Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.07.2004, Az. 2 StR 71/04

2. Strafsenat | REWIS RS 2004, 2313

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[X.]/04
vom 14. Juli 2004 in dem Sicherungsverfahren gegen

- 2 - Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 14. Juli 2004 gemäß §§ 46, 349 Abs. 4 StPO beschlossen: 1. Nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision ge-gen das Urteil des [X.] vom 7. Oktober 2003 wird dem Angeklagten auf seine Kosten [X.] in den vorigen Stand gewährt. 2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 7. Oktober 2003 mit den [X.] aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zu den äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Strafkammer des [X.]. 4. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen im Zustand der Schuldun-fähigkeit begangener rechtswidriger Taten der Beleidigung, der versuchten Nötigung und der versuchten räuberischen Erpressung in einem psychiatri-schen Krankenhaus untergebracht. Seine nach Wiedereinsetzung in den vori-- 3 - gen Stand zulässige Revision führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des [X.]. 1. Der Wiedereinsetzungsantrag ist zulässig und begründet. Die Rück-nahme der Revision durch den Verteidiger Rechtsanwalt E.

vom 1. Dezem-ber 2003 (Eingang 3. Dezember 2003) war nicht wirksam, da es nach seiner Erklärung vom 13. Januar 2004 (Eingang 15. Januar 2004) an einer wirksamen Ermächtigung des Pflichtverteidigers fehlte. Der "Wiedereinsetzungsantrag" des Angeklagten selbst vom 22. Dezember 2003 ging ins Leere, da zu diesem Zeitpunkt die [X.] noch nicht versäumt war. Auf eine mögliche Zulässigkeit des Antrags gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 und 2 StPO kam es daher nicht an. Ersichtlich ging es dem Angeklagten bei seinem unter dem Betreff "Revision nicht zurück" verfaßten Schreiben um die Mitteilung, der Pflichtverteidiger habe die Revision ohne sein Einverständnis zurückgenom-men. Ob der Angeklagte den prozessualen Sinn der Worte, er bitte "um Einset-zung in den alten Stand", überhaupt verstanden hat, erscheint fraglich; nach dem Sinnzusammenhang bezog sich diese Formulierung nicht auf die - noch gar nicht versäumte - [X.], sondern auf die unwirksame [X.]. Von der Versäumung der Frist erlangte, soweit ersichtlich, der [X.] des Angeklagten erstmals durch das Schreiben des [X.] vom 9. Januar 2004 Kenntnis; bis dahin hielt er die Revision für wirksam zu-rückgenommen. Sein am 15. Januar 2004 eingegangener Antrag auf Wieder-einsetzung war daher rechtzeitig; eine Glaubhaftmachung war angesichts der offenkundigen Tatsachen nicht erforderlich. Die versäumte Handlung ist mit Erhebung der allgemeinen Sachrüge zugleich nachgeholt worden. - 4 - 2. Die Sachrüge führt zur Aufhebung des Urteils, weil die Voraussetzun-gen der [X.] nicht rechtsfehlerfrei festgestellt sind. a) Nach den Feststellungen des [X.] leidet der Angeklagte, der die Geschädigte seit vielen Jahren in vielfältiger Weise, unter anderem durch die im angefochtenen Urteil rechtsfehlerfrei festgestellten Taten, belästigt, [X.] und bedroht (sog. "Stalking"), an einer Persönlichkeitsstörung. Das Land-gericht hat sich insoweit dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. P. an-geschlossen, wonach die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten nicht getrübt, [X.] seine Steuerungsfähigkeit aufgehoben sei ([X.]). Hierzu ist in den Urteilsgründen ausgeführt: "Das hier aufgezeigte Verhalten des Beschuldigten kann nicht mehr als noch nachvollziehbare Reaktion einer Verärgerung über die ablehnende [X.] der Zeugin gewertet werden, wie dies Prof. [X.] meint. Vielmehr zeigt die dem Stalking zugrunde liegende Motivation des Beschuldigten, daß eine schwere Persönlichkeitsstörung vorliegt (–). In dieser Fixierung auf die Person der Zeugin P. (liegt) ein Ausmaß von Realitätsverkennung vor, das einer Wahnvorstellung gleichwertig ist (–). Der Beschuldigte ist sich durchaus [X.], sich strafbar zu machen –. Dadurch offenbart sein Verhalten eine so schwere Störung seiner Persönlichkeit, daß die Annahme des § 20 StGB ge-rechtfertigt ist (–). Das vorhandene Bewußtsein der Strafbarkeit ignoriert der Beschuldigte – aufgrund seiner wahnhaften Verblendung, die sein ganzes Alltagsleben seit Jahren beherrscht" ([X.] f.). b) Mit diesen Erwägungen sind weder die Voraussetzungen des § 20 StGB noch die des § 21 StGB mit hinreichender Sicherheit dargetan, so daß es schon insoweit an einer Grundlage für die [X.] fehlt. - 5 - Die Frage, ob bei dem Beschuldigten eine wahnhafte psychische Stö-rung vorliegt, ist im Urteil widersprüchlich und daher unklar behandelt. Es ist einerseits von einer "wahnhaften Verblendung" die Rede, andererseits von [X.] Verkennung, die "einer Wahnvorstellung gleichwertig" sei. Insoweit bleibt aber schon offen, worin die "Wahnhaftigkeit" der Verkennung liegen sollte: Nach den Feststellungen irrte der Beschuldigte weder darüber, daß die Ge-schädigte sein Werben insgesamt ablehnte, noch über die Rechtswidrigkeit seines Tuns. Er bildete sich auch nicht etwa ein, die Geschädigte "liebe" ihn, habe dies aber selbst noch nicht zutreffend erkannt. Die Feststellungen bele-gen vielmehr, daß er sich - mit zunehmender Aggressivität und Bedrohlichkeit - hartnäckig weigerte, die zutreffend erkannte Ablehnung der Geschädigten zu akzeptieren. Hierin allein kann eine "wahnhafte" Realitätsverkennung nicht ge-sehen werden. Eine solche ergibt sich auch nicht schon daraus, daß der Be-schuldigte sich "nach wie vor in der Lage (wähnt), die Zeugin für sich gewinnen zu können" ([X.]); denn eine Fehleinschätzung eigener Möglichkeiten er-füllt nicht ohne weiteres die Voraussetzungen eines Wahns.

Zwar hat das [X.] im Anschluß an den Sachverständigen als Eingangsvoraussetzung des § 20 StGB eine schwere andere seelische Abar-tigkeit festgestellt. Deren allgemeine Kennzeichnung als "Störung der Persön-lichkeit" kann aber eine konkretisierende Darlegung nicht ersetzen, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung auf die Fähigkeit des Beschul-digten auswirkt, sein Verhalten zu steuern (vgl. BGHSt 14, 30, 32; [X.] NStZ 1996, 401 f.; 1998, 30 f.; 2001, 243 f.; dazu auch [X.]/[X.] StGB 52. Aufl. § 20 Rdn. 42, 44 f. m.w.N.). Aus den Urteilsgründen ergibt sich, daß der zweite vom [X.] hin-zugezogene Sachverständige, Prof. Dr. [X.], eine Beeinträchtigung der [X.] 6 - rungsfähigkeit insgesamt, also auch in einem von § 21 StGB vorausgesetzten Maße, abgelehnt hat. Da die Annahme einer die Steuerungsfähigkeit gänzlich aufhebenden Schwere einer Persönlichkeitsstörung nach ständiger Rechtspre-chung des [X.] und herrschender Meinung eine seltene Aus-nahme darstellt (vgl. [X.], 3101; 1998, 2752; [X.], 31 f.; [X.] in [X.]. § 20 Rdn. 64; [X.]/[X.] aaO § 20 Rdn. 42; je-weils m.w.N.), hätte es hier einer genauen Darlegung der Ergebnisse beider Gutachten sowie der Gründe bedurft, warum sich das [X.] dem Sach-verständigen Prof. Dr. P. angeschlossen und solch einen Ausnahmefall hier als gegeben angesehen hat. Hierbei wäre auch von Belang gewesen, ob und wenn ja welche Erfahrungen und Erkenntnisse des psychiatrischen Krankenhauses vorlagen, in welchem der Beschuldigte vier Monate lang vorläufig [X.] war. Insoweit teilt das Urteil nur mit, der [X.] sei im August 2003 wieder in einen Haftbefehl umgewandelt worden ([X.]). 3. Das Urteil kann daher keinen Bestand haben, da schon die Voraus-setzungen der vom [X.] angenommenen Schuldunfähigkeit nicht rechtsfehlerfrei festgestellt sind. Ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler läßt sich nicht ausschließen; auch die Voraussetzungen des § 21 StGB lassen sich den Urteilsgründen nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, so daß schon deshalb eine eigene Sachentscheidung des Senats ausscheidet. Das Verbot der Schlechterstellung (§ 358 Abs. 2 StPO) steht der [X.] nicht entgegen. Zwar könnte, da allein der Beschuldigte Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt hat, auch bei Feststellung seiner - un-eingeschränkten oder erheblich verminderten - Schuldfähigkeit durch den [X.] eine Strafe gegen den Beschuldigten nicht verhängt werden. Eine Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB sowie ein Schuldspruch wegen der - 7 - festgestellten rechtswidrigen Taten wären aber auch dann möglich, wenn eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit auf [X.] sicher festgestellt werden könnte. Hierfür sprechen nach den bisherigen Feststellungen erhebliche Anhaltspunkte; die Feststellung obliegt jedoch dem Tatrichter. 4. Die Feststellungen zu den äußeren Sachverhalten konnten [X.] werden, da sie von dem Rechtsfehler nicht berührt sind. [X.]

[X.] ist

urlaubsbedingt an

der Unterschrift

gehindert.

Rissing-van Saan

Rothfuß [X.]

Meta

2 StR 71/04

14.07.2004

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.07.2004, Az. 2 StR 71/04 (REWIS RS 2004, 2313)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 2313

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