Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.08.2015, Az. 1 StR 328/15

1. Strafsenat | REWIS RS 2015, 7038

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 [X.]

vom
5. August
2015

[X.]St:
ja
[X.]R:
ja
Nachschlagewerk:
ja
Veröffentlichung:
ja
_____________________________

StGB §§ 212, 13 Abs. 1

Eine bewusste Selbstgefährdung lässt grundsätzlich die Erfolgsabwendungs-pflicht des eintrittspflichtigen Garanten nicht entfallen, wenn sich das allein auf Selbstge-
fährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den Verlust des Rechtsguts entwickelt.

[X.], Beschluss vom 5. August 2015 -
1 [X.] -
LG [X.] I

in der Strafsache
gegen

wegen
Totschlags durch Unterlassen u.a.

-
2
-
Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 5. August
2015
gemäß §
349 Abs. 2 StPO
beschlossen:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.]s [X.] I vom 19. Dezember 2014 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwen-digen Auslagen zu tragen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags durch [X.] und wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.
Seine dagegen auf die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision ist un-begründet im Sinne von §
349 Abs.
2 StPO.

I.
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Totschlags durch Unterlassen (§
212 Abs.
1, §
13 Abs.
1 StGB) im Fall B.II.1. der Urteilsgründe (Geschehen vom 18.
April 2013). Das [X.] hat ohne Rechtsfehler den Angeklagten für rechtlich verpflichtet gehalten, den Tod 1
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3
-
des später verstorbenen A.

zu verhindern und hat ihm den eingetretenen Tod des Geschädigten zu seinem Vorsatz zugerechnet.
1.
Nach den auf einer [X.] Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen hatten sich mehrere Personen, u.a. der Angeklagte und A.

, bereits im Verlaufe des Nachmittags getroffen und gemeinsam Alkohol sowie verschiedene Betäubungsmittel konsumiert. Gegen Abend begab sich die Gruppe in die in einem größeren Gebäudekomplex gelegene Wohnung des Angeklagten. Dort nahmen die Anwesenden weiterhin u.a. Alkohol, Ampheta-min und Cannabis zu sich. Im Verlaufe des Abends bot der Angeklagte den übrigen Personen in der Wohnung an, [X.] ([X.]) zu konsu-mieren. Dieser Stoff befand sich unverdünnt in einer im Besitz des Angeklagten befindlichen Glasflasche. Außer dem nicht [X.] Mitangeklagten F.

ging keiner der sonstigen Anwesenden auf das Angebot ein. Nachdem der An-geklagte und der Mitangeklagte etwa zwei bis drei Milliliter [X.], verdünnt in einem halben Liter Wasser, konsumiert hatten, blieb die Flasche mit dem [X.] frei zugänglich in der Wohnung des Angeklagten stehen. Spätestens nach dem eigenen Konsum wies der Angeklagte seine Gäste darauf hin, dass [X.] nicht unverdünnt zu sich genommen werden dürfe.
Einige
Zeit danach setzte der später verstorbene A.

die Flasche mit dem unverdünnten [X.] direkt an und trank eine durch das [X.] nicht mehr näher feststellbare Menge der Substanz. Der Angeklagte und der [X.], die von der Aufnahme einer tödlich wirkenden Menge ausgingen, ver-suchten erfolglos, A.

zum Erbrechen zu veranlassen. Dieser verlor viel-mehr
das Bewusstsein. Nachdem A.

in eine stabile Seitenlage gebracht worden war, beschränkte sich der Angeklagte

wie auch die übrigen Anwe-senden darauf

die Atemfrequenz des bewusstlosen Geschädigten zu kontrol-4
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-
lieren. Spätestens als der Angeklagte wahrnahm, dass A.

lediglich noch alle sechs bis acht Sekunden atmete, nahm er billigend in Kauf, dass der Ge-schädigte ohne das unverzügliche Herbeirufen von ärztlicher Hilfe an den Fol-gen der Einnahme des unverdünnten [X.] versterben werde. Dennoch blieb er untätig. Hätte er zu diesem Zeitpunkt medizinische Hilfe angefordert, wäre das Leben des Geschädigten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ge-rettet worden. Auch nachdem

vom Angeklagten wahrgenommen

die [X.] von A.

noch niedriger, die Atmung zudem unregelmäßig und ge-räuschintensiv wurde, leitete der Angeklagte zunächst weiterhin keine Ret-tungsmaßnahmen ein.
Später wurde, nicht ausschließbar auf die Initiative des Angeklagten, ein erster Rettungswagen verständigt. Als der Angeklagte beobachtete, dass dieser
Rettungswagen abfuhr, ohne A.

aufgenommen zu haben, ließ er einen zweiten Rettungswagen herbeirufen. Dessen Besatzung unternahm [X.]. Diese führten
jedoch nicht zum Erfolg. A.

verstarb an einem durch den Konsum von [X.] ausgelösten Atemstillstand und der dadurch bewirkten Sauerstoffunterversorgung des Gehirns.
2.
Nach diesen Feststellungen hat sich der Angeklagte wegen [X.] durch Unterlassen strafbar gemacht.
a)
Der Angeklagte hatte im Sinne von §
13 Abs.
1 StGB rechtlich dafür einzustehen, dass
der Tod des Geschädigten A.

nach dessen Konsum von [X.] nicht eintritt. Diese Pflicht zur
Abwendung des [X.] resultierte aus der tatsächlichen Herrschaft des Angeklagten über die in seinem Besitz [X.] und von ihm in seiner Wohnung für die übrigen dort Anwesenden frei zu-gängliche Flasche mit dem hochgradig gesundheits-
und lebensgefährlichen [X.].
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5
-
aa)
In der Rechtsprechung des [X.] ist anerkannt, dass jeder, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, die nach Lage der [X.] erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen
hat ([X.], Urteil vom 13.
November 2008

4 [X.], [X.]St 53, 38, 41 f. Rn.
16 mwN; siehe auch [X.], Urteil vom 21.
Dezember 2011

2 StR 295/11, [X.], 319). Die entsprechende Pflicht beschränkt sich auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den [X.] zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um Andere vor Schäden zu bewahren. Eine aus der Zuständigkeit für eine Ge-fahrenquelle folgende Erfolgsabwendungspflicht gemäß §
13 Abs.
1 StGB be-steht allerdings lediglich dann, wenn mit der Eröffnung der Gefahrenquelle die nahe liegende Möglichkeit begründet wurde, dass Rechtsgüter anderer Perso-nen verletzt werden können (vgl. bereits [X.], Urteil vom 13. November 2008

4 [X.], [X.]St 53, 38, 42 Rn.
16; [X.], Urteil vom 21.
Dezember 2011

2 StR
295/11, [X.], 319). In welchem Umfang die Erfolgsabwendungs-pflicht besteht, bestimmt sich nach dem Grad der Gefahr. Die Anforderungen an den für die Gefahrenquelle Zuständigen sind umso höher, je größer bei [X.] Gefährlichkeit einer Handlung die Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität sind ([X.], Urteil vom 13. November 2008

4 [X.],
[X.]St
53, 38, 42 Rn.
16 mwN).
bb)
An diesen Grundsätzen gemessen ist die rechtliche Würdigung des Tatgerichts, der Angeklagte sei Garant für das Leben des später verstorbenen A.

gewesen, nicht zu beanstanden.
Die dem Konsum des unverdünnten [X.] durch A.

zeitlich voraus-gegangenen Umstände legten die Möglichkeit nahe, dass es wegen des freien Zugangs aller in der Wohnung des Angeklagten Anwesenden zu einem Zugriff 9
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-
auf die Flasche mit dem [X.] kommen werde. Alle sich dort [X.] und damit auch A.

hatten bereits im Verlaufe des Nachmittags außerhalb der Wohnung unterschiedliche Suchtmittel zu sich genommen. In der Wohnung war es zu weiterem Konsum von Alkohol und verschiedenen Betäubungsmitteln
gekommen. Angesichts dieses wahllosen Suchtmittelkonsumverhaltens der in der Wohnung anwesenden Personen war trotz der zunächst ausbleibenden Reaktion der Gäste auf die Aufforderung des Angeklagten, von dem [X.] zu konsumieren, die Gefahr eines Zugriffs auch auf diese Substanz nahe liegend. Unabhängig von dem jeweils konkreten
Umfang des Suchtmittelkonsums der verschiedenen Gäste und den jeweiligen individuellen Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Risikoeinschätzung, entspricht eine enthemmende Wirkung von Suchtmittelkonsum allgemeiner Erfahrung. Dass es angesichts des bis zum Vorfallzeitpunkt von allen Anwesenden gezeigten Konsumverhaltens auch zu der Einnahme von [X.] kommen würde, war daher eine voraussehbare Ent-wicklung.
Wegen der mit einer Einnahme des unverdünnt in der für jeden Anwe-senden frei zugänglichen Flasche befindlichen [X.] einhergehenden hohen Gefährlichkeit für das Leben und die Gesundheit von Konsumenten waren an den Angeklagten als Inhaber der Sachherrschaft über den gefährlichen Gegen-stand hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen, um
der Lebensgefährlichkeit des Konsums zu begegnen. Die ausgesprochene Warnung des Angeklagten, [X.] nicht unverdünnt zu sich zu nehmen, genügte angesichts des frei zugänglichen Aufstellens der Flasche in der Wohnung in Anwesenheit mehrerer Personen, die bereits zuvor Alkohol und verschiedene Drogen konsumiert hatten, dazu nicht. Der Angeklagte hat daher als für die Flasche zuständiger Besitzer durch den geschilderten Umgang mit ihr eine Gefahrenquelle eröffnet. Dies [X.] grundsätzlich seine Pflicht, dem von dieser Quelle für die Rechtsgüter Dritter 12
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ausgehenden Gefährlichkeitspotential durch geeignete und ihm zumutbare Maßnahmen zu begegnen.
b)
Diese Pflicht entfiel

wie das [X.] rechtsfehlerfrei angenom-men hat

auch nicht deshalb, weil der später verstorbene A.

trotz der ausgesprochenen Warnung des Angeklagten aus eigenem Entschluss das [X.] unverdünnt zu sich genommen hat.
aa)
Zwar unterfällt nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs-
oder Tötungs-delikts, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder för-dert, kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs-
oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches

soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht

kein tatbe-standsmäßiger und damit strafbarer Vorgang ist
(siehe nur [X.], Urteil vom 28.
Januar 2014

1 [X.], [X.]St 59, 150, 167 Rn.
71 mit zahlr. Nachw.). Diese Grundsätze gelten sowohl für die vorsätzliche als auch die fahr-lässige Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung einer eigenverantwortli-chen Selbstgefährdung oder Selbstverletzung ([X.], Urteil vom 28. Januar 2014

1 [X.],
[X.]St 59, 150, 168 Rn.
71).
bb)
Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung seines Lebens durch den Verstorbenen A.

schloss jedoch die aus der Herrschaft über eine Ge-fahrenquelle resultierende Pflicht des Angeklagten zur Abwendung des dro-henden [X.] gerade nicht aus, als sich nach der unverdünnten Ein-nahme von [X.] gerade das Gefahrenpotential für das Leben A.

s zu reali-13
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8
-
sieren begann, das der Angeklagte durch das dem Zugriff seiner Gäste offene Abstellen der Flasche mit dem genannten Stoff gerade eröffnet hatte.
(1)
Der [X.] hat bereits entschieden, dass die Erfolgsab-wendungspflicht eines Garanten nicht entfällt, wenn sein Verhalten zunächst lediglich eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung derjenigen Person ermög-licht, für dessen Rechtsgut bzw. Rechtsgüter er als Garant rechtlich im Sinne von §
13 Abs.
1 StGB einzustehen hat (vgl. [X.], Urteile vom 27.
Juni 1984

3
[X.], [X.], 452
und
vom 9.
November 1984

2 [X.]; im Ergebnis auch [X.], Urteil vom 21.
Dezember 2011

2 StR 295/11, [X.], 319). Die Straflosigkeit des auf die Herbeiführung des Risikos gerichteten Verhaltens ändere nichts daran, dass für den Täter [X.] in dem Zeitpunkt bestehen, in dem aus dem allgemeinen Risiko eine besondere Ge-fahrenlage erwächst. Mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage ist der Täter verpflichtet, den drohenden Erfolg abzuwenden ([X.], Urteile vom 27.
Juni 1984

3 [X.], [X.], 452 und
vom 9.
November 1984

2 [X.]; in der Sache ebenso [X.], Urteil vom 21.
Dezember 2011

2 StR 295/11, [X.], 319).
(2)
An diesen Grundsätzen ist jedenfalls dann festzuhalten, wenn

wie nach den tatrichterlichen Feststellungen hier (UA S.
22)

das Verhalten des Opfers sich in Bezug auf das Rechtsgut Leben in einer (möglichen) eigenver-antwortlichen Selbstgefährdung erschöpft. Entgegen in der [X.] geäußerter Kritik (etwa [X.], Strafrecht, [X.], 4.
Aufl., §
11 Rn.
112; Kühl in [X.], StGB,
28.
Aufl., Vor §
211 Rn.
16; [X.], 57 f.) ist es in diesen Konstellationen nicht wertungswidersprüchlich, zwar jegliche Beteiligung an der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung
selbst für einen Ga-ranten straffrei zu stellen, bei Realisierung des von dem betroffenen Rechts-16
17
-
9
-
gutsinhaber eingegangenen Risikos aber eine strafbewehrte Erfolgsabwen-dungspflicht aus §
13 Abs.
1 StGB anzunehmen. Denn anders als in den Selbsttötungsfällen erschöpft sich im Fall der Selbstgefährdung
die
Preisgabe des eigenen Rechtsguts gerade darin, dieses in einem vom
Betroffenen jeden-falls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannten Umfang (Kenntnis sämtlicher rechtsgutsbezogener Risiken des fraglichen
Verhaltens wird nicht gefordert, vgl. [X.], Beschluss vom 11.
Januar 2011

5
StR 491/10, [X.], 341, 342; siehe auch [X.], Urteil vom 28.
Januar 2014

1
[X.], [X.]St 59, 150, 169 f. Rn.
80 und 81) einem Risiko auszusetzen. Eine [X.] des als möglich erkannten Erfolgseintritts bei Realisierung des einge-gangenen Risikos ist mit der Vornahme der Selbstgefährdung gerade nicht notwendig verbunden (siehe insoweit auch Freund in [X.]er Kommentar zum StGB, 2.
Aufl., §
13 Rn.
190; in der Sache anders
dagegen Murmann [X.], 387, 388 f.).
Entwickelt sich das allein auf Selbstgefährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den Verlust des Rechtsguts, umfasst die ur-sprüngliche Entscheidung des Rechtsgutsinhabers für die (bloße) Gefährdung seines Rechtsguts nicht zugleich den Verzicht auf Maßnahmen zum Erhalt des nunmehr in einen Zustand konkreter Gefahr geratenen Rechtsguts (vgl. Freund aaO). Eine Person, die nach den allgemeinen Grundsätzen des §
13 Abs.
1 StGB Garant für das bedrohte Rechtsgut ist, trifft dann im Rahmen des tatsäch-lich Möglichen und ihr rechtlich Zumutbaren die Pflicht, den Eintritt des tatbe-standlichen Erfolgs abzuwenden.
Dem ist der Angeklagte nicht nachgekommen, weil er in dem Zeitraum, in dem noch die Möglichkeit der Abwendung des Todes von A.

bestand, auf das Herbeirufen der lebensnotwendigen medizinischen Hilfe verzichtet hat.
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-
(3)
Ob für den Fall eines eigenverantwortlichen Suizids nach Verlust der [X.] den Selbstmord [X.] etwas anderes gilt (vgl. [X.], Urteil vom 21.
Dezember 2011

2 StR 295/11, [X.], 319), bedarf keiner Entscheidung. Denn das [X.] hat einen Selbsttötungswil-len des Verstorbenen A.

mit [X.] Beweiswürdigung ausge-schlossen (UA
S.
40).
c)
Ohne Rechtsfehler hat das [X.], vor allem gestützt auf das rechtsmedizinische Sachverständigengutachten, festgestellt, dass A.

bei rechtzeitigem Verständigen von medizinischer Hilfe mit an Sicherheit grenzen-der Wahrscheinlichkeit hätte gerettet werden können (UA S.
6062).
d)
Die Feststellungen zum bedingten Tötungsvorsatz werden durch eine umfassende, die Anforderungen an die Wissens-
und die Willenskomponente dieser Vorsatzform berücksichtigende Gesamtwürdigung getragen (UA S.
6367).

II.
Der Schuldspruch wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung im Fall B.II.2.
der Urteilsgrün-de
(Geschehen vom 26./27.
Mai 2013) weist ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
1.
Die getroffenen Feststellungen belegen die Tathandlung des [X.] im Sinne von
§
239a Abs.
1 Halbs.
1 StGB spätestens ab dem Zeitpunkt des Verbringens des [X.] in die Wohnung des (weiteren) 20
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22
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-
11
-
nicht [X.] Mitangeklagten J.

. Sich-Bemächtigen liegt bereits vor, wenn der Täter die physische Herrschaft über einen anderen erlangt hat; dafür ist weder eine Ortsveränderung erforderlich noch muss der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt sein ([X.], Urteil vom 22.
Oktober 2009

3 [X.], [X.], 516). Die Umstände des Festhaltens in der fraglichen Wohnung (UA S.
26 und 27) ergeben die Erlangung physischer Herrschaft über den Nebenkläger. Dass es diesem zwischenzeitlich gelungen war, sich aus [X.] Fesselung durch Handschellen zu befreien, steht dem angesichts der sons-tigen Umstände seines Festhaltens in der Wohnung nicht entgegen.
2.
Soweit das [X.] bezüglich §
239a StGB auf eine stabilisierte [X.] abgestellt hat (UA S.
91), wäre es darauf nicht angekom-men, weil der Angeklagte und sein nicht revidierender Mitangeklagter F.

nach den getroffenen Feststellungen (auch) die Sorge des [X.] des geschä-digten [X.] um dessen Wohl zu einer Erpressung ausnutzen wollten. In solchen meist sog. [X.] kommt nach der neueren Rechtsprechung des [X.] der [X.] und deren Stabilisierung geringere Bedeutung zu als in sog. Zwei-Personen-Verhältnissen (Nachw. bei [X.], StGB, 62.
Aufl., §
239a Rn.
8b). Dass das Tatgericht so-gar strengere Anforderungen an die Verwirklichung des Tatbestands gestellt hat, geht ersichtlich nicht zu Lasten des Angeklagten.

III.
Der Rechtsfolgenausspruch hält ebenfalls rechtlicher Prüfung stand.
25
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12
-
Das Unterbleiben der Unterbringung des Angeklagten in einer Entzie-hungsanstalt gemäß §
64 StGB hat das [X.] ohne Rechtsfehler mit dem Fehlen eines Hangs des Angeklagten, alkoholische Getränke oder sonstige berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, begründet.
1.
Hang im Sinne von §
64 StGB verlangt eine chronische, auf körperli-cher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Nei-gung,
immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Ausreichend für die Annahme eines Hangs zum übermäßigen Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsum-gewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelgenuss bereits Gesundheit, Arbeits-
und
Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zukommen; das Fehlen dieser Beeinträchtigungen schließt indessen nicht
notwendigerweise die Bejahung eines Hangs aus ([X.], Beschluss vom 18.
September 2013

1 [X.], [X.]R StGB §
64 Satz 1 Hang 1 mwN; Urteil vom 15.
Mai 2014

3 [X.] Rn.
10 [in NStZ-RR 2014, 271 nur LS]).
2.
Diese Grundsätze hat das [X.]
zugrunde gelegt, sachverstän-dig beraten jedoch die Voraussetzungen des Hangs weder im Sinne körperli-cher Sucht noch psychischer Disposition, sondern lediglich einen schädlichen Gebrauch von Alkohol und sonstigen Mitteln festzustellen vermocht. Dabei hat es im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend berücksichtigt, dass vorhandene Beeinträchtigungen der Gesundheit sowie der Arbeits-
und Lebensfähigkeit ebenso lediglich indizielle Bedeutung für den Hang haben wie umgekehrt das 27
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13
-
(bisherige) Fehlen solcher Beeinträchtigungen nur Indizien sind, die auf die Abwesenheit eines Hangs hindeuten können.
Da dem [X.] die jeweils allein indizielle Bedeutung bewusst war, ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass
es unter Berücksichtigung aller rele-vanten Aspekte vor allem aus dem geregelten Arbeitsleben des Angeklagten, seiner Fähigkeit, bisherige [X.] Bindungen fortzuführen und neue zu knüp-fen, sowie eingelegten Konsumpausen und dem Fehlen von Entzugserschei-nungen nach der Festnahme in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigen einen Hang verneint hat.
3.
Angesichts des Vorstehenden kommt es nicht darauf an, ob auch

wie das [X.] in [X.] meint

der symptomatische Zu-sammenhang zwischen den begangenen Taten und einem (unterstellten) Hang fehlte.
Raum Jäger Radtke

Mosbacher [X.]
30
31

Meta

1 StR 328/15

05.08.2015

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.08.2015, Az. 1 StR 328/15 (REWIS RS 2015, 7038)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 7038

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 StR 382/13

3 StR 386/13

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