Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.04.2020, Az. VI R 5/18

6. Senat | REWIS RS 2020, 3308

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Gegenstand

Werbungskostenabzug bei Zuwendungen der Bundeswehr durch die Zurverfügungstellung einer Gemeinschaftsunterkunft


Leitsatz

1. Führen Zuwendungen des Arbeitgebers, durch die sich der Arbeitnehmer eigene Aufwendungen erspart, beim Arbeitnehmer zu steuerpflichtigen Einnahmen, können in Höhe der Zuwendungen abziehbare Werbungskosten vorliegen, wenn die Zahlungen durch den Arbeitnehmer zu abziehbaren Werbungskosten geführt hätten (Bestätigung der Rechtsprechung).

2. Zuwendungen der Bundeswehr durch die kostenlose Zurverfügungstellung einer Gemeinschaftsunterkunft sind bei einem Zeitsoldaten neben den Aufwendungen für die Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte als Werbungskosten abziehbar, wenn er die Gemeinschaftsunterkunft ausschließlich für dienstliche Zwecke und nicht zum Wohnen am Beschäftigungsort nutzt.

Tenor

Auf die Revision des [X.] werden das Urteil des [X.] vom 31.01.2018 - 2 K 1198/15 und die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 06.05.2015 aufgehoben.

Die Einkommensteuer für 2009 wird unter Änderung des Einkommensteuerbescheids des Beklagten vom 12.12.2014 auf den Betrag festgesetzt, der sich bei Berücksichtigung weiterer Werbungskosten bei den Einkünften des [X.] aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 612 € ergibt.

Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war im Streitjahr (2009) Zeitsoldat bei der [[X.]] am Standort [X.] Die [[X.]] stellte dem ledigen Kläger gemäß § 18 des Soldatengesetzes und § 69 Abs. 3 des Bundesbesoldungsgesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung [X.]. den hierzu erlassenen Verwaltungsvorschriften unentgeltlich eine Gemeinschaftsunterkunft in der Kaserne zur Verfügung.

2

Grundsätzlich bestand für den Kläger die Verpflichtung, in der Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen. Er war allerdings nicht zur Übernachtung in der Gemeinschaftsunterkunft verpflichtet. Die Ausgangsregelungen der [[X.]] ließen eine Rückkehr an den [X.] nach Dienstschluss zu (sog. "Ausgang bis zum Wecken"). Der Kläger nutzte die Unterkunft in der Kaserne dementsprechend nicht für Übernachtungen, sondern fuhr nach Dienstende von der Kaserne zu seiner Wohnung in Y zurück.

3

Für die Gestellung der Unterkunft setzte die [[X.]] einen geldwerten Vorteil nach der Sozialversicherungsentgeltverordnung in Höhe von monatlich 51 € (612 € für das Streitjahr) an.

4

In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger Werbungskosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Höhe von 1.796,70 € (113 Fahrten à 53 km x 0,30 €/km) geltend. Daneben beantragte er die Anerkennung von Unterkunftskosten am Beschäftigungsort in Höhe des von der [[X.]] in Ansatz gebrachten Sachbezugs von 612 €.

5

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) erkannte die Fahrtkosten an, versagte aber den Abzug der Unterkunftskosten als Werbungskosten auch im Einspruchsverfahren.

6

Das Finanzgericht ([X.]) wies die hiergegen erhobene Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte ([X.]) 2018, 1130 veröffentlichten Gründen ab.

7

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

8

Er beantragt sinngemäß,
das Urteil des [X.] sowie die Einspruchsentscheidung des [X.] aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 12.12.2014 dahin zu ändern, dass die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit um 612 € herabgesetzt werden.

9

Das [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

Der [X.] kann offen lassen, ob die kostenlose Zurverfügungstellung der Gemeinschaftsunterkunft in der Kaserne unter den im Streitfall gegebenen Umständen als Arbeitslohn i.S. von § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes ([X.]) anzusehen ist. Denn dem Kläger steht entgegen der Auffassung des [X.] jedenfalls ein Werbungskostenabzug in Höhe des als geldwerter Vorteil für die Gemeinschaftsunterkunft angesetzten Betrags zu.

1. Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] liegen Werbungskosten vor, wenn zwischen den Aufwendungen und den steuerpflichtigen Einnahmen ein Veranlassungszusammenhang besteht. Davon ist auszugehen, wenn die Aufwendungen mit der Einkünfteerzielung objektiv zusammenhängen und ihr subjektiv zu dienen bestimmt sind (z.B. [X.]surteile vom 16.01.2019 - VI R 24/16, [X.], 449, BStBl II 2019, 376, Rz 8; vom 18.08.2016 - VI R 52/15, Rz 11, und [X.]sbeschluss vom 02.02.2011 - VI R 15/10, [X.], 494, BStBl II 2011, 456, Rz 10, m.w.N.).

Führen Zuwendungen des Arbeitgebers, durch die sich der Arbeitnehmer eigene Aufwendungen erspart, beim Arbeitnehmer zu steuerpflichtigen Einnahmen, können in Höhe der Zuwendungen abziehbare Werbungskosten vorliegen, wenn die Zahlungen durch den Arbeitnehmer zu abziehbaren Werbungskosten geführt hätten ([X.]surteile vom 03.02.2011 - VI R 9/10, Rz 13; vom 11.12.2008 - VI R 9/05, [X.], 70, BStBl II 2009, 385, unter II.2., und vom 24.05.2007 – VI R 73/05, [X.], 180, BStBl II 2007, 766, unter II.2.).

2. Im Streitfall stellte die [X.] dem Kläger kostenlos eine Gemeinschaftsunterkunft in der Kaserne zur Verfügung. Beim Kläger wurde entsprechend ein geldwerter Vorteil als Sachbezug angesetzt und in Höhe der amtlichen Sachbezugswerte der Besteuerung unterworfen. Dem Kläger steht aber in derselben Höhe ein entsprechender Werbungskostenabzug zu. Denn er hätte die Aufwendungen für die Gemeinschaftsunterkunft, wenn er sie selbst getragen hätte, gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 [X.] als Werbungskosten abziehen können.

a) Die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 [X.] liegen im Streitfall nicht vor.

Zwar kann für das Wohnen am Beschäftigungsort eine Gemeinschaftsunterkunft, insbesondere in einer Kaserne, ausreichen ([X.]surteil vom 02.10.1992 - VI R 11/91, [X.], 190, BStBl II 1993, 113; [X.], in: [X.]/[X.] --[X.]--, [X.], § 9 Rz G 75; [X.] in [X.]/[X.], § 9 [X.] Rz 1042; [X.], in [X.]/[X.], [X.], [X.] 2018, § 9 Rz 185; [X.] in [X.], [X.], § 9 [X.] Rz 102). Für eine doppelte Haushaltsführung ist es auch nicht erforderlich, dass der Arbeitnehmer die Mehrzahl der Wochentage in der Wohnung am Beschäftigungsort anwesend ist und dort übernachtet ([X.]surteile vom 09.06.1988 - VI R 85/85, [X.], 59, BStBl II 1988, 990, und in [X.], 190, BStBl II 1993, 113; [X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 9 [X.] Rz 496; [X.]/[X.], [X.], 39. Aufl., § 9 Rz 228; [X.], in [X.]/[X.], a.a.[X.], § 9 Rz 185). Nutzt der Steuerpflichtige die Unterkunft am Beschäftigungsort allerdings nicht zum Wohnen, kann von einer doppelten Haushaltsführung keine Rede sein ([X.]surteil in [X.], 190, BStBl II 1993, 113; [X.] Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09.01.1991 - 7 K 2745/89, E[X.] 1992, 17; [X.]/[X.], a.a.[X.]; [X.], in: [X.], a.a.O, § 9 Rz G 77).

Im vorliegenden Fall steht nach den den [X.] bindenden tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, gegen die das [X.] im Revisionsverfahren keine [X.] vorgebracht hat, fest (§ 118 Abs. 2 [X.]O), dass der Kläger im Streitjahr in der Kaserne nicht übernachtet hatte. Das [X.] hat auch nicht festgestellt, dass der Kläger seine Unterkunft in der Kaserne im Streitjahr sonst für private Zwecke, z.B. für den (privaten) Aufenthalt während dienstfreier Zeiten, genutzt hatte. Nach seinem unwidersprochenen Vortrag diente die Unterkunft in der Kaserne dem Kläger nur für dienstliche Zwecke, insbesondere für die Aufbewahrung seiner Dienstkleidung und seiner Ausrüstung sowie für das Wechseln der Uniform. Dies reicht für ein "Wohnen" am Beschäftigungsort aber nicht aus, wie der [X.] bereits entschieden hat ([X.]surteil in [X.], 190, BStBl II 1993, 113).

b) Der Kläger hätte die Aufwendungen für die Unterkunft in der Kaserne, wenn er sie selbst getragen hätte, als Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 [X.] abziehen können. Die Aufwendungen wären beruflich veranlasst gewesen. Denn die Aufbewahrung der Uniform und der Ausrüstung des [X.] in der Kaserne standen ebenso wie das Anlegen bzw. der Wechsel der Uniform in objektivem Zusammenhang mit der Berufstätigkeit des [X.] als Soldat und dienten ihr auch subjektiv.

Dem Werbungskostenabzug nach § 9 Abs. 1 Satz 1 [X.] ständen im vorliegenden Fall die Vorschriften der doppelten Haushaltsführung nicht entgegen. Dies gilt --entgegen der Ansicht der [X.] insbesondere in Bezug auf das damit in Zusammenhang stehende Wahlrecht des Steuerpflichtigen, entweder die Aufwendungen für die (täglichen) Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte oder die Kosten für die Zweitwohnung nebst einer wöchentlichen Familienheimfahrt als Werbungskosten geltend zu machen (s. dazu [X.]surteile in [X.], 59, BStBl II 1988, 990, und vom 07.10.1994 - VI R 54/91, [X.] 1995, 386).

Zwar sind Unterkunftskosten nach der ständigen Rechtsprechung des [X.]s im Regelungsbereich des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 [X.] nicht nach § 9 Abs. 1 Satz 1 [X.] abziehbar, selbst wenn die Voraussetzungen für eine steuerlich anzuerkennende doppelte Haushaltsführung nicht erfüllt sind ([X.]surteile vom 16.11.2017 - VI R 31/16, [X.], 143, BStBl II 2018, 404, Rz 22; vom 16.01.2018 - VI R 2/16, Rz 36, und vom 23.10.2019 - VI R 1/18, Rz 24). Dies beruht darauf, dass Kosten für eine (Zweit-)Wohnung als Kosten der Lebensführung grundsätzlich nicht beruflich veranlasst sind ([X.]surteil in [X.], 143, BStBl II 2018, 404, Rz 20). § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 [X.] ist insoweit lex specialis zu § 9 Abs. 1 Satz 1 [X.] ([X.], in: [X.], a.a.[X.], § 9 Rz G 7; [X.]/[X.], § 9 [X.] Rz 326; jeweils m.w.N.).

Im vorliegenden Fall ist der Regelungsbereich des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 [X.] allerdings nicht berührt. Denn der Kläger wohnte --wie oben [X.] nicht in der Gemeinschaftsunterkunft in der Kaserne. Für die Anwendung der § 9 Abs. 1 Satz 1 [X.] verdrängenden Spezialvorschriften des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 [X.] ist daher im Streitfall von vornherein kein Raum. Es geht vorliegend nicht um grundsätzlich privat veranlasste Wohnkosten, die nur unter den Voraussetzungen von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 [X.] als Werbungskosten abziehbar sind.

Der Kläger hätte die beruflich veranlassten Aufwendungen für die Nutzung der Unterkunft in der Kaserne zur Aufbewahrung seiner Dienstkleidung und seiner Ausrüstung sowie zum Anlegen bzw. Wechseln der Uniform, wenn ihm diese nicht kostenlos zur Verfügung gestellt worden wäre, daher gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 [X.] neben den Aufwendungen für die Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte als Werbungskosten geltend machen können.

3. Die Vorentscheidung, die von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, kann daher keinen Bestand haben.

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

VI R 5/18

28.04.2020

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht des Saarlandes, 31. Januar 2018, Az: 2 K 1198/15, Urteil

§ 9 Abs 1 S 1 EStG 2009, § 9 Abs 1 S 3 Nr 5 EStG 2009, § 19 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2009, EStG VZ 2009

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.04.2020, Az. VI R 5/18 (REWIS RS 2020, 3308)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3308

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