Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11.11.2015, Az. 10 AZR 719/14

10. Senat | REWIS RS 2015, 2525

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Gegenstand

Kürzung der zweiten Hälfte einer Jahressonderzahlung


Leitsatz

Der Dienstgeber kann von der Kürzungsmöglichkeit bei der Leistung einer Jahressonderzahlung nach Anlage 14 AVR (juris: DWArbVtrRL) nur Gebrauch machen, wenn er auf alle Dienstverhältnisse die AVR vollständig und einschränkungslos anwendet.

Tenor

1. Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 26. Juni 2014 - 15 [X.]/14 - aufgehoben.

2. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 7. Januar 2014 - 5 Ca 620/13 - wird zurückgewiesen.

3. Der Beklagte hat die Kosten der Berufung und Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf die zweite Hälfte einer Jahressonderzahlung für das Kalenderjahr 2011.

2

Der Kläger arbeitet bei dem [X.]eklagten seit 1988 als Altenpfleger in [X.] Der [X.]eklagte, der mehrere tausend Mitarbeiter beschäftigt, ist Träger verschiedener [X.] Einrichtungen und seit 1951 Mitglied des [X.] - e. V. (vormals [X.] der [X.] e. V.).

3

Nach § 2 Satz 1 des Dienstvertrags der Parteien vom 10. November 1988 finden auf ihr Dienstverhältnis die Arbeitsvertragsrichtlinien ([X.]) des [X.] - Innere Mission und Hilfswerk - der [X.] in der jeweils gültigen Fassung Anwendung. Der Dienstvertrag beinhaltet unter anderem folgende weitere Regelungen:

        

„§ 6   

Streitigkeiten aus diesem Vertrag sollen auf gütlichem Wege bereinigt werden. Die Vertragschließenden verpflichten sich, vor Einschalten des [X.] entweder den Vorsitzenden des Vorstandes einzuschalten oder gem. § 44 [X.] die Schlichtungsstelle beim Diakonischen Werk der [X.] anzurufen. Erst wenn eine dieser Maßnahmen (bei Anrufung des Vorsitzenden binnen einer Woche) nicht zu einer Einigung führt, kann nach Maßgabe dieses Vertrages das Arbeitsgericht angerufen werden.

        

§ 7     

Für eine Kündigung des Dienstverhältnisses gelten die §§ 30 - 33 [X.].

                 

Die ersten sechs Monate der [X.]eschäftigung sind Probezeit.

                 

Abweichend von § 30 Abs. 2 [X.] beträgt die Kündigungsfrist im 1. Dienstjahr nach Ablauf der Probezeit sechs Wochen zum Quartalsschluß.“

4

Gemäß Anlage 14 Abs. 3 [X.] idF vom 1. Juli 2011 erhalten Mitarbeiter eine Jahressonderzahlung, die je zur Hälfte im November des laufenden und im Juni des folgenden Jahres gezahlt wird. Dabei ist die Höhe der Zahlung im Juni vom betrieblichen Ergebnis der Einrichtung bzw. eines wirtschaftlich selbständig arbeitenden Teils der Einrichtung abhängig und kann gemäß Anlage 14 Abs. 4 [X.] bei einem vom Dienstgeber nachzuweisenden negativen betrieblichen Ergebnis je nach dessen Höhe ganz oder teilweise entfallen.

5

Der [X.]eklagte zahlte an den Kläger die erste Hälfte der Jahressonderzahlung für das Kalenderjahr 2011, nicht hingegen die zweite Hälfte in unstreitiger Höhe von 1.214,49 Euro brutto. Er berief sich darauf, dass die von ihm bei der [X.]ewertung zugrunde gelegte „Region [X.]“ als wirtschaftlich selbständig arbeitender Teil der Einrichtung nach dem Testat vereidigter Wirtschaftsprüfer im Kalenderjahr 2011 ein negatives betriebliches Ergebnis erzielt habe.

6

Hinsichtlich der Möglichkeit zur Kürzung der Jahressonderzahlung trifft § 1 Abs. 5 [X.] folgende Regelung:

        

„Von den Abweichungsmöglichkeiten in § 17 und den Anlagen 14 und 17 der [X.] können Einrichtungen nur Gebrauch machen, wenn

        

a)    

auf alle Dienstverhältnisse der Einrichtung und der mit ihr verbundenen Einrichtungen, die Mitglied in einem Diakonischen Werk sind, die Arbeitsvertragsrichtlinien ([X.]) oder eine gleichwertige Arbeitsvertragsgrundlage angewandt werden,

                          
        

b)    

Leiharbeitnehmer nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) nur zur kurzfristigen Überbrückung von Personalengpässen eingesetzt werden. [X.]ei Einrichtungsträgern, in deren Einrichtungen insgesamt mehr als 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt sind, ist eine kurzfristige Überbrückung im Sinne dieser Regelung anzunehmen, wenn nicht mehr als 5 v. H. der insgesamt im Jahresdurchschnitt beschäftigten Vollkräfte in den Einrichtungen des Trägers Leiharbeitnehmer i. S. d. AÜG sind. [X.]ei der Ermittlung der Anzahl der Vollkräfte sind Teilzeitbeschäftigte anteilig zu berücksichtigen.

        

[X.]eschäftigte, die mindestens in Höhe des [X.] - Entgeltes beschäftigt werden, bleiben außer [X.]etracht.

        

Erfüllen Einrichtungen am 01. Juli 2007 diese Voraussetzungen nicht, so können sie von den Abweichungsmöglichkeiten Gebrauch machen, wenn sie durch Dienstvereinbarung

        

a)    

einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren zur vollständigen Anwendung der [X.] oder einer gleichwertigen Arbeitsvertragsgrundlage oder

        

b)    

für [X.] eine abweichende [X.]eschäftigungsquote für Leiharbeitnehmer

        

festlegen.

        

Anmerkung zu Abs. 5:

        

Gleichwertig ist eine Arbeitsvertragsgrundlage, die nach Maßgabe der jeweils anzuwendenden kirchlichen Arbeitsrechtsregelung zustande gekommen ist, sowie die für den öffentlichen Dienst geltenden tarifvertraglichen Regelungen.“

7

Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung begehrt der Kläger mit seiner Klage die zweite Hälfte der Jahressonderzahlung für das Kalenderjahr 2011. Er ist der Auffassung, der [X.]eklagte sei nicht zu deren Streichung berechtigt gewesen.

8

Der Kläger hat beantragt,

        

den [X.]eklagten zu verurteilen, an ihn 1.214,49 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem [X.]asiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 1. Juli 2012 zu zahlen.

9

Der [X.]eklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, die Voraussetzungen der Abweichungsmöglichkeit nach Anlage 14 iVm. § 1 Abs. 5 [X.] für die „Region [X.]“, in welcher der Kläger beschäftigt werde und die einen wirtschaftlich selbständig arbeitenden Teil der Einrichtung darstelle, seien erfüllt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das [X.] hat sie abgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch gegen den [X.]n auf Zahlung der zweiten Hälfte der Jahressonderzahlung für das Kalenderjahr 2011 gemäß Anlage 14 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 [X.]. Der [X.] kann sich nicht auf die in Anlage 14 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3, Abs. 4 und Abs. 5 [X.] geregelte Abweichungsmöglichkeit berufen, da er nicht die Voraussetzung des § 1 Abs. 5 Unterabs. 1 Buchst. a [X.] erfüllt. Dies hat das [X.] nicht beachtet.

I. Die Klage ist zulässig, obwohl der Kläger entgegen § 6 Satz 3 des Dienstvertrags der Parteien vor Klageerhebung weder den Vorsitzenden des Vorstands des [X.]n noch die Schlichtungsstelle beim Diakonischen Werk der [X.] angerufen hat. Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei diesem Verfahren um ein zulässigerweise als Prozessvoraussetzung ausgestaltetes Güte- oder Schlichtungsverfahren handelt. Selbst wenn es ein solches wäre, könnte dessen Nichtdurchführung nur dann zur Unzulässigkeit der Klage führen, wenn der [X.] eine entsprechende Rüge vorgebracht hätte (vgl. zu § 22 [X.]-Caritas [X.] 8. Juni 1994 - 10 [X.] - zu II 1 der Gründe). Eine solche Rüge hat der [X.] im Rechtsstreit aber nicht erhoben. Es ist deshalb anzunehmen, dass die Parteien für die vorliegende Streitigkeit auf die Einhaltung des Schlichtungsverfahrens konkludent verzichtet haben (vgl. [X.] 26. Mai 1993 - 4 [X.] - zu I 1 der Gründe, [X.]E 73, 191).

II. Die Klage ist begründet.

1. Dem Kläger steht nach Anlage 14 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 [X.] ein Anspruch gegen den [X.]n auf die zweite Hälfte der Jahressonderzahlung für das [X.] zu. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind und die zweite Hälfte der Jahressonderzahlung 1.214,49 Euro brutto beträgt. Mit Schreiben vom 5. Dezember 2012 hat der Kläger diesen Anspruch auch rechtzeitig innerhalb der Frist des § 45 Abs. 2 [X.] schriftlich geltend gemacht.

2. Der [X.] kann sich gegen diesen Anspruch nicht auf die in Anlage 14 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3, Abs. 4 und Abs. 5 [X.] geregelte Abweichungsmöglichkeit berufen. Dabei kann offenbleiben, ob der Begriff des „wirtschaftlich selbständigen Teils der Einrichtung“ und das in Anlage 14 [X.] vorgesehene Leistungsbestimmungsrecht des Dienstgebers hinreichend bestimmt sind und letzteres einer Kontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB unterliegt. Denn der [X.] erfüllt bereits nicht die nach § 1 Abs. 5 Unterabs. 1 Buchst. a [X.] erforderliche Voraussetzung, dass er auf alle Dienstverhältnisse der Einrichtung die [X.] anwendet.

a) Der Dienstgeber kann von der Abweichungsmöglichkeit nach Anlage 14 [X.] nur Gebrauch machen, wenn er auf alle Dienstverhältnisse der Einrichtung und der mit ihr verbundenen Einrichtungen die [X.] oder eine gleichwertige Arbeitsvertragsgrundlage iSd. Anmerkung zu Abs. 5 des § 1 [X.] vollständig und [X.] anwendet. Die bloße Zahlung einer Vergütung in Höhe des [X.]-Entgelts iSv. § 1 Abs. 5 Unterabs. 2 [X.] reicht nicht aus. Diese Ausnahmeregelung ist nur auf § 1 Abs. 5 Unterabs. 1 Buchst. b [X.] zu beziehen. Dies folgt aus einer Auslegung von § 1 Abs. 5 [X.]. Ob § 1 Abs. 5 Unterabs. 2 [X.] darüber hinaus eine eigenständige Bedeutung beispielsweise in Fällen haben kann, in denen das Dienstverhältnis im Wege eines Betriebsübergangs mit dem Dienstgeber begründet wurde, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn der [X.] wendet die [X.] in Bezug auf den Kläger, mit dem durchgehend seit 1988 ein unmittelbar zwischen den Parteien begründetes Dienstverhältnis besteht, bereits nicht vollständig und [X.] an.

aa) Die Auslegung von Arbeitsvertragsrichtlinien erfolgt, obwohl es sich nicht um normativ wirkende Tarifregelungen handelt, sondern um [X.] besonderer Art, nach den für die Tarifauslegung maßgeblichen Grundsätzen (vgl. [X.] 18. November 2009 - 4 [X.] - Rn. 29 mwN). Die Auslegung der [X.] durch das Berufungsgericht ist in der Revisionsinstanz - wie auch die Auslegung von Tarifverträgen - in vollem Umfang zu überprüfen.

bb) Der Anwendungsbereich von § 1 Abs. 5 Unterabs. 2 [X.] erschließt sich nicht ohne Weiteres. Sein Wortlaut, „Beschäftigte, die mindestens in Höhe des [X.] - Entgeltes beschäftigt werden, bleiben außer Betracht“, lässt sowohl eine Auslegung zu, wonach er sich allein auf die in § 1 Abs. 5 Unterabs. 1 Buchst. b [X.] angesprochene [X.] bezieht, als auch eine Auslegung, nach der diese Ausnahmeregelung ebenso für § 1 Abs. 5 Unterabs. 1 Buchst. a [X.] Bedeutung hat. Allerdings haben die in § 1 Abs. 5 Unterabs. 2 [X.] verwendeten Begriffe „Beschäftigte“ und „beschäftigt“ einen unmittelbaren Wortlautbezug nur zu § 1 Abs. 5 Unterabs. 1 Buchst. b Satz 2 und Satz 3 [X.], wo die Formulierungen „beschäftigt“, „beschäftigte Vollkräfte“ und „Teilzeitbeschäftigte“ verwendet werden. Dagegen sind in § 1 Abs. 5 Unterabs. 1 Buchst. a [X.] nicht „Beschäftigte“, sondern „Dienstverhältnisse“ Regelungsgegenstand.

cc) Die Systematik der Regelung spricht eher für eine Anwendung von § 1 Abs. 5 Unterabs. 2 [X.] auf § 1 Abs. 5 Unterabs. 1 Buchst. a und Buchst. b [X.]. Zwar könnte bei der Auslegung beachtet werden, dass § 1 Abs. 5 Unterabs. 2 [X.] unmittelbar auf § 1 Abs. 5 Unterabs. 1 Buchst. b [X.] folgt und darum in erster Linie einen Bezug zur [X.] herstellt. Jedoch macht die Hervorhebung als eigener Unterabsatz deutlich, dass § 1 Abs. 5 Unterabs. 2 [X.] nicht ein bloßer „Satz 4“ von § 1 Abs. 5 Unterabs. 1 Buchst. b [X.] ist.

dd) Der Zweck der Regelung des § 1 Abs. 5 [X.] spricht dagegen, § 1 Abs. 5 Unterabs. 2 [X.] auch auf § 1 Abs. 5 Unterabs. 1 Buchst. a [X.] zu beziehen. Von den [X.] nach Anlage 14 [X.] sollen nur die Einrichtungen Gebrauch machen können, die auf alle Dienstverhältnisse der Einrichtung die [X.] anwenden.

(1) Die zwischenzeitlich gestrichene Übergangsregelung in § 1 Abs. 5 Unterabs. 3 [X.] verdeutlicht, wie der Begriff der „Anwendung“ der [X.] zu verstehen ist. Erforderlich ist - nach Ablauf einer hier nicht interessierenden Übergangsfrist - die „vollständige Anwendung der [X.]“. Dies schließt ein Verständnis aus, wonach schon die Zahlung einer Vergütung in Höhe des [X.]-Entgelts ausreicht, Beschäftigte, mit denen die [X.] nicht oder nicht vollständig vereinbart wurden, bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen der Abweichungsmöglichkeit außer Betracht zu lassen.

(2) Hinzu kommt, dass das Regelungsziel des § 1 Abs. 5 Unterabs. 1 Buchst. a [X.], die vollständige Geltung der [X.] oder gleichwertiger Arbeitsvertragsgrundlagen in allen Dienstverhältnissen zu gewährleisten, nicht erreichbar wäre, wenn auf diese Regelung die Einschränkung des § 1 Abs. 5 Unterabs. 2 [X.] anwendbar wäre. Könnten Einrichtungen schon dann von den [X.] der Anlage 14 Gebrauch machen, wenn sie an Beschäftigte mindestens Vergütung in Höhe des [X.]-Entgelts zahlen, bliebe für § 1 Abs. 5 Unterabs. 1 Buchst. a [X.] kein eigener Regelungsbereich. Er wäre überflüssig, was sich aber nicht mit dem Sinngehalt des § 1 Abs. 5 Unterabs. 3 [X.] in Einklang bringen ließe, der gerade eine „vollständige Anwendung der [X.]“ verlangt und nicht nur Bezahlung des entsprechenden Entgelts.

ee) Bezieht man die Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 5 Unterabs. 2 [X.] dagegen (allein) auf § 1 Abs. 5 Unterabs. 1 Buchst. b [X.], erschließt sich ein sinnhafter [X.]. In dieser Bestimmung geht es um die Errechnung einer Quote, bei der bestimmte Arbeitnehmer nicht berücksichtigt werden, auf deren Arbeitsverhältnisse die [X.] typischerweise nicht anwendbar sind. Eine Einrichtung wie der [X.] hat im Regelfall auch keine Möglichkeit, eine vollständige Anwendung der [X.] in diesen Arbeitsverhältnissen einzufordern oder durchzusetzen. Hiervon ausgehend lässt die Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 5 Unterabs. 2 [X.] bei der Quotenberechnung die Leiharbeitnehmer außer Betracht, die mindestens in Höhe des [X.]-Entgelts beschäftigt werden, weil diese den Arbeitnehmern der Einrichtung dann zumindest wirtschaftlich in einem wesentlichen Teil gleichgestellt sind.

ff) Diese Auslegung des § 1 Abs. 5 [X.] entspricht den kirchenrechtlichen Vorgaben der [X.]. Diese verlangen eine verpflichtende Vereinbarung der [X.] - bzw. hier nicht weiter interessierender gleichwertiger Arbeitsvertragsgrundlagen - zwischen den Einrichtungen der [X.] und ihren Beschäftigten. Einschränkungen oder Abänderungen sind dabei nicht vorgesehen.

(1) In dem für den [X.]n maßgeblichen [X.] über die Ordnung der diakonischen Arbeit in der [X.] ([X.]gesetz - [X.]G) vom 13. November 2003 (KABl. 2003 S. 373), zuletzt in der Fassung der [X.] Verordnung zur Änderung des [X.]es über die Ordnung der diakonischen Arbeit in der [X.] vom 4. Dezember 2014 (KABl. 2014 S. 344), wird in § 8 Abs. 2 Satz 4 auf die Satzung des [X.] Bezug genommen. Die Satzung des [X.] der [X.] - Landesverband der Inneren Mission - e. V. vom 5. Juni 2013 (KABl. 2013 S. 139) sieht in § 4 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a eine Verpflichtung der Mitglieder vor, mit den Mitarbeitenden in den Arbeitsverträgen die [X.] bzw. eine gleichwertige Arbeitsvertragsgrundlage zu vereinbaren. Auch die entsprechenden Fassungen vom 27. August 2008 und vom 12. Dezember 2011 beinhalten jeweils in § 4 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a die Verpflichtung der Mitglieder, die Mitarbeitenden nach Arbeitsbedingungen zu beschäftigen, die in einem kirchengesetzlich anerkannten Verfahren gesetzt werden, welches auf strukturellem Gleichgewicht der [X.] und Dienstnehmerseite beruht.

(2) Nach § 3 Abs. 1 des [X.]es über das Verfahren zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kirchlichen Dienst (Arbeitsrechtsregelungsgesetz - [X.]) vom 15. November 2001 (KABl. 2002 S. 70) idF vom 21. November 2013 (KABl. 2013 S. 268) sind die von der [X.] und die von der [X.] beschlossenen Arbeitsrechtsregelungen verbindlich. Nach § 3 Abs. 2 [X.] sind in den Arbeitsverträgen diese Arbeitsrechtsregelungen in der jeweils gültigen Fassung zu vereinbaren. Dies gilt gemäß § 3 Abs. 3 [X.] auch für die Mitglieder der Diakonischen Werke.

gg) Ein solches Verständnis des § 1 Abs. 5 [X.] steht schließlich im Einklang mit den Grundsätzen, die das [X.] im Zusammenhang mit dem Arbeitskampf in kirchlichen Einrichtungen im Rahmen des sog. [X.] aufgestellt hat (vgl. [X.] 20. November 2012 - 1 [X.] - Rn. 119, [X.]E 143, 354).

Danach ist das Verfahrenskonzept des [X.] darauf gerichtet, das auch im kirchlichen und diakonischen Bereich vorhandene Kräfteungleichgewicht zwischen Dienstnehmern und [X.] unter Beachtung der bekenntnismäßigen Besonderheiten des kirchlichen oder diakonischen Diensts auszugleichen. Dieses Ziel kann jedoch nur erreicht werden, soweit das Ergebnis dieser Verhandlungen einschließlich einer darauf gerichteten Schlichtung für die Arbeitsvertragsparteien verbindlich und einer einseitigen Abänderung durch den Dienstgeber entzogen ist. Im Konzept der Tarifautonomie wird dieses Ziel durch § 4 Abs. 1 [X.] erreicht, der den Rechtsnormen eines Tarifvertrags, die den Inhalt, den Abschluss oder die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses betreffen, zwischen den [X.] unmittelbare und zwingende Wirkung verleiht. Ausnahmen hiervon lässt § 4 [X.] nur zu, soweit der Tarifvertrag sie gestattet oder es sich um Änderungen zugunsten des Arbeitnehmers handelt (§ 4 Abs. 3 [X.]).

Diese, die Tarifautonomie ausgestaltende und sichernde Regelung des staatlichen Rechts, steht für den [X.] nicht zur Verfügung. Dem trägt die [X.] dem Grunde nach Rechnung, indem die jeweiligen Dienstgeber durch [X.]n- oder Satzungsrecht verpflichtet werden, das Ergebnis der [X.] des [X.] durch einzelvertragliche Inbezugnahme zur Geltung zu bringen. Beide [X.] erreichen durch unterschiedliche Regularien, dass die von Repräsentanten der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite ausgehandelten Vertragsbedingungen das einzelne Arbeitsverhältnis gestalten.

b) Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. [X.] 15. Januar 2014 - 10 [X.] - Rn. 31) sollen nur solche Dienstgeber gemäß § 1 Abs. 5 [X.] die [X.] nutzen dürfen, die im Übrigen das in den [X.] oder gleichwertigen Regelungswerken niedergelegte Verhältnis von Leistungen und Gegenleistungen gewährleisten. Der Dienstgeber soll nicht die Möglichkeit haben, sich einerseits die Kürzungsrechte bei den Jahressonderzahlungen und andere Sonderrechte zu sichern, im Übrigen aber das System der Rechtsgewinnung nach den jeweils anwendbaren kirchenrechtlichen Vorschriften des [X.] zu verlassen, es sei denn, er wendet Tarifverträge des öffentlichen Diensts an (sog. „[X.]“). Auf einen materiellen Günstigkeitsvergleich kommt es nicht an. Dabei ist das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht im Sinne eines [X.] zu verstehen. Um von der Abweichungsmöglichkeit in Anlage 14 [X.] Gebrauch machen zu können, ist vielmehr die vollständige und [X.]e Anwendung der [X.] auf alle Dienstverhältnisse der Einrichtung erforderlich. Dies lässt auch keine Änderungen in Randfragen oder Regelungsbereichen außerhalb der unmittelbaren Hauptleistungspflichten zu. Allein Ergänzungen zu den [X.], die eindeutig und klar für die Beschäftigten vorteilhafter sind, stehen einer Abweichungsmöglichkeit nach § 1 Abs. 5 [X.] nicht entgegen. Bei einer sog. ambivalenten Regelung ist keine „Günstigkeit“ in diesem Sinne gegeben (vgl. [X.] 15. April 2015 - 4 [X.] - Rn. 29).

c) Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass zur Entscheidung der Frage, wie ein Dienstgeber, der die für ihn maßgeblichen [X.] nicht vollständig und [X.] auf alle Dienstverhältnisse der Einrichtung anwendet, für die Zukunft wieder einen Zustand herstellen kann, der ihm ein Gebrauchmachen von der Abweichungsmöglichkeit nach Anlage 14 [X.] erlaubt. Ob in Fällen, in denen die Arbeitnehmer ein ihnen gemachtes Angebot einer einvernehmlichen Vertragsänderung mit dem Inhalt, die [X.] künftig vollständig und [X.] Gegenstand des Dienstvertrags sein zu lassen, nicht annehmen, auch eine diesbezügliche verbindliche Gesamtzusage des Dienstgebers ausreichend sein könnte, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da der [X.] für den streitgegenständlichen Zeitraum eine solche Erklärung jedenfalls nicht abgegeben hat.

3. Der [X.] hat nicht auf alle Dienstverhältnisse der Einrichtung die [X.] vollständig und [X.] angewandt. Er ist vielmehr in § 6 Satz 3 und § 7 Satz 3 des Dienstvertrags des Klägers von den [X.] abgewichen, ohne dass es sich insoweit um eindeutig und klar vorteilhafte Ergänzungen der [X.] zugunsten des Mitarbeiters handeln würde.

a) Das in § 6 Satz 3 des Dienstvertrags der Parteien verpflichtend vor Anrufung des Arbeitsgerichts vorgesehene Schlichtungsverfahren weicht von der Regelung in § 44 [X.] ab. Nach dem Dienstvertrag der Parteien kann das Arbeitsgericht erst angerufen werden, wenn das Schlichtungsverfahren nicht zu einer Einigung geführt hat. Nach § 44 Satz 1 [X.] ist das Schlichtungsverfahren nur fakultativ durchzuführen. § 44 Satz 2 [X.] hebt hervor, dass die Behandlung eines Falls vor der Schlichtungsstelle die Anrufung des Arbeitsgerichts nicht ausschließt. Eine Abweichung des Dienstvertrags besteht auch in Bezug auf die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses der Parteien geltenden [X.] zum Stand 1. Mai 1988. Dort ist in § 44 Satz 1 zwar eine verpflichtende Anrufung der Schlichtungsstelle bei Meinungsverschiedenheiten aus dem Dienstverhältnis geregelt. § 44 Satz 2 der [X.] in der damals geltenden Fassung erklärt aber - wie die aktuelle Fassung der [X.] -, dass die Behandlung eines Falls vor der Schlichtungsstelle die Anrufung des Arbeitsgerichts nicht ausschließt. § 6 Satz 3 des Dienstvertrags ist keine bloße Ergänzung zu den [X.], die eindeutig und klar vorteilhaft für den Mitarbeiter ist. Vielmehr wird dadurch die ihm zustehende Möglichkeit, Rechtsschutz vor den staatlichen Gerichten zu suchen, erschwert.

b) Die Kündigungsfristenregelung in § 7 Satz 3 des Dienstvertrags der Parteien weicht ausdrücklich von der in § 30 Abs. 2 [X.] (nunmehr § 30 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 [X.]) geregelten Kündigungsfrist im ersten Dienstjahr nach Ablauf der Probezeit ab. Statt der nach den [X.] maßgeblichen beiderseitigen Kündigungsfrist von einem Monat zum Schluss eines Kalendermonats gilt nach dem Dienstvertrag eine Frist von sechs Wochen zum Quartalsschluss. Dies ist eine längere Kündigungsfrist als in den [X.] geregelt, die auch nur weniger [X.] zulässt. Diese nach ihrem Wortlaut nicht allein auf arbeitgeberseitige Kündigungen bezogene und vom [X.]n nach seinen Ausführungen in der Revisionsverhandlung auch so verstandene beidseitige Verlängerung der Kündigungsfrist stellt eine Schlechterstellung der Mitarbeiter gegenüber § 30 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 [X.] dar. Diesen wird es - in der häufig in den ersten Monaten nach Ablauf der Probezeit noch andauernden Orientierungsphase - erschwert, das Dienstverhältnis mit dem [X.]n zu beenden und sich einem anderen Arbeitgeber zuzuwenden. Dabei bedarf es vorliegend keiner Entscheidung, wie es zu bewerten ist, dass diese im Dienstvertrag vereinbarte Abweichung von den [X.] für das seit Jahrzehnten bestehende Arbeitsverhältnis der Parteien keine praktische Auswirkung mehr hat. Der [X.] hat erklärt, dass bis heute in den Dienstverträgen der Mitarbeiter diese Abweichung von der Kündigungsfristenregelung der [X.] aufgenommen wird.

c) Der [X.] beruft sich zu Unrecht darauf, dass die im Dienstvertrag der Parteien vereinbarten Abweichungen zu den [X.] nicht das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung beträfen und daher für die Regelung in § 1 Abs. 5 Unterabs. 1 Buchst. a [X.] unbeachtlich seien. Wie vorstehend ausgeführt, kommt es insoweit nicht auf das synallagmatische Verhältnis an, sondern auf die vollständige und [X.]e Übernahme der [X.]-Regelungen in den Dienstvertrag.

4. Der Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 iVm. § 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, nachdem die zweite Hälfte der Jahressonderzahlung 2011 gemäß Anlage 14 Abs. 3 Satz 1 [X.] im Juni 2012 zu zahlen war.

III. Der [X.] hat die Kosten der Berufung und Revision zu tragen, § 91 Abs. 1 ZPO.

        

    Linck    

        

    Brune    

        

    Schlünder    

        

        

        

    Diener    

        

    Fieback    

                 

Meta

10 AZR 719/14

11.11.2015

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Bielefeld, 7. Januar 2014, Az: 5 Ca 620/13, Urteil

§ 1 Abs 5 UAbs 2 DWArbVtrRL, § 1 Abs 5 UAbs 1 Buchst a DWArbVtrRL, § 1 Abs 5 UAbs 1 Buchst b DWArbVtrRL, Anl 14 DWArbVtrRL

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11.11.2015, Az. 10 AZR 719/14 (REWIS RS 2015, 2525)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 2525


Verfahrensgang

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Az. 10 AZR 719/14

Bundesarbeitsgericht, 10 AZR 719/14, 11.11.2015.


Az. 5 Ca 620/13

Arbeitsgericht Bielefeld, 5 Ca 620/13, 07.01.2014.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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