Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.04.2014, Az. 4 StR 47/14

4. Strafsenat | REWIS RS 2014, 6338

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VO[X.]KES

URTEI[X.]
4
StR
47/14

vom
10. April 2014
in dem Sicherungsverfahren
gegen

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 10.
April 2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende [X.]in
am
Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,

[X.]in
am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
[X.] am Bundesgerichtshof
Dr. [X.],
[X.],
Dr. Quentin

als beisitzende [X.],

Bundesanwalt
beim Bundesgerichtshof

als Vertreter des
[X.]s,

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
1.
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] ([X.]) vom 16.
Oktober 2013 wird verworfen.
2.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die dem Beschuldigten dadurch entstandenen notwen-digen Auslagen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das [X.] hat im Sicherungsverfahren davon abgesehen, die Un-terbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus [X.]. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das

vom [X.] nicht ver-tretene

Rechtsmittel bleibt erfolglos.
I.
Das [X.] hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
1.
Der nicht vorbestrafte jetzt 63
Jahre alte Beschuldigte lebt seit etwa 1989 obdachlos in [X.].

. Seit vielen Jahren leidet er an einer mittler-
weile chronisch gewordenen paranoiden Schizophrenie gemäß [X.] F
20.0
1
2
3
-
4
-
als führendem psychiatrischen Krankheitsbild und einem Alkoholabhängigkeits-syndrom
gemäß [X.] F
10.2. Typische Symptome seiner Erkrankung sind ein halluzinatorisches Erleben, ausgeprägte formale Denkstörungen sowie
Affektstörungen mit Reizbarkeit und Störungen der Impulskontrolle.
2.
Im Jahr 2011 traf der Beschuldigte häufig auf die Zeugin S.

W.

, weil beide tagsüber in [X.].

Passanten um Geld anbettelten.
Am 4.
April 2011 trat er der in seiner Nähe bettelnden Zeugin, die er vergeblich zum Weggehen aufgefordert hatte, mit seinem Turnschuh gegen das Kinn. Die Staatsanwaltschaft sah von einer Anklageerhebung ab und verwies die Zeugin auf den [X.]. Am 29.
Oktober 2011 packte der Beschuldigte die Zeugin an der Schulter, hielt sie fest und drückte sie gegen eine nahegelegene Hauswand. Die Zeugin war hiervon so überrascht und eingeschüchtert, dass sie trotz ihrer körperlichen Überlegenheit nicht in der [X.]age war, den nur 160
cm großen, stark
alkoholisierten Beschuldigten abzuwehren. Der Beschuldigte küsste sie mehrfach auf den Mund, wobei er ihr auch seine Zunge in den Mund steckte. Die Zeugin versuchte dies abzuwenden, indem sie den Kopf wegdreh-te, was ihr jedoch nicht gelang, weil der Beschuldigte ihren Kopf packte und zu sich drehte. Dann fasste der Beschuldigte der Zeugin mit einer Hand über der Kleidung an die Brust und drückte zu, so
dass sie Schmerzen erlitt, während er sie mit der anderen Hand festhielt und weiter an die Hauswand drückte. Schließlich griff er der Zeugin mit einer Hand über der Kleidung in den Genital-bereich und drückte anschließend seinen Unterkörper in beischlafähnlichen Bewegungen gegen sie. Als die Zeugin um Hilfe rief und den Beschuldigten aufforderte von ihr abzulassen, lockerte er seinen Griff und es gelang ihr, sich ihm zu entwinden (Fall
II.1).

4
-
5
-
Am 23.
November 2012 warf der erheblich alkoholisierte Beschuldigte auf dem
Theaterplatz in [X.].

eine noch nicht geleerte Sektflasche mit
einer seitlichen Ausholbewegung aus einer Entfernung von 7 bis 10
Metern in Richtung der Zeugen [X.]

, Wi.

und S.

, die auf Parkbän-
ken saßen
und dort Bier tranken. Dabei nahm er billigend in Kauf, eine der Per-sonen mit der Flasche zu verletzen. Der von dem Zeugen S.

gewarnte
Zeuge [X.]

konnte mit einer schnellen Reaktion ausweichen, so
dass ihn die
Flasche knapp verfehlte
(Fall
II.2).
Am 23.
März 2013 wurde der Beschuldigte an einer Straßenbahnhalte-stelle von der Zeugin [X.].

angesprochen, weil diese den Eindruck hatte,
dass
der stark betrunkene Beschuldigte
hilfsbedürftig sei. Der Beschuldigte ver-kannte, dass ihm die Zeugin nur ihre Hilfe anbieten wollte und warf daraufhin ohne Wucht eine nahezu leere Glasflasche mit einem Volumen von 0,7
[X.]iter nach ihr. Die Flasche traf die Zeugin am rechten Oberschenkel. Sie erlitt schnell wieder abklingende Schmerzen und eine vorübergehende Rötung (Fall
II.4).
3.
Das [X.] hat die Tat zum Nachteil der Zeugin W.

vom
29.
Oktober 2011 (Fall
II.1) als
sexuelle Nötigung gemäß §
177 Abs.
1 StGB in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung gemäß §
223
Abs.
1 StGB, die Tat vom 23.
November 2012 (Fall
II.2) als versuchte gefährliche Körperverletzung gemäß §
224 Abs.
1 Nr.
2, §§
22, 23 StGB und die Tat vom 23.
März 2013 (Fall
II.4) als vorsätzliche Körperverletzung gemäß §
223 Abs.
1 StGB gewertet. Die vorsätzliche Körperverletzung im Fall
II.4 sei jedoch nicht verfolgbar, weil es an dem erforderlichen Strafantrag fehle und die Staatsanwaltschaft ein [X.] öffentliches Interesse an der Strafverfolgung nicht bejaht habe. Die
Voraussetzungen für eine Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiat-rischen Krankenhaus gemäß §
63 StGB lägen nicht vor. Zwar
sei
die Steue-5
6
7
-
6
-
rungsfähigkeit des Beschuldigten
bei allen Taten infolge der auf seine Erkran-kung an einer paranoiden Schizophrenie zurückzuführenden Affektstörung und der jeweils hinzutretenden Alkoholisierung sicher aufgehoben gewesen, doch könne ihm die für eine Unterbringung erforderliche Gefahrenprognose nicht ge-stellt werden.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg.
1.
Der [X.] braucht nicht zu entscheiden, ob die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung in der Hauptverhandlung oder nachträglich in der Revisionsbegründung bejaht hat oder wirksam bejahen konnte (vgl. [X.], Beschluss vom 18.
Oktober 2011

5
StR
346/11, [X.], 67; Urteil vom 28.
Oktober 1982

4
StR
472/82, [X.]St 31, 132, 133
f.; Beschluss vom 15.
Januar 1975

3
StR
312/74, Rn.
2; Urteil vom 3.
Juli 1964

2
StR
208/64, [X.]St 19, 377, 381). Da weitere [X.] [X.], kommt dieser Frage keine entscheidungstragende Bedeutung zu.
2.
Die Erwägungen,
mit denen das [X.] eine die Unterbringung nach §
63 StGB rechtfertigende Gefährlichkeitsprognose verneint hat, halten rechtlicher Überprüfung stand.
a)
Gestützt auf das Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen ist das [X.] zu der Einschätzung gelangt, dass bei dem dauerhaft an einer schizophrenen Psychose erkrankten Beschuldigten mit sexuellen Übergriffen, wie gegenüber der Zeugin W.

im Fall
II.1, allenfalls bei einer entsprechen-
8
9
10
11
-
7
-
den Vorbeziehung zu rechnen sei. Gegen die Wiederholung solcher Übergriffe spreche, dass der Beschuldigte grundsätzlich keinen Kontakt zu anderen Men-schen suche, bislang nie sexuell auffällig geworden sei
und auch gegenüber der Zeugin W.

nach der Tat vom 29.
Oktober 2011 keine Straftaten mehr
begangen
habe, obgleich er sich bis zu seiner Festnahme am 23.
März 2013 mit ihr im selben Milieu bewegt habe. Unter diesen Umständen bestehe keine Wahrscheinlichkeit
höheren Grades für die Annahme, dass der Beschuldigte künftig Sexualstraftaten wie im Fall
II.1 begehen werde. Zudem bewege sich der Übergriff zum Nachteil der Zeugin W.

im unteren (Grenz-)Bereich des-
sen, was als erhebliche Straftat im Sinne des §
63 StGB anzusehen sei.
Dagegen sei mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschuldigte aufgrund seines Zustandes
wieder Aggressionsdelikte begehen werde, die den hier verfahrensgegenständlichen Flaschenwürfen entsprechen. Bei der Bewertung der Erheblichkeit dieser Delikte müsse aber berücksichtigt werden, dass es im Fall
II.4 nur zu geringfügigen Verletzungen und im
Fall
II.2 letztlich zu keinerlei Verletzungen gekommen sei.
b)
Diese Ausführungen lassen keinen durchgreifenden Rechtsfehler er-kennen.
aa)
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist zeit-
lich unbefristet und für den Betroffenen daher besonders beschwerend. Sie
darf deshalb nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft
erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, die eine schwere Störung
des Rechtsfriedens zur Folge haben ([X.], Beschluss vom 18.
November
2013

1
StR
594/13, [X.], 75, 76; Beschluss vom 13.
Juli
2013
12
13
14
-
8
-

4
StR
275/13, [X.], 36, 37 mwN). Ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. Dabei kann sich

wie in der Regel bei Verbrechen oder Gewalt-
und Aggressionsdelikten

eine schwere Störung des Rechtsfriedens bereits allein aus dem Gewicht des Straftatbestandes erge-ben, mit dessen Verwirklichung gerechnet werden muss ([X.], Beschluss vom 4.
Juli 2012

4
StR
224/12, [X.], 337, 338; Beschluss vom 22.
Fe-bruar 2011

4
StR
635/10, NStZ-RR 2011, 271, 272 mwN).
In der [X.] ist aber ebenfalls anerkannt, dass selbst Verbrechen in Ausnahmefällen, etwa wenn sie aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes von der [X.] als eher harmlos oder als nur belästigend wahrgenommen werden und überdies nur zu geringen Beeinträchtigungen des [X.] geführt haben, trotz ihres [X.] die in §
63 StGB vorausgesetzte Gefährlichkeitsprognose nicht zu begründen vermögen (vgl. [X.], Beschluss vom 28.
Juni 2005

4
StR
223/05, [X.], 303, 304; Urteil vom 14.
Februar 2001

3
StR
455/00, Rn.
6). Dies gilt auch für zu erwartende Vergehen aus dem Be-reich der vorsätzlichen Körperverletzungsdelikte ([X.], Beschluss vom 8.
Mai 2012

1
StR
176/12; Beschluss vom 14.
Dezember 2011

5
StR
489/11).
bb)
Diese Grundsätze hat das [X.] bei seiner Entscheidung [X.].
Der [X.] braucht nicht zu entscheiden, ob der Auffassung des [X.]andge-richts, die sexuelle Nötigung zum Nachteil der Zeugin W.

(Fall
II.1) liege im

§
63 StGB angesehen werden kann, zu folgen ist. Denn das [X.] ist mit
rechtsfehlerfreien Erwägungen davon ausgegangen, dass bei dem Beschuldig-15
16
-
9
-
ten keine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die künftige Begehung ver-gleichbarer Sexualdelikte besteht.
Soweit das [X.]ar--
und Aggressionsdelikte für nicht ausrei-chend erachtet hat, um eine Unterbringungsanordnung zu rechtfertigen, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Dabei hat es seiner Beurteilung ne-ben der für verfolgbar erachteten [X.]
(Fall
II.2) zutreffend auch die
weiteren festgestellten Gewalttaten des Beschuldigten vom 4.
April 2011 und 20.
März 2013 (Fall
II.4) zugrunde gelegt (vgl. [X.], Beschluss vom 7.
April 1995

4
StR
146/95, S.
4; vgl. [X.], Beschluss vom 26.
Januar 2006

5
StR
514/05, NJW-RR 2006, 136
f.). Die mit Rücksicht auf die konkreten Tathandlungen und die ausgebliebenen (Fall
II.2) oder nur geringen Verlet-zungsfolgen (Fall
II.4) erfolgte Bewertung
dieser Taten als nicht ausreichend erheblich ist rechtsfehlerfrei.
III.
Eine Entscheidung über eine Entschädigung des Beschuldigten nach §
8 [X.] hatte der [X.] nicht zu treffen, weil er nicht selbst nach §
354 Abs.
1 [X.] in der Sache entschieden (vgl. [X.], Beschluss vom 11.
März 2008

3
StR
378/07, [X.], 266; [X.], [X.], 4.
Aufl., §
8 Rn.
33) oder
das Verfahren eingestellt hat (vgl. [X.], Beschluss vom 3.
März 1989

2
StR
564/88, [X.]R [X.] §
6 Abs.
1 Nr.
2 Verfahrenshindernis
1). Eine
17
18
-
10
-
sofortige Beschwerde gegen das landgerichtliche Unterlassen einer Entschädi-gungsentscheidung wurde nicht erhoben.
Sost-Scheible
Roggenbuck
[X.]
Ri[X.] [X.] ist urlaubs-abwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert.
Sost-Scheible
Quentin

Meta

4 StR 47/14

10.04.2014

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.04.2014, Az. 4 StR 47/14 (REWIS RS 2014, 6338)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6338

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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