Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.02.2017, Az. 1 StR 506/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2017, 15310

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]:[X.]:[X.]:2017:210217B1STR506.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 506/16

vom
21. Februar 2017
in der Strafsache
gegen

wegen
Vergewaltigung u.a.

-
2
-
Der 1. Strafsenat des [X.] hat
nach Anhörung des Beschwerde-führers
und des [X.] -
zu 3. auf dessen Antrag -
am 21. [X.] 2017
gemäß §
349 Abs.
2 und 4 [X.] beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 2. Juni 2016 aufgehoben,
a) mit den zugrundeliegenden Feststellungen, soweit der An-geklagte wegen Vergewaltigung in 30 Fällen verurteilt [X.] ist (Taten zu [X.]. der Urteilsgründe),
b) im [X.] und soweit die Anordnung der Maßregel der Unterbringung in der Entziehungsanstalt un-terblieben ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache
zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels und der den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Straf-kammer des [X.]s
zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 207 Fällen, wegen Vergewaltigung in 31 Fällen, wegen vorsätzlicher Körperverletzung in drei Fällen und wegen Bedrohung zu der Gesamtfreiheits-strafe von sechs Jahren und fünf Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der 1
-
3
-
Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts ge-stützten Revision. Diese hat allein in dem aus der Beschlussformel ersichtli-chen Umfang Erfolg
und erweist sich im Übrigen aus den in der Antragsschrift des [X.] ausgeführten Gründen als unbegründet
i.[X.]. § 349 Abs. 2 [X.].
1. Soweit das [X.] den Angeklagten wegen Vergewaltigung in 30 Fällen verurteilt hat, weil er in den Jahren 2004 bis 2013 jeweils dreimal jährlich von der Nebenklägerin

S.

Oralverkehr erzwungen hat, hat der Schuldspruch keinen Bestand.
a) Hierzu hat das [X.] festgestellt, die Nebenklägerin habe sich zunächst geweigert, den Angeklagten oral zu befriedigen. Er habe sie dann ge-schlagen, getreten oder mit Schlägen gedroht. Um weitere Schläge zu vermei-den, habe die Nebenklägerin schließlich den Oralverkehr vollzogen.
Diese Feststellungen
gründet das [X.] auf die Angaben der [X.]. Deren -
in Bezug auf andere Tatvorwürfe detaillierte -
Angaben in der Hauptverhandlung, aber auch bei polizeilichen und ermittlungsrichterlichen Vernehmungen stellt das [X.] ausführlich dar. Während sich die darge-stellten Angaben in der Hauptverhandlung und bei den beiden polizeilichen Vernehmungen in der Beschreibung erschöpfen, der Angeklagte habe den e-gsrichterlichen Verneh-mung Details zum Ablauf. Danach gibt die Nebenklägerin an, [X.] habe [X.] eingefordert habe, als sie sich dann geweigert habe, habe er [X.] oder getreten. Nachdem sie einige Male Schläge erhalten habe, habe 2
3
4
-
4
-

-
bis viermal im Jahr wiederholt.
b) Vor diesem Hintergrund entbehrt die Feststellung, es habe in den Jah-ren
2004 bis 2013
jährlich jeweils drei Fälle gegeben, in denen der Oralverkehr durch Schläge oder Tritte bzw. der Drohung damit erzwungen worden sei, einer tragfähigen Grundlage.
Zwar belegen die aufgrund einer im Übrigen äußerst sorgfältigen Be-weiswürdigung rechtsfehlerfrei als glaubhaft bewerteten Angaben der Neben-klägerin ausreichend, dass es als Vergewaltigung nach § 177 Abs. 2 StGB aF zu qualifizierende Taten zu ihren Lasten gegeben hat. Es
bleibt aber danach unklar, wie viele Male der Oralverkehr tatsächlich durch den Einsatz der Nöti-gungsmittel des § 177 Abs. 1 StGB aF abgenötigt worden ist. Denn die tatbe-standlichen Voraussetzungen des §
177 Abs. 1 StGB aF müssen auch bei [X.] länger dauernden Serie von Tathandlungen grundsätzlich für jede Tat konk-ret und individualisiert festgestellt werden ([X.], Beschlüsse
vom 27. März 1996 -
3 StR 518/95, [X.]St 42, 107, 111 und vom 13. Juni 2006 -
4 [X.], [X.], 269, 270 mwN; vgl. auch [X.], Beschluss vom 20.
März 2012 -
4 [X.], [X.], 466 mwN zu geringeren [X.], wenn sich der Tatrichter im Einzelfall die Überzeugung eines von dem Täter erzeugten und bewusst eingesetzten Klima[s]
der Angst und Einschüch-terung

verschafft).
Nach diesen Maßgaben sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des §
177 Abs. 1 StGB aF nicht in allen 30 Fällen durch die Angaben der Neben-klägerin belegt. Dass sich der Einsatz von Gewalt oder Drohung -
sei es auch durch schlüssigen Hinweis auf früheren Gewalteinsatz oder konkludente Be-5
6
7
-
5
-
kräftigung früherer Drohungen -
über den gesamten Zeitraum von zehn Jahren wiederholt hat, um die Nebenklägerin zu der begehrten sexuellen Handlung zu veranlassen, steht in einem auch nicht durch weitere Erwägungen aufgelösten

[X.], dass ein beweiswürdigender Beleg des Erfordernisses einer finalen Verknüpfung des [X.] mit dem -
wie das [X.] annimmt -
jeweils erzwungenen Oralverkehr aus dem Blick geraten sein könnte, wird auch durch Ausführungen zur intellektuellen Leistungsfähigkeit der Neben-klägerin untermauert. Danach weist die Nebenklägerin eine geringe Intelligenz im Grenzbereich zur Minderbegabung auf, was zur Überzeugung des Landge-
i-htigt das [X.] aber nur im Hinblick auf die -
rechtsfehlerfrei festgestellte -
einmalige [X.] 2006 durch Vaginalverkehr. Hierbei führt es an, dass die Neben-davon müssen. Eine genauere Erörterung, welcher konkrete Tathergang sich hinter [X.] sind, lässt das Urteil vermissen.
c) Da der Senat nicht feststellen konnte, in wie vielen
Fällen in welchem Tatzeitraum die Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 und 2 StGB aF belegt sind, hat er die gesamten Feststellungen zu diesem Tatkomplex aufgehoben. Dies führt zum Wegfall des Schuldspruchs in 30 Fällen der Vergewaltigung und der zugehörigen Einzelstrafen. Hinsichtlich der
übrigen Einzelstrafen, kann der Se-8
9
-
6
-
nat ausschließen, dass diese von dem rechtsfehlerhaften Schuldspruch wegen der 30 Vergewaltigungen beeinflusst sind.
2. Der Wegfall der Einzelstrafen wegen dieser 30 Taten -
jeweils mit drei Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe geahndet -
zieht die Aufhebung des [X.]s nach sich.
3. Soweit das [X.] die Anordnung der
Unterbringung in der Ent-ziehungsanstalt abgelehnt hat, hat das Urteil auch keinen Bestand.
a) Das [X.] hat festgestellt, dass bei dem Angeklagten ein lang-jähriger Alkoholabusus
vorliege und er vom Alkohol abhängig sei; derzeit kon-sumiere er vier
bis zehn Flaschen Bier am Tag und zusätzlich Schnaps. Bei den Taten zu Lasten seiner Ehefrau (Tatzeitraum 2004 bis 2014) ist es vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB im Hinblick auf Alkoholintoxika-tionen ausgegangen. Eine Versagung der Strafrahmenverschiebung hat es im Hinblick auf die langjährige Alkoholabhängigkeit abgelehnt. Dies beruht auf den Angaben der Nebenklägerin S.

, die eine massive Alkoholisierung des Angeklagten bei allen Taten zu ihren Lasten beschrieben hat und auf den [X.] zahlreicher weiterer Zeugen, die den erheblichen Alkoholkonsum des Angeklagten bestätigten. Dennoch hat das [X.] die Voraussetzungen des § 64 StGB nicht geprüft, sondern eine Unterbringung im Hinblick darauf abgelehnt, dass der Angeklagte die
Untersuchung durch einen Sachverständi-gen verweigert habe. Zu weiteren Maßnahmen, um die Untersuchung zu er-möglichen, hat sich das [X.] nicht gehalten gesehen, da nach einem Gutachten in einem anderen Strafverfahren aus dem Januar 2012 die medizini-schen Voraussetzungen für die Anordnung der Maßregel des § 64
StGB
nicht angenommen worden sind.
10
11
12
-
7
-
b) Das Vorgehen des [X.]s erweist sich als rechtsfehlerhaft, da es eine eigenständige Prüfung der Voraussetzung des
§ 64 StGB unterlassen hat, obwohl hierfür Anlass bestanden hätte. Denn nach den Feststellungen der langjährigen Alkoholabhängigkeit ergibt sich der Hang im Sinne des § 64 StGB ohne Weiteres;
auch der symptomatische Zusammenhang ist belegt. Der [X.] auf das Gutachten kann diesen Mangel
nicht heilen. Denn die Vorausset-zungen des §
64 StGB sind zum Zeitpunkt des Urteils zu prüfen. Zudem ist zu dem Gutachten inhaltlich -
freilich in anderem Zusammenhang -
nur mitgeteilt, dass darin eine langjährige Alkoholabhängigkeit angenommen wird.
Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 64 StGB scheidet auch nicht aus anderen Gründen von vornherein aus. Dass der Angeklagte zu einer [X.] nicht bereit war, führt nicht zum Ausschluss der hinreichend konkreten Erfolgsaussicht (vgl. zum Erfordernis
einer Gesamtwürdigung der [X.] und aller sonstigen maßgeblichen Umstände für eine Therapieunwillig-keit:
[X.], Beschluss vom 19. April 2016 -
3 [X.], [X.], 246). Angesichts des Zeitablaufs kann der Senat auch aus dem Umstand, dass der Angeklagte nach einer Entgiftung
im Jahr 2001
ohne
anschließende
Entwöh-nungsbehandlung keine weiteren Entzugsversuche unternommen
hat, nicht auf das Fehlen
der hinreichend konkreten Erfolgsaussicht schließen.
13
14
-
8
-
c) Das neue Tatgericht wird die Vorgaben des § 246a [X.] auch bei Verweigerung der Mitwirkung an einer Untersuchung (vgl. hierzu [X.] in
[X.], [X.], 26. Aufl.,
§ 246a Rn. 12 mwN; vgl. auch [X.], [X.] vom 9. Oktober 2001 -
2 BvR 1523/01, [X.], 98) zu beachten haben.
Raum Graf Cirener

Radtke Bär
15

Meta

1 StR 506/16

21.02.2017

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.02.2017, Az. 1 StR 506/16 (REWIS RS 2017, 15310)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 15310

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 StR 506/16 (Bundesgerichtshof)

Vergewaltigung: Urteilsfeststellungen bei lang andauerndem Missbrauchsverhältnis; Erfolgsaussicht der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bei fehlender Bereitschaft …


2 StR 354/20 (Bundesgerichtshof)

Lückenhafte Beweiswürdigung bei einer Verurteilung wegen Vergewaltigung einer Person in einem die freie Willensbildung und …


4 StR 284/17 (Bundesgerichtshof)

Vergewaltigung und sexuelle Nötigung: Beweiswürdigung bei Aussage-gegen-Aussage-Konstellation; Erfüllung des subjektiven Tatbestands; Anwendung des zur Tatzeit …


4 StR 284/17 (Bundesgerichtshof)


5 StR 422/14 (Bundesgerichtshof)

Besonders schwerer sexueller Missbrauch von Kindern: Schmerzhafte anale Penetration als körperlich schwere Misshandlung


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

1 StR 506/16

4 StR 561/11

3 StR 48/16

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.