Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 10.10.2012, Az. 9 A 10/11

9. Senat | REWIS RS 2012, 2483

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Gegenstand

Planfeststellungsbeschluss für den Neubau der Bundesautobahn A 100 Berlin; Klagebefugnis der Berliner Bezirksämter


Leitsatz

Berlin kennt keine Trennung von staatlicher und gemeindlicher Ebene (Grundsatz der Einheitsgemeinde; vgl. VerfGH Berlin, Urteil vom 19. Oktober 1992 - VerfGH 36/92 - LVerfGE 1, 33 <37>; stRspr). Daher können sich die Berliner Bezirke nicht unter Berufung auf die gemeindliche Planungshoheit gegen fernstraßenrechtliche Planungen wenden.

Tatbestand

1

Der Kläger, das [X.]ezirksamt [X.] von [X.], wendet sich gegen den Planfeststellungsbeschluss der [X.] des Landes [X.] vom 29. Dezember 2010 für den Neubau der [X.] im 16. [X.]auabschnitt (16. [X.]).

2

Der rund 3,2 km lange Abschnitt, der im [X.]edarfsplan des [X.] mit "vordringlichem [X.]edarf" ausgewiesen ist, beginnt am [X.] und soll an der [X.]stelle Am [X.] im Stadtstraßennetz enden. Er soll unter anderem den Verkehr, insbesondere im Raum [X.] und [X.], bündeln und so diese Stadtteile und die [X.] vom Durchgangsverkehr entlasten. Das Vorhaben ist Teil des nach dem Stadtentwicklungsplan Verkehr und dem Flächennutzungsplan des [X.]eklagten vorgesehenen sog. mittleren Straßenrings, der im West- und Südteil der Stadt als Stadtautobahn ([X.]) bereits vorhanden ist. Die [X.] soll im [X.] an die planfestgestellte Neubaustrecke im 17. [X.]auabschnitt (17. [X.]) bis zur [X.] fortgeführt werden; danach soll der mittlere Ring als Stadtstraße bis zum Straßenzug [X.]/[X.] vervollständigt werden. Der 17. [X.] der [X.] ist im [X.]edarfsplan des [X.] als Vorhaben des "weiteren [X.]edarfs" eingestuft; ein Planfeststellungsverfahren wurde insoweit noch nicht eingeleitet.

3

Die planfestgestellte Trasse verläuft nach dem [X.] über eine Strecke von 385 m in einem Tunnel ([X.]) und daran anschließend weitgehend in [X.] mit Unterführungen kreuzender Gleisanlagen der Fern- und der [X.] sowie der Straßen [X.], [X.] und [X.]. Das nachgeordnete Stadtstraßennetz wird über die [X.]stellen [X.] und Am [X.] an die [X.] angebunden. Die [X.]stelle Am [X.] stellt das Ende des 16. [X.] der [X.] dar, die dort in die [X.] 96a mündet.

4

Die Unterlagen zur Planfeststellung lagen nach vorheriger ortsüblicher [X.]ekanntmachung im [X.]raum vom 9. März bis 9. April 2009 zur Einsicht aus. Der Erörterungstermin wurde in der [X.] vom 12. bis 27. November 2009 durchgeführt. Der Kläger erhob Einwendungen gegen das Vorhaben. Mit Datum vom 29. Dezember 2010 stellte der [X.]eklagte den Plan für den Neubau des 16. [X.] der [X.] fest.

5

Der Kläger macht geltend, er sei Träger der [X.]auleitplanung und als solcher durch das Vorhaben in seinen Rechten verletzt. Dieses habe [X.] zur Folge, die geeignet seien, die städtebauliche Ordnung in von ihm ausgewiesenen Wohngebieten nachhaltig zu stören, ohne dass Schutzmaßnahmen festgesetzt worden seien. Auch sei nicht untersucht worden, wie hoch die vorhabenbedingte [X.]elastung der von ihm beplanten Gebiete sein werde.

6

Der Kläger beantragt,

den Planfeststellungsbeschluss des [X.]eklagten für das [X.]auvorhaben "Neubau der [X.] zwischen [X.] und [X.]stelle Am [X.] in den [X.]ezirken [X.] und [X.]-Köpenick von [X.]" vom 29. Dezember 2010 i.d.F. vom 27./28. September 2012 aufzuheben,

hilfsweise, den [X.]eklagten unter teilweiser Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses zu verpflichten, ihn hinsichtlich des Schutzes vor Immissionen erneut zu bescheiden.

7

Der [X.]eklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Er tritt dem Vorbringen des [X.] im Einzelnen entgegen.

Entscheidungsgründe

9

Die Klage ist mangels Klagebefugnis unzulässig. Der Kläger wird durch den angefochtenen Planfeststellungsbeschluss nicht in eigenen Rechten verletzt (§ 42 Abs. 2 VwGO). Er ist nicht Träger gemeindlicher Planungshoheit; andere Abwehrrechte stehen ihm insoweit nicht zur Seite.

Zu den nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten [X.] gehört auch die nach § 2 Abs. 1 Satz 1 BauGB den Gemeinden zugewiesene Aufgabe, die Bodennutzung in ihrem Gebiet durch die Aufstellung von Bauleitplänen eigenverantwortlich zu regeln (vgl. Urteile vom 11. April 1986 - BVerwG 4 [X.] 51.83 - BVerwGE 74, 124 <125> und vom 16. Dezember 1988 - BVerwG 4 [X.] 40.86 - BVerwGE 81, 95 <106>; zur diesbezüglichen Regelungskompetenz des [X.]gesetzgebers vgl. [X.], Beschluss vom 9. Dezember 1987 - 2 BvL 16/84 - [X.]E 77, 288 <298 ff.>). Diese gemeindliche Planungshoheit vermittelt eine wehrfähige Rechtsposition gegen fremde Fachplanungen auf dem eigenen Gemeindegebiet, wenn das Vorhaben nachhaltig eine bestimmte Planung der Gemeinde stört oder wegen seiner Großräumigkeit wesentliche Teile des Gemeindegebiets einer durchsetzbaren gemeindlichen Planung entzieht oder erheblich gemeindliche Einrichtungen beeinträchtigt (vgl. Urteil vom 16. Dezember 1988 a.a.[X.]; stRspr). Auf dieses Abwehrrecht kann sich der Kläger nicht berufen.

Nach den maßgeblichen landesrechtlichen Bestimmungen ist nicht der [X.], sondern allein der Beklagte "Gemeinde" i.S.d. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, § 2 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Im Unterschied zur [X.] (vgl. Urteil vom 24. November 2010 - BVerwG 9 A 13.09 - BVerwGE 138, 226 Rn. 42) kennt [X.] keine Trennung von [X.]. Nach Art. 1 Abs. 1 der Verfassung von [X.] ([X.]) ist [X.] ein [X.] Land und zugleich eine Stadt. Damit legt die Verfassung von [X.] den Grundsatz der Einheitsgemeinde fest. Demzufolge ist Träger des Rechts auf gemeindliche Selbstverwaltung nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG die Einheitsgemeinde [X.]. Bei den Bezirken handelt es sich demgegenüber um verselbständigte Teile der nachgeordneten Verwaltung der Einheitsgemeinde (vgl. [X.] [X.], Urteil vom 19. Oktober 1992 - [X.] 36/92 - [X.] 1, 33 <37> und Beschluss vom 15. Juni 2000 - [X.] 47/99 - [X.] 11, 62 <65>; stRspr). Entgegen der Auffassung des [X.] weist Art. 66 Abs. 2 Satz 1 [X.] den Bezirken nicht in Widerspruch dazu das Recht zur Selbstverwaltung i.S.d. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG zu. Danach erfüllen die Bezirke ihre Aufgaben nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung. Diese Vorschrift betrifft die Art und Weise der Wahrnehmung der den Bezirken nach anderen Bestimmungen übertragenen Aufgaben und begründet insofern ein für den Landesgesetzgeber verbindliches Organisationsprinzip der [X.]er Verwaltung, sie gewährleistet den Bezirken aber kein eigenständiges Recht auf Selbstverwaltung ([X.] [X.], Urteil vom 19. Oktober 1992 a.a.[X.] zur Vorgängervorschrift der [X.]).

Der landesverfassungsrechtliche Grundsatz der Einheitsgemeinde ist auch nicht für den speziellen Gewährleistungsgehalt der gemeindlichen Planungshoheit durchbrochen. Die Verfassung von [X.] enthält keine Bestimmung, der zu entnehmen wäre, dass den Bezirken die Befugnis zusteht, die städtebauliche Ordnung in ihrem Gebiet eigenständig und umfassend durch Bauleitplanung zu regeln. Art. 64 Abs. 2 Satz 1 [X.], wonach die Bezirke durch Gesetz ermächtigt werden können, zur Festsetzung von Bebauungsplänen Rechtsverordnungen zu erlassen, begründet keine originäre Trägerschaft der Bezirke für die Regelung der Bodennutzung in ihrem Gebiet. Die Bezirke nehmen die Aufgabe der Bauleitplanung somit nur aus - von der Planungshoheit der Einheitsgemeinde - abgeleitetem Recht auf der Grundlage organisationsrechtlich zugewiesener Kompetenzen wahr. In diesem Rahmen ist zudem die Senatsverwaltung zuständig für die Aufstellung von Bebauungsplänen, die der Verwirklichung von Erfordernissen der Verfassungsorgane des [X.] zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben (§ 247 BauGB) dienen oder ein bestimmtes Gebiet von außergewöhnlicher stadtpolitischer Bedeutung betreffen (vgl. Art. 67 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.], §§ 8, [X.] [X.]). Außerdem kann das zuständige Mitglied des Senats bei einem dringenden Gesamtinteresse [X.]s ggf. das Verfahren der Aufstellung und Festsetzung des Bebauungsplans an sich ziehen (vgl. Art. 67 Abs. 1 Satz 4 [X.], § 7 [X.] [X.]).

Der Kläger kann sich auch nicht unter Berufung auf andere Rechtspositionen gegen das Vorhaben wenden. Insbesondere vermittelt eine abgeleitete organisationsrechtliche Kompetenz für die Bauleitplanung kein solches Abwehrrecht. Es mag sein, dass sich ein Bezirk im "Innenrechtsstreit" gegen die Verletzung dieser Kompetenz wehren kann (vgl. OVG [X.], Urteil vom 31. August 1999 - [X.] - LKV 2000, 453). Vorliegend steht jedoch nicht in Streit, welche Stelle nach den landesrechtlichen Regelungen für eine bestimmte Bauleitplanung zuständig ist. Vielmehr macht der Kläger ein Abwehrrecht gegen eine fremde Fachplanung geltend. Da es dem Kläger an einer im Außenverhältnis wehrfähigen Rechtsposition fehlt, muss auch der hilfsweise erhobenen Bescheidungsklage der Erfolg versagt bleiben. Den Hilfsbeweisanträgen war ebenso wenig nachzugehen wie dem hilfsweise verfolgten Vorlagebegehren an den [X.].

Meta

9 A 10/11

10.10.2012

Bundesverwaltungsgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: A

Art 28 Abs 2 S 1 GG, § 42 Abs 2 VwGO, § 2 Abs 1 S 1 BauGB, Art 1 Abs 1 Verf BE, Art 66 Abs 2 S 1 Verf BE, Art 64 Abs 2 S 1 Verf BE

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 10.10.2012, Az. 9 A 10/11 (REWIS RS 2012, 2483)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2483

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