Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.12.2023, Az. EnVR 9/21

Kartellsenat | REWIS RS 2023, 9870

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Gegenstand

Festsetzung der Erlösobergrenze durch Bundesnetzagentur: Behandlung eines Kapitalverrechnungspostens als Abzugskapital - Kapitalverrechnungsposten


Leitsatz

Kapitalverrechnungsposten

Ein passiver Kapitalverrechnungsposten in dem gemäß § 6b Abs. 3 Satz 6 EnWG für eine Sparte eines vertikal integrierten Unternehmens aufgestellten Tätigkeitsabschluss stellt auch dann Abzugskapital im Sinne von § 7 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 GasNEV dar, wenn er auf die Zuordnung des Eigenkapitals durch Schlüsselung auf die einzelnen Tätigkeitsbereiche des Unternehmens zurückzuführen ist (Festhaltung an BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2017 - EnVR 23/16, RdE 2018, 77 Rn. 14 - SW Kiel Netz GmbH).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde wird der Beschluss des Kartellsenats des [X.] in [X.] vom 11. Januar 2021 insoweit aufgehoben, als der Beschluss der [X.] vom 5. März 2018 hinsichtlich der Behandlung des Kapitalverrechnungspostens aufgehoben und die [X.] insoweit zur Neubescheidung verpflichtet worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Beschwerde gegen den Beschluss der [X.] vom 5. März 2018 zurückgewiesen.

Die Kosten des [X.] einschließlich der notwendigen Auslagen der Gegenseite trägt die [X.] zu 82 % und die Betroffene zu 18 %.

Gründe

1

I. Die Betroffene ist ein vertikal integriertes Energieversorgungsunternehmen, das unter anderem ein Gasverteilernetz betreibt.

2

Mit Beschluss vom 5. März 2018 legte die [X.] im vereinfachten Verfahren gemäß § 24 [X.] die [X.] für die dritte Regulierungsperiode für das Netz der Betroffenen niedriger als beantragt fest. Die Abweichungen resultieren unter anderem aus Kürzungen bei den aufwandsgleichen Kosten im Ausgangsniveau, der unterschiedlichen Bewertung der [X.] im Kapitalkostenabzug und der Zuordnung eines von der Betroffenen in der Bilanz für den Tätigkeitsbereich [X.] gebildeten und im Eigenkapital verbuchten passiven [X.] zum [X.]. Bei der Betroffenen überstieg die Summe der dem Tätigkeitsbereich [X.] 2015 bilanziell zugeordneten Aktiva die Summe der zugeordneten Passiva in Höhe dieses [X.].

3

Auf die Beschwerde der Betroffenen hat das Beschwerdegericht den Beschluss der [X.] aufgehoben und diese hinsichtlich der Anerkennung der aufwandsgleichen Kosten im Ausgangsniveau und der Zuordnung des [X.], nicht jedoch hinsichtlich der Berechnung des [X.] zur Neubescheidung verpflichtet. Dagegen haben sich zunächst sowohl die Betroffene als auch die [X.] mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde gewandt. Die Betroffene hat ihre Rechtsbeschwerde im Hinblick auf zwischenzeitlich ergangene Entscheidungen des Senats wieder zurückgenommen. Die [X.] hat ihre Rechtsbeschwerde teilweise, nämlich hinsichtlich der Kürzungen bei den aufwandsgleichen Kosten, zurückgenommen.

4

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde der [X.] hat im noch anhängigen Umfang Erfolg und führt insoweit zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückweisung der Beschwerde.

5

1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die [X.] habe zu Unrecht den passiven Kapitalverrechnungsposten im [X.] berücksichtigt. Es sei nicht zu erkennen, dass es sich - vollständig - um zinslos von einem [X.] überlassenes Kapital handele, und es leuchte auch nicht ein, dass ein Überschuss der Aktiva über die Passiva wirtschaftlich stets bedeute, dass einem Teil des eingesetzten Vermögens Passivpositionen gegenüberstünden, die einem anderen Tätigkeitsbereich zuzuordnen seien. Da die bilanziell "überschießenden" Aktiva aus Mitteln des Gesamtunternehmens finanziert worden seien, sei der Kapitalverrechnungsposten ein Teil des bilanziell ermittelten Eigenkapitals, der dem Gasbetrieb zuzuordnen sei. Es bestehe kein zureichender Grund, diesen von der kalkulatorischen Verzinsung auszunehmen.

6

2. Diese Beurteilung hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand.

7

a) Die Erlösobergrenze wird gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 [X.] für jedes Kalenderjahr der gesamten Regulierungsperiode nach Maßgabe der §§ 5 bis 17, 19, 22 und 24 [X.] bestimmt. Zur Ermittlung des Ausgangsniveaus für die Bestimmung der [X.] verweist § 6 Abs. 1 [X.] auf Vorschriften der Gas- und der Stromnetzentgeltverordnung. Diese Regelungen finden nach der Rechtsprechung des [X.] auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des Gerichtshofs der [X.] vom 2. September 2021 ([X.]/18, [X.], 534 Rn. 112 bis 138) weiterhin Anwendung. Angesichts der durch das Unionsrecht geforderten Unabhängigkeit der [X.] von externen Weisungen anderer öffentlicher oder privater Stellen sind die Vorschriften der Anreizregulierungsverordnung sowie der Strom- und der Gasnetzentgeltverordnung jedoch wo auch immer möglich und bis zu der den Gerichten durch den Willen des nationalen Gesetzgebers gezogenen Grenze im Sinne einer Gewährleistung und Sicherung dieser Unabhängigkeit auszulegen. Eine gerichtliche Überprüfung erfolgt daher im Grundsatz nur noch in Bezug auf den nach diesen Maßstäben fortgeltenden nationalen Regulierungsrahmen sowie anhand unionsrechtlicher Vorgaben ([X.], Beschlüsse vom 26. Oktober 2021 - [X.] 17/20, [X.], 119 Rn. 14 f. - Genereller [X.] [X.]; vom 7. Dezember 2021 - [X.] 6/21, [X.], 630 Rn. 9 f. - Kapitalkostenabzug; vom 27. Juni 2023 - [X.] 22/22, [X.], 366 Rn. 8 - Genereller [X.] [X.]I).

8

b) Vor diesem Hintergrund hat das Beschwerdegericht zu Unrecht beanstandet, dass die [X.] den im Tätigkeitsbereich [X.] gebildeten passiven Kapitalverrechnungsposten als [X.] behandelt hat.

9

aa) Die Festlegung der Eigenkapitalverzinsung folgt einem eigenständigen System, das in seinen Grundsätzen durch § 21 [X.] vorgegeben und in der Gasnetzentgeltverordnung näher bestimmt wird. Der Gesamtzusammenhang der Regelung der §§ 6, 7 [X.] verdeutlicht, dass es sich insoweit um ein abgeschlossenes Regelungswerk handelt, das die Eigenkapitalverzinsung losgelöst vom Handelsrecht selbständig normiert. Welche Vermögenswerte in welcher Höhe kalkulatorisch verzinst werden, regelt allein § 7 [X.] ([X.], Beschluss vom 10. November 2015 - [X.] 26/14, [X.], 70 Rn. 26 - [X.]; vgl. auch [X.], Beschluss vom 6. Juli 2021 - [X.] 45/20, [X.], 550 Rn. 9 - [X.] [zu § 7 [X.]]). Welches Kapital bei der kalkulatorischen Eigenkapitalverzinsung als [X.] zu behandeln ist, bestimmt § 7 Abs. 2 [X.].

bb) Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 [X.] ist zinslos zur Verfügung stehendes Kapital als [X.] zu behandeln. Ergibt sich aufgrund der gemäß § 6b Abs. 3 Satz 5 [X.] vorzunehmenden Zuordnung der Vermögens- und Kapitalwerte auf die einzelnen Tätigkeitsbereiche ein Überschuss der Aktiva über die Passiva, bedeutet dies wirtschaftlich, dass einem Teil des eingesetzten Vermögens Passivpositionen gegenüberstehen, die einem anderen Tätigkeitsbereich zuzuordnen sind. Diese Konstellation ist im Zusammenhang mit § 7 Abs. 2 [X.] ebenso zu behandeln wie eine zinslose Überlassung von Vermögensgegenständen durch Dritte. Die Abdeckung von Vermögenswerten durch Passivpositionen aus einem anderen Bereich ist deshalb als Verbindlichkeit im Sinne von § 7 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 [X.] anzusehen ([X.], Beschluss vom 17. Oktober 2017 - [X.] 23/16, [X.], 77 Rn. 20 - [X.] Netz GmbH).

cc) Dies gilt entgegen der Auffassung des [X.] und der Betroffenen auch dann, wenn - wie vorliegend - die Zuordnung des Eigenkapitals auf die Tätigkeitsbereiche nach § 6b Abs. 3 Satz 1 [X.] ganz überwiegend durch Schlüsselung erfolgt ist, während das Abzugs- und verzinsliche Fremdkapital den einzelnen Tätigkeiten weitgehend direkt und nur zu einem geringen Teil durch Schlüsselung zugeordnet wurde. Ein passiver Kapitalverrechnungsposten im Tätigkeitsbereich [X.] stellt auch dann von anderen Tätigkeitsbereichen zinslos zur Verfügung gestelltes Kapital dar, wenn er auf die Zuordnung des Eigenkapitals durch Schlüsselung auf die einzelnen Tätigkeitsbereiche zurückzuführen ist.

(1) Gemäß § 6b Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 [X.] haben vertikal integrierte Energieversorgungsunternehmen zur Vermeidung von Diskriminierung und Quersubventionierung in ihrer internen Rechnungslegung jeweils getrennte Konten für ihre Tätigkeiten in bestimmten Bereichen, unter anderem in dem Bereich [X.], zu führen, wie dies erforderlich wäre, wenn diese Tätigkeiten von einem rechtlich selbständigen Unternehmen ausgeführt würden. Nach § 6b Abs. 3 Satz 5 [X.] hat die Zuordnung zu den Konten durch sachgerechte und für Dritte nachvollziehbare Schlüsselung zu erfolgen, soweit die direkte Zuordnung zu den einzelnen Tätigkeiten nicht möglich ist oder mit unvertretbarem Aufwand verbunden wäre. Für die einzelnen Tätigkeitsbereiche sind Tätigkeitsabschlüsse aufzustellen und dem Abschlussprüfer vorzulegen (§ 6b Abs. 3 Satz 6 [X.]), der auch zu prüfen hat, ob die Wertansätze und die Zuordnung der Konten sachgerecht und nachvollziehbar erfolgt ist und der Grundsatz der Stetigkeit beachtet worden ist (§ 6b Abs. 5 Satz 1 und 2 [X.]).

(2) Ergibt sich, wie bei der Betroffenen, bei der nach diesen Vorgaben aufgestellten Bilanz für den Tätigkeitsbereich [X.] eine Lücke auf der Passivseite der Bilanz, ist diese - wie die Beteiligten übereinstimmend darlegen - durch einen passiven Kapitalverrechnungsposten zu schließen. Dadurch ändert sich aber unabhängig davon, worauf die Lücke zurückzuführen ist, nichts an dem dem Tätigkeitsbereich [X.] gemäß § 6b Abs. 3 [X.] zugeordneten Kapital und, da dieses zur Abdeckung der Vermögenswerte im Tätigkeitsbereich [X.] nicht ausreicht, daran, dass in Höhe des [X.] dem Tätigkeitsbereich [X.] zinslos Mittel zur Verfügung gestellt werden, die gemäß § 6b Abs. 3 [X.] anderen Tätigkeitsbereichen zugeordnet sind. Die in § 6b [X.] geregelte buchhalterische Entflechtung mit der Pflicht zur Aufstellung einer gesonderten Bilanz für einzelne Tätigkeitsbereiche des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens dient gerade dem Zweck, die Vermögenslage für diesen Bereich unabhängig von der Tätigkeit in anderen Bereichen zu bewerten ([X.], [X.], 77 Rn. 20 - [X.] Netz GmbH) mit der Folge, dass sich auch durch Schlüsselungen im Eigenkapital ergebende Kapitallücken eines Tätigkeitsbereichs wirtschaftlich als von anderen Bereichen zur Verfügung gestelltes Kapital darstellen.

dd) Da, wie oben ausgeführt (vgl. Rn. 9), die kalkulatorische Eigenkapitalverzinsung einem eigenständigen System folgt, steht der Behandlung des [X.] als [X.] nicht entgegen, dass die Betroffene diesen bilanziell im Bereich [X.] nicht als Verbindlichkeit verbucht und in einem anderen Bereich auch keine entsprechende Forderung ausgewiesen hat, sondern der Kapitalverrechnungsposten bilanziell dem Eigenkapital zugeordnet wurde.

III. [X.] beruht auf § 90 [X.]. Soweit die Betroffene die Rechtsbeschwerde vollständig und die [X.] diese teilweise zurückgenommen haben, haben sie sich jeweils in die Rolle der Unterlegenen begeben. Es entspricht hierbei der Billigkeit, auch insoweit die Erstattung der notwendigen Auslagen der Gegenseite anzuordnen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 7. November 2006 - [X.] 19/06, [X.]/[X.] 1982 [juris Rn. 3] - Kostenverteilung nach Rechtsbeschwerderücknahme; vom 12. November 2019 - [X.] 38/18, juris Rn. 2; vom 13. Juni 2023 - [X.] 28/21, juris Rn. 1).

[X.]     

      

Tolkmitt     

      

Picker

      

Holzinger     

      

Kochendörfer     

      

Meta

EnVR 9/21

19.12.2023

Bundesgerichtshof Kartellsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, 11. Januar 2021, Az: 53 Kart 1/18

§ 6b Abs 3 S 6 EnWG, § 21 EnWG, § 7 Abs 2 S 1 GasNEV, § 7 Abs 2 S 2 Nr 5 GasNEV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.12.2023, Az. EnVR 9/21 (REWIS RS 2023, 9870)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9870

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