Bundesfinanzhof, Urteil vom 07.11.2023, Az. VIII R 21/21

8. Senat | REWIS RS 2023, 10322

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Gegenstand

(Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteilen vom 07.11.2023 VIII R 7/21 und VIII R 16/22 - Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags)


Leitsatz

1. NV: Der Bezug eines Nutzungsersatzes im Rahmen der reinen Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags nach Widerruf (vor Anwendbarkeit des § 357a Abs. 3 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB-- a.F.; jetzt § 357b BGB) begründet keinen steuerbaren Kapitalertrag, da er nicht auf einer erwerbsgerichteten Tätigkeit beruht und mithin nicht innerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre erzielt wird.

2. NV: Das infolge des Widerrufs entstandene Rückgewährschuldverhältnis ist bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln.

3. NV: Der bezogene Nutzungsersatz ist auch nicht gemäß § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes steuerbar.

Tenor

Auf die Revision des [X.] werden das Urteil des [X.] vom 14.07.2021 - 5 K 161/20 und die Einspruchsentscheidung vom [X.] aufgehoben.

Der Einkommensteuerbescheid 2018 vom 18.11.2019 wird dahingehend geändert, dass bei den Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 32d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes ein Betrag von 9.600 € nicht bei den laufenden Kapitalerträgen angesetzt wird.

Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten aufgegeben.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob es sich bei der von einer Bank aufgrund widerrufener Darlehensverträge gezahlten Nutzungsentschädigung für bereits erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen um steuerbare Einkünfte handelt.

2

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wird für das [X.] (Streitjahr) mit seiner Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Er schloss im Jahr 2008 mit der [X.] mehrere Darlehensverträge über jeweils 50.000 €, 140.000 €, 30.000 € und 100.000 € zur Finanzierung einer selbstgenutzten Wohnimmobilie ab.

3

Mit Schreiben vom 18.04.2016 widerrief der Kläger seine auf den Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen. Die [X.] war der Auffassung, dass ein Widerruf nicht mehr möglich sei, weil die Widerrufsfrist abgelaufen sei. Gleichwohl machte sie dem Kläger ein Vergleichsangebot, das der Kläger annahm. Der Vergleich lautete wie folgt:

"1. Vollständige Rückführung der ausstehenden Darlehensvaluta (...) Wir gehen hierbei davon aus, dass die Darlehensraten bis zur Ablösung gezahlt werden.

2. Aufgrund der vorzeitigen Beendigung der vorgenannten Darlehensverhältnisse entsteht ein Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung von insgesamt 5.000,00 Euro. Auf die Entrichtung der anfallenden Vorfälligkeitsentschädigung verzichten wir komplett. Unser Institut erstattet Ihrer Mandantschaft pauschal Zinsen von 7.800,00 Euro. Darüber hinaus zahlt die Bank ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und aus Kulanz Nutzungsersatz von 9.600,00 Euro abzüglich anfallender Steuern. (...) Die Zahlungen erfolgen nach Eingang der offenen Darlehensvaluten.

3. Etwaige Sicherheiten geben wir erst frei, wenn wir auf dem Darlehenskonto den Zahlungseingang der ausstehenden Darlehensvaluta verzeichnen können.

4. Mit diesem Vergleich werden sämtliche Rechte und Ansprüche der Vertragsparteien betreffend die (...) geführten Darlehen einschließlich sämtlicher Ansprüche, die sich im Falle einer Wandlung des [X.] in ein Rückgewährschuldverhältnis ergeben können, abgegolten.

5. Zur Abgeltung sämtlicher Kosten, insbesondere der Rechtsanwaltskosten, die im Zusammenhang mit dieser streitigen Angelegenheit entstanden sind oder noch entstehen werden, zahlen wir 4.800 Euro inklusive Mehrwertsteuer. (...)"

4

Die Bank zahlte den vereinbarten Nutzungsersatz in Höhe von 9.600 € abzüglich Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag im Streitjahr an den Kläger aus.

5

Der Kläger beantragte im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr eine Überprüfung des Einbehalts der Kapitalertragsteuer und machte geltend, dass der Nutzungsersatz in Höhe von 9.600 € nicht der Besteuerung unterliege. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt --[X.]--) folgte dem nicht und berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 18.11.2019 den streitigen Betrag bei den Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 32d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die Zinserstattung in Höhe von 7.800 € und die Zahlung zur Abgeltung der Anwaltskosten in Höhe von 4.800 € wurden von den Beteiligten übereinstimmend als nicht steuerbar angesehen.

6

Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hatte aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 103 mitgeteilten Gründen keinen Erfolg. Das Finanzgericht ([X.]) hat entschieden, dass der von der [X.] gezahlte Betrag in Höhe von 9.600 € als Nutzungsersatz für die an die [X.] erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu besteuern sei.

7

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Bundesrechts.

8

Der Kläger beantragt,
das Urteil des [X.] Baden-Württemberg vom 14.07.2021 - 5 K 161/20 und die Einspruchsentscheidung vom 17.12.2019 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2018 vom 18.11.2019 dahingehend zu ändern, dass ein Betrag in Höhe von 9.600 € als nicht steuerbar behandelt wird.

9

Das [X.] beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Der im Rahmen der Rückabwicklung der Darlehensverträge von der [X.] an den Kläger geleistete Nutzungsersatz in Höhe von 9.600 € ist kein steuerbarer Kapitalertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG (unter [X.]). Die Rückabwicklung der Darlehensverträge führt bei dem Kläger auch nicht zu Einkünften aus Leistungen im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG, sodass sich die Vorentscheidung auch nicht gemäß § 126 Abs. 4 [X.]O im Ergebnis als richtig darstellt (unter II.2.). Die Sache ist spruchreif (unter II.3.). Der [X.] gibt der Klage wie beantragt statt.

1. Die Entscheidung des [X.], dass der im Rahmen der Rückabwicklung der Darlehensverträge von der [X.] an den Kläger geleistete Nutzungsersatz für Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von 9.600 € zu einem Kapitalertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG führt, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Nutzungsersatz ist nicht steuerbar. Er beruht nicht auf einer erwerbsgerichteten Tätigkeit des [X.] und ist mithin nicht innerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre angefallen.

a) Im Streitfall hat das [X.] den zwischen dem Kläger und der [X.] geschlossenen Vergleich dahingehend ausgelegt, dass der Kläger so gestellt werden sollte, als ob er die Darlehensverträge wirksam widerrufen hätte und an ihn dementsprechend Nutzungsersatz für Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von 9.600 € nach den einschlägigen zivilrechtlichen Regelungen geleistet werden sollte. Dagegen sind keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben worden. Die Auslegung des [X.] verstößt auch nicht gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze oder Denk- und Erfahrungssätze und ist daher für den [X.] gemäß § 118 Abs. 2 [X.]O bindend (vgl. Beschlüsse des [X.] --BFH-- vom 09.10.2001 - VIII B 30/01, [X.] 2002, 191, m.w.N.; vom 05.12.2006 - VIII B 4/06, [X.] 2007, 490, unter 2.c [Rz 10]).

b) Der vom Kläger vereinnahmte Nutzungsersatz in Höhe von 9.600 € ist nicht steuerbar. Im Streitfall ist die Rückabwicklung der Darlehen nach den in den Urteilen des [X.]s vom 07.11.2023 - VIII R 7/21 und [X.] (jeweils zur amtlichen [X.] vorgesehen) dargelegten Maßstäben keine steuerbare erwerbsgerichtete Tätigkeit. Das Rückgewährschuldverhältnis ist bei wirtschaftlicher Betrachtung ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln. Dies gilt unabhängig davon, ob die Rückabwicklung einvernehmlich, durch Vergleich, durch zivilgerichtliches Urteil oder auf andere Weise vollzogen wird und ob die Parteien des ursprünglichen Darlehensvertrags --wie im [X.] anstelle der Leistung von Wertersatz an die Bank auf eine Rückabwicklung der vom Darlehensnehmer geleisteten Zinsen verzichten.

2. Die Entscheidung des [X.] stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 126 Abs. 4 [X.]O). Der von der [X.] geleistete Nutzungsersatz ist nicht nach der allein in Betracht kommenden Regelung zu den Einkünften aus Leistungen im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG steuerbar, da es sich bei der Rückabwicklung der Darlehensverträge nicht um einen Leistungsaustausch in der Erwerbssphäre handelt. Wegen der weiteren Begründung nimmt der [X.] zur Vermeidung von Wiederholungen auch insoweit auf seine Urteile vom 07.11.2023 - VIII R 7/21 und [X.] (jeweils zur amtlichen [X.] vorgesehen) Bezug.

3. Das [X.] ist von anderen Rechtsgrundlagen ausgegangen. Sein Urteil ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der [X.] gibt der Klage statt.

Der von der [X.] an den Kläger geleistete Nutzungsersatz für Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von 9.600 € ist kein steuerbarer Kapitalertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG und keine steuerbare Leistung im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG.

Die Rückgewähr geleisteter Zinszahlungen in Höhe von 7.800 € führt nicht zu saldierbaren steuerbaren Einnahmen des [X.], denn die Rückzahlung von Aufwendungen, die außerhalb der Erwerbssphäre angefallen sind, ist ihrerseits nicht durch die Einkünfteerzielung veranlasst (vgl. BFH-Urteile vom 29.09.2022 - VI R 34/20, [X.], 319, [X.] 2023, 142; vom 19.07.2022 - IX R 18/20, [X.], 85, [X.] 2023, 173; [X.]/[X.], EStG, 42. Aufl., § 9 Rz 112, 113). So liegt der Fall, da der Zweck der ursprünglichen Darlehensaufnahme in der Finanzierung einer zu eigenen Wohnzwecken genutzten Immobilie des [X.] bestand und die Zinszahlungen dementsprechend gemäß § 12 Nr. 1 EStG nicht steuermindernd zu berücksichtigen waren.

Auch die Erstattung von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 4.800 € an den Kläger führt nicht zu saldierbaren steuerbaren Einnahmen, da die betreffenden --und seitens der [X.] wie die zurückgewährten Zinszahlungen außerhalb der Erwerbssphäre des [X.] angefallen und nicht als Werbungskosten abzugsfähig sind. Aufwendungen für einen Zivilprozess und vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten für einen Streit über mögliche Einnahmen des Steuerpflichtigen sind Werbungskosten, wenn der Gegenstand des Prozesses mit der Einkunftsart zusammenhängt, in deren Rahmen die Aufwendungen geltend gemacht werden (BFH-Urteile vom 19.07.2022 - IX R 18/20, [X.], 85, [X.] 2023, 173, Rz 19; vom 06.12.1983 - VIII R 102/79, [X.], 219, [X.] 1984, 314). Im Streitfall können sich aus der Erstattung der Rechtsverfolgungskosten keine steuerbaren Einnahmen ergeben, weil diese durch die nicht steuerbare Rückabwicklung der Darlehensverträge veranlasst waren.

Der angefochtene Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 18.11.2019 ist wie beantragt dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 32d Abs. 1 EStG ein Betrag in Höhe von 9.600 € nicht bei den laufenden Kapitalerträgen angesetzt wird.

Die Berechnung der Steuer wird dem [X.] übertragen (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 100 Abs. 2 Satz 2 [X.]O).

4. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

VIII R 21/21

07.11.2023

Bundesfinanzhof 8. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 14. Juli 2021, Az: 5 K 161/20, Urteil

§ 38 AO, § 20 Abs 1 Nr 7 EStG 2009, § 22 Nr 3 EStG 2009, § 346 BGB, § 348 BGB, § 357b BGB, § 2 Abs 1 S 1 Nr 5 EStG 2009, § 2 Abs 1 S 1 Nr 7 EStG 2009, EStG VZ 2018

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 07.11.2023, Az. VIII R 21/21 (REWIS RS 2023, 10322)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 10322

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