Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.10.2005, Az. 1 StR 218/05

1. Strafsenat | REWIS RS 2005, 1100

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 218/05
vom 27. Oktober 2005 in der Strafsache gegen

wegen Totschlags
- 2 - Der 1. Strafsenat des [X.] hat aufgrund der Verhandlung vom 25. Oktober 2005 in der Sitzung am 27. Oktober 2005, an denen teilgenommen haben:
[X.] am [X.] [X.] und [X.] am [X.] Dr. Wahl, [X.], [X.]in am [X.] Elf, [X.] am [X.] Dr. [X.],

Bundesanwalt

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger

- in der Verhandlung vom 25. Oktober 2005 -,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
- 3 - Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 19. Januar 2005 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Von Rechts wegen

Gründe:

Das [X.] hat den Angeklagten vom Vorwurf des Totschlags zum Nachteil seiner Tochter [X.]freigesprochen. Die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch des Angeklagten bleibt erfolglos. [X.] 1. In der durch Beschluss des [X.] vom [X.] unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift der Staatsanwaltschaft [X.] vom 25. März 2003 war dem Angeklagten vor-geworfen worden, er habe am Abend des 2. Oktober 2002 zusammen mit [X.] am 23. Mai 2002 geborenen Tochter [X.]

auf der Couch im Wohnzimmer aufgehalten und dabei gegen 22.00 Uhr im Fernsehen ein Fuß-- 4 - ballspiel angesehen. Im Zeitraum zwischen 22.30 Uhr und 24.00 Uhr habe er dann seine Tochter erstickt, indem er ihr entweder Mund und Nase zugehalten oder den Brustkorb des Kleinkindes mit erheblichem Kraftaufwand [X.] habe, wobei er den Erstickungstod des Kindes zumindest billigend in Kauf genommen habe. [X.] verstarb am 3. Oktober 2002 gegen 0.45 Uhr. 2. Die [X.] des [X.]s hat in der angefochte-nen Entscheidung folgende Feststellungen getroffen: Den Abend des 2. Oktober 2002 verbrachte der Angeklagte mit seiner Ehefrau, dem gemeinsamen Kind [X.] sowie seiner zweijährigen Stieftochter [X.]damit, das um 20.45 Uhr beginnende Fußballspiel [X.] - [X.] im Fernsehen anzuschauen. Beide Kinder kränkelten und [X.]hatte Fieber. Die Ehefrau des Angeklagten zog sich mit [X.]gegen 22.00 Uhr ins elterliche Schlafzimmer zurück, während der Angeklagte mit dem Säugling [X.] im Wohnzimmer zurückblieb, um dem Kind noch die Flasche zu geben, was er kurz nach 22.00 Uhr machte. Kurz vor Mitternacht eilte der Angeklagte mit dem Säugling in den Händen in das elterliche Schlaf-zimmer und schrie seiner Frau zu, [X.] sei leblos und würde nicht mehr at-men. Der nur wenige Minuten später eintreffende Notarzt stellte einen Atem- und Herzkreislaufstillstand fest und begann unverzüglich mit Wiederbele-bungsversuchen durch Herzdruckmassage. Zusammen mit den eingetroffenen Rettungssanitätern wurde das Kind auch an ein EKG angeschlossen und intu-biert. Trotz fortgeführter Wiederbelebungsmaßnahmen auf dem Transport in die [X.]konnte dort nur noch der Tod des Säuglings fest-gestellt werden. - 5 - Die am 4. Oktober 2002 durchgeführte Obduktion der Leiche ergab zahl-lose [X.] in der Gesichtshaut von [X.], kräftige [X.] in der Kopfschwarte und der Beinhaut des Schädels sowie weitere Punktblutun-gen im Bereich der [X.] und bindehäute sowie Mundschleimhäute, jedoch keine sonstigen äußeren Verletzungshinweise. Der [X.]vom [X.] der [X.] traf die vorläufige Fest-stellung, dass sich die zahllosen [X.] im Gesamtkopfbereich in ers-ter Linie durch einen Erstickungsvorgang im Sinne einer gewaltsamen Bede-ckung der [X.] oder durch eine Brustkorbkompression erklären las-sen. Der zunächst als Zeuge vernommene Angeklagte gab am 3. Oktober 2002 an, er habe [X.] , nachdem er ihr die Flasche gegeben habe und das Kind eingeschlafen sei, auf die Couch im Wohnzimmer gelegt. Er selbst sei dann ebenfalls eingeschlafen, jedoch nach etwa einer Stunde wieder aufge-wacht. [X.]habe immer noch auf der Couch gelegen, jedoch seltsam leblos gewirkt. Daraufhin habe er nachgeschaut und kein Atmen von [X.] mehr fest-stellen können. Nachdem ihm zuvor das vorläufige Obduktionsergebnis [X.] gegeben und er festgenommen worden war, gab der Angeklagte gegen-über dem Ermittlungsrichter an, er sei mit [X.] im Arm vor dem Fernseher eingeschlafen. Als er wieder aufgewacht sei, habe [X.]

vor ihm auf dem [X.] gelegen und leblos gewirkt. In der Hauptverhandlung hat der Sachverständige Prof. Dr. P. sei-nen Obduktionsbefund im Wesentlichen bestätigt. Zwar sei es zunächst unter-blieben, die an sich gebotene Untersuchung des Lungengewebes des Kindes vorzunehmen; bei der Nachholung der Untersuchung sei der [X.] Pa-thologe Prof. Dr. Lö. zum Ergebnis gekommen, dass das Kind an einer nicht - 6 - mehr frischen, bereits chronischen Bronchitis erkrankt gewesen sei, welche aber auf die Einordnung der Todesursache keinen Einfluss habe. Die von ihm festgestellten [X.] im Kopfbereich könne er sich nur im Falle einer äußeren, mechanischen Erstickung erklären. Die Frage der Schwurgerichts-kammer, ob auf Grund gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse eine natür-liche Todesursache bei [X.]H. ausgeschlossen werden könne, "beant-wortete Prof. Dr. P. nicht direkt". Der in der Hauptverhandlung ebenfalls gehörte Sachverständige Prof. Dr. B. aus M. bestätigte zwar, dass die Anzahl der Punktblutun-gen den Verdacht auf einen gewaltsamen Erstickungstod begründen könne. Jedoch würden solche [X.] aufgrund Blutrückstauung, ausgehend vom rechten Herzen nach Herzversagen, entstehen. Stärkste Erscheinungen von [X.] seien nach [X.] und [X.] (auch durch Reanimationsmaßnahmen) zu beobachten. Die Gesamtschau aller im Falle von [X.] H. gegebenen Befunde und Umstände würde außer den zahlreichen [X.] keinen Hinweis auf einen äußeren oder [X.] ergeben. Im Falle von [X.]H.

habe die zugleich durchgeführte Untersuchung des Lungengewebes vielmehr eine Lungenent-zündung (nicht lediglich eine Bronchitis) ergeben. Indikatoren für einen plötzli-chen Säuglingstod seien mit Überwärmung/Rauchen im Wohnzimmer von der einen Tag zuvor stattgefundenen Geburtstagsfeier und dem vorzeitigen Abstil-len gegeben gewesen, sodass letztlich sämtliche Befunde und Umstände einen plötzlichen Säuglingstod von [X.] H. nahe legen würden. Dies würde auch dann gelten, wenn [X.] anstelle einer Lungenentzündung nur an [X.] vorerkrankt gewesen wäre. - 7 - Nach alledem konnte sich die [X.] von einer Schuld des Angeklagten am Tod seines Kindes [X.]nicht überzeugen und sprach ihn aus tatsächlichen Gründen frei, wobei auch das zunächst widersprüchliche [X.] des Angeklagten gewürdigt wurde. I[X.] Die Verfahrensrügen der Staatsanwaltschaft betreffen im Wesentlichen abgelehnte Anträge auf Beiziehung weiterer Sachverständiger, die Sachrüge wendet sich gegen einzelne Feststellungen sowie gegen die Beweiswürdigung des [X.]s. Die Revision wird vom [X.] insoweit vertre-ten, als die Staatsanwaltschaft die Ablehnung des Antrags auf Vernehmung des Sachverständigen Prof. [X.] beanstandet. Außerdem ergibt sich nach Auffassung des [X.]s aus den Ausführungen des Gerichts eine mangelnde Sachkunde des Tatrichters, welche im Rahmen der Sachrüge den Bestand der Entscheidung gefährde. 1. Der bezeichneten Verfahrensrüge liegt zu Grunde, dass die [X.] die Vernehmung des Sachverständigen Prof. [X.] , des Leiters des [X.] der [X.], dem der Obduzent und Sachverständige Prof. Dr. P. ebenfalls angehört, zum [X.] dafür beantragt hatte, dass [X.] in dem bei der Obduktion vor-handenen Ausmaß noch nie bei natürlichem Tod bzw. bei Lungenentzündung oder nach vorausgegangener Reanimation festgestellt worden seien und somit aus wissenschaftlicher Sicht ein vernünftiger Anhaltspunkt für einen natürlichen Tod nicht vorliege. Das [X.] hat den Antrag auf Einvernahme des weiteren Sach-verständigen Prof. [X.]abgelehnt. Zur Begründung hat es ausge-- 8 - führt, dass die behauptete [X.] zwar nicht bewiesen sei, jedoch beide in der Hauptverhandlung einvernommenen Sachverständigen Stellung zur Beweisfrage bezogen hätten. Durch die Aussage des Institutsleiters Prof. Dr. E. - , der das schriftliche [X.] nicht selbst angefertigt und lediglich als Institutsleiter mitunterzeichnet habe, würde sich am [X.] nichts ändern. Im Übrigen habe Prof. Dr. E.

gegenüber den beiden anderen Sachverständigen keine überlegene Sachkunde, weshalb auch die richterliche Aufklärungspflicht die Einvernahme des benannten Sachver-ständigen nicht gebiete. 2. Die Verfahrensrüge ist unzulässig, da sie nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt. Nach dieser Bestimmung muss die Re-vision die den Verfahrensmangel enthaltenen Tatsachen angeben. Das hat so vollständig und genau zu geschehen, dass das Revisionsgericht auf Grund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen werden ([X.]/[X.], [X.]. § 344 Rdn. 21 m.w.N.). Dabei genügt es nicht, auf Fundstellen in den Akten Bezug zu nehmen, auch wenn es - wie hier durch die Bezugnahme auf in den Akten befindliche Gutachten unter Benennung der Blattzahlen ([X.], 19 f.) - geschieht. Vielmehr müssen solche Stellen, wenn sie für die Beurteilung der Rüge von Bedeutung sein können (hier Vorerkrankung der Lunge als Be-gründung für eine natürliche Todesursache bzw. deren Ausschluss), in ihrem Wortlaut oder ihrem wesentlichen Inhalt nach in der Rechtfertigungsschrift wie-dergegeben werden (BGH bei [X.]/[X.] NStZ 1985, 208; BGHSt 40, 3, 5). Unabhängig davon wäre die Rüge jedenfalls im Ergebnis auch nicht [X.] gewesen. Es bestehen weder Zweifel an der Sachkunde der beiden - 9 - vom [X.] angehörten Sachverständigen noch verfügt der in dem abge-lehnten Beweisantrag benannte Sachverständige Prof. [X.] über Forschungsmittel, die denen der beiden anderen Sachverständigen überlegen sind, und schließlich gebot auch die Aufklärungspflicht vorliegend nicht dessen Vernehmung. Unbeschadet der Frage, ob es sich bei dem abgelehnten Antrag der Staatsanwaltschaft überhaupt um einen Beweisantrag handelte, ist vorlie-gend entscheidend, dass jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass der benannte Sachverständige den mit der Beweisbehauptung aufgestellten Erfahrungssatz bestätigen würde. Vielmehr wird das Gegenteil durch seine dienstliche Erklärung belegt. So hat Prof. Dr. E.

aufgeführt, dass er noch vor dem Hauptverhandlungstermin gegenüber dem [X.] der Staatsanwaltschaft geäußert hat, dass "die Stauungsblutungen wohl nicht aus-reichen würden, um ein Gericht von dem Ersticken [X.] H. s zu überzeu-gen". Danach drängte sich auf, dass der von der Staatsanwaltschaft benannte Sachverständige den unter Beweis gestellten Erfahrungssatz nicht bestätigen würde. Der Beschluss der [X.] hat diesen Umstand zwar nicht aus-drücklich angesprochen, jedoch im Ergebnis zu Recht den Antrag ablehnend beschieden; denn es ist nicht ersichtlich, dass überhaupt irgendein [X.] ausschließen könnte, dass für den Tod von [X.]

H. auch natür-liche Ursachen in Betracht kommen. Auch die Staatsanwaltschaft hat hierzu keinen anderen Sachverständigen benannt, so dass das Gericht hier letztlich nicht zu weiteren Aufklärungsbemühungen gezwungen war. Danach kommt es vorliegend auch nicht auf die divergierenden dienstli-chen Äußerungen des Vorsitzenden der [X.] und des [X.] an. - 10 - 3. Die weiteren von der Staatsanwaltschaft erhobenen Verfahrensrügen sind entsprechend den Ausführungen des [X.]s in seinem Antragsschreiben vom 4. Juli 2005 offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). - 11 - II[X.] Die erhobene Sachrüge bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Soweit der Gene-ralbundesanwalt mit der Revisionsführerin die Sachkunde des Gerichts bezwei-felt hat, ist nicht ersichtlich, dass diese Zweifel ihre Grundlage in der gerichtli-chen Abwägung der sich widersprechenden Sachverständigengutachten ha-ben. Vielmehr ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn das Schwurgericht feststellt, dass nicht erkennbar ist, welche der möglichen, aber sich widersprechenden Schlussfolgerungen der beiden Sachverständigen zu-treffend ist. Nachdem die [X.] auch keinen weiteren Sach-verständigen gefunden bzw. von den Prozessbeteiligten benannt erhalten hat, der die verbliebenen erheblichen Zweifel des Gerichts an einer gewaltsamen Tötung von [X.] H. hätte beseitigen können, ergibt sich kein Umstand, der die Sachkunde des Gerichts zur Bewertung der Gutachten und deren un-terschiedlicher Ergebnisse in Frage stellt. [X.] Wahl

Kolz

Elf

[X.]

Meta

1 StR 218/05

27.10.2005

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.10.2005, Az. 1 StR 218/05 (REWIS RS 2005, 1100)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 1100

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