Bundespatentgericht, Beschluss vom 02.04.2014, Az. 28 W (pat) 76/12

28. Senat | REWIS RS 2014, 6590

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Gegenstand

Markenbeschwerdeverfahren – "CardioFIT (Wort-Bild-Marke)" – Unterscheidungskraft – kein Freihaltungsbedürfnis


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2010 031 059.6

hat der 28. Senat ([X.]) des [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 2. April 2014 durch die Vorsitzende Richterin [X.], die Richterin [X.] und die Richterin kraft Auftrags Kriener

beschlossen:

Die Beschlüsse des [X.], Markenstelle für Klasse 10, vom 25. Januar 2011 und 4. Juni 2012 werden aufgehoben.

Gründe

I.

1

Das [X.] 30 2010 031 059.6

Abbildung

2

ist am 21. Mai 2010 zur Eintragung als Marke in das beim [X.] ([X.]) geführte Register für nachfolgende Ware angemeldet worden (nach Einschränkung des [X.] vom 4. Januar 2011 und anschließender Teilung der Markenanmeldung geändertes Verzeichnis vom 2. März 2011):

3

Klasse 10:  chirurgische Instrumente.

4

Abbildung

5

AbbildungAbbildungAbbildungAbbildung

6

Die Anmelderin und Beschwerdeführerin beantragt,

7

die Beschlüsse des [X.]es, Markenstelle für Klasse 10, vom 25. Januar 2011 und 4. Juni 2012 aufzuheben.

8

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

9

Die zulässige Beschwerde der Anmelderin hat Erfolg.

1. Dem Anmeldezeichen kann in seiner Gesamtheit nicht jegliche Unterscheidungskraft abgesprochen werden.

Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] ist die einem Zeichen innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, welches die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet. Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden ([X.], 1143 – [X.]; [X.] 2012, 19, Rdnr. 8 - Link economy; [X.], 1100, Rdnr. 10 - [X.]!; [X.], 825, 826, Rdnr. 13 - [X.]; [X.], 850, 854, Rdnr. 18 - [X.]). Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft ist die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise im Zeitpunkt der Anmeldung des Zeichens ([X.], 1143 Rdnr. 15 – [X.] werden Fakten), wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist (vgl. [X.] [X.], 411, 412, Rdnr. 24 - Matratzen [X.]oncord/[X.]; [X.], 943, 944, Rdnr. 24 - [X.] 2; [X.] - [X.]). Ebenso ist zu berücksichtigen, dass der Verkehr ein als Marke verwendetes Zeichen in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen so aufnimmt, wie es ihm entgegentritt, ohne es einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (vgl. [X.] [X.], 428, 431 Rdnr. 53 - [X.]; [X.], 1151, 1152 - marktfrisch; [X.] 2000, 420, 421 - RATIONAL SOFTWARE [X.]ORPORATION). Ausgehend hiervon besitzen Wortmarken dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (vgl. u. a. [X.] [X.], 674, 678 Rdnr. 86 – Postkantoor; [X.], 952, 953 Rdnr. 10 - [X.]; a. a. [X.]. 19 - [X.]; [X.], 417, 418 – [X.]; a. a. O. - marktfrisch; [X.], 1153 - anti [X.]) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der [X.] oder einer geläufigen Fremdsprache bestehen, die – etwa wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung oder in den Medien – stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (vgl. u. a. [X.] - [X.]; GRUR 2003, 1050, 1051 - [X.]; [X.], 1043, 1044 - [X.]). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft vor allem auch Zeichen, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren und Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird und die sich damit in einer beschreibenden Angabe erschöpfen ([X.] 855, Rdnr. 19, 28 f. - [X.]).

Nach diesen Grundsätzen kann vorliegend nicht festgestellt werden, dass das Anmeldezeichen, das sich aus Wort- und Bildelementen zusammensetzt, dem Schutzhindernis nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] unterliegt. Denn es weist in seiner Gesamtheit für die beanspruchte Ware keinen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsgehalt auf, noch handelt es sich um eine Angabe, durch die ein enger beschreibender Bezug zu ihr hergestellt werden kann. Ein beschreibender Sinngehalt seiner Einzelbestandteile wird jedenfalls durch den eigenartigen Gesamtbegriff in Verbindung mit der grafischen Ausgestaltung so weit überlagert, dass der Marke in ihrer Gesamtheit die erforderliche Unterscheidungskraft nicht mehr abgesprochen werden kann.

a) Die Wortbestandteile des [X.] setzen sich aus den Elementen „[X.]ardio“ und „[X.]“ zusammen.

„[X.]“ bzw. „[X.]“ ist ein vom [X.] Wort kardía abgeleitetes und – nicht nur im Medizinbereich – geläufiges Wortbildungselement mit der Bedeutung „Herz“ (vgl. [X.], [X.], 6. Aufl. 2006, S. 582; http://www.duden.de/rechtschreibung/kardio; zur gängigen Schreibweise mit dem Anfangsbuchstaben „[X.]“ vgl. die Recherchebelege des Senats zu den Begriffen „[X.]ardio-MR“, „[X.]ardio-[X.]T“, „[X.]ardio News“, „[X.]ardio Training“ und „[X.]ardio Plus“, Anlagen 1 – 4 zum Protokoll vom 2. April 2014).

Das im [X.] Sprachgebrauch allgemein gebräuchliche Adjektiv „fit“ hat die Bedeutungen „in guter körperlicher Verfassung, sportlich durchtrainiert; leistungsfähig, tüchtig, qualifiziert, befähigt“ (http://www.duden.de/rechtschreibung/fit). Es findet – zum Teil auch als Kürzel von „[X.] vielfach zur (werblichen) Bezeichnung körperlicher bzw. sportlicher Betätigungen und entsprechender Geräte sowie bestimmter, als leistungsfördernd angesehener Nahrungsmittel Verwendung. Im [X.] bedeutet „fit“ als Substantiv „Sitz, Passform, Passung“ und als Verb („to fit“) „passen, anliegen, zusammenpassen“ (Englisch–Deutsch Online-Wörterbuch http://dict.leo.org/).

Anders als die Markenstelle geht der Senat jedoch nicht davon aus, dass das hier angesprochene medizinische Fachpublikum die Wortzusammensetzung „[X.]ardio[X.]“ in ihrer Gesamtheit im Zusammenhang mit der beanspruchten Ware ohne weiteres als beschreibende Sachangabe dahingehend versteht, dass die so gekennzeichneten chirurgischen Instrumente dazu geeignet und bestimmt sind, das menschliche Herz (wieder) leistungsfähig („fit“) zu machen bzw. die Leistungsfähigkeit des Herzens zu erhalten, zu verbessern oder wiederherzustellen.

Zwar fallen unter den Oberbegriff „chirurgische Instrumente“ auch spezielle Instrumente, die im Bereich der Herzchirurgie zum Einsatz gelangen und damit der Behandlung und Korrektur von Herzerkrankungen dienen. In der medizinischen Fachsprache wird ein Herz aber üblicherweise nicht als „fit“ bezeichnet, auch wird nicht von „[X.]“ als Zweck oder Ziel einer Herzoperation gesprochen. Entsprechend den zutreffenden Ausführungen der Beschwerdeführerin ist es noch weit unüblicher, den Begriff „fit“ zur Beschreibung eines chirurgischen Instruments, welches auf invasive Art und Weise auf ein Organ einwirkt, in der Bedeutung eines „Fitmachers“ – hier eines „[X.]“ zu verwenden. Hinzu kommt, dass chirurgische Instrumente als Medizinprodukte im Sinne des Medizinproduktegesetzes ([X.]) einer strengen und normierten Nomenklatur unterliegen, und zwar dem „[X.]“ ([X.]), das für die Anzeige von Medizinprodukten bei der zuständigen Behörde einzuhalten ist (vgl. § 25 [X.]; http://www.dimdi.de/static/de/klassi/umdns/index.htm). Diese Nomenklatur schließt zwar nicht die Verwendung von anderen Bezeichnungen zur Beschreibung von Medizinprodukten auf dem Markt bzw. in der Werbung aus, dürfte aber dennoch die Bezeichnungsgewohnheiten in diesem Bereich mitgeprägt haben. Bei einem Verständnis des Wortelements „fit“ im obigen Sinne ist die Wortverbindung „[X.]ardio[X.]“ daher ungewöhnlich und löst einen Gedankenprozess über den Zusammenhang mit den so gekennzeichneten chirurgischen Instrumenten aus, anders als dies z. B. für Fitnessgeräte oder Müsliriegel, bei denen üblicherweise das Wort „fit“ anpreisend bzw. zur Beschreibung des Verwendungszwecks verwendet wird, der Fall wäre.

Des Weiteren könnte allenfalls eine analysierende Betrachtungsweise dazu führen, das Zeichen vor dem Hintergrund der o. g. [X.] Bedeutung von „fit“ schlagwortartig im Sinne von „passend für das Herz“ bzw. „passendes Herz“(-instrument) zu interpretieren. Von einem im Vordergrund stehenden beschreibenden Sinngehalt oder engen beschreibenden Bezug für die fragliche Ware kann jedoch bei dieser Betrachtungsweise keine Rede sein. In Bezug auf die beanspruchte Ware kann der Bezeichnung „[X.]ardio[X.]“ daher aus Sicht des angesprochenen medizinischen Fachverkehrs keine ohne Weiteres und ohne Unklarheiten erfassbare sinnvolle Sachaussage entnommen werden (vgl. auch BPatG 28 W (pat) 535/12 – EX-PRESS, schutzfähig für ein Okularimplantat für die Behandlung des Grünen Stars).

Das angemeldete Zeichen erhält zusätzlich durch die grafische Ausgestaltung die Funktion eines Unterscheidungsmittels.

Das Anmeldezeichen weist daher im Gesamteindruck ein ausreichendes Maß an Eigentümlichkeit auf, um sich dem medizinischen Fachpublikum als betriebliches Unterscheidungsmittel einzuprägen.

Meta

28 W (pat) 76/12

02.04.2014

Bundespatentgericht 28. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 02.04.2014, Az. 28 W (pat) 76/12 (REWIS RS 2014, 6590)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6590

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