Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.05.2017, Az. XII ZB 536/16

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 11205

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]:[X.]:BGH:2017:100517BXII[X.]536.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII [X.] 536/16

vom

10. Mai 2017

in der Betreuungs-
und Unterbringungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 1896 Abs. 1a; FamFG §§ 37 Abs. 2, 280 Abs. 1, 283 Abs. 1 u. 3, 325 Abs. 1
a)
Die Verwertbarkeit des in einem Betreuungsverfahren eingeholten Gutach-tens hängt nicht davon ab, dass ein verbaler Kontakt zwischen dem [X.] und dem Sachverständigen hergestellt werden kann. Der [X.] muss den Betroffenen aber untersucht und sich damit einen persönli-chen Eindruck von ihm verschafft haben (im [X.] an Senatsbeschluss vom 27.
April 2016 -
XII
[X.]
611/15
-
FamRZ 2016, 1149).
b)
Gemäß §
280 Abs.
1 FamFG hat vor der Bestellung eines Betreuers eine förmliche Beweisaufnahme über die Notwendigkeit der Maßnahme durch Einholung eines Gutachtens stattzufinden. Die förmliche Beweisaufnahme muss sich auch auf die fehlende Fähigkeit zur freien Willensbildung bezie-hen, wenn ein Betreuer gegen den Willen des Betroffenen bestellt werden soll (im [X.] an Senatsbeschluss vom 27.
April 2016 -
XII
[X.] 611/15
-
FamRZ 2016, 1149).
c)
Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Entscheidungsgrund-lage setzt gemäß §
37 Abs.
2 FamFG grundsätzlich voraus, dass das [X.] mit seinem vollen Wortlaut auch dem Betroffenen persönlich zur [X.] gestellt worden ist (im [X.] an Senatsbeschluss vom 16.
September 2015 -
XII
[X.]
250/15
-
FamRZ 2015, 2156).
BGH, Beschluss vom 10. Mai 2017 -
XII [X.] 536/16 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 10. Mai 2017
durch den
Vorsitzenden Richter Dose,
[X.], Dr.
Günter
und
Dr.
[X.] und die Richterin Dr.
Krüger

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen
wird festgestellt, dass der die geschlossene Unterbringung genehmigende Beschluss des [X.] vom 7.
Juli 2016 und insoweit der Beschluss der 5.
Zivilkammer des [X.] vom 2.
November 2016 den Betroffenen
in seinen Rechten verletzt
ha-ben.
Im Übrigen wird der Beschluss der
5.
Zivilkammer des [X.] vom 2.
November 2016 aufgehoben.
Soweit das [X.] die Beschwerde gegen den Beschluss des [X.]
vom 3.
Mai 2016 (Einrichtung einer Be-treuung) zurückgewiesen hat, wird die Sache zur erneuten [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.
Wert:
5.000

-
3
-
Gründe:
I.

Der Betroffene begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit der [X.] seiner Unterbringung und im Übrigen die Aufhebung seiner Betreu-ung.
Der Betroffene leidet seit den 1980er Jahren unter einer paranoiden Schizophrenie. Die Erkrankung tritt in [X.] auf und führte in der Vergan-genheit dazu, dass der Betroffene geschlossen untergebracht und medizinisch behandelt werden musste.
Mit Beschluss vom 3.
Mai 2016 hat das Amtsgericht nach Einholung ei-nes Gutachtens des Sachverständigen
W. sowie der Anhörung des Betroffenen diesem
einen Berufsbetreuer bestellt und angeordnet, dass die Betreuung die Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge, Bestimmung des Aufenthalts, Entschei-dung über Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen sowie die Geltendmachung von Ansprüchen auf Rente, Sozialhilfe
und
sonstige Versiche-rungsleistungen umfasst. Nachdem
der Betroffene
hiergegen Beschwerde [X.] hatte,
hat das Amtsgericht das von ihm beim Sachverständigen
B. in [X.] gegebene Gutachten zur Genehmigung der Unterbringung und Zwangsbe-handlung auf die Fragestellung der Betreuung erweitert. Schließlich hat das Amtsgericht der Beschwerde des Betroffenen nicht abgeholfen. Mit Beschluss vom 7.
Juli 2016 hat es u.a.
die Unterbringung des Betroffenen bis längstens 14.
Januar 2017 genehmigt. Das
[X.] hat die Beschwerde des [X.] gegen die Betreuung zurückgewiesen und auf dessen weitere Beschwerde den Beschluss des Amtsgerichts vom 7.
Juli 2016 dahin abgeändert, dass die geschlossene Unterbringung des Betroffenen längstens bis zum 1.
Januar 2017 1
2
3
-
4
-
betreuungsrechtlich genehmigt wird. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
Sie führt
hinsichtlich der Einrichtung der Betreuung zur Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses
und zur [X.] an das [X.] und hinsichtlich der Unterbrin-gung zur Feststellung der Rechtswidrigkeit ihrer Genehmigung.
1.
Das [X.] hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Die Voraussetzungen für die erneut angeordnete Betreuung lägen vor. Der Betroffene könne krankheitsbedingt seinen Willen nicht frei bestimmen, die fehlende Krankheitseinsicht stehe nicht zuletzt aufgrund der jüngsten Anhörung des Betroffenen durch die Kammer und des dabei gewonnenen persönlichen Eindrucks fest.
Ebenso lägen die Voraussetzungen für die Genehmigung einer Unter-bringung des Betroffenen gemäß §
1906 Abs.
1 Nr.
2 BGB vor. Schließlich sei die vom Amtsgericht auf Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen
B. angeordnete Dauer der Unterbringung von sechs Monaten grundsätzlich nicht zu beanstanden. Der Fristablauf habe sich dabei allerdings an dem [X.]punkt der Erstellung des ärztlichen Gutachtens zu orientieren, so dass die Frist nicht erst mit der gerichtlichen Entscheidung beginne, sondern mit dem Datum des Gutachtens.
2. Zutreffend rügt die Rechtsbeschwerde, dass die Entscheidung auf Verfahrensfehlern beruht.
4
5
6
7
8
-
5
-
a) Der [X.] zur Notwendigkeit und zum Umfang der Betreuung ist [X.] erhoben.
aa) Gemäß §
280 Abs.
2 Satz
1 FamFG hat der Sachverständige den
Betroffenen vor der Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen. Ein ohne die erforderliche persönliche Untersuchung erstattetes Sachverständigengutachten ist grundsätzlich nicht verwertbar. Die Weigerung des Betroffenen, einen Kontakt mit dem Sachverständigen zuzulassen, ist kein hinreichender Grund, von einer persönlichen Untersuchung durch den Sachver-ständigen abzusehen. Wirkt der Betroffene an einer Begutachtung nicht mit, so kann das Gericht gemäß §
283 Abs.
1 und Abs.
3 FamFG seine Vorführung anordnen. Die Verwertbarkeit des Gutachtens hängt zwar im Ergebnis nicht davon ab, dass ein verbaler Kontakt zwischen dem Betroffenen und dem Sach-verständigen hergestellt werden kann. Kann der Sachverständige seine Erkenntnisse
jedoch nicht aus einer Befragung des Betroffenen schöpfen, setzt das Gesetz
eine Untersuchung des Betroffenen zwingend voraus. Diese erfordert
zumindest, dass sich
der Sachverständige einen persönlichen [X.] vom Betroffenen verschafft (Senatsbeschluss vom 27.
April 2016

XII
[X.]
611/15

FamRZ 2016, 1149 Rn.
8 mwN).
Die förmliche Beweisaufnahme gemäß §
280 Abs.
1 FamFG muss sich auch auf die fehlende Fähigkeit zur freien Willensbildung beziehen, wenn ein Betreuer gegen den Willen des Betroffenen bestellt werden soll (Senatsbe-schluss vom 27.
April 2016

XII
[X.] 611/15

FamRZ 2016, 1149 Rn.
14).
bb) Die vom Amtsgericht eingeholten Sachverständigengutachten wer-den diesen Anforderungen nicht gerecht.
(1) Das
Gutachten des Sachverständigen
W. vermag die Einrichtung ei-ner Betreuung unbeschadet der Tatsache, dass der Sachverständige schon im 9
10
11
12
13
-
6
-
Ausgangspunkt eine Betreuung für nicht erforderlich hält, auch
deshalb
nicht zu rechtfertigen, weil er
den Betroffenen nicht persönlich untersucht hat. Soweit der Sachverständige in seinem Gutachten darauf hinweist, ein

von ihm ange-strebter

aktueller persönlicher
Kontakt habe nicht erfolgen können, die Bewer-tung beruhe aber auf
mündlichen und schriftlichen Reaktionen des Betroffenen sowie auf der ausführlichen Anamneseauswertung und den Erfahrungen aus früheren Kontakten zu dem Betroffenen im Rahmen stationärer Aufenthalte, vermag das die Notwendigkeit einer persönlichen Untersuchung nicht zu [X.]. Wie sich aus dem Gutachten selbst ergibt, hat es der Sachverständige ur-sprünglich für notwendig erachtet, den Betroffenen persönlich zu untersuchen. Erst nachdem ihm dies nicht gelungen war, stützte er seine Begutachtung unter anderem auf frühere Kontakte. Bei dieser Sachlage hätte der Sachverständige jedoch unter Einschaltung des Gerichtes darauf hinwirken müssen, dass der Betroffene zwecks Begutachtung gemäß §
283 Abs.
1 und Abs.
3 FamFG vor-geführt wird.
(2) Zwar hat der
vom Amtsgericht im Abhilfeverfahren auch zur Frage der Betreuung beauftragte Sachverständige
B. den Betroffenen persönlich unter-sucht. Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde in diesem Kontext aber, dass sich das
Gutachten des Sachverständigen
B. hierzu auf folgende Ausführungen be-schränkt:
"Zur Frage des Gerichts zur Betreuungsnotwendigkeit des Betroffenen wird erörtert, dass der Betroffene unbedingt einer weiteren gesetzlichen Betreuung in den Bereichen der Sorge für die Gesundheit, der Aufent-haltsbestimmung,
der Wohnungsangelegenheiten bedarf."
Auch wenn sich der Sachverständige im vorangegangen Teil seines Gutachtens mit der Frage der Genehmigung der Unterbringung und der Zwangsbehandlung befasst hat, reichen die ohne jede Bezugnahme auf das Vorstehende getätigten, lapidaren
Ausführungen zur Betreuungsnotwendigkeit 14
15
-
7
-
nicht aus, eine Betreuung gutachterlich zu rechtfertigen. Hinzu kommt, dass nach dem Gutachten des
Vorgutachters
W. eine Betreuung aus ärztlicher Sicht zwar für sinnvoll erachtet werde, da der Betroffene aber derzeit keinen akuten Betreuungsbedarf habe, eine Betreuung ausdrücklich nicht wünsche und er im Prinzip so nicht betreuungsfähig sei, eine Betreuung zur [X.] für nicht zwingend notwendig erachtet werde. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund hätte sich der Gutachter
B. mit der Frage der Erforderlichkeit einer Betreuung bezogen auf die von ihm genannten Aufgabenkreise eingehender
auseinandersetzen müssen.
Zudem rügt die Rechtsbeschwerde zu Recht, dass der Gutachter zur Frage, ob der Betreuer
gegen den freien Willen des Betroffenen bestellt werden würde,
keine Feststellungen im Sinne von §
1896 Abs.
1a BGB getroffen hat. Zwar hat er ausgeführt, dass der Betroffene hinsichtlich der Genehmigung der Unterbringung bzw. der Zwangsbehandlung über keine Krankheitseinsicht ver-füge und demgemäß insoweit auch keinen freien Willen bilden könne. Dies vermag indes die Feststellung zur Frage des freien Willens hinsichtlich der Ein-richtung einer Betreuung nicht zu ersetzen, weil es sich insoweit um unter-schiedliche Verfahrensgegenstände handelt.
b) In entsprechender Anwendung des §
62 Abs.
1 FamFG ist festzustel-len, dass die Entscheidung von Amts-
und [X.] zur Frage der Genehmi-gung der Unterbringung den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat (vgl. Senatsbeschluss vom 2.
September 2015

XII
[X.] 138/15

FamRZ 2015, 1959 Rn.
3 mwN).
Insoweit rügt die Rechtsbeschwerde
zu Recht, dass das
Gutach-ten des Sachverständigen
B. dem Betroffenen mit seinem vollen Wortlaut per-sönlich hätte zur Verfügung gestellt werden müssen.
aa) Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache setzt gemäß §
37 Abs.
2 FamFG voraus, 16
17
18
-
8
-
dass das Gericht den
Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das
Gutachten mit seinem vollen Wortlaut grundsätzlich auch dem Betroffenen persönlich im Hinblick auf dessen [X.] (§
316 FamFG) zur Verfügung zu stellen. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des §
325 Abs.
1 FamFG abgesehen werden (vgl. zur Betreuung Senatsbe-schluss vom 16.
September 2015

XII
[X.] 250/15

FamRZ 2015, 2156 Rn.
15 mwN).
bb) Zutreffend
weist die Rechtsbeschwerde darauf hin, dass eine Über-sendung des
Gutachtens
mit vollem Wortlaut an den Betroffenen
nicht feststell-bar ist.
In dem [X.] des Amtsgerichts vom 7.
Juli 2016 wurde lediglich protokolliert, dass der Betroffene "mit dem Ergebnis des Gutachtens

zur längeren Unterbringung sowie auch der gutachterlich gehaltenen [X.] angehört"
worden ist. Anders als
das
Gutachten des Sachverständi-gen
W., das indes allein zu der Frage der Betreuung eingeholt worden war, enthält das
Gutachten des Sachverständigen
B. auch keinen Hinweis darauf, dass eine Aushändigung des Gutachtens im Wortlaut nicht angezeigt wäre, so dass kein der Regelung des §
325 Abs.
1 FamFG
entsprechender Fall vorgele-gen hat.
c) Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Be-

19
20
-
9
-
deutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (vgl. §
74 Abs.
7 FamFG).
Dose
Schilling
Günter

[X.]
Krüger
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidungen
vom 03.05.2016 und vom 07.07.2016 -
41 [X.] 407/15 -

LG [X.], Entscheidung vom 02.11.2016 -
5 T 64/16 -

Meta

XII ZB 536/16

10.05.2017

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.05.2017, Az. XII ZB 536/16 (REWIS RS 2017, 11205)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 11205

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XII ZB 398/17 (Bundesgerichtshof)


XII ZB 152/16 (Bundesgerichtshof)


XII ZB 536/16 (Bundesgerichtshof)

Genehmigung einer betreuungsrechtlichen Unterbringung: Verwertbarkeit des in einem Betreuungsverfahren eingeholten Gutachtens; förmliche Beweisaufnahme durch Einholung …


XII ZB 292/17 (Bundesgerichtshof)


XII ZB 425/14 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

XII ZB 536/16

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.