Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.02.2024, Az. VII ZR 715/21

7. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 1645

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Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 21. Zivilsenats des [X.] vom 15. Juni 2021 aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis zu 25.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die [X.] auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in Anspruch.

2

Er erwarb im Januar 2016 bei einem Autohändler ein von der [X.] hergestelltes Fahrzeug [X.] als Gebrauchtwagen zu einem Kaufpreis von 24.690 €. Den Kaufpreis finanzierte er über ein inzwischen vollständig zurückgezahltes Darlehen. Das Fahrzeug ist mit einem von der [X.] entwickelten Dieselmotor der Baureihe [X.] oder mit einem Dieselmotor [X.] ausgestattet. Für das Fahrzeug wurde eine EG-Typgenehmigung der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Das Klägerfahrzeug ist nicht von einem verpflichtenden Rückruf seitens des [X.] ([X.]) betroffen.

3

Der Kläger hat in den Vorinstanzen die Erstattung des Kaufpreises nebst Prozesszinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs und die Feststellung verlangt, dass sich die [X.] in Annahmeverzug befinde.

4

Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben.

5

Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

7

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit es für die Revision von Interesse ist, ausgeführt:

8

Dem Kläger stehe kein Schadensersatzanspruch wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826, § 31 BGB zu, weil ein objektiv [X.] Verhalten der [X.] nicht festgestellt werden könne. Die bloße Verwendung eines [X.]s sei nicht sittenwidrig, wobei zugunsten des [X.] unterstellt werden könne, dass es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Seine Verwendung lasse sich nicht mit der Umschaltlogik des [X.] vergleichen, weil das [X.] nicht danach unterscheide, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im realen Fahrbetrieb befinde. Bei dem On-Board-Diagnose-System handele es sich von vornherein nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung, weil dieses System lediglich bestimmte Parameter überprüfe, ohne die Motorsteuerung zu beeinflussen.

9

Die Annahme von Sittenwidrigkeit setze jedenfalls voraus, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung des [X.]s in dem Bewusstsein gehandelt hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hätten. Entsprechendes habe der Kläger nicht substantiiert dargelegt.

Wegen des Fehlens hinreichender Anhaltspunkte für einen Vorsatz der [X.] schieden auch Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB oder Art. 4 Abs. 1, Abs. 2, Art. 5 Abs. 1 der [X.] ([X.]) 715/2007 oder § 16 UWG aus.

Gleiches gelte für einen etwaigen Anspruch des [X.] aus § 823 Abs. 2, § 831 BGB in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 und Art. 3 Nr. 10 der [X.] ([X.]) 715/2007 bzw. §§ 6, 27 [X.]-FGV. Davon abgesehen handele es sich bei den vorgenannten Vorschriften auch nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB.

II.

Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

1. Allerdings begegnet es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen revisionsrechtlichen Zweifeln, dass das Berufungsgericht eine Haftung der [X.] gemäß §§ 826, 31 BGB und gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB mangels vorsätzlichen (und sittenwidrigen) Verhaltens verneint hat, weil es entsprechende Anhaltspunkte für das Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen nicht feststellen konnte. Hieran ist der erkennende Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO in Ermangelung eines zulässigen und begründeten Revisionsangriffs gebunden. Die Revision zeigt nicht auf, dass dem Berufungsgericht bei der Würdigung der von ihm festgestellten Tatsachen und des von ihm als zutreffend unterstellten Sachvortrags des [X.] ein Rechtsfehler unterlaufen wäre (vgl. zur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfung [X.], Urteil vom 25. November 2021 - [X.] Rn. 32 m.w.N., [X.], 87). Sie legt auch nicht dar, dass das Berufungsgericht relevanten Sachvortrag oder Beweisantritte des darlegungs- und beweisbelasteten [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 14. März 2022 - [X.] Rn. 21, juris) übergangen hätte.

2. Im Lichte der nach Erlass der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen neueren Rechtsprechung des [X.] kann allerdings eine Haftung der [X.] nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV auf Ersatz des [X.] nicht ausgeschlossen werden (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 1031/22 Rn. 24 ff., [X.], 503; Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21 Rn. 28 ff., [X.], 1421).

Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat am 26. Juni 2023 entschieden, dass von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart das Interesse des Käufers geschützt ist, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das [X.] Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden. Der [X.] habe in seinem Urteil vom 21. März 2023 (Az. [X.]/21) Art. 3 Nr. 36, Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/[X.] im Sinne des Schutzes auch der individuellen Interessen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 [X.] ([X.]) Nr. 715/2007 ausgerüsteten Kraftfahrzeugs gegenüber dem Fahrzeughersteller ausgelegt. Den Schutz der individuellen Interessen des [X.] im Verhältnis zum Hersteller habe er dabei aus der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/[X.] vorgesehenen Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme des Fahrzeugs abgeleitet. Der [X.] habe das auf der Übereinstimmungsbescheinigung beruhende und unionsrechtlich geschützte Vertrauen des Käufers mit dessen Kaufentscheidung verknüpft und dem Unionsrecht auf diesem Weg einen von einer vertraglichen Sonderverbindung unabhängigen Anspruch des [X.] gegen den Fahrzeughersteller auf Schadensersatz "wegen des Erwerbs" eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs entnommen. Das trage dem engen tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem Vertrauen des Käufers auf die Ordnungsmäßigkeit des erworbenen Kraftfahrzeugs einerseits und der Kaufentscheidung andererseits Rechnung. Dieser Zusammenhang wiederum liege der Rechtsprechung des [X.] zu dem Erfahrungssatz zugrunde, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwerbe, in Kenntnis der Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte. Dementsprechend könne der vom Gerichtshof geforderte Schutz des Käufervertrauens im Verhältnis zum Fahrzeughersteller, sollten [X.] vermieden werden, nur unter einer Einbeziehung auch der Kaufentscheidung gewährleistet werden (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21 Rn. 28 ff., [X.], 1421; ebenso Urteil vom 20. Juli 2023 - [X.]/20 Rn. 22, [X.], 1903). Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (Urteile vom 26. Oktober 2023 - [X.] und [X.], juris).

Das Berufungsgericht hätte die Berufung des [X.] bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne ihm Gelegenheit zu geben, den von ihm geltend gemachten Schaden im Sinne des [X.] zu berechnen. Die Stellung eines an die Geltendmachung des [X.] angepassten, unbeschränkten [X.] ohne Zug-um-Zug-Vorbehalt ist dem Kläger möglich.Denn dem von ihm in erster Linie auf §§ 826, 31 BGB gestützten großen Schadensersatz einerseits und einem [X.] nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGVandererseits liegen lediglich unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung zugrunde, die im [X.] an die [X.] bei Abschluss des Kaufvertrags anknüpfen ([X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21 Rn. 45, [X.], 1421).

III.

Danach hat das angefochtene Urteil keinen Bestand. Es ist aufzuheben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat kommt nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

[X.]     

      

Jurgeleit     

      

Graßnack

      

Brenneisen     

      

[X.]     

      

Meta

VII ZR 715/21

01.02.2024

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend KG Berlin, 15. Juni 2021, Az: 21 U 1087/20

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.02.2024, Az. VII ZR 715/21 (REWIS RS 2024, 1645)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1645

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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