Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.02.2024, Az. VII ZR 384/21

7. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 1704

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Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 7a. Zivilsenats des [X.] vom 7. April 2021 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 38.029,31 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in Anspruch.

2

Er erwarb im Januar 2018 von einem Autohändler ein von der Beklagten hergestelltes Fahrzeug [X.] 3,0 l V6 TDI Motor als Gebrauchtwagen zu einem Kaufpreis von 40.790 €. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung mit der Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Das Fahrzeug ist mit einem von der [X.] entwickelten und hergestellten Dieselmotor ausgestattet.

3

[X.] ist von einem verpflichtenden Rückruf seitens des [X.] ([X.]) betroffen. Ausgehend von der Pressemitteilung des [X.] vom 8. Dezember 2017 enthält das Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen in Form einer schadstoffmindernden Aufwärmstrategie und eines SCR-Katalysators, der die Nutzung von [X.] unter bestimmten Bedingungen unzulässig einschränkt.

4

Der Kläger verlangt die Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs abzüglich einer Nutzungsentschädigung, hilfsweise die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten. Ferner begehrt er die Feststellung, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befindet und der Schadensersatzanspruch aus einer vorsätzlich unerlaubten Handlung herrührt, sowie die Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

5

Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben.

6

Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

8

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit es für die Revision von Interesse ist, ausgeführt:

9

Dem Kläger stehe kein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher, sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB gegen die Beklagte zu. Zwar seien die von dem [X.] beanstandete Aufwärmstrategie und die auf den Prüfzyklus zugeschnittene Dosierstrategie in dem Fahrzeug des [X.] möglicherweise als unzulässige Abschalteinrichtungen einzustufen. Die für die [X.] handelnden Personen hätten indes nicht gewusst, dass die von der [X.] entwickelten und hergestellten Motoren mit einer auf arglistige Täuschung des [X.] abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet seien und die von der [X.] hergestellten Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstandes mit diesen Motoren versehen in den Verkehr gebracht worden seien. Das Wissen der für die [X.] handelnden Personen bei der Entwicklung und Herstellung des [X.] könne der [X.] gemäß § 31 BGB nicht zugerechnet werden. Für eine Haftung der [X.] komme es darauf an, dass Mitglieder des Vorstands oder deren Vertreter von der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtungen gewusst hätten. Soweit sich der Kläger für eine solche Kenntnis - im Zusammenhang mit dem Motor [X.] - auf die Compliance-Strukturen der [X.] berufe, genüge dies schon deshalb nicht, weil allein das Vorhandensein entsprechender Strukturen nichts darüber aussage, welches Wissen den Repräsentanten der [X.] dadurch im konkreten Einzelfall tatsächlich vermittelt worden sei.

Der Vortrag des [X.] zu der in [X.] erhobenen Anklage gegen "führende [X.]" sei unbeachtlich, weil er sich auf den Motor [X.] beziehe. Entsprechendes gelte, soweit sich der Kläger in der Berufungsbegründung darauf berufe, die Beklagte sei mit der Diesel-Technik "bestens vertraut" und habe sich die Produktionskosten für die [X.] mit der [X.] geteilt. Greifbare Anhaltspunkte für ein Wissen um die Aufwärmstrategie ließen sich aus diesen Umständen nicht ableiten.

Dass der Kläger das Fahrzeug im Januar 2018, mithin zu einem [X.]punkt erworben habe, zu dem die Beklagte aufgrund des vorangegangenen Rückrufbescheids des [X.] jedenfalls Kenntnis von der "Aufwärmstrategie" gehabt habe, ändere hieran nichts. Der [X.] könnte insoweit allenfalls vorgeworfen werden, dass sie die Öffentlichkeit beziehungsweise die potentiellen ([X.] hierüber nicht durch eine Pressemitteilung informiert habe. Dies genüge indes nicht, um eine Haftung der [X.] wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu bejahen, zumal sie im Januar 2018 bereits mit dem [X.] zwecks Beseitigung der unzulässigen Abschnitteinrichtung zusammengearbeitet habe, um Stilllegungen der von ihr hergestellten Fahrzeuge zu vermeiden. Eine auf Täuschung ausgelegte "Strategieentscheidung", wie sie für eine Haftung gemäß §§ 826, 31 BGB erforderlich wäre, sei vor diesem Hintergrund nicht erkennbar.

II.

Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

1. Allerdings begegnet es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen revisionsrechtlichen Zweifeln, dass das Berufungsgericht eine Haftung der [X.] gemäß §§ 826, 31 BGB und gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB mangels vorsätzlichen (und sittenwidrigen) Verhaltens verneint hat, weil es entsprechende Anhaltspunkte für das Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen nicht feststellen konnte. Hieran ist der erkennende Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO in Ermangelung eines zulässigen und begründeten Revisionsangriffs gebunden. Die Revision zeigt nicht auf, dass dem Berufungsgericht bei der Würdigung der von ihm festgestellten Tatsachen und des von ihm als zutreffend unterstellten Sachvortrags des [X.] ein Rechtsfehler unterlaufen wäre (vgl. zur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfung [X.], Urteil vom 25. November 2021 - [X.] Rn. 32 m.w.N., [X.], 87). Sie legt auch nicht dar, dass das Berufungsgericht relevanten Sachvortrag oder Beweisantritte des darlegungs- und beweisbelasteten [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 9. März 2021 - [X.] 889/20 Rn. 29, NJW 2021, 1814) übergangen hätte.

a) Das Berufungsgericht ist nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil davon ausgegangen, dass der im Fahrzeug des [X.] verbaute Dieselmotor mit unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgestattet ist. Der Umstand, dass die Beklagte rechtswidrig manipulierte Motoren in ihre Fahrzeuge eingebaut hat, die von ihrer Tochtergesellschaft entwickelt und hergestellt worden sind, genügt allein nicht, um eine objektiv sittenwidrige Handlung anzunehmen ([X.], Urteil vom 17. November 2022 - [X.] Rn. 16, [X.] 2023, 291). Ein [X.] Verhalten der [X.] kommt zwar in Betracht, wenn die für sie handelnden Personen wussten, dass die von ihrer Tochtergesellschaft gelieferten Motoren mit einer auf arglistige Täuschung des [X.] abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet worden sind und die von der [X.] hergestellten Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstandes mit diesen Motoren versehen in den Verkehr gebracht wurden (vgl. [X.], Urteil vom 17. November 2022 - [X.] Rn. 17, [X.] 2023, 291; Urteil vom 8. März 2021 - [X.] 505/19 Rn. 21, [X.], 799).

b) Ein derartiges Vorstellungsbild hat das Berufungsgericht im Hinblick auf Personen, für deren Verhalten die Beklagte entsprechend § 31 BGB einzustehen hat, indes rechtsfehlerfrei nicht festgestellt. Dies gilt auch für die [X.] zwischen dem erstmaligen Inverkehrbringen des Fahrzeugs und dessen Erwerb durch den Kläger, so dass dahinstehen kann, ob eine in der Zwischenzeit erlangte Kenntnis eine Haftung der [X.] gemäß §§ 826, 31 BGB unter dem Aspekt des pflichtwidrigen Unterlassens begründen könnte (vgl. [X.], Urteil vom 17. November 2022 - [X.] Rn. 17, [X.] 2023, 291).

Entgegen der Annahme der Revision hat das Berufungsgericht die Anforderungen an die Substantiierung nicht überspannt. Von einer entsprechenden Kenntnis der [X.] kann nicht allein deswegen ausgegangen werden, weil die [X.], wie der Kläger geltend macht, zu 99,55 % ein Tochterunternehmen der [X.] sei. Der bloße Einbau der manipulierten Motoren in eigene Fahrzeuge der [X.] spricht noch nicht für die Annahme, die Unternehmensleitung der [X.] sei in die diesbezügliche strategische Entscheidung ihrer Tochtergesellschaft eingebunden gewesen oder habe davon Kenntnis erlangt. Die [X.] allein begründet keine sekundäre Darlegungslast (vgl. [X.], Urteil vom 17. November 2022 - [X.] Rn. 22, [X.] 2023, 291; Urteil vom 16. September 2021 - [X.] Rn. 29, NJW 2022, 321; Urteil vom 8. März 2021 - [X.] 505/19 Rn. 30, NJW 2021, 1669). Im Übrigen erachtet der Senat die von der Revision erhobenen [X.] von [X.] nicht für durchgreifend (§ 564 Satz 1 ZPO).

2. Im Lichte der nach Erlass der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen neueren Rechtsprechung des [X.] kann allerdings eine Haftung der [X.] nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV auf Ersatz des [X.] nicht ausgeschlossen werden (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 1031/22 Rn. 24 ff., [X.], 503; Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21 Rn. 28 ff., [X.]Z 237, 245).

Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat am 26. Juni 2023 entschieden, dass von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart das Interesse des Käufers geschützt ist, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das [X.] Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden. Der [X.] habe in seinem Urteil vom 21. März 2023 (Az. [X.]/21) Art. 3 Nr. 36, Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/[X.] im Sinne des Schutzes auch der individuellen Interessen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO ([X.]) Nr. 715/2007 ausgerüsteten Kraftfahrzeugs gegenüber dem Fahrzeughersteller ausgelegt. Den Schutz der individuellen Interessen des [X.] im Verhältnis zum Hersteller habe er dabei aus der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/[X.] vorgesehenen Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme des Fahrzeugs abgeleitet. Der [X.] habe das auf der Übereinstimmungsbescheinigung beruhende und unionsrechtlich geschützte Vertrauen des Käufers mit dessen Kaufentscheidung verknüpft und dem Unionsrecht auf diesem Weg einen von einer vertraglichen Sonderverbindung unabhängigen Anspruch des [X.] gegen den Fahrzeughersteller auf Schadensersatz "wegen des Erwerbs" eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs entnommen. Das trage dem engen tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem Vertrauen des Käufers auf die Ordnungsmäßigkeit des erworbenen Kraftfahrzeugs einerseits und der Kaufentscheidung andererseits Rechnung. Dieser Zusammenhang wiederum liege der Rechtsprechung des [X.] zu dem Erfahrungssatz zugrunde, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwerbe, in Kenntnis der Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte. Dementsprechend könne der vom Gerichtshof geforderte Schutz des Käufervertrauens im Verhältnis zum Fahrzeughersteller, sollten [X.] vermieden werden, nur unter einer Einbeziehung auch der Kaufentscheidung gewährleistet werden (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21 Rn. 28 ff., [X.]Z 237, 245; ebenso Urteil vom 20. Juli 2023 - [X.]/20 Rn. 22, [X.] 2023, 1903). Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (Urteile vom 26. Oktober 2023 - [X.] und [X.], juris).

Das Berufungsgericht hätte die Berufung des [X.] bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne ihm Gelegenheit zu geben, den von ihm geltend gemachten Schaden im Sinne des [X.] zu berechnen. Die Stellung eines an die Geltendmachung des [X.] angepassten, unbeschränkten [X.] ohne Zug-um-Zug-Vorbehalt ist dem Kläger möglich.Denn dem von ihm in erster Linie auf §§ 826, 31 BGB gestützten großen Schadensersatz einerseits und einem [X.] nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV andererseits liegen lediglich unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung zugrunde, die im [X.] an die [X.] bei Abschluss des Kaufvertrags anknüpfen ([X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21 Rn. 45, [X.]Z 237, 245).

III.

Danach hat das angefochtene Urteil keinen Bestand. Es ist aufzuheben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat kommt nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

[X.]     

      

Kartzke     

      

Sacher

      

Brenneisen     

      

[X.]     

      

Meta

VII ZR 384/21

29.02.2024

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Celle, 7. April 2021, Az: 7 U 1716/19 (S. 7a)

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.02.2024, Az. VII ZR 384/21 (REWIS RS 2024, 1704)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1704

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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