Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.03.2005, Az. X ZB 23/04

X. Zivilsenat | REWIS RS 2005, 4296

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

X ZB 23/04
vom 30. März 2005 in dem Rechtsstreit

- 2 -

[X.] [X.] hat durch [X.] [X.], [X.], die Richterin Mühlens und die Richter Prof. Dr. Meier-Beck und [X.]

am 30. März 2005

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der [X.]uß des 1. Zivilsenats des [X.] vom 21. September 2004 aufgehoben.

Gründe:

[X.] Die Klägerin nimmt den beklagten Landwirt mit Ermächtigung der Rechtsinhaber auf Auskunft darüber in Anspruch, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Beklagte in der Vegetationsperiode 1998/99 Nachbau einer Vielzahl von teils nach Gemeinschaftsrecht, teils nach dem Sorten-schutzgesetz geschützter Getreide-, Futterpflanzen- und Kartoffelsorten betrie-ben hat.
Das [X.] hat die Klage im wesentlichen abgewiesen und den Beklagten nur - im Wege des Versäumnisurteils - hinsichtlich einzelner Sorten antragsgemäß verurteilt. - 3 -

Das Berufungsgericht hat die Verhandlung bis zur rechtskräftigen Ent-scheidung der Verfahren vor dem [X.] mit den Aktenzeichen [X.], [X.], [X.] und [X.] ausgesetzt.
Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Rechtsbe-schwerde der Klägerin.
I[X.] Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen [X.]usses.
1. Das Berufungsgericht hat die Aussetzung der Verhandlung, der der Beklagte, nicht aber die Klägerin zugestimmt hat, damit begründet, daß zur Reichweite und zum Umfang des Auskunftsanspruchs bei "Nachzuchten" zahl-reiche stark abweichende, widerstreitende Urteile sowohl im [X.] wie auch in anderen [X.] vorlägen. Der [X.] sei als Revisionsinstanz inzwischen mit zumindest vier Verfahren befaßt, in denen der Umfang des Auskunftsanspruchs der Klägerin zu klären sei, und möglicherweise würden dann "die Revisionsurteile noch europarechtlich über-prüft werden". Bei dieser Sachlage erachte es der [X.]at gerade auch im [X.] der Parteien (u.a. im [X.]) für angemessen, die Verhandlung entsprechend § 148 ZPO auszusetzen, da in den vier beim [X.] anhängigen Verfahren abschließend über den geltendgemachten [X.] der Klägerin in gleichgelagerten Fällen entschieden werde.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Nach § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen - 4 -

Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, an-ordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei. Die Aus-setzung der Verhandlung setzt damit Vorgreiflichkeit der in dem anderen Rechtstreit oder dem Verwaltungsverfahren zu treffenden Entscheidung im Sinne einer (zumindest teilweise) präjudiziellen Bedeutung voraus ([X.]/[X.][X.], ZPO, 63. Aufl., § 148 Rdn. 4; Musielak/[X.], ZPO, 4. Aufl., § 148 Rdn. 5; [X.]/[X.]/[X.], ZPO, 26. Aufl., § 148 Rdn. 3; [X.]/[X.], ZPO, 25. Aufl., § 148 Rdn. 5; vgl. auch [X.], [X.]. v. 10.7.2003 - [X.], NJW 2003, 3057). Diese Voraussetzung ist im [X.] nicht erfüllt, da den beim [X.]at anhängigen anderen Verfahren, an denen der Beklagte nicht beteiligt ist, im Hinblick auf das Streitverfahren allenfalls die Bedeutung eines Musterprozesses zukommt.
Soweit in der Literatur eine Aussetzung bereits dann für möglich gehal-ten wird, wenn ein rein tatsächlicher Einfluß in Betracht kommt, den Vorgänge in einem anderen Prozeß, wie etwa eine Beweisaufnahme, oder die Entschei-dung des anderen Verfahrens auf die Entscheidung in dem zweiten Verfahren ausüben könnten (in diesem Sinne etwa [X.] in [X.], 2. Aufl., § 148 Rdn. 10), kann dem nicht gefolgt werden. § 148 ZPO stellt nicht auf sachliche oder tatsächliche Zusammenhänge zwischen verschiedenen Verfah-ren, sondern auf die Abhängigkeit vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab. Allein die tatsächliche Möglichkeit eines Einflusses genügt dieser gesetzlichen Voraussetzung nicht und wäre im übrigen auch ein konturenloses Kriterium, das das aus dem Justizgewährleistungsanspruch fol-gende grundsätzliche Recht der [X.] auf Entscheidung ihres Rechtsstreits in [X.] beeinträchtigen würde. - 5 -

b) Die Aussetzung der Verhandlung wird aber auch nicht durch eine entsprechende Anwendung der Vorschrift des § 148 ZPO, wie sie das [X.] für möglich gehalten hat, gerechtfertigt.
aa) Daß in einem anderen Verfahren über einen gleich oder ähnlich gelagerten Fall nach Art eines Musterprozesses entschieden werden soll, rechtfertigt für sich genommen noch keine Analogie zu der in § 148 ZPO [X.] Fallkonstellation. Denn die Vorschrift dient zwar auch der [X.], indem sie die Gerichte vor der doppelten Befassung mit zumindest teil-weise identischem Streitstoff bewahrt ([X.].[X.]. [X.] - [X.]/02 - GRUR 2004, 710 - [X.], für [X.]Z 158, 372 vorgesehen; [X.], [X.]. v. 25.3.1998 - [X.], NJW 1998, 1957; [X.]. v. 17.12.1997 - [X.] 32/97, [X.], 1023). Darin [X.] sich der Zweck der Norm jedoch nicht; § 148 ZPO enthält keine allge-meine Ermächtigung, die Verhandlung eines Rechtsstreits zur Abwendung ei-ner vermeidbaren Mehrbelastung des Gerichts auszusetzen. Vielmehr ist die Aussetzung grundsätzlich nur dann eröffnet, wenn die Entscheidung in dem einen Rechtsstreit die Entscheidung des anderen rechtlich beeinflussen kann.
[X.]) Ist die Verfassungsmäßigkeit eines entscheidungserheblichen Gesetzes Gegenstand einer anhängigen Verfassungsbeschwerde oder Rich-tervorlage, ist es hiernach zulässig, die Verhandlung in entsprechender An-wendung des § 148 ZPO auszusetzen, solange sich das erkennende Gericht nicht von der Verfassungswidrigkeit des entscheidungserheblichen Gesetzes überzeugt hat ([X.], [X.]. v. 18.7.2000 - VIII ZR 323/99, [X.], 20; [X.]. v. 25.3.1998 aaO; s. auch [X.], [X.], 1484). Denn wird das entscheidungserhebliche Gesetz für nichtig erklärt, wirkt dies erga omnes und beeinflußt damit notwendigerweise das ausgesetzte Verfahren rechtlich. - 6 -

cc) Ob darüber hinaus Fälle denkbar sind, in denen der rechtlich er-hebliche Einfluß des Verfahrens, bis zu dessen Entscheidung ausgesetzt wird, durch einen anderen, über bloße [X.] hinausreichenden [X.] ersetzt werden kann, muß im Streitfall nicht abschlie-ßend entschieden werden. Es kann auch dahinstehen, ob bei "Massenverfah-ren" die Unmöglichkeit einer angemessenen Bewältigung der Gesamtheit der Verfahren das Gewicht verfahrenswirtschaftlicher Erwägungen gegebenenfalls so zu erhöhen vermag, daß hierin ein nicht nur quantitativ, sondern qualitativ anderer [X.] als die "normale" [X.] hervortritt (s. dazu Stürner, JZ 1978, 499, 501; Musielak/[X.] aaO, § 148 Rdn. 5; [X.] aaO, § 148 Rdn. 9; [X.], NJW 2003, 3424; ablehnend [X.], NJW 2004, 1132, 1136; [X.], ZPO, 21. Aufl., § 148 Rdn. 16). Denn die angefochtene Entscheidung läßt keinen [X.] er-kennen, der die Aussetzung der Verhandlung rechtfertigen könnte.
Die Revisionsverfahren [X.] und [X.], bis zu deren "rechtskräftiger" Entscheidung das Berufungsgericht die Verhandlung (auch) ausgesetzt hat, betreffen nicht einmal Auskunftsansprüche gegen Landwirte wegen Nachbaus geschützter Sorten. Der Rechtsstreit [X.], in dem der [X.]at zwischenzeitlich dem [X.] vier Fragen zur Auslegung von Art. 5 Abs. 2, 4 und 5 der Verordnung ([X.]) Nr. 1768/95 der [X.] über die Ausnahmeregelung gemäß Art. 14 Abs. 3 der Verordnung ([X.]) Nr. 2100/94 des Rates über den gemeinschaftlichen Sor-tenschutz vom 24. Juli 1995 in der Fassung der Verordnung ([X.]) Nr. 2605/98 der [X.] vom 3. Dezember 1998 zur Vorabentscheidung vorgelegt hat ([X.].[X.]. v. 11.10.2004; s. auch die Parallelentscheidung von demselben Tage in der Sache [X.], [X.], 240 - Nachbauentschädigung) geht es vielmehr um die Angemessenheit der für den Nachbau sortenschutz-rechtlich geschützten Saatguts zu zahlenden Entschädigung. Irgendein [X.] -

scheidungserheblicher Zusammenhang mit dem Streitfall ist nicht zu erkennen. Das Revisionsverfahren [X.] betrifft [X.] und Unterlassungsan-sprüche gegenüber einem Aufbereiter und damit gleichfalls nicht die Frage, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang der Landwirt von dem [X.] in Anspruch genommen werden kann. Schon deshalb kann die angefochtene Entscheidung nicht bestehen bleiben.
Aber auch die Verfahren [X.] und [X.] rechtfertigen die Aussetzung der Verhandlung vor dem Berufungsgericht nicht. Sie betreffen zwar Auskunftsansprüche wegen Nachbaus gegenüber Landwirten. Die bloße Übereinstimmung in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage erlaubt [X.] die Aussetzung jedenfalls dann nicht, wenn sie nicht mit Zustimmung bei-der Parteien erfolgt, und nichts anderes gilt für die vom Berufungsgericht ange-führten "zahlreichen" einander widerstreitenden Entscheidungen. Zwar spricht das Berufungsgericht abschließend bei der Begründung der Zulassung der Rechtsbeschwerde (in Anführungszeichen) auch von Massenverfahren. Daß das Berufungsgericht mit einer schlechthin nicht zu bewältigenden Vielzahl von gleichgelagerten Berufungsverfahren befaßt wäre, läßt seine Entscheidung jedoch nicht erkennen; andere gegebenenfalls relevante Gründe für eine Aus-setzung führt es nicht an.

[X.] [X.] Mühlens

Meier-Beck [X.]

Meta

X ZB 23/04

30.03.2005

Bundesgerichtshof X. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.03.2005, Az. X ZB 23/04 (REWIS RS 2005, 4296)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 4296

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