Bundesfinanzhof, Beschluss vom 12.08.2013, Az. VI B 101/12

6. Senat | REWIS RS 2013, 3526

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Keine grundsätzliche Bedeutung bei ausgelaufenem Recht - Ruhen des Verfahrens - Keine grundsätzliche Bedeutung bei behaupteten Ermessensfehlern - Anforderungen an die Darlegung eines sog. qualifizierten Rechtsanwendungsfehlers - Keine Revisionszulassung bei Angriffen gegen die Tatsachenwürdigung durch das FG


Leitsatz

1. NV: Die Rechtsfrage, ob ein Einspruchsverfahren nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO i.d.F. der Bekanntmachung der Abgabenordnung vom 1. Oktober 2002 zu ruhen hat, wenn bei dem EGMR ein Verfahren wegen einer auch für das Einspruchsverfahren bedeutsamen Rechtsfrage anhängig ist, betrifft ausgelaufenes Recht und hat mithin keine grundsätzliche Bedeutung.

2. NV: Die Frage, ob Ermessensfehler vorliegen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Sie ist deshalb allgemeinen Aussagen von grundsätzlicher Bedeutung regelmäßig nicht zugänglich.

3. NV: Zu den Darlegungsanforderungen bei einem sog. qualifizierten Rechtsanwendungsfehler.

4. NV: Mit Angriffen gegen die Tatsachenwürdigung des FG werden keine Verfahrensmängel geltend gemacht, sondern materiell-rechtliche Fehler gerügt, die nicht zur Zulassung der Revision führen können.

Tatbestand

1

I. Streitig ist die Zulassung der Revision wegen der Rechtsfrage, ob ein Einspruchsverfahren zu ruhen hat, wenn bei dem [X.] ([X.]) ein Verfahren wegen einer auch für das Einspruchsverfahren bedeutsamen Rechtsfrage anhängig ist.

2

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) legte gegen die Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr 2007 Einspruch ein, mit dem er die vorläufige Festsetzung, hilfsweise das Ruhen des [X.] begehrte. Denn zu der auch ihn benachteiligenden Nichtberücksichtigung pauschaler Erwerbsaufwendungen in Höhe der steuerfreien Aufwandsentschädigungen nach § 12 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des [X.] seien zwei Verfahren bei dem [X.] anhängig.

3

Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos. Die dagegen erhobene Klage wies das [X.] ([X.]) ab. Zum einen seien die Voraussetzungen der [X.] nach § 363 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung [X.]) i.d.F. der Bekanntmachung der Neufassung der Abgabenordnung vom 1. Oktober 2002 ([X.], 3866) nicht gegeben, da der [X.] nicht unter den in dieser Vorschrift genannten "[X.]" falle. Zum anderen sei der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) auch nicht nach § 363 Abs. 2 Satz 1 [X.] zu einem Ruhen des Verfahrens verpflichtet gewesen. Eine dazu erforderliche Ermessensreduzierung auf Null komme nicht in Betracht; auch seien insoweit Ermessensfehler nicht erkennbar.

4

Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision. Das [X.] hält die Beschwerde für unbegründet.

Entscheidungsgründe

5

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe sind entweder nicht gegeben oder nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) entsprechend dargelegt.

6

1. Entgegen der Auffassung des [X.] hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O.

7

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig sein (ständige Rechtsprechung, etwa Senatsbeschluss vom 24. Mai 2012 VI B 120/11, [X.], 1438, m.w.N.).

8

a) Die von dem Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, ob der "[X.]" i.S. des § 363 Abs. 2 Satz 2 [X.] i.d.F. der Bekanntmachung der Neufassung der Abgabenordnung vom 1. Oktober 2002 auch den [X.] umfasst, begründet die Zulassung der Revision nicht.

9

Diese Rechtsfrage betrifft ausgelaufenes Recht. Denn nach Art. 11 Nr. 26 des Gesetzes zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften ([X.]) vom 26. Juni 2013 ([X.], 1809) wurden in § 363 Abs. 2 Satz 2 [X.] die Wörter "[X.]" durch die Wörter "Gerichtshof der [X.]" ersetzt; diese Änderung trat am Tag nach der Verkündung des [X.] in [X.] (Art. 31 Abs. 1 [X.]).

Indessen rechtfertigen Rechtsfragen, die sich nur aufgrund von ausgelaufenem Recht stellen, regelmäßig nicht eine Zulassung der Grundsatzrevision (Senatsbeschluss vom 28. April 2010 VI B 167/09, [X.], 272, [X.], 747, m.w.N.). Dies gilt ausnahmsweise dann nicht, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft weiterhin stellen kann, wie dies bei Fragen aus fortgeltendem Recht regelmäßig der Fall ist (vgl. Beschluss des [X.] --BFH-- vom 14. Februar 2007 IX B 177/06, [X.], 1099, m.w.N.).

Demnach scheidet hier eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung aus. Die Beantwortung der von dem Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage kann für die Anwendung des Rechts in der Zukunft nicht mehr richtungweisend sein. Gründe, die eine Zulassung der Revision ausnahmsweise rechtfertigen, hat der Kläger nicht substantiiert dargelegt; sie sind für den beschließenden Senat auch nicht ersichtlich.

b) Soweit der Kläger die Rechtsfrage aufwirft, ob ein [X.] es ohne Ermessensfehler ablehnen kann, ein Einspruchsverfahren trotz eines anhängigen Verfahrens vor dem [X.] nach § 363 Abs. 2 Satz 1 [X.] ruhen zu lassen, kommt dieser ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung zu.

aa) Denn § 363 Abs. 2 Satz 1 [X.] ist eine Ermessensvorschrift, sodass die Frage, ob Ermessensfehler vorliegen, von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Sie ist deshalb allgemeinen Aussagen von grundsätzlicher Bedeutung regelmäßig nicht zugänglich (vgl. [X.] vom 10. Mai 2012 X B 183/11, [X.], 1570, m.w.N.) und kann daher nicht zur Zulassung der Revision führen.

bb) Etwas anderes kann dann gelten, wenn zum einen aufgrund bestimmter Umstände eine Ermessensreduzierung auf Null in Frage steht und zum anderen diese Umstände ihrerseits nicht nur solche des Einzelfalls sind.

Bereits an Ersterem fehlt es; eine Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen von § 363 Abs. 2 Satz 1 [X.] kommt nicht in Betracht. Dies ergibt sich aus dem Nebeneinander von § 363 Abs. 2 Satz 1 [X.] und § 363 Abs. 2 Satz 2 [X.] i.d.F. der Bekanntmachung der Neufassung der Abgabenordnung vom 1. Oktober 2002. Falls letztere Regelung so zu verstehen gewesen sein sollte, dass sie den [X.] umfasste, war § 363 Abs. 2 Satz 1 [X.] von vornherein nicht einschlägig. Falls § 363 Abs. 2 Satz 2 [X.] i.d.F. der Bekanntmachung der Neufassung der Abgabenordnung vom 1. Oktober 2002 den [X.] nicht umfasst haben sollte, konnte eine Verfahrensruhe wegen eines vor dem [X.] betriebenen Verfahrens nicht nach § 363 Abs. 2 Satz 1 [X.] zwingend sein ([X.] in [X.], 1570).

2. Da die Rechtsfortbildungsrevision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2  1. Alternative [X.]O ein besonderer Fall der Grundsatzrevision ist ([X.] vom 8. Oktober 2012 I B 22/12, [X.], 389, m.w.N.), kommt eine Revisionszulassung aus den unter 1. dargelegten Gründen ebenfalls nicht in Betracht.

3. Überdies ist die Revision auch nicht deshalb zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alternative [X.]O zuzulassen, weil --wie der Kläger meint-- das Urteil unter schweren [X.]n leide. Hierzu hätte der Kläger nach § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O u.a. substantiiert darlegen müssen, weshalb das angefochtene Urteil willkürlich und unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar erscheint (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Juni 2012 VI B 108/11, [X.], 1612, m.w.N.). Diesen Darlegungserfordernissen entspricht der Vortrag des [X.] nicht. Mit seiner Rüge, das [X.] habe die Ermessensentscheidung des [X.] nicht überprüft und habe das klägerische Vorbringen insoweit nicht berücksichtigt, hat der Kläger die genannten Voraussetzungen eines sog. qualifizierten [X.]s nicht substantiiert dargelegt. Er setzt hier lediglich seine Beurteilung der Sach- und Rechtslage an die Stelle der Bewertung des [X.]. Mit den Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit der Vorentscheidung einschließlich der Tatsachen- und Beweiswürdigung des [X.] macht der Kläger indes bloße [X.] geltend, die die Zulassung der Revision nicht rechtfertigen (vgl. Senatsbeschluss in [X.], 1612).

4. Mit seiner Rüge, das [X.] habe die Ermessensentscheidung des [X.] zu § 363 Abs. 2 Satz 1 [X.] nicht überprüft und wesentliche rechtliche Gesichtspunkte zur Auslegung des § 363 Abs. 2 Satz 2 [X.] i.d.F. der Bekanntmachung der Neufassung der Abgabenordnung vom 1. Oktober 2002 außer [X.] gelassen, sodass deshalb Verfahrensfehler vorlägen, macht der Kläger nach dem sachlichen Gehalt seines [X.] keinen Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O geltend. Er wendet sich vielmehr gegen die nach seiner Ansicht fehlerhafte Tatsachenwürdigung des [X.]; die hierin liegende Rüge, das Urteil des [X.] sei materiell-rechtlich fehlerhaft, kann nicht zur Zulassung der Revision führen ([X.] vom 16. Dezember 2005 IX B 38/05, [X.], 772, m.w.N.).

5. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2  2. Halbsatz [X.]O).

Meta

VI B 101/12

12.08.2013

Bundesfinanzhof 6. Senat

Beschluss

vorgehend FG Köln, 9. Mai 2012, Az: 5 K 3607/11, Urteil

Art 11 Nr 26 AmtshilfeRLUmsG, Art 31 Abs 1 AmtshilfeRLUmsG, § 12 AbgG, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, § 116 Abs 5 S 2 Halbs 2 FGO, § 363 Abs 2 S 1 AO, § 363 Abs 2 S 2 AO vom 01.10.2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 12.08.2013, Az. VI B 101/12 (REWIS RS 2013, 3526)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3526

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VI B 99/12 (Bundesfinanzhof)

Keine grundsätzliche Bedeutung bei ausgelaufenem Recht - Ruhen des Verfahrens - Keine grundsätzliche Bedeutung bei …


X B 183/11 (Bundesfinanzhof)

(Keine Zwangsruhe im Einspruchsverfahren bei vorläufiger Steuerfestsetzung - Verfahrensruhe bei Bezugsverfahren vor dem EGMR - …


X R 32/08 (Bundesfinanzhof)

(Beendigung der Verfahrensruhe im Einspruchsverfahren durch Vorläufigkeitsvermerk - Rechtsschutz - Voraussetzungen für Eintritt und Beendigung …


IV B 27/20 (Bundesfinanzhof)

Zerlegung des Gewerbesteuermessbetrags bei einem Solarpark


X B 152/16 (Bundesfinanzhof)

Vorläufigkeitsvermerk - Teil-Einspruchsentscheidung und Zwangsruhe


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.