

1. Die Kündigung ist nicht nach § 102 Abs. 1 [X.] unwirksam. Insbesondere hat die Beklagte den Personalausschuss des Betriebsrats, dem die Wahrnehmung der Beteiligungsrechte in personellen Angelegenheiten übertragen ist, ordnungsgemäß über die Gründe der Kündigung unterrichtet. Dies vermag der Senat auf der Grundlage des im Wesentlichen unstreitigen Vortrags der Beklagten selbst zu entscheiden.

a) Nach § 102 Abs. 1 Satz 2 [X.] muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat diejenigen Gründe mitteilen, die aus seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und für seinen [X.] maßgebend sind. Diesen Sachverhalt muss er unter Angabe von Tatsachen, aus denen der [X.] hergeleitet wird, so beschreiben, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe prüfen kann. Teilt der Arbeitgeber objektiv erhebliche Tatsachen dem Betriebsrat deshalb nicht mit, weil er darauf die Kündigung nicht oder zunächst nicht stützen will, dann ist die Anhörung ordnungsgemäß, weil eine nur bei objektiver Würdigung unvollständige Mitteilung der Kündigungsgründe nicht zur Fehlerhaftigkeit der Anhörung und Unwirksamkeit der Kündigung nach § 102 [X.] führt. Eine objektiv unvollständige Anhörung verwehrt es dem Arbeitgeber allerdings, im Kündigungsschutzprozess Gründe nachzuschieben, die über die Erläuterung des mitgeteilten Sachverhalts hinausgehen ([X.] 5. November 2009 - 2 [X.] 676/08 - Rn. 40, [X.] 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 183 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 20; 11. Dezember 2003 - 2 [X.] 536/02 - [X.] 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 65 = EzA [X.] 2001 § 102 Nr. 5).

b) Hiervon ausgehend ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte dem Betriebsrat - wie der Kläger gemeint hat - Tatsachen vorenthalten hätte, die aus ihrer Sicht für den [X.] maßgebend waren. Unstrittig lag dem zuständigen Personalausschuss die vollständige Personalakte des [X.] vor, aus der sich dessen Sozialdaten ergaben. Darüber hinaus hatte die Beklagte mitgeteilt, der Kläger sei seit November 2006 haftbedingt der Arbeit fern geblieben und sie beabsichtigte, das Arbeitsverhältnis aus personenbedingten Gründen „wegen unzumutbarer langer Abwesenheit auf nicht absehbare bzw. nicht weiter zumutbare längere Dauer“ fristgemäß zu kündigen. Auch der Behauptung der Beklagten, sie habe den Personalausschuss im Zusammenhang mit der Einleitung des Anhörungsverfahrens am 25. Januar 2008 überdies mündlich über die Verurteilung des [X.] und die Dauer der zu [X.] Strafhaft unterrichtet, ist der Kläger nicht entgegen getreten. Damit war der Personalausschuss in die Lage versetzt, den Entschluss der Beklagten zur Kündigung nachzuvollziehen und sich über dessen Berechtigung klar zu werden. Auf die für Dezember 2008 „angedachte“ Prüfung der Möglichkeit eines offenen Vollzugs brauchte die Beklagte nicht hinzuweisen. Dies war schon mangels Kenntnis für ihren [X.] nicht bestimmend. Den Vollzugsplan vom Januar 2008 hat der Kläger erst im Verlauf des Kündigungsschutzprozesses vorgelegt.

2. Sonstige Mängel der Kündigung hat der Kläger nicht geltend gemacht.

III. [X.] folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Berger    

        

        

        

    Th. Gans    

        

    Pitsch    

                 

Meta

2 AZR 790/09

24.03.2011

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Braunschweig, 24. Juni 2008, Az: 5 Ca 105/08, Urteil

§ 1 Abs 2 S 1 Alt 1 KSchG, § 241 Abs 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.03.2011, Az. 2 AZR 790/09 (REWIS RS 2011, 8281)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 8281

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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5 Sa 658/19

15 Sa 841/11

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