Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.02.2019, Az. 1 StR 14/19

1. Strafsenat | REWIS RS 2019, 9936

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Gegenstand

Strafrahmenwahl bei minder schweren Fällen neben gesetzlich vertypten Milderungsgründen


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] ([X.]) vom 2. Oktober 2018

a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit Beleidigung verurteilt ist; die Verurteilung wegen Bedrohung entfällt,

b) im Strafausspruch aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit Beleidigung und Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich die auf die nicht ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO; auch die [X.] der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hält rechtlicher Nachprüfung stand.

2

1. Der Schuldspruch bedurfte jedoch der Korrektur. Die tateinheitliche Verurteilung wegen Bedrohung (§ 241 Abs. 1 StGB) kann nicht bestehen bleiben.

3

Nach den Feststellungen beleidigte der Angeklagte den Geschädigten am 15. März 2018, hielt sich dann ein Messer an den Hals, deutete [X.] an, begleitete diese mit den Worten „Du tot“, stürmte auf den Geschädigten zu und versuchte, ihn aufgrund eines nicht ausschließbar einheitlich gefassten Tatentschlusses mit einem [X.] zu töten.

4

Trifft die Bedrohung - wie im vorliegenden Fall - zeitlich unmittelbar mit dem Versuch oder der Vollendung des angedrohten Verbrechens zusammen, tritt die Bedrohung hinter dem angedrohten Verbrechen zurück. Der versuchte Totschlag und die Bedrohung stehen nicht im Verhältnis der Tateinheit, vielmehr besteht Gesetzeskonkurrenz (vgl. [X.], Beschluss vom 9. Februar 2000 - 2 [X.], Rn. 3 mwN).

5

2. Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben, weil das [X.] sowohl bei der Prüfung eines sonstigen minder schweren Falles des Totschlags gemäß § 213 Alternative 2 StGB als auch bei der konkreten Strafzumessung zulasten des Angeklagten berücksichtigt hat, dass er tateinheitlich auch eine Bedrohung begangen hat. Der [X.] kann deshalb nicht ausschließen, dass das [X.] auf der Grundlage des geänderten Schuldspruchs eine niedrigere Freiheitsstrafe verhängt hätte.

6

3. Hinsichtlich der Prüfungsreihenfolge beim minder schweren Fall weist der [X.] auf Folgendes hin:

7

Es verfehlt die Prüfungsreihenfolge, wenn die Strafkammer - wie vorliegend geschehen - zunächst die Annahme eines minder schweren Falles allein aufgrund der allgemeinen Strafmilderungsgründe verneint, anschließend zugleich die gesetzlich vertypten Strafmilderungsgründe des Versuchs und der erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit einstellt, sodann unter Annahme beider Strafmilderungsgründe einen minder schweren Fall bejaht und im [X.] daran für jeden [X.] (entgegen § 50 StGB) gesondert prüft, ob diese überhaupt die fakultative Strafrahmenverschiebung eröffnen, und dies sodann im Rahmen ihrer Ermessensausübung jeweils verneint (hier: für § 21 StGB im Hinblick auf das Wissen des nur aus Luxus und Langeweile Alkohol konsumierenden Angeklagten um seine Neigung, in alkoholisiertem Zustand erhebliche Gewalttaten zu begehen; für § 23 StGB im Hinblick auf die Nähe zur Tatvollendung, weil es dem Opfer nur aufgrund seiner außergewöhnlichen Reaktionsfähigkeit gelungen war, den auf den Bauch geführten Messerstich des heranstürmenden Angeklagten abzuwehren [[X.], 27]).

8

Sieht das Gesetz einen besonderen Strafrahmen für minder schwere Fälle vor und ist auch ein gesetzlich vertypter [X.] gegeben, muss bei der [X.] im Rahmen einer Gesamtwürdigung zunächst geprüft werden, ob die allgemeinen Milderungsgründe die Annahme eines minder schweren Falls tragen. Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falls abzulehnen, so sind zusätzlich die den gesetzlich vertypten [X.] verwirklichenden Umstände in die gebotene Gesamtabwägung einzubeziehen. Erst wenn der Tatrichter die Anwendung des milderen Strafrahmens danach weiterhin nicht für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten [X.]es gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen (st. Rspr.; vgl. z.B. [X.], Beschlüsse vom 4. April 2017 - 3 [X.], [X.], 524; vom 7. März 2017 - 2 StR 567/16, Rn. 6 und vom 13. Oktober 2016 - 3 StR 248/16, Rn. 5, jeweils mwN). Bei Vorliegen eines zweiten gesetzlich vertypten [X.]es ist entsprechend zu verfahren und, soweit das Vorliegen eines minder schweren Falles bei Annahme nur eines gesetzlich vertypten [X.]es abzulehnen ist, der zweite vertypte [X.] in die Gesamtwürdigung einzustellen (vgl. z.B. [X.], Beschlüsse vom 21. November 2007 - 2 StR 449/07, [X.], 105 und vom 16. November 2017 - 2 StR 404/17, Rn. 2). Begründet erst das Hinzunehmen eines oder eines weiteren vertypten [X.]es den minder schweren Fall, sind die vertypten Milderungsgründe für eine weitere Strafrahmenverschiebung verbraucht (§ 50 StGB; vgl. z.B. [X.], Beschluss vom 27. Juli 1987 - 3 StR 308/87, [X.], 504).

9

Versagt der Tatrichter dagegen dem Angeklagten eine Strafrahmenverschiebung aufgrund seines Ermessens gemäß § 21 StGB, obwohl eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit vorliegt, ist allerdings die Verminderung der Schuld infolge der verringerten Steuerungsfähigkeit nur bei der Strafzumessung im engeren Sinn zu berücksichtigen ([X.] in BeckOK StGB, [X.]., § 21 Rn. 35). Entsprechendes gilt für § 23 StGB. [X.] ist die verminderte Schuld im Rahmen der Prüfung des minder schweren Falles nur noch als allgemeiner Strafmilderungsgesichtspunkt und nicht mehr mit dem entsprechenden Gewicht als vertypter [X.] einzustellen.

4. Ergänzend weist der [X.] darauf hin, dass die Verurteilung des Angeklagten wegen einer am 12. September 2016 begangenen gefährlichen Körperverletzung „in zwei tatmehrheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten“ durch das Amtsgericht vom 27. April 2017 der Gesamtstrafenbildung zugänglich wäre, falls ein Berufungsurteil zur Straffrage ergangen sein sollte (vgl. [X.], Beschluss vom 30. Juni 1960 - 2 StR 147/60, [X.]St 15, 66, 69 zur Sachentscheidung des Berufungsgerichts). Das Urteil teilt insoweit nur mit, dass nach Rechtskraft des Schuldspruchs am 2. Mai 2017 die Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Strafausspruchs Berufung eingelegt und am 26. Juni 2018 Rechtskraft eingetreten ist.

Die Sache bedarf daher im Strafausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung. Eine Aufhebung der zugehörigen Feststellungen war indes nicht erforderlich, weil es sich um reine Wertungsfehler handelt (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Der neue Tatrichter wird die [X.] und die anschließende Strafzumessung auf der Grundlage der bislang rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen vorzunehmen haben, die er durch weitere Feststellungen ergänzen darf, die den bisherigen nicht widersprechen.

Raum     

        

Fischer     

        

Bär     

        

Leplow     

        

Pernice     

        

Meta

1 StR 14/19

26.02.2019

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Kempten, 2. Oktober 2018, Az: 210 Js 564/18 - 1 Ks

§ 21 StGB, § 23 StGB, § 213 Alt 2 StGB, § 241 Abs 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.02.2019, Az. 1 StR 14/19 (REWIS RS 2019, 9936)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 9936

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