Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.07.2010, Az. 8 B 109/09

8. Senat | REWIS RS 2010, 4339

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Gründe

1

Die Beschwerde ist unbegründet. Keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO ist gegeben. Weder kommt der Sache die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch weicht das Urteil des [X.] von einer Entscheidung des [X.] ab (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Auch die gerügten Verfahrensmängel liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

2

1. Die von der Klägerin formulierte Rechtsfrage erfüllt die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht und kann deshalb die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht rechtfertigen. Eine Rechtssache ist nur dann grundsätzlich bedeutsam, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden entscheidungserheblichen Frage des revisiblen Rechts zu erwarten ist (stRspr; z.B. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14). Die als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Rechtsfrage muss sich mithin in dem angestrebten Revisionsverfahren stellen und klärungsbedürftig sein. Das ist nicht der Fall, wenn sie sich unschwer aus dem Gesetz beantworten lässt oder bereits durch die Rechtsprechung des [X.] geklärt ist (zur Klärung durch die Rechtsprechung anderer oberster Bundesgerichte vgl. Beschluss vom 6. März 2006 - BVerwG 10 [X.] - [X.] 424.01 § 29 FlurbG Nr. 1).

3

Die Klägerin möchte als rechtsgrundsätzlich bedeutsam folgende Frage geklärt wissen:

"Ist es für die Anwendung der Entziehungsvermutung gemäß § 1 Abs. 6 [X.] i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b [X.] auf juristische Person notwendig, dass trotz einer an der juristischen Person objektiv bestehenden [X.] Kapitalbeteiligung von mehr als 25 % nachgewiesen werden muss, dass die juristische Person zum Zeitpunkt der Veräußerung des Vermögenswertes, hinsichtlich dessen die Verfolgungsvermutung zur Anwendung kommen soll, als 'jüdisch' angesehen und behandelt wurde."

4

Diese Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, da sie sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen würde. Das Verwaltungsgericht hat nicht die Auffassung vertreten, trotz einer Kapitalbeteiligung von mehr als 25 % müsse nachgewiesen werden, dass die juristische Person als "jüdisch" angesehen oder behandelt wurde. Es hat vielmehr angenommen, dem [X.] sei nur ein Kapitalanteil von 25 % zuzurechnen. Zwar ist es davon ausgegangen, dass dieses Bankhaus in den 20er Jahren eine Beteiligung von 49,7 % an der [X.] erwarb. Es hat jedoch gemeint, ein darin enthaltenes Aktienpaket von 24,7 % des Kapitals sei nicht zu berücksichtigen, weil es "damals" [X.] zur Einlegung in sein Depot und Stimmrechtsausübung überlassen wurde. Nach außen - so das Verwaltungsgericht - sei die Klägerin deshalb insoweit nicht in Erscheinung getreten. Ob die Beteiligungsverhältnisse hinsichtlich des verbleibenden 25%igen Anteils offenbar gewesen seien, könne dahinstehen. Denn nach Art. I § 1 Abs. 3 Buchst. b der [X.] zum [X.] vom 14. Juni 1938 hätten Gewerbebetriebe einer juristischen Person erst dann als jüdisch gegolten, "wenn [X.]n mit mehr als 1/4 des Kapitals am Unternehmen beteiligt waren".

5

Soweit das Verwaltungsgericht den Anteil der Klägerin in Höhe von 24,7 % des Kapitals nicht berücksichtigt hat, weil die Klägerin insoweit nach außen nicht in Erscheinung getreten sei, missversteht es offensichtlich das Urteil des [X.]s vom 21. Juni 2007 - BVerwG 8 [X.] 8.06 - (BVerwGE 129, 76 = [X.] 428 § 1 Abs. 6 [X.] Nr. 43 S. 50 Rn. 42). Der [X.] hat in dieser Entscheidung die Auffassung vertreten, nach § 1 Abs. 6 Satz 2 [X.] i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b [X.] dürfe die Beurteilung, ob der Betroffene zu dem Personenkreis der Kollektivverfolgten "gehörte", allein auf Erkenntnisse und [X.] gestützt werden, die zur [X.] zur Verfügung standen. Hierbei kommt es - anders als für die Frage, ob der Betroffene als dem Personenkreis zugehörig behandelt wurde - nicht auf den damaligen (subjektiven) Kenntnisstand von Personen oder bestimmten Stellen an. Erst recht ist keine Offenkundigkeit erforderlich. Maßgeblich ist vielmehr, welche objektiven Erkenntnisquellen damals bestanden. Anderenfalls würde die Situation im [X.], in dem der von Verfolgung Bedrohte bestrebt sein musste, die seine Verfolgung begründenden Umstände nicht offenbar werden zu lassen, verkannt und würden [X.] in einer mit dem Ziel des Vermögensgesetzes nicht zu vereinbarenden Weise eingeschränkt. Der [X.] hat es deshalb in dem Urteil vom 21. Juni 2007 (lediglich) abgelehnt, die Annahme einer Verfolgungssituation maßgeblich auf eine erst nach 1945 entstandene Erkenntnisquelle zu stützen. Der Erwerb einer Beteiligung von 49,7 % des Aktienkapitals an der [X.] war dagegen bereits zur [X.] zu belegen.

6

2. Die von der Klägerin gerügten Verfahrensmängel liegen nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat weder gegen seine Hinweispflicht noch gegen seine Verpflichtung zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 und 3 VwGO) verstoßen. Ohne Erfolg rügt die Klägerin, das Verwaltungsgericht hätte sie darauf hinweisen müssen, dass nach Meinung des Gerichts die [X.] Abstammung von [X.] nicht erwiesen sei. Sie hätte dann [X.] als Zeugen benannt, der aus eigener Kenntnis hätte bestätigen können, dass Dr. [X.] war.

7

Entgegen dem Beschwerdevorbringen begründet das angegriffene Urteil seine Schlussfolgerung, die [X.] sei nicht als [X.] Unternehmen einzuordnen, nicht mit dem Fehlen eines Nachweises, dass Dr. [X.] gewesen sei. Vielmehr ist es für die rechtliche Prüfung von der Mitgliedschaft [X.] im Aufsichtsrat der [X.] und vom Vorbringen der Klägerin ausgegangen, er sei [X.] gewesen. Der Hinweis auf den fehlenden Nachweis dafür ("- ein Beleg insoweit fehlt allerdings -") ist lediglich als Parenthese und damit als die rechtliche Aussage nicht tragender Zusatz eingeschoben. Danach ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, die Mitgliedschaft eines [X.]n im Aufsichtsrat qualifiziere die [X.] noch nicht als "[X.]" Unternehmen. Diese Auffassung des [X.] ist unzutreffend. Nach Art. I § 1 Abs. 3 Buchst. a der [X.] zum [X.] galt der Gewerbebetrieb einer juristischen Person als jüdisch, wenn eines oder mehrere von den Mitgliedern des Aufsichtsrats [X.]n waren. Gleichwohl ist nach ständiger Auffassung des [X.] die Frage, ob das vorinstanzliche Verfahren an einem Mangel leidet, vom materiellrechtlichen Standpunkt der Vorinstanz aus zu beurteilen, auch wenn dieser Standpunkt verfehlt sein sollte (z.B. Beschluss vom 23. Januar 1996 - BVerwG 11 B 150.95 - [X.] 424.5 [X.] Nr. 1). Auf der Grundlage der - unzutreffenden - Auffassung des [X.] bestand keine Verpflichtung zu einem Hinweis, dass die [X.] Abstammung des [X.] nicht erwiesen sei, und zu einer weiteren Sachaufklärung.

8

3. Die geltend gemachte Divergenz zur Rechtsprechung des [X.] führt nicht zur Zulassung der Revision. Eine solche Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt einen abstrakten Rechtssatzwiderspruch voraus und ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerdeführerin einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des [X.] aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des [X.] tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (Beschluss vom 21. Juni 1995 - BVerwG 8 [X.] - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 18). Das Aufzeigen einer fehlerhaften Anwendung von Rechtssätzen, die das [X.] in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt dagegen den Zulässigkeitsanforderungen einer [X.] nicht (Beschluss vom 17. Januar 1995 - BVerwG 6 [X.] - [X.] 421.0 Prüfungswesen Nr. 342 S. 55).

9

a) Die Klägerin entnimmt dem Urteil des [X.] vom 23. Februar 2006 - BVerwG 7 [X.] 4.05 - ([X.] 428 § 1 Abs. 6 [X.] Nr. 35) den Rechtssatz, dass die Entziehungsvermutung des Art. 3 Abs. 1 Buchst. b [X.] auf juristische Personen Anwendung finde, bei denen mehr als ein Viertel des Kapitals [X.]n gehörte oder bei denen die Stimmen von [X.]n die Hälfte der [X.] erreichten; dies gelte vom 30. Januar 1933 an für die gesamte [X.]. Demgegenüber habe das Verwaltungsgericht den Rechtssatz aufgestellt, dass die Entziehungsvermutung nach § 1 Abs. 6 Satz 2 [X.] i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b [X.] für juristische Personen, bei denen mehr als ein Viertel des Kapitals [X.]n gehört habe, nur dann gelte, wenn sich nachweisen lasse, dass die juristische Person als [X.] Unternehmen angesehen oder behandelt worden sei.

Der von der Klägerin gerügte abstrakte Rechtssatzwiderspruch besteht nicht. Das Verwaltungsgericht hat, wie bereits dargelegt (oben im Abschnitt 1), mit Blick auf Art. I § 1 Abs. 3 Buchst. b der [X.] zum [X.] vom 14. Juni 1938 ([X.]) keinen Rechtssatz des Inhalts aufgestellt, dass die dort genannten Voraussetzungen nur dann gegolten hätten, wenn sich nachweisen lasse, dass die juristische Person als "[X.]" Unternehmen angesehen oder behandelt worden sei. Vielmehr ist das Verwaltungsgericht aufgrund einer anderen Bewertung der Beteiligung des Bankhauses Gebr. A. an der [X.] zu dem Ergebnis gekommen, für die rechtliche Beurteilung nach der genannten Vorschrift der [X.] zum [X.] sei allein ein Aktienanteil von 25 % am Kapital der [X.] zugrunde zu legen. Im Übrigen wird auf die Ausführungen im Abschnitt 1 hingewiesen.

b) Die Klägerin sieht eine Divergenz zur Rechtsprechung des [X.] ferner darin, dass das Verwaltungsgericht folgenden Rechtssatz aufgestellt habe: Die Vermutung des verfolgungsbedingten [X.] gemäß § 1 Abs. 6 Satz 2 [X.] könne durch den Nachweis widerlegt werden, dass die Veräußerung keinen verfolgungsbedingten Anlass hatte. Dies stehe im Widerspruch zu der - von der Klägerin angeführten - ständigen Rechtsprechung des [X.], dass die Verfolgungsvermutung gemäß § 1 Abs. 6 Satz 2 [X.] i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b [X.] ausschließlich durch die in Art. 3 Abs. 2 und 3 [X.] vorgesehenen Beweise widerlegbar und der direkte Gegenbeweis nicht zulässig ist.

Die gerügte Divergenz rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, denn sie ist nicht entscheidungserheblich. Das Verwaltungsgericht hat sein Urteil auf mehrere selbstständig tragende Gründe gestützt. Zum einen fehle es an einer Schädigung im Sinne des § 1 Abs. 6 [X.], zum anderen sei jedenfalls aber die Verfolgungsvermutung des § 1 Abs. 6 [X.] widerlegt. Wenn ein Urteil auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt ist, kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund vorliegt. Wenn nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben ist, kann diese Begründung nämlich hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert (stRspr; z.B. Beschluss vom 9. Dezember 1994 - BVerwG 11 PKH 28.94 - [X.] 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4 S. 4 m.w.N.). Da gegen die Annahme des [X.], es liege keine durch rassische Verfolgung bedingte Vermögensentziehung und damit keine Schädigung im Sinne des § 1 Abs. 6 [X.] vor, durchgreifende Revisionszulassungsgründe nicht vorliegen, kommt es auf die Frage der Widerlegung der Verfolgungsvermutung nicht an.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO abgesehen.

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8 B 109/09

29.07.2010

Bundesverwaltungsgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend VG Berlin, 9. Juli 2009, Az: 29 A 275.07, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.07.2010, Az. 8 B 109/09 (REWIS RS 2010, 4339)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4339

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