Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.03.2005, Az. X ZB 26/04

X. Zivilsenat | REWIS RS 2005, 4300

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

[X.] vom 30. März 2005 in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja [X.]: ja [X.]R: ja
Aussetzung wegen Parallelverfahren
ZPO § 148; [X.] [X.]. 234

a) Der Umstand, daß beim [X.] ein Revisionsverfahren an-hängig ist, in dem über eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, von deren Beantwortung auch die Entscheidung eines zweiten Rechtsstreits ganz oder teilweise abhängt, rechtfertigt die Aussetzung der Verhandlung des zweiten Rechtsstreits grundsätzlich nicht.
b) Es bleibt offen, ob eine solche Aussetzung bis zur Entscheidung des [X.] der Europäischen Gemeinschaften über ein die gleiche Rechts-frage betreffendes Vorabentscheidungsersuchen erfolgen darf.
[X.], [X.]uß vom 30. März 2005 - [X.] - OLG Koblenz
LG Bad Kreuznach - 2 -

- 3 -

[X.] [X.]es hat durch [X.] [X.], [X.], die Richterin Mühlens und die Richter Prof. Dr. Meier-Beck und [X.] am 30. März 2005

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der [X.]uß des 1. Zivilsenats des [X.] vom 22. September 2004 aufgehoben.

Gründe:

[X.] Die Klägerin nimmt die beklagten Landwirte auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung für den Nachbau teils nach Gemeinschafts-recht, teils nach dem Sortenschutzgesetz geschützter Getreidesorten in den Wirtschaftsjahren 1997/98 bis 1999/2000 in Anspruch.
Das [X.] hat die Beklagten im wesentlichen antragsgemäß ver-urteilt. - 4 -

Das Berufungsgericht hat die Verhandlung bis zur rechtskräftigen Ent-scheidung der Verfahren vor dem [X.] mit den Aktenzeichen [X.], [X.] und [X.] ausgesetzt.
Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Rechtsbe-schwerde der Klägerin.
I[X.] Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen [X.]usses.
1. Das Berufungsgericht hat die Aussetzung der Verhandlung, der die Beklagten, nicht aber die Klägerin zugestimmt haben, damit begründet, daß der [X.], bei dem drei Parallelverfahren mit einem vergleichba-ren Streitgegenstand anhängig seien, den Gerichtshof der Europäischen Ge-meinschaften um eine Vorabentscheidung ersucht habe. Bei dieser Sachlage erachte es der [X.]at gerade auch im Interesse der Parteien (u.a. im [X.]) für angemessen, die Verhandlung entsprechend § 148 ZPO auszuset-zen, da in den beim [X.] anhängigen Verfahren abschließend über den geltendgemachten Entschädigungsanspruch der Klägerin in [X.] Fällen entschieden werde.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Nach § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, an-ordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei. Die Aus-- 5 -

setzung der Verhandlung setzt damit Vorgreiflichkeit der in dem anderen Rechtstreit oder dem Verwaltungsverfahren zu treffenden Entscheidung im Sinne einer (zumindest teilweise) präjudiziellen Bedeutung voraus ([X.]/[X.][X.], ZPO, 63. Aufl., § 148 Rdn. 4; Musielak/[X.], ZPO, 4. Aufl., § 148 Rdn. 5; [X.]/[X.]/[X.], ZPO, 26. Aufl., § 148 Rdn. 3; [X.]/[X.], ZPO, 25. Aufl., § 148 Rdn. 5; vgl. auch [X.], [X.]. v. 10.7.2003 - [X.], NJW 2003, 3057). Diese Voraussetzung ist im [X.] nicht erfüllt, da den beim [X.]at anhängigen anderen Verfahren, an denen die Beklagten nicht beteiligt sind, im Hinblick auf das Streitverfahren allenfalls die Bedeutung eines Musterprozesses zukommt.
Soweit in der Literatur eine Aussetzung bereits dann für möglich gehal-ten wird, wenn ein rein tatsächlicher Einfluß in Betracht kommt, den Vorgänge in einem anderen Prozeß, wie etwa eine Beweisaufnahme, oder die Entschei-dung des anderen Verfahrens auf die Entscheidung in dem zweiten Verfahren ausüben könnten (in diesem Sinne etwa [X.] in [X.], 2. Aufl., § 148 Rdn. 10), kann dem nicht gefolgt werden. § 148 ZPO stellt nicht auf sachliche oder tatsächliche Zusammenhänge zwischen verschiedenen Verfah-ren, sondern auf die Abhängigkeit vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab. Allein die tatsächliche Möglichkeit eines Einflusses genügt dieser gesetzlichen Voraussetzung nicht und wäre im übrigen auch ein konturenloses Kriterium, das das aus dem Justizgewährleistungsanspruch fol-gende grundsätzliche Recht der [X.] auf Entscheidung ihres Rechtsstreits in [X.] beeinträchtigen würde.
b) Die Aussetzung der Verhandlung wird aber auch nicht durch eine entsprechende Anwendung der Vorschrift des § 148 ZPO, wie sie das [X.] für möglich gehalten hat, gerechtfertigt. - 6 -

aa) Daß in einem anderen Verfahren über einen gleich oder ähnlich gelagerten Fall nach [X.] eines Musterprozesses entschieden werden soll, rechtfertigt für sich genommen noch keine Analogie zu der in § 148 ZPO [X.] Fallkonstellation. Denn die Vorschrift dient zwar auch der [X.], indem sie die Gerichte vor der doppelten Befassung mit zumindest teil-weise identischem Streitstoff bewahrt ([X.].[X.]. [X.] - [X.], GRUR 2004, 710 - [X.], für [X.] 158, 372 vorgesehen; [X.], [X.]. v. 25.3.1998 - [X.], NJW 1998, 1957; [X.]. v. 17.12.1997 - [X.] 32/97, [X.], 1023). Darin erschöpft sich der Zweck der Norm jedoch nicht; § 148 ZPO enthält keine allgemeine Ermächtigung, die Verhandlung eines Rechtsstreits zur Abwendung einer ver-meidbaren Mehrbelastung des Gerichts auszusetzen. Vielmehr ist die [X.] grundsätzlich nur dann eröffnet, wenn die Entscheidung in dem einen Rechtsstreit die Entscheidung des anderen rechtlich beeinflussen kann.
[X.]) Ist die Verfassungsmäßigkeit eines entscheidungserheblichen Gesetzes Gegenstand einer anhängigen Verfassungsbeschwerde oder Rich-tervorlage, ist es hiernach zulässig, die Verhandlung in entsprechender An-wendung des § 148 ZPO auszusetzen, solange sich das erkennende Gericht nicht von der Verfassungswidrigkeit des entscheidungserheblichen Gesetzes überzeugt hat ([X.], [X.]. v. 18.7.2000 - VIII ZR 323/99, [X.], 20; [X.]. v. 25.3.1998 aaO; s. auch [X.], [X.], 1484). Denn wird das entscheidungserhebliche Gesetz für nichtig erklärt, wirkt dies erga omnes und beeinflußt damit notwendigerweise das ausgesetzte Verfahren rechtlich.
[X.]) Ob darüber hinaus Fälle denkbar sind, in denen der rechtlich er-hebliche Einfluß des Verfahrens, bis zu dessen Entscheidung ausgesetzt wird, durch einen anderen, über bloße [X.] hinausreichenden [X.] ersetzt werden kann, muß im Streitfall nicht abschlie-- 7 -

ßend entschieden werden. Es kann auch dahinstehen, ob bei "Massenverfah-ren" die Unmöglichkeit einer angemessenen Bewältigung der Gesamtheit der Verfahren das Gewicht verfahrenswirtschaftlicher Erwägungen gegebenenfalls so zu erhöhen vermag, daß hierin ein nicht nur quantitativ, sondern qualitativ anderer [X.] als die "normale" [X.] hervortritt (s. dazu Stürner, JZ 1978, 499, 501; Musielak/[X.] aaO, § 148 Rdn. 5; [X.] aaO, § 148 Rdn. 9; [X.], NJW 2003, 3424; ablehnend [X.], NJW 2004, 1132, 1136; [X.], ZPO, 21. Aufl., § 148 Rdn. 16). Denn die angefochtene Entscheidung läßt keinen [X.] er-kennen, der die Aussetzung der Verhandlung tragen könnte.
Die beim [X.]at anhängigen Verfahren [X.], [X.] und [X.] rechtfertigen die Aussetzung der Verhandlung vor dem [X.] nicht. Sie betreffen zwar wie der Streitfall die Höhe der angemes-senen Entschädigung für den Nachbau. Die bloße Übereinstimmung in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage erlaubt jedoch die Aussetzung [X.] dann nicht, wenn sie nicht mit Zustimmung beider Parteien erfolgt. Zwar spricht das Berufungsgericht abschließend bei der Begründung der Zulassung der Rechtsbeschwerde (in Anführungszeichen) auch von Massenverfahren. Daß das Berufungsgericht mit einer schlechthin nicht zu bewältigenden [X.] von gleichgelagerten Berufungsverfahren befaßt wäre, läßt seine Ent-scheidung jedoch nicht erkennen; andere gegebenenfalls relevante Gründe für eine Aussetzung führt es nicht an.
3. Es rechtfertigt die angefochtene Entscheidung auch nicht, daß der [X.]at in den vom Berufungsgericht genannten Verfahren zwischenzeitlich dem [X.] vier Fragen zur Auslegung von [X.]. 5 Abs. 2, 4 und 5 der Verordnung ([X.]) Nr. 1768/95 der [X.] über die Ausnahmeregelung gemäß [X.]. 14 Abs. 3 der Verordnung ([X.]) - 8 -

Nr. 2100/94 des Rates über den gemeinschaftlichen Sortenschutz vom 24. Juli 1995 in der Fassung der Verordnung ([X.]) Nr. 2605/98 der [X.] vom 3. Dezember 1998 nach [X.]. 234 [X.] zur Vorabentscheidung vorgelegt hat (je-weils [X.].[X.]. v. 11.10.2004; der [X.]uß in der Sache [X.] - Nachbauentschädigung - ist in [X.], 240 veröffentlicht). Denn eine Ermessensentscheidung des Inhalts, die Verhandlung auszusetzen, bis über diese Vorlagen entschieden ist, hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Sie kann von dem zur Entscheidung über die Berufung gegen das [X.]eil des Land-gerichts (im derzeitigen Verfahrensstadium) nicht befugten beschließenden [X.]at nicht nachgeholt werden. Daher bedarf es keiner Entscheidung, ob das Berufungsgericht berechtigt gewesen wäre, eine solche Aussetzungsentschei-dung zu treffen (s. dazu [X.], [X.]. v. 6.11.2002 - 5 [X.] (A), bei [X.]; [X.] 45, 89 = [X.], 734), wofür immerhin sprechen könnte, daß die Gemeinschaftsgerichte und die nationalen Gerichte zu loyaler Zusammen-arbeit verpflichtet sind ([X.], [X.]. 2001, 333 Rdn. 58 - [X.]/[X.]) und die Erfüllung der Aufgabe des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, nicht als Rechtsmittelgericht in mitgliedstaatlichen Verfahren tätig zu werden, sondern verbindlich über die Auslegung des Gemeinschafts-rechts zu entscheiden, durch eine Vielzahl von gleichgelagerten, nichts zu [X.] Verbreiterung der Entscheidungsgrundlagen beitragenden [X.] eher beeinträchtigt denn gefördert werden könnte.

[X.] [X.] Mühlens

Meier-Beck [X.]

Meta

X ZB 26/04

30.03.2005

Bundesgerichtshof X. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.03.2005, Az. X ZB 26/04 (REWIS RS 2005, 4300)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 4300

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20 U 8/14

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