Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.01.2019, Az. 2 ARs 312/18

2. Strafsenat | REWIS RS 2019, 10860

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Gegenstand

Strafvollstreckungssache: Örtlich zuständige Strafvollstreckungskammer für die Anrechnung von Maßregelvollzugszeiten auf verfahrensfremde Freiheitsstrafen


Tenor

Die Untersuchung und Entscheidung der Sache wird der Strafvollstreckungskammer des [X.] übertragen.

Gründe

I.

1

Das [X.] hat am 23. September 2015 gegen den Verurteilten wegen Körperverletzung in zwei Fällen auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat erkannt und daneben gemäß § 64 StGB dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Wegen anderer Verurteilungen befand sich der Verurteilte bereits seit dem 13. November 2014 im Strafvollzug; am 25. November 2015 wurde er zur Vollstreckung der vorgenannten Maßregel in einem [X.] in H.        aufgenommen.

2

Die Strafvollstreckungskammer des [X.] hat mit Beschluss vom 28. August 2017 die im Urteil des [X.] vom 23. September 2015 angeordnete Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mangels hinreichend konkreter Aussicht auf Erfolg gemäß § 64 Satz 2, § 67d Abs. 5 Satz 1, § 67e Abs. 1 StGB für erledigt erklärt und den – nach Anrechnung in dieser Sache erlittenen Freiheitsentzug – noch nicht erledigten Rest der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem vorgenannten Urteil des [X.] nicht zur Bewährung ausgesetzt. Die gegen diesen Beschluss eingelegte sofortige Beschwerde des Verurteilten hat das [X.] mit Beschluss vom 28. September 2017 verworfen.

3

Am 6. September 2017 wurde der Verurteilte aus der [X.]einrichtung entlassen und in die [X.]        zur Verbüßung mehrerer Freiheitsstrafen verlegt. Derzeit verbüßt der Verurteilte aufgrund des Urteils des [X.] vom 1. Juli 2014 (8 Ds 42 Js 15081/14) eine Freiheitsstrafe von acht Monaten und im [X.] daran eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten aufgrund des Urteils des [X.] vom 19. November 2013 (8 Ds 42 Js 12241/13). Anschließend sind die [X.] aus den Urteilen des [X.] vom 1. Juli 2014 und 23. September 2015 mit einem Strafende am 4. November 2020 notiert.

4

Mit Schriftsatz vom 9. April 2018 hat der Verurteilte über seine Verteidigerin bei der Strafvollstreckungskammer des [X.] beantragt, den Vollzug der Maßregel in dem Zeitraum vom 1. Juni 2016 bis 28. August 2017 auf die noch zu verbüßenden Freiheitsstrafen aus den Urteilen des [X.] gemäß § 67 Abs. 6 StGB anzurechnen.

5

Die Verteidigerin hat auf den Hinweis der Strafvollstreckungskammer des [X.] bezüglich einer dortigen örtlichen Unzuständigkeit vom 20. April 2018 ausgeführt, dass nicht die Strafvollstreckungskammer des [X.], sondern die dortige Strafvollstreckungskammer örtlich zuständig sei, weil die Entscheidung über die Erledigung der Maßregel keine Entscheidung über die Anrechnung auf verfahrensfremde Strafen voraussetze und die Strafvollstreckungskammer des [X.] deshalb mit der Frage einer Anrechnung auf verfahrensfremde Strafen nie befasst gewesen sei.

6

Mit Beschluss vom 30. Juli 2018 hat sich die Strafvollstreckungskammer des [X.] hinsichtlich der Entscheidung nach § 67 Abs. 6 StGB für örtlich unzuständig erklärt und der Strafvollstreckungskammer des [X.] die Akten zur weiteren Veranlassung vorgelegt. Diese hat den Vorgang mit Beschluss vom 27. August 2018 dem [X.] gemäß § 14 StPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.

7

1. Der [X.] ist als gemeinschaftliches oberes Gericht der [X.] (Bezirk des [X.]) und [X.] (Bezirk des Oberlandesgerichts [X.]) für die Gerichtsstandsbestimmung zuständig.

8

2. Die Entscheidung über den Antrag des Verurteilten, den Vollzug der Maßregel in dem Zeitraum vom 1. Juni 2016 bis 28. August 2017 auf die noch zu verbüßenden Freiheitsstrafen aus den Verfahren 8 Ds 42 Js 12241/13 und 8 Ds 42 Js 15081/14 der Staatsanwaltschaft [X.] gemäß § 67 Abs. 6 StGB anzurechnen, obliegt der Strafvollstreckungskammer des [X.].

9

a) Soweit die Strafvollstreckungskammer des [X.] mit Beschluss vom 28. August 2017 über die weitere Unterbringung des Verurteilten entschieden und (lediglich) die Maßregel mangels hinreichend konkreter Aussicht auf Erfolg gemäß § 64 Satz 2, § 67d Abs. 5 Satz 1, § 67e Abs. 1 StGB für erledigt erklärt hat, hat sie ersichtlich keine (konkludente) Entscheidung zu § 67 Abs. 6 StGB getroffen. Demnach ist die Strafvollstreckungskammer des [X.] noch mit dieser zu treffenden Entscheidung „befasst“ im Sinne des § 462a Abs. 1 Satz 1, § 463 Abs. 1 StPO, denn zum Zeitpunkt der erforderlich gewesenen Entscheidung war der Verurteilte noch in einem zu ihrem Bezirk gehörenden [X.] aufgenommen gewesen. Dass sich der Verurteilte zum Zeitpunkt der Antragstellung am 9. April 2018 bereits seit sieben Monaten in der [X.]         befunden hat, steht dem deswegen nicht entgegen (vgl. auch Senat, Beschluss vom 8. Juli 1975 – 2 [X.], BGHSt 26, 165, 166).

b) Die Entscheidung über die Anrechnung des [X.] auch auf verfahrensfremde Freiheitsstrafen gemäß § 67 Abs. 6 StGB kann regelmäßig nicht isoliert von der Prüfung gemäß § 67e StGB erfolgen, sondern wird in der Regel gemeinsam mit dieser zu fällen sein.

Gemäß § 67 Abs. 6 StGB – eingeführt durch das „Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften“ vom 8. Juli 2016 ([X.] I, S. 1610), in [X.] seit dem 1. August 2016 – bestimmt das Gericht, dass eine Anrechnung des [X.] auch auf eine verfahrensfremde Strafe erfolgt, wenn deren Vollzug für die verurteilte Person eine unbillige Härte wäre.

aa) Bereits der Wortlaut des Gesetzes in § 67 Abs. 6 StGB legt – wie auch der [X.] in seiner Antragsschrift ausführt – nahe, dass die Strafvollstreckungskammer, die zur Entscheidung gemäß § 67e Abs. 1 StGB berufen ist, zugleich die Voraussetzungen des § 67 Abs. 6 StGB zu prüfen hat.

bb) Die systematische Einbettung der Vorschrift spricht ebenfalls dafür.

Eine Anrechnung des [X.] auf eine verfahrensfremde Strafe ist nur möglich, wenn der Vollzug für den Verurteilten eine „unbillige Härte“ wäre, damit die Kumulation von Straf- und Maßregelvollzug nicht zu einem übermäßigen Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des Verurteilten führt, den der Gesetzgeber mit der Umsetzung der Entscheidung des [X.] vom 27. März 2012 ([X.].: 2 BvR 2258/09, [X.] 130, 372) vermeiden wollte (vgl. BT-Drucks. 18/7244, [X.] ff.).

Gemäß § 67 Abs. 6 Satz 2 StGB sind bei der zu treffenden Entscheidung insbesondere das Verhältnis der Dauer des bisherigen Freiheitsentzugs zur Dauer der verhängten Strafen, der erzielte Therapieerfolg und seine konkrete Gefährdung durch eine weitere Vollstreckung der Strafe sowie das Verhalten des Verurteilten im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Allerdings müssen die drei explizit in § 67 Abs. 6 Satz 2 StGB genannten Kriterien nicht zwingend kumulativ vorliegen, sondern sie sind vielmehr „neutral formuliert“ in die einzelfallbezogene Gesamtabwägung einzubeziehen und im Verhältnis zueinander zu gewichten (vgl. BT-Drucks. 18/7244, [X.]). Für die Umsetzung dieses Regelungskonzepts kommt es somit entscheidend auf die [X.] im Einzelfall an, die von der Strafvollstreckungskammer, die bereits mit der Entscheidung nach § 67e Abs. 1 StGB befasst ist, bereits aufgrund ihrer Sachnähe besser beurteilt werden kann.

cc) Letztlich entspricht dieses Ergebnis auch dem der Gesetzesbegründung zu entnehmenden Sinn und Zweck der Regelung, wonach „in der Praxis […] die Frage, ob ein Härtefall im Sinne des § 67 Absatz 6 [X.] vorliegt, in der Regel mit der Frage, ob eine Entlassung aus dem Vollzug der Maßregel insbesondere nach § 67d StGB sowie eine Aussetzung des [X.]s nach § 57 StGB in Betracht kommt, zusammenfallen (wird), so dass sich eine gemeinsame Entscheidung durch das Gericht zur Beschleunigung des Verfahrens anbietet.“ (BT-Drucks. 18/7244, S. 26).

Eine Entscheidung gemäß § 67 Abs. 6 StGB ist mithin regelmäßig mit dem Ende des [X.] zu treffen (vgl. auch [X.]/[X.], 3. Aufl., § 67 Rn. 122b), zumal sich nach Beendigung des [X.] grundsätzlich keine neuen in die Gesamtabwägung einzustellenden Erkenntnisse zum Verlauf und Erfolg des [X.] ergeben können. Die Strafvollstreckungskammer, die eine Entscheidung nach § 67e Abs. 1 StGB zu treffen hat, ist somit regelmäßig schon mit der Entscheidung nach § 67 Abs. 6 Satz 1 StGB befasst.

Das ist hier die Strafvollstreckungskammer des [X.], die über den Antrag des Verurteilten, den Vollzug der Maßregel in dem Zeitraum vom 1. Juni 2016 bis 28. August 2017 auf die noch zu verbüßenden Freiheitsstrafen aus den Urteilen des [X.] gemäß § 67 Abs. 6 StGB anzurechnen, zuständigkeitshalber zu entscheiden hat.

[X.]     

        

Appl     

        

     Zeng

        

Grube     

        

RiBGH [X.] ist
urlaubsbedingt gehindert
zu unterschreiben.

        
                          

[X.]

        

Meta

2 ARs 312/18

30.01.2019

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARs

§ 14 StPO, § 57 StGB, § 64 S 2 StGB, § 67 Abs 6 S 1 StGB, § 67d Abs 5 S 1 StGB, § 67e Abs 1 StGB, § 462a Abs 1 S 1 StPO, § 463 Abs 1 StPO, UnterbrRNovGuaÄndG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.01.2019, Az. 2 ARs 312/18 (REWIS RS 2019, 10860)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 10860

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