Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.06.2020, Az. 2 StR 132/20

2. Strafsenat | REWIS RS 2020, 1921

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Gegenstand

Versuchter Mord: Heimtückisches Handeln gegenüber Kleinstkindern; Ausnutzung der Arglosigkeit eines schutzbereiten Dritten


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 4. Oktober 2019 im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte wegen versuchten Mordes in sieben rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit versuchtem Totschlag in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen und mit versuchter besonders schwerer Brandstiftung verurteilt ist.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den [X.] hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in neun rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit versuchter besonders schwerer Brandstiftung unter Einbeziehung zweier durch Strafbefehl verhängten Geldstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen geringen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2

Nach den Feststellungen versuchte der Angeklagte am 12. November 2018 gegen 2.00 Uhr morgens ein Wohnhaus, in dem seine Frau im zweiten Obergeschoss wohnte, in Brand zu setzen, indem er eine brennende Zigarette auf eine Socke warf, die sich auf einem vor der Wohnung seiner Frau stehenden Holzschrank befand. Der Angeklagte nahm dabei nicht nur billigend in Kauf, dass die im zweiten und dritten Obergeschoss wohnenden Personen, darunter die in den Jahren 2016 und 2018 geborenen Kinder A.    und Ar.   S.    , durch den Brand in die konkrete Gefahr des Todes gerieten, sondern auch deren Tötung aufgrund des [X.]. Der Angeklagte ging davon aus, dass alle Bewohner des Hauses zu Tatzeit schliefen und er wusste, dass diese sich keines Angriffs versahen, was er zur Tatbegehung ausnutzen wollte. Wie vom Angeklagten beabsichtigt, entwickelte sich zunächst ein Schwelbrand, der sodann ein Plastikskateboard und den Holzschrank in Brand setzte. Es entstand eine starke Rauchentwicklung; Rauchmelder waren, wie der Angeklagte wusste, nicht vorhanden. Der Holzschrank hatte aber keine ausreichende Brandlast, um das [X.] zu stecken. Alle Bewohner des Hauses konnten sich retten bzw. gerettet werden. Einige Bewohner erlitten Rauchgasvergiftungen und am Haus entstand ein Sachschaden in Höhe von rund 29.000 €.

3

Die Strafkammer hat das Handeln des Angeklagten als untauglichen Versuch des Mordes an den neun im zweiten und dritten Obergeschoss schlafenden Personen gewertet. Sie ist vom Vorliegen des [X.] der Heimtücke ausgegangen, die Mordmerkmale der Begehung mit gemeingefährlichen Mitteln oder aus niedrigen Beweggründen hat sie als nicht erfüllt angesehen.

II.

4

Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge lediglich zum Schuldspruch einen geringfügigen Teilerfolg.

5

1. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher unzulässig, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

6

2. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Nachprüfung des angefochtenen Urteils führt zur Berichtigung des Schuldspruchs. Die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes an den in den Jahren 2016 und 2018 geborenen Kleinkindern wird von den ansonsten rechtfehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht getragen. Der [X.] hat hierzu ausgeführt:

„Heimtückisches Handeln ist einem Kleinstkind gegenüber in der Regel nicht möglich, weil es nicht fähig ist, anderen Vertrauen entgegenzubringen (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Oktober 2005 - 5 [X.], [X.], 43; [X.], Urteile vom 10. März 2006 - 2 StR 561/05, [X.], 338, 339; vom 21. November 2012 - 2 StR 309/12, [X.]R StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 38, und vom 16. August 2018 - 4 [X.], [X.], 32, 34 je mwN), wobei bei dreijährigen Kindern Arglosigkeit gegeben sein kann (vgl. [X.], Urteile vom 22. November 1994 - 1 [X.], [X.], 230 f., und vom 10. März 2006 - 2 StR 561/05, [X.], 338, 340 ...). Während das Kind [X.]       im Jahre 2015 geboren wurde und damit zum Tatzeitpunkt (nahezu) drei Jahre war (...), fehlten A.     und Ar.    S.       altersbedingt noch die Fähigkeit zum Argwohn. Dass sich der Vorsatz des Angeklagten, etwa irrtumsbedingt, auf eine Arglosigkeit der nicht zum Argwohn fähigen Kleinstkinder bezog, ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht.

Zwar kann bei der Tötung von Kleinkindern die Heimtücke in der Ausnutzung der Arglosigkeit schutzbereiter Dritter liegen ([X.], Beschluss vom 13. Oktober 2005 - 5 [X.], [X.], 43; [X.], Urteil vom 21. November 2012 - 2 StR 309/12, [X.]R StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 38; vgl. auch [X.]St 3, 330, 332; 8, 216, 219), worauf sich das [X.] bezieht (...). Allerdings ist schützender Dritter nur derjenige, der den Schutz des Kindes übernommen hat und ihn im Augenblick der Tat entweder tatsächlich ausübt oder dies deshalb nicht tut, weil er dem Täter vertraut (vgl. [X.]St 8, 216, 219). Der schutzbereite Dritte muss den Schutz auf Grund der Umstände des Einzelfalls wirksam erbringen können (vgl. [X.], Urteil vom 21. November 2012 - 2 StR 309/12, [X.]R StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 38). Dies war hier nicht der Fall. (...) Mithin liegen zwei tateinheitliche Fälle des versuchten Totschlags hinsichtlich der Kinder A.     und Ar.    S.      vor.“

7

Dem schließt sich der [X.] an und ändert daher in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO den Schuldspruch. Feststellungen dazu, dass die Eltern aufgrund der Umstände des Falles einen Schutz wirksam hätten erbringen können, hat das [X.] nicht getroffen. § 265 StPO steht der Schuldspruchberichtigung nicht entgegen, da der Angeklagte sich nicht besser als geschehen hätte verteidigen können.

8

3. Das weiter gehende Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Der [X.] kann ausschließen, dass das [X.] bei zutreffender rechtlicher Bewertung den Angeklagten zu einer noch niedrigeren Freiheitsstrafe verurteilt hätte, zumal das [X.] insoweit straferschwerend gewertet hat, was weiterhin zutrifft, dass der Angeklagte den Tod von neun Menschen billigend in Kauf genommen hat.

9

4. Angesichts des nur geringen Teilerfolges der Revision ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels und die den [X.] hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

Franke     

        

Krehl     

        

Meyberg

        

Grube     

        

Schmidt     

        

Meta

2 StR 132/20

23.06.2020

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Köln, 4. Oktober 2019, Az: 105 Ks 6/19

§ 211 Abs 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.06.2020, Az. 2 StR 132/20 (REWIS RS 2020, 1921)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1921

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

27 Ks 7/20

Zitiert

4 StR 162/18

2 StR 309/12

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