Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.10.2022, Az. XIII ZB 65/20

13. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 7629

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 31. Juli 2020 und der Beschluss der 5. Zivilkammer des [X.] vom 18. August 2020 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Landeshauptstadt [X.] auferlegt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

1

I. Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste im Jahr 2002 unerlaubt in das [X.] ein. Das [X.] ([X.]) lehnte mit - zwischenzeitlich - bestandskräftigem Bescheid vom 25. Februar 2003 seinen unter Angabe falscher Personalien gestellten Asylantrag als offensichtlich unbegründet ab und forderte ihn unter Androhung der Abschiebung auf, das [X.] zu verlassen. Mit Bescheid vom 14. Oktober 2015 erließ die [X.] - unter anderem wegen Unterstützung terroristischer Organisationen - gegen den Betroffenen eine Ausweisungsverfügung. Dagegen erhob der Betroffene, nachdem er am 15. Oktober 2015 festgenommen worden war und anschließend eine Haftstrafe verbüßte, am 21. Januar 2019 Klage. Einen weiteren Asylantrag lehnte das [X.] mit Bescheid vom 22. Januar 2020 wiederum als offensichtlich unbegründet ab, wobei ihm abermals die Abschiebung angedroht wurde, falls er das [X.] nicht innerhalb von 30 Tagen verlassen haben sollte. Dagegen legte der Betroffene Klage zum [X.] ein, das seinen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit Beschluss vom 4. März 2020 zurückwies. Ausweislich der Abschlussmitteilung des [X.]s vom 19. März 2020 war die Abschiebungsandrohung seit dem 19. März 2020 vollziehbar.

2

Im Hinblick auf die am 27. Juli 2020 endende Strafhaft beantragte die beteiligte Behörde am 21. Juli 2020 beim [X.] die Anordnung von Abschiebungshaft bis zum 28. August 2020, hilfsweise den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Das [X.] ordnete nach Ergänzung und Abänderung des Antrags durch die beteiligte Behörde am 22. Juli 2020 mit Beschluss vom 24. Juli 2020 im Wege der einstweiligen Anordnung Haft bis zum 31. Juli 2020 an. Nachdem der Betroffene mit Ablauf der Strafhaft in die Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige nach [X.] verbracht worden war und das [X.] das Verfahren an das [X.] abgegeben hatte, hat das [X.] nach Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom 31. Juli 2020 Haft bis zum 24. August 2020 angeordnet. Die dagegen vom Betroffenen eingelegte Beschwerde hat das [X.] zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Betroffene nach Ablauf der angeordneten Haft die Feststellung, dass ihn die Haftanordnung in seinen Rechten verletzt hat.

3

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

4

1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, der Betroffene sei aufgrund des den Asylantrag ablehnenden Bescheids des [X.]s vom 22. Januar 2020 und der damit verbundenen Abschiebungsandrohung vollziehbar ausreisepflichtig. Den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung habe das [X.] mit Beschluss vom 4. März 2020 zurückgewiesen. Zwar habe das mit einem Antrag auf Untersagung der Abschiebung befasste [X.] die Behörden aufgefordert, vor der geplanten Abschiebung des Betroffenen am 24. August 2020 im Hinblick auf seine bis dahin zu erwartende Entscheidung keine Vollstreckungsmaßnahmen zu ergreifen. Das Verwaltungsgericht habe aber keine Anhaltspunkte mitgeteilt, die darauf schließen ließen, dass mit einer Stattgabe des Antrags zu rechnen sei. Das Amtsgericht habe auch nicht gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen.

5

2. Diese Erwägungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Es fehlte bereits an einer Ausreisepflicht des Betroffenen, weil die Abschiebungsandrohung des [X.]es vom 22. Januar 2020 - auf den die beteiligte Behörde den Haftantrag gestützt hat - nicht sofort vollziehbar war (vgl. [X.], Beschluss vom 25. Oktober 2022 - [X.], z. Veröff. best. Rn. 7).

6

aa) Zwar hatte das [X.] den Betroffenen mit Bescheid vom 22. Januar 2022 aufgefordert, binnen 30 Tagen nach Zustellung das [X.] zu verlassen. Es hatte jedoch ebenso verfügt, dass im Falle der Klageerhebung die Ausreisefrist 30 Tage nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens enden sollte. Die sofortige Vollziehbarkeit hatte das [X.] - anders als die im Bescheid enthaltene Rechtsmittelbelehrung vermuten ließ - damit nicht angeordnet. Der Antrag des Betroffenen auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung sowie der diesen Antrag zurückweisende Beschluss des [X.] vom 4. März 2020 waren - wie das [X.] im Beschluss vom 20. August 2020 auch später festgestellt hat - gegenstandslos. Die Angabe der beteiligten Behörden im Haftantrag unter Bezugnahme auf die fehlerhafte Abschlussmitteilung des [X.]s, wonach die Abschiebungsandrohung seit dem 19. März 2020 vollziehbar sei, war daher unzutreffend.

7

bb) Das Beschwerdegericht durfte sich nicht auf den Inhalt der fehlerhaften Abschlussmitteilung des [X.]s und des unzutreffenden Beschlusses des [X.] verlassen. Anders als die beteiligte Behörde meint, gehört das Vorliegen der Abschiebungsandrohung grundsätzlich zu den vom Haftrichter zu prüfenden Vollstreckungsvoraussetzungen ([X.], Beschluss vom 7. Februar 2019 - [X.]/17, [X.] 2019, 228 Rn. 11). Fehlt es an einer für die Vollstreckung erforderlichen Voraussetzung, darf eine Ausreisepflicht nicht durch Abschiebung durchgesetzt und Haft zur Sicherung der Abschiebung nicht angeordnet werden ([X.], Beschlüsse vom 28. April 2011 - [X.] 252/10, juris Rn. 16; vom 27. September 2012 - [X.] 31/12, [X.] 2013, 38 Rn. 6; vom 21. August 2019 - [X.] 60/17, juris Rn. 8). Dem steht nicht entgegen, dass die Haftgerichte nach ständiger Rechtsprechung des [X.] die materielle Rechtmäßigkeit einer vollziehbaren Abschiebungsandrohung nicht zu prüfen haben, weil sie damit in unzulässiger Weise in den Zuständigkeitsbereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit übergreifen würden (st. Rspr., vgl. [X.], Beschlüsse vom 25. September 1980 - [X.], [X.]Z 78, 145, 147; vom 11. Oktober 2017 - [X.] 41/17, [X.] 2018, 41 Rn. 22; vom 21. August 2019 - [X.] 174/17, juris Rn. 8; vom 7. April 2020 - [X.] 53/19, [X.] 2020, 283 Rn. 12). Diese Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche enthebt die Haftgerichte nicht der Prüfung, ob nach dem äußeren Tatbestand die Voraussetzungen für die Vollstreckung der Ausreisepflicht gegeben sind (vgl. [X.], Beschluss vom 24. Juni 2020 - [X.] 20/19, [X.] 2020, 446 Rn. 8). Angesichts dessen hätten sowohl das Amts- als auch das [X.] die Abschlussmitteilung sowie den Beschluss des [X.] vom 4. März 2020 im Lichte des ihnen vorliegenden Bescheids des [X.]s vom 22. Januar 2020 würdigen und zu dem Ergebnis kommen müssen, dass vorliegend die Abschiebungsandrohung nicht sofort vollziehbar und die Ausreisepflicht des Betroffenen angesichts der erfolgten Klageerhebung noch nicht abgelaufen war.

8

3. [X.] beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

[X.]     

  

[X.]     

  

Tolkmitt

  

Picker     

  

Holzinger     

  

Meta

XIII ZB 65/20

25.10.2022

Bundesgerichtshof 13. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Paderborn, 18. August 2020, Az: 5 T 173/20

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.10.2022, Az. XIII ZB 65/20 (REWIS RS 2022, 7629)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 7629

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XIII ZB 64/20 (Bundesgerichtshof)

Beschwerde in einer Abschiebehaftsache wegen Verlängerung der Sicherungshaft: Vorliegen einer vollziehbaren Abschiebungsandrohung; Auswirkung eines weiteren …


XIII ZB 93/19 (Bundesgerichtshof)

Abschiebungshaftverfahren: Anforderungen an einen zulässigen Haftantrag


XIII ZB 83/19 (Bundesgerichtshof)

Haftaufhebungssache: Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts über die sachliche Berechtigung einer Beschwerde nach deren Zurückweisung als unzulässig; …


XIII ZB 97/19 (Bundesgerichtshof)

Rücküberstellungshaft: Abschiebungsanordnung bei Ablehnung eines Asylantrags als Grundlage der Ausreisepflicht


XIII ZB 134/19 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

XIII ZB 20/19

XIII ZB 64/20

V ZB 216/17

V ZB 31/12

V ZB 60/17

V ZB 41/17

XIII ZB 53/19

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.