Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.05.2018, Az. 4 StR 51/17

4. Strafsenat | REWIS RS 2018, 8685

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[X.]:[X.]:[X.]:2018:240518B4STR51.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 51/17

vom
24. Mai
2018
in der Strafsache
gegen

wegen Beihilfe zum Mord

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat am 24.
Mai 2018 beschlossen:

1.
Das Verfahren wird eingestellt.
2.
Der Staatskasse fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten zur Last.
3.
Die Staatskasse ist nicht verpflichtet, den Angeklagten für er-littene Strafverfolgungsmaßnahmen zu entschädigen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten am
17.
Juni 2016 wegen Beihilfe zum Mord in 170.000 tateinheitlich zusammentreffenden Fällen zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen hat der Angeklagte [X.] Revision eingelegt und diese

ebenfalls rechtzeitig

mit der Sachrüge
begründet. Zudem haben 21
Nebenkläger gegen das Urteil des [X.] Revision eingelegt.
Am 30.
Mai 2017 ist der Angeklagte verstorben, während das Revisionsverfahren noch bei dem [X.] anhängig war.
I.
Das Verfahren ist gemäß §
206a Abs.
1 [X.] einzustellen, weil durch den Tod des Angeklagten ein Verfahrenshindernis eingetreten ist (vgl. [X.], 1
2
-
3
-
Beschluss vom
30.
Juli 2014

2
StR
248/14, [X.], 349 [[X.]]; [X.] vom 13.
Februar 2014

1
StR
631/13, [X.], 160; Beschluss vom 5.
August 1999

4
StR
640/98, [X.]R [X.] §
467 Abs.
3 Verfahrenshin-dernis
2). Das angefochtene Urteil ist damit gegenstandslos ([X.], Beschluss vom 13.
Februar 2014

1
StR
631/13, [X.], 160).
II.
Infolge der Verfahrenseinstellung fallen nach §
467 Abs.
1 [X.] sowohl die Verfahrenskosten als auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last. Der [X.] sah keinen Anlass, von der Möglichkeit des §
467 Abs.
3 Satz
2 Nr.
2 [X.] Gebrauch zu machen und von einer Überbür-dung der notwendigen Auslagen des Angeklagten auf die [X.]. Zwar ist der Angeklagte nur deshalb nicht verurteilt worden, weil das [X.] eingetreten ist; es liegen aber keine weiteren besonderen Um-stände vor, die es billig erscheinen lassen, eine Auslagenerstattung zu ver-sagen.
1.
Die Voraussetzungen für eine Anwendung von §
467 Abs.
3 Satz
2 Nr.
2 [X.] sind gegeben.
a)
Im Revisionsverfahren ist dafür maßgeblich, ob das Rechtsmittel des Angeklagten

ohne Berücksichtigung des [X.]

Erfolg ge-habt hätte (vgl. [X.], Beschluss
vom 15.
März 2016

2
StR
509/15, Rn.
3;
Beschluss vom 15.
September 2009

1
StR
358/09, [X.], 32; [X.],
[X.],
26.
Aufl., §
467 Rn.
53; [X.]/[X.], [X.], 61.
Aufl., §
467 Rn.
16).
Dabei sind die Voraussetzungen des §
467 Abs.
3 Satz
2 Nr.
2 [X.] schon dann erfüllt, wenn der Schuldspruch bei ungestörtem 3
4
5
-
4
-
Fortgang des Revisionsverfahrens in Rechtskraft erwachsen wäre ([X.], [X.] vom 13.
Februar 2014

1
StR
631/13, [X.], 160; vgl. auch Beschluss vom 5.
August 1999

4
StR
640/98, [X.]R [X.] §
467 Abs.
3 [X.]
2 für eine auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte [X.]). Ob neben dem Schuldspruch auch der Strafausspruch Bestand gehabt hätte, ist für die Kostenentscheidung ohne Bedeutung (vgl. [X.], Beschluss vom 13.
Februar 2014

1
StR
613/13, [X.], 160).
b)
Der Schuldspruch wegen Beihilfe zum Mord hätte revisionsrechtlicher Überprüfung standgehalten.
aa)
Nach den Feststellungen des [X.] war der Angeklagte
seit Juli 1940 Mitglied der [X.]. Nach einer schweren Kriegsverletzung [X.] zugeteilt, dem die Sicherung des gesamten Lagergeschehens ein-schließlich des Umstellens der ankommenden Deportationszüge und der Be-gleitung der zur Tötung ausgewählten Personen (Kinder bis zum Alter von 15
Jahren und deren Mütter, alte und behinderte Menschen, andere für nicht arbeitsfähig erachtete Menschen) auf dem Weg in die Gaskammern oblag. Im Tatzeitraum (1.
Januar 1943 bis 12.
Juni 1944) war der Angeklagte Mitglied der 3.

Lagerbereiche und nach der weitgehenden organisatorischen Trennung der Teillager ([X.]
I

[X.], [X.]
II

Birkenau und [X.]
III

Außenlager Monowitz) am 22.
November 1943 dem [X.] (Au-schwitz
I) zugeteilt war. Während des gesamten Zeitraums leistete der Ange-

handelte es sich um mit Wachtürmen versehene Bewachungslinien. Bis zur Fertigstellung der neuen Eisenbahnrampe im Lager [X.]
II

Birkenau im 6
7
-
5
-
Mai 1944 sicherte der Angeklagte außerdem in mindestens drei Fällen an der sog. Alten Rampe

leistete darüber hinaus auch Wachdienste bei Außeneinsätzen von Häftlingen.
Nach Auffassung des [X.] hat sich der Angeklagte durch seine Tätigkeit als Mitglied des Totenkopfsturmbanns

im Tatzeitraum der Beihilfe zum Mord (heimtückisch und grausam) in 170.000
Fällen schuldig gemacht. Dabei hat es ihm sowohl die Tötungen durch Vergiftung mit Zyklon
B in den Gaskammern als auch die Tötungen durch die gezielte Schaffung von das Le-ben der Häftlinge zerstörenden Umständen (Mangelversorgung, völlig überstei-gerte Arbeitsbelastung etc.) sowie die im [X.] ([X.]
I) erfolgten Erschießungen zugerechnet. Der Angeklagte habe durch seine Dienstverrich-tung

gleichgültig an welcher Stelle er eingesetzt gewesen sei

den reibungs-losen Ablauf der Massentötungen gewährleistet. Im Übrigen müsse er sich über seinen individuellen Tatbeitrag hinaus aufgrund der arbeitsteiligen [X.] bei der Ermordung der Menschen im Lager die Hilfeleistungen der ande--

bb)
Der [X.] vermag dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe noch zu entnehmen, dass der Angeklagte im Tatzeitraum wenigstens einen [X.] heimtückischen und grausamen Tötungen
dieser Menschen durch Vergiftung mittels Zyklon
B konkret gefördert und sich damit der Beihilfe zum Mord im Sinne der §§
211, 27 StGB schuldig gemacht (vgl. [X.], [X.] vom 20.
September 2016

3
StR
49/16, [X.]St 61, 252, 259
[für die 8
9
-
6
-
Wachtätigkeit
an
548; [X.], [X.], 500, 501). Ob die von der [X.] ange-nommene Anzahl von drei Rampendiensten bezogen auf den Tatzeitraum hin-reichend belegt ist, kann unter diesen Umständen dahinstehen, da
dies nur den [X.] und damit die Straffrage betrifft.
cc)
Aus dem gleichen Grund kann auch offen bleiben, ob das [X.] eine Beihilfe zum Mord zutreffend auch hinsichtlich derjenigen Menschen angenommen hat, die im Tatzeitraum ohne einen festgestellten konkreten [X.] zu [X.] des Angeklagten in den verschiedenen [X.] durch die Vergiftung mit Zyklon
B, die Lebensumstände und durch Erschießen zu Tode gebracht wurden. Allein die Zugehörigkeit des Angeklagten zu der für die umfassende Absicherung des Lagers zuständigen Organisationseinheit Einheit abgesicherten Tötungen unter dem Gesichtspunkt der Beihilfe
jedenfalls auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung nicht ohne Weiteres zu be-gründen (vgl. [X.], Beschluss vom 20.
September 2016

3
StR
49/16, [X.]St 61, 252, 258
ff.; Urteil vom 20.
Februar 1969

2
StR
280/67, NJW 1969, 2056, 2057; [X.], [X.], 546, 550; siehe auch [X.], [X.], 264, 265
f. [zur Beteiligung an Massenerschießungen]).
2.
Im Rahmen der danach zu treffenden Ermessensentscheidung belässt es der [X.] bei einer Auslagenerstattung durch die Staatskasse.
a)
Als Ausnahme von §
467 Abs.
1 [X.] eröffnet §
467 Abs.
3 Satz
2 Nr.

der notwendigen Auslagen abzusehen, wenn der Angeklagte nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Dabei ist dem Ausnahme-10
11
12
-
7
-
charakter dieser Vorschrift
Rechnung zu tragen (vgl. [X.], Beschluss
vom 26.
Mai 2017

2
BvR
1821/16, [X.], 2459; Beschluss vom 29.
Oktober 2015

2
BvR
388/13, [X.], 159, 160). Da es bereits den tatbestand-lichen Voraussetzungen des §
467 Abs.
3 Satz
2 Nr.
2 [X.] entspricht, dass der Verurteilung lediglich ein Verfahrenshindernis entgegensteht, müssen hier-zu weitere besondere Umstände hinzutreten, die es billig erscheinen lassen, dem Angeklagten die Auslagenerstattung zu versagen (vgl. [X.], Beschluss
vom 26.
Mai 2017

2
BvR
1821/16, [X.], 2459; Beschluss vom 29.
Okto-ber 2015

2
BvR
388/13, [X.], 159
f.; Beschluss vom 21.
Mai 2004

2
BvR
1226/03,
Rn.
16; [X.],
[X.],
26.
Aufl., §
467 Rn.
56; [X.]/[X.], [X.],
61.
Aufl.,
§
467 Rn.
18). Die
für die [X.] herangezogenen Umstände dürfen dabei nicht in der dem Verfahren
zugrunde liegenden Tat

also etwa der Schwere der Schuld

gefunden wer-den ([X.], NJW 1991, 506, 507; KK-[X.]/[X.], 7.
Aufl., §
467 Rn.
10b; [X.], [X.], 26.
Aufl., §
467 Rn.
60; SK-[X.]/[X.], 4.
Aufl., §
467 Rn.
32; aA KMR-[X.]/Stöckel, 45.
Ergänzungslieferung, §
467 Rn.
26). Gegen eine Auslagenerstattung
durch die Staatskasse
kann insbesondere sprechen, dass das Verfahrenshindernis auf einem vorwerfbaren prozessualen Fehlver-halten des Angeklagten beruht (vgl. [X.],
NJW 1991, 506, 507
f.;
KK-[X.]/[X.], 7.
Aufl., §
467 Rn.
10b; [X.]/[X.], [X.], 61.
Aufl., §
467 Rn.
18; SSW-[X.]/[X.], 2.
Aufl., §
467 Rn.
26). Für eine Belastung der Staatskasse mit den Auslagen des Angeklagten spricht da-gegen, dass das Bestehen des [X.] erkennbar oder sein Eintritt vorhersehbar
war
(vgl. KG, [X.] 1991, 479; [X.], [X.] 2013, 526, 527
[nicht unvorhersehbarer Eintritt von [X.]]; [X.], [X.] 1997, 18, 19).
-
8
-
b)
Daran gemessen sind keine besonderen Umstände gegeben, die ein Abweichen vom Regelfall des §
467 Abs.
1 [X.] als billig erscheinen ließen.
aa)
Der Eintritt des [X.] war vorhersehbar und beruht nicht auf einem vorwerfbaren Fehlverhalten des Angeklagten.
Der Angeklagte wurde erst fast 71
Jahre nach Begehung der ihm ange-lasteten Tat im Alter von 93
Jahren angeklagt. Diesen Zeitablauf hat der Ange-klagte nicht zu vertreten; insbesondere hat er sich seiner Strafverfolgung zu keiner Zeit entzogen. Ausweislich der Feststellungen zu seiner Person lebte er nach dem 2.
Weltkrieg durchgängig in [X.] und betrieb bis zu seiner Pensionierung ein Molkereigeschäft in L.

.
Er hat auch den Eintritt seines Todes nicht etwa schuldhaft herbeigeführt oder beschleunigt. Nach dem zu seiner Verhandlungsfähigkeit eingeholten Sachverständigengutachten litt er zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehreren Jahren an chronisch verlaufenden somatischen Erkrankungen und befand sich nur wenige Monate vor Beginn der Hauptverhandlung mehrwöchig in [X.] Krankenhausbehandlung. Ausweislich des angefochtenen Urteils haben die mehrmonatige Hauptverhandlung und die mit ihr verbundene mediale [X.] zu einer Verschlechterung seines Zustandes beigetragen.
bb)
Auch im Übrigen sind keine Gesichtspunkte ersichtlich, die es [X.] könnten, die notwendigen Auslagen des Angeklagten ausnahmsweise bei diesem zu belassen.
Dies gilt auch mit Blick darauf, dass das Rechtsmittel des Angeklagten hinsichtlich eines erheblichen Teils des [X.]s jeden-falls nicht offensichtlich unbegründet im Sinne des §
349 Abs.
2 [X.] gewesen wäre.
13
14
15
16
17
-
9
-
III.
Die Nebenkläger tragen ihre notwendigen Auslagen selbst. Eine Erstat-tung dieser Auslagen kommt bei einer Einstellung wegen eines Verfahrenshin-dernisses nicht in Betracht (vgl. [X.], Beschluss vom 15.
März 2016

2
StR 509/15, Rn.
3; Beschluss vom 30.
Juli 2014

2
StR
248/14, [X.], 349 [[X.]]; Beschluss vom 23.
August 2012

4
StR
252/12, [X.], 359
[[X.]]; Beschluss vom 2.
Oktober 2008

1
StR
388/08, [X.], 21; [X.] vom 5.
August 1999

4
StR
640/98, [X.]R [X.] §
467 Abs.
3 Verfah-renshindernis
2; [X.],
[X.], 26.
Aufl., §
472 Rn.
4; [X.]/[X.], [X.], 61.
Aufl., §
472 Rn.
2). Dies ist in der [X.] nicht gesondert auszusprechen (vgl. [X.], Beschluss vom 23.
August 2012

4
StR
252/12, [X.], 359 [[X.]]).
IV.
Ein Entschädigungsanspruch gegen die Staatskasse
für die Durchsu-chung der
Wohnung des Angeklagten am 19.
Februar 2014 besteht nicht.
Zwar handelt es sich bei der Durchsuchung um eine nach §
2 Abs.
2 Nr.
4 StrEG entschädigungspflichtige Maßnahme. Eine Entschädigung ist hier aber nach §
5 Abs.
2 Satz
1
StrEG ausgeschlossen, weil der Angeklagte diese Maßnahme grob fahrlässig verursacht hat. Wird ein Verfahren wegen eines [X.] eingestellt, kann sich eine grob fahrlässige Verursa-chung der Maßnahme auch aus der Tatbegehung als solcher ergeben, wenn deshalb bei der Anordnung der Strafverfolgungsmaßnahme ein entsprechender Verdacht gegeben war (vgl. [X.], Beschluss vom 19.
Dezember 1979

3
StR 396/79, [X.]St 29, 168, 172; Beschluss vom 1.
März 1995

2
StR
331/94, 18
19
20
-
10
-
NJW 1995, 1297, 1301; [X.], NStZ 1981, 484; [X.]/
[X.], [X.], 61.
Aufl., §
5 StrEG Rn.
9). Dies war hier jedenfalls in Bezug auf

Sost-Scheible
Roggenbuck
Quentin

Feilcke
Paul

Meta

4 StR 51/17

24.05.2018

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.05.2018, Az. 4 StR 51/17 (REWIS RS 2018, 8685)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 8685

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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4 StR 51/17

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