Bundesfinanzhof, Urteil vom 23.08.2016, Az. V R 10/15

5. Senat | REWIS RS 2016, 6457

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Gegenstand

(Kindergeld: Persönliche Anspruchsberechtigung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten - Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 23.08.2016 V R 19/15)


Leitsatz

NV: Die Fiktion des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO Nr. 987/2009 führt dazu, dass der Anspruch auf Kindergeld nicht dem in Deutschland, sondern dem im EU Ausland lebenden Elternteil zusteht, wenn dieser das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (Anschluss an BFH Urteil vom 4. Februar 2016 III R 17/13, BFHE 253, 134, BStBl II 2016, 612) .

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 2. Februar 2015 14 K 1165/13 Kg aufgehoben.   

Die Klage wird abgewiesen.   

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.  

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist [X.] Staatsbürgerin, die in der [X.] ([X.]) lebt und als Gewerbetreibende selbständig ist. Sie ist Mutter der Kinder E (geboren 1994) und [X.] (geboren 1996), die im Streitzeitraum in [X.]olen im Haushalt des von der Klägerin geschiedenen Kindsvaters lebten und dort eine Schule oder Hochschule besuchten. Familienleistungen nach [X.]m Recht wurden nicht gewährt.

2

Die Rechtsvorgängerin der Beklagten und Revisionsklägerin (Familienkasse) lehnte einen Antrag der Klägerin auf Kindergeld für ihre beiden Kinder ab Juli 2012 ab, da der Kindsvater vorrangig kindergeldberechtigt sei. Den dagegen eingelegten Einspruch wies sie im März 2013 zurück. Die daraufhin erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) verpflichtete die Familienkasse mit Urteil vom 2. Februar 2015  14 K 1165/13 Kg, Kindergeld für E und [X.] festzusetzen. Dagegen wendet sich die Familienkasse mit der Revision.

3

Der Senat hat das Verfahren mit Beschluss vom 21. April 2015 bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) in der Rechtssache [X.] [X.]/14 ausgesetzt. Nach Veröffentlichung des [X.]-Urteils [X.] vom 22. Oktober 2015 [X.]/14 ([X.]:C:2015:720, [X.] Entscheidungsdienst --DStRE-- 2015, 1501) hat der Senat das Verfahren wieder aufgenommen und den Beteiligten Gelegenheit gegeben, sich zu dem [X.]-Urteil zu äußern. Die Familienkasse ist der Auffassung, der [X.] habe ihren Rechtsstandpunkt bestätigt.

4

Die Familienkasse beantragt,
das [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

5

Der Klägerin ist durch ihren Ehemann, der nicht zu den in § 62 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genannten [X.]ersonen gehört, der Rechtsauffassung der Familienkasse entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des [X.] und Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Das [X.] verletzt § 64 Abs. 2 Satz 1 des [X.]inkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung ([X.]StG). Danach hat die Klägerin keinen Anspruch auf Zahlung des Kindergeldes.

7

1. Die Klägerin ist zwar kindergeldberechtigt, weil sie in [X.] lebt und Mutter einer Tochter ist, die ihren Wohnsitz in [X.] hat (§ 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 [X.]StG) und für die ein Anspruch auf Kindergeld besteht (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a [X.]StG), sowie eines [X.], der seinen Wohnsitz gleichfalls in [X.] hatte und für den auch ein Anspruch auf Kindergeld besteht (§ 32 Abs. 3 [X.]StG).

8

Die Klägerin hat aber keinen Anspruch auf Zahlung des Kindergeldes; denn mit Blick auf das Unionsrecht ist nach § 64 Abs. 2 Satz 1 [X.]StG der Kindsvater vorrangig anspruchsberechtigt.

9

a) Nach § 64 Abs. 2 Satz 1 [X.]StG wird bei mehreren Berechtigten das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat.

b) [X.]ine Person hat nach Art. 67 Satz 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 883/2004 des [X.] und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der [X.] Sicherheit (VO Nr. 883/2004) --wie hier die Klägerin nach Art. 2 Abs. 1 VO Nr. 883/2004-- Anspruch auf Familienleistungen (wie hier Kindergeld nach Art. 1 Buchst. z, Art. 3 Abs. 1 Buchst. j VO Nr. 883/2004) nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats (hier: [X.] gemäß Art. 11 Abs. 3 Buchst. a VO Nr. 883/2004) auch für Familienangehörige, die zwar in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, die aber so behandelt werden, als wohnten sie im zuständigen Mitgliedstaat. Denn bei der Anwendung von Art. 67 und 68 VO Nr. 883/2004 ist nach Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung ([X.]) Nr. 987/2009 des [X.] und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung ([X.]) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der [X.] Sicherheit die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle Beteiligten --insbesondere was das Recht zur [X.]rhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt-- unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats (hier: [X.]) fallen und dort wohnen (dazu eingehend [X.]uGH-Urteil [X.], [X.]:C:2015:720, [X.] 2015, 1501).

Diese Fiktion führt dazu, dass der Anspruch auf Kindergeld nicht dem in [X.], sondern dem im [X.]-Ausland lebenden [X.]lternteil zusteht, wenn dieser das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (vgl. dazu im [X.]inzelnen BFH-Urteil vom 4. Februar 2016 III R 17/13, [X.], 136, [X.], 612).

c) So verhält es sich im Streitfall: [X.] und P leben im Haushalt des ebenfalls kindergeldberechtigten Kindsvaters, so dass die Klägerin gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 [X.]StG keinen Anspruch auf Auszahlung des Kindergeldes hat. Anhaltspunkte dafür, dass der Kindsvater ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer ist (vgl. § 62 Abs. 2 [X.]StG), bestehen nicht.

2. [X.] beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Meta

V R 10/15

23.08.2016

Bundesfinanzhof 5. Senat

Urteil

vorgehend FG Münster, 2. Februar 2015, Az: 14 K 1165/13 Kg, Urteil

§ 62 Abs 1 Nr 1 EStG 2009, § 64 Abs 2 S 1 EStG 2009, Art 67 S 1 EGV 883/2004, Art 60 Abs 1 S 2 EGV 987/2009, EStG VZ 2012

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 23.08.2016, Az. V R 10/15 (REWIS RS 2016, 6457)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 6457

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