Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 24.04.2013, Az. 7 ABR 82/11

7. Senat | REWIS RS 2013, 6328

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Gegenstand

Verhinderung eines Betriebsratsmitglieds - Ausschluss von Beschlussfassung bei interner Stellenbesetzung wegen Interessenkollision - eigene Betroffenheit


Leitsatz

Ein Betriebsratsmitglied ist von der Beschlussfassung des Betriebsrats über den Antrag des Arbeitgebers auf Zustimmung zur Versetzung eines Arbeitnehmers nicht deshalb ausgeschlossen, weil es sich selbst auch auf die betreffende Stelle beworben hat.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des [X.] vom 20. Oktober 2011 - 3 [X.] - aufgehoben.

Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des [X.] vom 19. Januar 2011 - 32 [X.] - teilweise abgeändert.

Der Antrag der Arbeitgeberin wird abgewiesen.

Gründe

1

A. Die Arbeitgeberin begehrt - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren von Interesse - die Feststellung, dass die Zustimmung des für ihren [X.]etrieb in [X.] gebildeten [X.]etriebsrats zur Versetzung des Arbeitnehmers [X.] als erteilt gilt.

2

Die Arbeitgeberin stellt Leiterplatten her. [X.]ie beschäftigt ca. 520 Arbeitnehmer. Anfang 2010 schrieb sie im [X.]etrieb [X.] die [X.]telle eines „[X.]upervisors“ im [X.]ereich Ver- und Entsorgung zur Neubesetzung aus. Auf die interne [X.]tellenausschreibung bewarben sich neben dem Arbeitnehmer [X.] die Arbeitnehmer [X.] und [X.]e sowie das [X.]etriebsratsmitglied [X.]. Die Arbeitgeberin beantragte unter dem 26. Mai 2010 die Zustimmung des [X.]etriebsrats zur Versetzung des Arbeitnehmers [X.] auf die ausgeschriebene [X.]telle ab dem 1. Juli 2010. Unter dem 16. Juli 2010 leitete sie dem [X.]etriebsrat die [X.]ewerbungsunterlagen aller Kandidaten zu und gab ihm Auskunft über die Person der [X.]tellenbewerber. Am selben Tag kamen die [X.]etriebsparteien überein, dass der Antrag vom 26. Mai 2010 als erneut gestellt anzusehen sei und eine Versetzung von [X.] zum 1. August 2010 zum [X.]egenstand habe.

3

In seiner [X.]itzung vom 21. Juli 2010 fasste der [X.]etriebsrat den [X.]eschluss, der beabsichtigten Versetzung von [X.] zu widersprechen. An der [X.]eratung und [X.]eschlussfassung des [X.]etriebsrats nahm auch das [X.]etriebsratsmitglied [X.] teil. Ein Ersatzmitglied war nicht geladen worden. Mit einem der Arbeitgeberin vor dem 23. Juli 2010 zugegangenen [X.]chreiben vom 21. Juli 2010 teilte der [X.]etriebsrat der Arbeitgeberin seine Zustimmungsverweigerung mit. Er stützte diese unter anderem darauf, die weiteren internen [X.]ewerber seien bei der Auswahl benachteiligt worden, weil die Kriterien der [X.]etriebsvereinbarung über innerbetriebliche [X.]tellenausschreibung nicht beachtet worden seien. Nach diesen Kriterien hätten die Arbeitnehmer [X.] und [X.]e die [X.]telle eher erhalten müssen. [X.]leiches gelte für das [X.]etriebsratsmitglied [X.]. Dieses habe zudem einen Anspruch auf [X.]erücksichtigung bei der neuen [X.]esetzung der [X.]telle, weil ihm anlässlich einer früheren [X.]esetzung der [X.]telle im [X.] in einem [X.] mitgeteilt worden sei, dass es an zweiter [X.]telle der Auswahl liege.

4

Die Arbeitgeberin hat die Ansicht vertreten, das [X.]etriebsratsmitglied [X.] habe wegen eigener [X.]etroffenheit an der [X.]eratung und [X.]eschlussfassung des [X.]etriebsrats nicht teilnehmen dürfen. Dessen [X.]eschluss sei daher unwirksam und die Zustimmung zur personellen Einzelmaßnahme gelte als erteilt.

5

Die Arbeitgeberin hat beantragt

        

festzustellen, dass die am 16. Juli 2010 beantragte Zustimmung des [X.]etriebsrats zur Versetzung von Herrn [X.] als erteilt gilt.

6

Der [X.]etriebsrat hat beantragt, den Antrag abzuweisen.

7

Er hat die Ansicht vertreten, das [X.]etriebsratsmitglied [X.] habe an der [X.]eratung und [X.]eschlussfassung teilnehmen dürfen.

8

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Das [X.] hat die dagegen gerichtete [X.]eschwerde des [X.]etriebsrats zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der [X.]etriebsrat weiterhin die Abweisung des Antrags der Arbeitgeberin.

9

[X.]. Die zulässige Rechtsbeschwerde des [X.]etriebsrats ist begründet. Die Vorinstanzen haben dem Antrag der Arbeitgeberin zu Unrecht stattgegeben.

I. Der Antrag der Arbeitgeberin ist zulässig.

1. [X.]egenstand des Antrags ist die von der Arbeitgeberin mit [X.]chreiben vom 16. Juli 2010 beantragte Zustimmung des [X.]etriebsrats zur Versetzung des Arbeitnehmers [X.]. Das vorangegangene Zustimmungsersuchen vom 26. Mai 2010 hat die Arbeitgeberin - wohl wegen der [X.] des [X.]etriebsrats - nicht weiterverfolgt.

2. Die Arbeitgeberin hat das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung, die Zustimmung des [X.]etriebsrats zur Versetzung des Arbeitnehmers [X.] gelte als erteilt. Wird dem Antrag entsprochen, kann sie die personelle Maßnahme aufrechterhalten, ohne sich mitbestimmungswidrig zu verhalten. [X.]ie ist dann nicht darauf angewiesen, die Zustimmung des [X.]etriebsrats zur Versetzung von [X.] gemäß § 99 Abs. 4 [X.]etrV[X.] gerichtlich ersetzen zu lassen (vgl. [X.]A[X.] 28. Januar 1986 - 1 A[X.]R 10/84 - zu [X.] I 2 der [X.]ründe, [X.]A[X.]E 51, 42). Die Arbeitgeberin bedarf der begehrten Feststellung, da die Versetzung des Arbeitnehmers [X.] nach § 99 Abs. 1 [X.]atz 1 [X.]etrV[X.] mitbestimmungspflichtig war und die Arbeitgeberin an dieser festhält.

II. Der Antrag ist entgegen der Auffassung des [X.]s unbegründet. Die Zustimmung des [X.]etriebsrats zur Versetzung des [X.] gilt nicht nach § 99 Abs. 3 [X.]atz 2 [X.]etrV[X.] als erteilt. Der [X.]etriebsrat hat seine erforderliche Zustimmung wirksam verweigert.

1. Nach § 99 Abs. 3 [X.]atz 2 [X.]etrV[X.] gilt die Zustimmung des [X.]etriebsrats zu einer personellen Einzelmaßnahme als erteilt, wenn der [X.]etriebsrat dem Arbeitgeber die Zustimmungsverweigerung nicht frist- und ordnungsgemäß mitteilt. Voraussetzung für eine beachtliche Zustimmungsverweigerung ist ein wirksam gefasster [X.]etriebsratsbeschluss. Hierzu ist erforderlich, dass er in einer ordnungsgemäß einberufenen [X.]itzung von einem beschlussfähigen [X.]etriebsrat gefasst wurde. Die Ladung aller [X.]etriebsratsmitglieder ist nach § 29 [X.]etrV[X.] grundsätzlich wesentliche Voraussetzung für das ordnungsgemäße Zustandekommen eines [X.]etriebsratsbeschlusses. Wird für ein zeitweilig verhindertes [X.]etriebsratsmitglied ein vorhandenes Ersatzmitglied nicht geladen, ist der [X.]etriebsrat an einer wirksamen [X.]eschlussfassung gehindert ([X.]A[X.] 3. August 1999 - 1 A[X.]R 30/98 - zu [X.] II 2 a der [X.]ründe mwN, [X.]A[X.]E 92, 162).

a) Nach der Rechtsprechung des [X.]undesarbeitsgerichts setzt eine zeitweilige Verhinderung i[X.]v. § 25 Abs. 1 [X.]atz 2 [X.]etrV[X.] nicht zwingend eine tatsächliche Verhinderung des [X.]etriebsratsmitglieds voraus. Vielmehr kann ein [X.]etriebsratsmitglied auch aus rechtlichen [X.]ründen zeitweilig an der Wahrnehmung seines Amts verhindert sein (vgl. [X.]A[X.] 3. August 1999 - 1 A[X.]R 30/98 - zu [X.] II 2 b der [X.]ründe, [X.]A[X.]E 92, 162; 10. November 2009 - 1 A[X.]R 64/08 - Rn. 22). Wie das [X.]undesarbeitsgericht wiederholt entschieden hat, ist ein [X.]etriebsratsmitglied grundsätzlich von seiner Organtätigkeit ausgeschlossen bei Maßnahmen und Regelungen, die es individuell und unmittelbar betreffen ([X.]A[X.] 3. August 1999 - 1 A[X.]R 30/98 - zu [X.] II 1 der [X.]ründe, aaO; 10. November 2009 - 1 A[X.]R 64/08 - Rn. 22). Als Teil der vom [X.]etriebsrat repräsentierten [X.]elegschaft sind die [X.]etriebsratsmitglieder allerdings häufig von den vom [X.]etriebsrat im Rahmen seiner Mitbestimmung zu treffenden Entscheidungen mehr oder weniger auch selbst betroffen. Von ihnen wird daher grundsätzlich erwartet, dass sie sich als von der [X.]elegschaft gewählte Amtsinhaber bei diesen Entscheidungen nicht von persönlichen Interessen leiten lassen. Ein Ausschluss von der Ausübung ihres Amts ist daher auch aus [X.]ründen der Rechtssicherheit und der Funktionsfähigkeit des [X.]etriebsrats nur dann geboten und gerechtfertigt, wenn typischerweise davon ausgegangen werden muss, dass das [X.]etriebsratsmitglied sein Amt wegen seiner persönlichen Interessen nicht mehr mit der erforderlichen Unabhängigkeit wahrnehmen kann. Hiervon ist in den Fällen der individuellen und unmittelbaren [X.]etroffenheit des [X.]etriebsratsmitglieds auszugehen.

b) An einer individuellen [X.]etroffenheit fehlt es, wenn das [X.]etriebsratsmitglied nur als Angehöriger eines aus mehreren Personen bestehenden Teils der [X.]elegschaft betroffen ist. Eine unmittelbare [X.]etroffenheit liegt nicht vor, wenn mit der Maßnahme oder Regelung nur mittelbare Auswirkungen, Reflexe oder die [X.]teigerung oder Verringerung tatsächlicher Chancen und Aussichten verbunden sind. Für die Mitbestimmung des [X.]etriebsrats bei personellen Einzelmaßnahmen nach § 99 [X.]etrV[X.] bedeutet dies, dass von einer unmittelbaren und individuellen [X.]etroffenheit des [X.]etriebsratsmitglieds regelmäßig nur dann gesprochen werden kann, wenn das [X.]etriebsratsmitglied gerade die Person ist, auf die sich das Zustimmungsersuchen des Arbeitgebers unmittelbar richtet. Der Umstand, dass ein [X.]etriebsratsmitglied zu einer [X.]ruppe von Mitbewerbern gehört, aus welcher der Arbeitgeber eine andere Person ausgewählt hat, genügt dagegen regelmäßig nicht, um das [X.]etriebsratsmitglied als von seiner Amtsausübung ausgeschlossen anzusehen (vgl. auch für den Fall der Umgruppierung [X.]A[X.] 10. November 2009 - 1 A[X.]R 64/08 - Rn. 24 ff.). Aus der [X.]egründung einer Zustimmungsverweigerung des [X.]etriebsrats können schon deshalb keine Rückschlüsse auf eine etwaige [X.]etroffenheit des [X.]etriebsratsmitglieds gezogen werden, weil der [X.]etriebsratsvorsitzende die zeitweilige rechtliche Verhinderung eines [X.]etriebsratsmitglieds bereits bei der Einberufung der [X.]etriebsratssitzung zu beurteilen und erforderlichenfalls ein Ersatzmitglied zu laden hat.

2. Hiernach war das [X.]etriebsratsmitglied [X.] nicht gehindert, an der [X.]eratung und [X.]eschlussfassung des [X.]etriebsrats über das Ersuchen der Arbeitgeberin zur Versetzung des Arbeitnehmers [X.] teilzunehmen. Das [X.]etriebsratsmitglied [X.] war durch die vom [X.]etriebsrat zu treffende Entscheidung im beschriebenen [X.]inne nicht unmittelbar betroffen. Zwar verringerte sich durch eine Zustimmung des [X.]etriebsrats die etwa noch vorhandene - angesichts der anderweitigen Planung der Arbeitgeberin allerdings ohnehin geringe - Chance des Arbeitnehmers [X.], die [X.]telle, um die auch er sich beworben hatte, zu erhalten. Allein die Verringerung dieser Chance genügt jedoch nicht, um von einer unmittelbaren [X.]etroffenheit des [X.]etriebsratsmitglieds [X.] auszugehen. Ebenso wenig war eine Zustimmungsverweigerung des [X.]etriebsrats geeignet, dem [X.]etriebsratsmitglied [X.] einen Anspruch auf die zu besetzende [X.]telle zu verschaffen. [X.]eine eigene rechtliche Position verbesserte sich dadurch nicht. Die Arbeitgeberin war im Falle einer Zustimmungsverweigerung lediglich gehindert, die beabsichtigte Versetzung des Arbeitnehmers [X.] endgültig durchzuführen.

3. Die Zustimmungsverweigerung des [X.]etriebsrats war auch im Übrigen frist- und ordnungsgemäß. Die Wochenfrist des § 99 Abs. 3 [X.]atz 1 [X.]etrV[X.] ist eingehalten. Die Zustimmungsverweigerung ging der Arbeitgeberin bis zum 23. Juli 2010, und damit innerhalb einer Woche nach dem 16. Juli 2010 zu. [X.]ie genügte auch der an eine beachtliche Zustimmungsverweigerung zu stellenden [X.]egründungspflicht (vgl. dazu etwa [X.]A[X.] 10. Oktober 2012 - 7 A[X.]R 42/11 - Rn. 50 mwN). Der [X.]etriebsrat hat mit seiner schriftlichen Zustimmungsverweigerung - zumindest - die Zustimmungsverweigerungsgründe nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 [X.]etrV[X.] hinreichend deutlich gemacht.

        

    Linsenmaier    

        

    Linsenmaier    

        

    [X.]    

        

        

        

    Willms    

        

    [X.]usch    

                 

Meta

7 ABR 82/11

24.04.2013

Bundesarbeitsgericht 7. Senat

Beschluss

Sachgebiet: ABR

vorgehend ArbG Stuttgart, 19. Januar 2011, Az: 32 BV 219/10, Beschluss

§ 25 Abs 1 S 2 BetrVG, § 99 Abs 3 S 2 BetrVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 24.04.2013, Az. 7 ABR 82/11 (REWIS RS 2013, 6328)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6328

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Referenzen
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18 BV 132/20

5 P 11/14

3 TaBV 47/21

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