Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.12.2002, Az. 4 StR 343/02

4. Strafsenat | REWIS RS 2002, 209

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[X.] DES VOLKESUrteil4 StR 343/02vom12. Dezember 2002in der Strafsachegegenwegen schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes u.a.- 2 -Der 4. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom [X.], an der teilgenommen haben:Vorsitzende [X.]in am [X.]. [X.],[X.] am [X.],[X.],[X.],[X.]in am [X.]als beisitzende [X.],Staatsanwalt als Vertreter der [X.],Rechtsanwalt als Verteidiger,Rechtsanwältin als Vertreterin der Nebenklägerin,Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,für Recht erkannt:- 3 -1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das [X.] [X.] vom 20. März 2002 imRechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen [X.] Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten [X.], an eine andere [X.] zurückverwiesen.Von Rechts wegenGründe:Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Miß-brauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch einer Schutzbe-fohlenen in elf Fällen, wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in Tateinheitmit Mißbrauch einer Schutzbefohlenen in sechs Fällen, wegen sexuellen Miß-brauchs einer Schutzbefohlenen in 15 Fällen sowie wegen Erwerbs einer halb-automatischen [X.] in Tateinheit mit Ausübung der tatsächli-chen Gewalt über diese Waffe und mit Erwerb von Munition zu einer Gesamt-freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Mit ihrer auf die [X.], wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten und zu [X.] des Angeklagten eingelegten Revision, die vom [X.] wird, wendet sich die Staatsanwaltschaft dagegen, daß die Anord-nung der Sicherungsverwahrung unterblieben ist. Das Rechtsmittel hat [X.] 4 -1. Nach den Feststellungen kam es ab Anfang des Jahres 1999 zu einerAbkühlung der Beziehung des Angeklagten zu seiner zweiten Ehefrau, die [X.] Kontakte zum Angeklagten immer häufiger ablehnte. Er suchte deshalbseit dieser [X.] vermehrt "Liebe und Zuneigung" bei der am 20. Februar 1987geborenen Tochter seiner Ehefrau, die im gemeinsamen Haushalt lebte undderen Erziehung ihm mitübertragen war. Ab Frühjahr/[X.] 1999 nahm [X.] in sechs Fällen bei dem damals 12jährigen Mädchen unterschiedli-che sexuelle Handlungen vor, ab Juli 2000 bis Anfang Februar 2001 vollzog [X.] der nunmehr 13Jährigen in zehn Fällen den Geschlechtsverkehr (Einzel-strafen jeweils drei Jahre Freiheitsstrafe) und in einem Fall kam es zum Oral-verkehr (Einzelstrafe: zwei Jahre drei Monate Freiheitsstrafe). In [X.] Fällen führte er bis Juni 2001 mit dem mittlerweile 14jährigen Mädchen [X.] durch (Einzelstrafen je zwei Jahre Freiheitsstrafe). DieDuldung der sexuellen Handlungen erreichte der Angeklagte dadurch, daß erder Geschädigten immer wieder damit drohte, er werde sie zu ihrer Großmutternach [X.] zurückschicken, wenn sie sich ihm nicht fügen oder sich einemDritten gegenüber offenbaren sollte. Kurz nachdem sich seine Ehefrau im [X.] von ihm getrennt und mit ihren beiden Kindern aus der ehelichen Woh-nung ausgezogen war, erwarb der Angeklagte - nach seinen Angaben [X.] - eine funktionsfähige halbautomatische Selbstladepistolenebst Magazin, Schalldämpfer und scharfen Patronen, die er bis zu seinerFestnahme am 16. August 2001 in seinem Pkw aufbewahrte.Der Angeklagte ist vorbestraft. Er wurde im Jahre 1986 wegen [X.] versuchten Betrug zu einer Geldstrafe, 1988 wegen eines im [X.] begangenen [X.]s zu einem Jahr Freiheitsstrafe, deren Vollstreckungzur Bewährung ausgesetzt worden war, und im Jahre 1990 wegen [X.] 5 -in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb einer Schußwaffe und Ausübung der tat-sächlichen Gewalt über diese zu einer weiteren Freiheitsstrafe von acht Jahrenverurteilt. Dieser Verurteilung lag zugrunde, daß der Angeklagte im März 1990seine erste Ehefrau, die sich von ihm trennen wollte, mit einem einige Wochenzuvor erworbenen Kleinkalibergewehr erschossen [X.] Obwohl nach den Feststellungen unter Beachtung des § 66 Abs. 4Satz 4 StGB die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Siche-rungsverwahrung nicht nur nach § 66 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 StGB, sondern [X.] § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 und 2 StGB vorliegen, hat das [X.]diese Maßregel nicht angeordnet, weil kein Hang im Sinne des § 66 Abs. 1Nr. 3 StGB festzustellen sei. Es hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht,daß es sich bei dem im Jahre 1986 begangenen [X.], dem Tötungsdeliktvom März 1990 und den nunmehr abgeurteilten Sexualstraftaten um [X.], die für einen Hang des Angeklagten zur Begehung von Straftaten ex-emplarisch sind (vgl. hierzu BGHSt 21, 263 ff.; 24, 153, 156; 24, 243, 244; [X.] 1984, 309). Die diesem Ergebnis zugrundeliegende Bewertung begegnetdurchgreifenden rechtlichen Bedenken, da sie wesentliche Umstände der Fall-gestaltungen nicht berücksichtigt hat.Nicht zu beanstanden ist allerdings der Ausgangspunkt des Landge-richts: Handelt es sich bei den Straftaten, die die formellen Voraussetzungender Sicherungsverwahrung begründen (sog. Symptomtaten), um solche ganzverschiedener Art, die überdies unterschiedliche Rechtsgüter verletzen, ist [X.] für einen verbrecherischen Hang des [X.] besonders sorgfältig zuprüfen und zu begründen (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 10). So begegnetauch die Begründung, mit welcher die [X.] es abgelehnt hat, den [X.] begangenen [X.] als symptomatisch für einen Hang des Ange-klagten zur Begehung erheblicher Straftaten anzusehen, keinen rechtlichenBedenken. Eine Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGBscheidet deshalb aus (vgl. BGHSt 21, 263, 265). Bei seiner weiteren Prüfunghat das [X.] allerdings maßgeblich darauf abgestellt, daß es sich beidem Tötungsdelikt und den sexuellen Übergriffen des Angeklagten auf [X.] um auf einzigartigen und besonderen Lebensumständen beruhen-de Taten gehandelt habe; die Sexualdelikte seien überdies unter [X.] "Fülle günstiger Umstände" begangen worden. Eine Sexualperversionliege beim Angeklagten nicht vor. Die [X.] hat sich hingegen nicht er-kennbar damit auseinandergesetzt, daß diese Straftaten, die als Symptomtatenfür eine Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 und 3 StGB [X.] kommen, nach den getroffenen Feststellungen auf einer fest einge-wurzelten Neigung des Angeklagten (vgl. BGHR aaO Hang 4 und 8), im Rah-men einer Beziehung schwere Straftaten zum Nachteil der jeweiligen [X.] begehen, beruhen können.Nach den Ausführungen des Sachverständigen besteht bei dem asthe-nischen und narzißtisch veranlagten Angeklagten eine dauerhafte, erhebliche,gleichwohl dessen Schuldfähigkeit in den vorliegenden Fällen nicht erheblichbeeinträchtigende Persönlichkeitsstörung, die zu einer Unfähigkeit, (eheliche)Beziehungen angemessen zu kontrollieren, geführt habe. Er könne sich [X.], selbst wenn sie gescheitert seien, nicht lösen, sondern neigedazu, in seiner Eifersucht Besitz über die jeweilige Partnerin zu ergreifen. Esbestehe die Gefahr, daß der Angeklagte, falls er sich eine neue Partnerin su-che, auch künftig versuchen werde, eine aufgrund seiner mangelnden Bin-dungsfähigkeit gescheiterte Beziehung aufrecht zu erhalten und dabei [X.] 7 -grund seines Narzißmus und seiner Neigung zur Besitzergreifung straffällig zuwerden ([X.] und 88).Diese abnorme charakterliche Neigung des Angeklagten war sowohl beidem Tötungsdelikt als auch bei den Sexualstraftaten wesentliche Ursache fürderen Begehung. So kam es zu der über mehrere Wochen hinweg geplantenTötung seiner ersten Ehefrau, als der Angeklagte erkannt hatte, daß der ihn"völlig beherrschende Wunsch, sie zurückzugewinnen, endgültig [X.]". Diese Straftat war nach den Feststellungen auch von dem Gedanken ge-tragen, die Ehefrau zu bestrafen. Die vom [X.] abgeurteilten Sexualde-likte hat der Angeklagte begangen, weil er die Geschädigte mehr und mehr anStelle seiner Ehefrau als feste und dauerhafte Partnerin betrachtete, auf die erauch sein Sexualleben verlagerte. Er entwickelte, wie in der Beziehung zu [X.] ersten Ehefrau, eine derartige Eifersucht auf die Geschädigte, "die er [X.] allein für sich besitzen wollte", daß er sie überwachte, um zu verhindern,daß sie Beziehungen zu anderen Jungen aufnehmen konnte. So hörte er [X.] ab, las ihre Tagebücher, folgte ihr heimlich ins Schwimmbad undvernachlässigte schließlich sogar seine Arbeit, um zu Hause mit seiner [X.] zusammen sein zu können. Auch nachdem seine Ehefrau mit ihren [X.] aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen war, ver-folgte der Angeklagte sein Ansinnen, die Geschädigte zur Rückkehr zu [X.], hartnäckig weiter. Gerade in diesem Zusammenhang gewinnt schon fürdie Beurteilung eines Hanges im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB der zweifa-che Erwerb einer Waffe, die sich der Angeklagte jeweils in einer angespanntenTrennungssituation verschaffte, und die er im vorliegenden Fall auch nachAufgabe seiner - nach Auffassung des [X.]s als unwiderlegt erachteten- Selbstmordabsicht jederzeit greifbar in seinem Besitz behielt, an [X.] 8 -Der [X.] kann nicht ausschließen, daß das [X.] Sicherungs-verwahrung gemäß § 66 Abs. 2, Abs. 3 StGB angeordnet hätte, wenn es [X.] diesen Umständen auseinandergesetzt hätte. Einer Gefährdung der Allge-meinheit im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB stünde nicht entgegen, daß vonder naheliegenden Gefahr erheblicher Übergriffe in erster Linie Menschen imsozialen Nahbereich des Angeklagten betroffen wären (vgl. BGHR aaO [X.] 2). Deshalb verliert auch der Umstand, daß der Angeklagte nochkurz vor seiner Festnahme eine neue Beziehung anstrebte - worauf die [X.] wesentlich abgestellt hat - an Gewicht, zumal dies ersichtlich nichtAusdruck der Bewältigung seiner partnerschaftlichen Probleme war, sonderndarauf beruhte, daß er "große Angst vor dem Alleinsein" hatte.Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenaus-spruchs des Angeklagten. Der [X.] kann hier nicht ausschließen, daß das[X.] auf andere Strafen erkannt hätte, hätte es auch die Sicherungs-verwahrung angeordnet.Sollte der neue Tatrichter nicht hinreichend sicher die Voraussetzungendes § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB feststellen können, wird er, da jedenfalls auch dieformellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 StGB vorliegen, Gelegenheit ha-ben zu prüfen, ob gemäß § 66 a Abs. 1 StGB ([X.]) i.V.m. § 2Abs. 6 StGB, die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung [X.] -Für die erneute Prüfung der Frage, ob der Angeklagte infolge einesHanges für die Allgemeinheit gefährlich ist, wird es sich empfehlen, einen wei-teren psychiatrischen Sachverständigen hinzuzuziehen.[X.] Maatz [X.] Ernemann Sost-Scheible

Meta

4 StR 343/02

12.12.2002

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.12.2002, Az. 4 StR 343/02 (REWIS RS 2002, 209)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2002, 209

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