Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.02.2022, Az. 4 StR 404/21

4. Strafsenat | REWIS RS 2022, 1599

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Sexueller Missbrauch von Kindern: Sexuelle Handlung bei bloßem Ausziehen eines Kindes


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 23. April 2021

a) im Schuldspruch im Fall II.12 der Urteilsgründe dahin geändert, dass der Angeklagte des öffentlichen Zugänglichmachens kinderpornographischer Schriften schuldig ist;

b) aufgehoben

aa) in den [X.], [X.] und [X.] mit den zugehörigen Feststellungen,

bb) im Ausspruch über die Gesamtstrafe,

cc) im Ausspruch über die Einziehung, soweit die Einziehung des [X.], des Smartphones [X.] und des Smartphones [X.] angeordnet worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in sieben Fällen, jeweils in Tateinheit mit Herstellen [X.] Schriften, wegen Herstellens [X.] Schriften in fünf Fällen sowie wegen Besitzes [X.] Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es die Einziehung näher bezeichneter Gegenstände angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Im Fall II.12 der Urteilsgründe ist der Schuldspruch zu berichtigen. Wie das [X.] im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung dargelegt hat, erfüllt das Hochladen mehrerer [X.] Bilder auf eine Internetseite nicht, wie tenoriert, den Tatbestand des Herstellens [X.] Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB, sondern den Tatbestand des Zugänglichmachens [X.] Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 1 StGB i.d.F. vom 13. April 2017. § 265 StPO steht einer Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Die Schuldspruchänderung lässt den Strafausspruch unberührt. Der [X.] schließt aus, dass das [X.] bei zutreffender rechtlicher Bewertung der Tat eine niedrigere Einzelstrafe verhängt hätte.

3

2. Die Feststellungen tragen die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in den [X.], [X.] und [X.] der Urteilsgründe nicht.

4

a) Im Fall [X.] ist nicht festgestellt, dass der Angeklagte die Geschädigte im Sinne von § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB i.d.F. vom 21. Januar 2015 dazu bestimmte, sexuelle Handlungen vorzunehmen. Nach den Feststellungen fertigte er ein Bild von dem unbekleideten Schambereich der Geschädigten, die auf einer Decke sitzend die Beine anhob. Ein unmittelbares Einwirken durch den Angeklagten auf den Entschluss des Kindes lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen.

5

b) In den Fällen [X.] und [X.] der Urteilsgründe ist nicht festgestellt, dass der Angeklagte eine sexuelle Handlung im Sinne von § 176 Abs. 1 Alt. 1 StGB aF vornahm.

6

aa) Nach den Feststellungen fertigte der Angeklagte im Fall [X.] der Urteilsgründe ein Bild des Scheidenbereichs der Geschädigten, wobei er die Unterhose des Kindes zur Seite zog. Im Fall [X.] der Urteilsgründe fertigte der Angeklagte zwei Bilder der Geschädigten. Auf dem ersten Bild zog er ihr die Hose mit zwei Fingern herunter und fotografierte den mit einer Unterhose bekleideten Scheidenbereich; auf dem zweiten Bild zog er ihr das Top bis unter die Brustwarzen herunter und fotografierte diese.

7

bb) Das teilweise Entkleiden der Geschädigten erfüllt die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht.

8

[X.] stellt sich regelmäßig nicht als sexuelle Handlung „an“ dessen Körper dar, wenn nicht das [X.] seinerseits mit einer sexuellen Handlung am Körper verbunden ist. Denn das bloße Entfernen der Kleidung stellt nicht den körperlichen Kontakt her, der für eine sexuelle Handlung im Sinne des § 176 Abs. 1 StGB aF erforderlich ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 14. Juni 2016 – 3 [X.]; vom 23. Februar 2017 – 1 [X.]/16).

9

So liegt der Fall hier. Dass es vorliegend zu Körperkontakten gekommen ist, die über die beim Ausziehen üblichen hinausgehen, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Solche Berührungen von geringer Intensität erfüllen aber das Erheblichkeitsmerkmal des § 184h Nr. 1 StGB nicht.

cc) Ob insoweit etwas anderes gilt, wenn der Täter sich schon mit dem Ausziehen selbst sexuell erregen will (vgl. [X.], Beschluss vom 6. Juni 2017 – 2 StR 452/16 mwN), kann dahinstehen, da das [X.] entsprechende Feststellungen nicht getroffen hat.

dd) Auch ein Bestimmen im Sinne von § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB aF ist nicht festgestellt. Dass die Geschädigte in den Fällen [X.] und [X.] der Urteilsgründe auf Veranlassung des Angeklagten eine entsprechende Körperhaltung einnahm, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen.

c) Die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in den [X.], [X.] und [X.] der Urteilsgründe kann daher nicht bestehen bleiben. Wegen des tateinheitlichen Zusammentreffens unterliegen auch die an sich [X.] Schuldsprüche wegen Herstellens [X.] Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB aF in den [X.], [X.] und [X.] der Urteilsgründe der Aufhebung.

d) Die Aufhebung der Verurteilungen in den [X.], [X.] und [X.] der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der in diesen Fällen verhängten Einzelstrafen sowie der Gesamtstrafe nach sich.

3. Die Einziehungsentscheidung hält rechtlicher Nachprüfung hinsichtlich des [X.] sowie der Smartphones [X.] und [X.] nicht stand.

a) Das [X.] hat die Einziehung eines [X.], zweier Smartphones [X.] und [X.], eines USB-Sticks und einer Festplatte [X.] als Tatmittel angeordnet und auf § 74 StGB gestützt.

b) Die Einziehung der Festplatte und des Speichersticks hat Bestand. Die Speichermedien sind als [X.] nach § 184b Abs. 6 Satz 2 StGB (seit 1. Januar 2021 ohne inhaltliche Änderung § 184b Abs. 7 Satz 1 StGB) i.V.m. § 74 Abs. 2 StGB zwingend einzuziehen (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Februar 2012 – 4 StR 657/11). Der [X.] reduziert den Umfang der Einziehung daher auf den zulässigen Umfang. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist unter den hier gegebenen Umständen gewahrt (vgl. [X.], Beschlüsse vom 8. Oktober 2019 – 4 [X.]; vom 19. Mai 2020 – 6 StR 87/20).

c) Dagegen kann die Einziehung der Endgeräte nicht bestehen bleiben. Sie steht nach § 74 Abs. 1 StGB im Ermessen des Tatgerichts (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Februar 2012 – 4 StR 657/11; Urteil vom 1. Dezember 2021 – 1 StR 249/21). Das [X.] hat weder ausdrücklich eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorgenommen oder sein Ermessen ausgeübt noch lassen die knappen Erwägungen im Übrigen eine Verhältnismäßigkeitsprüfung und Ermessensausübung erkennen.

4. Im Übrigen hat die Prüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht.

[X.]     

      

Bartel     

      

Rommel

      

Scheuß     

      

Messing     

      

Meta

4 StR 404/21

01.02.2022

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bielefeld, 23. April 2021, Az: 20 KLs 37/20

§ 176 Abs 1 StGB vom 21.01.2015, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.02.2022, Az. 4 StR 404/21 (REWIS RS 2022, 1599)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 1599

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

3 StR 72/16 (Bundesgerichtshof)

Schwerer sexueller Missbrauch eines Kindes: Ausziehen als sexuelle Handlung an einem Kind; Erheblichkeitsschwelle


3 StR 72/16 (Bundesgerichtshof)


5 StR 147/18 (Bundesgerichtshof)

Strafbare sexuelle Handlung nur bei nach dem äußeren Erscheinungsbild erkennbarer Sexualbezogenheit


2 StR 490/21 (Bundesgerichtshof)

Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit dem Herstellen kinderpornographischer Schriften


4 StR 1/21 (Bundesgerichtshof)

Strafzumessung bei Verurteilung wegen sexuellen Kindesmissbrauchs und Herstellens kinderpornographischer Schriften: Berücksichtigung des Wertes eines als …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.