Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.10.2014, Az. 2 StR 104/14

2. Strafsenat | REWIS RS 2014, 2385

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 104/14
vom
8. Oktober 2014
in der Strafsache
gegen

wegen schweren Raubs u.a.

-
2
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Der 2. Strafsenat des [X.] hat am 8. Oktober 2014 beschlossen:
Das Verfahren wird zuständigkeitshalber an den 4. Strafsenat abgegeben.

Gründe:
I.
Am 23.
Juli 2014 hat der 2. Strafsenat in der Sache 2 StR 104/14 eine Hauptverhandlung über die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Ange-klagten durchgeführt. In der Verhandlung wurde die Frage der funktionellen [X.] des Senats aufgeworfen und erörtert, weil es sich um eine [X.] handeln könnte, die in die ausschließliche Zuständigkeit des 4.
Strafsenats fällt. Durch den in dieser Hauptverhandlung verkündeten [X.] hat der Senat die Sache zuständigkeitshalber an den 4. Strafsenat ab-gegeben. Auf den Inhalt dieses Beschlusses wird Bezug genommen.
Durch Beschluss vom 9.
September 2014 -
4 [X.] 20-1/14 -
hat der 4.
Strafsenat die Übernahme des Verfahrens abgelehnt, weil die Abgabe ver-spätet erfolgt sei. Der Abgabebeschluss des [X.] sei für den 4.
Strafsenat nicht bindend geworden, weil der 4. Strafsenat zu einer möglichen Verfahrensübernahme nicht angehört worden sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Begründung des Beschlusses verwiesen.
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II.
Das Verfahren war zur Wahrung des Rechts des Angeklagten auf den gesetzlichen [X.] (Art.
101 Abs.
1 Satz
2 GG) -
erneut
-
an den 4.
Strafsenat abzugeben. Dieser Abgabebeschluss ist -
nachdem der 4. Strafsenat jedenfalls im Übernahmeverfahren angehört wurde und Stellung genommen hat
-
für die-sen bindend.
1. Mit der Garantie des gesetzlichen [X.]s will Art.
101 Abs.
1 Satz
2 GG der Gefahr vorbeugen, dass die Justiz durch eine Manipulation der recht-sprechenden Organe sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird. Es soll [X.] werden, dass durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Ent-scheidung berufenen [X.] das Ergebnis der Entscheidung beeinflusst [X.] kann, gleichgültig, von welcher Seite eine solche Manipulation ausgeht
(st. Rspr.; [X.] 82, 286, 296). Damit soll die Unabhängigkeit der [X.] gewahrt und das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden. Dieses Vertrauen nähme Schaden,
müsste der rechtsuchende Bürger befürchten, sich einem [X.] gegenüberzusehen, der mit Blick auf seinen Fall und seine Per-son bestellt worden ist.
Aus diesem Zweck des Art.
101 Abs.
1 Satz
2 GG folgt, dass im [X.] im Vorhinein bestimmt werden muss, wer im Sinne dieser Vorschrift "[X.]" [X.] ist. Art.
101 Abs.
1 Satz
2 GG setzt daher einen Bestand von Rechtssätzen voraus, die für jeden Streitfall den [X.] bezeichnen, der für die Entscheidung zuständig ist. Zu diesen das Recht auf den
gesetzlichen [X.] ausfüllenden Normen gehören auch die Geschäftsverteilungs-
und Mitwir-kungspläne der einzelnen Gerichte. Sie müssen, wenn sie ihre rechtsstaatliche Funktion erfüllen sollen, hinreichend bestimmt sein. Welche [X.] in einem 3
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bestimmten
Verfahren mitwirken, muss sich daraus möglichst eindeutig erge-ben ([X.] 95, 322, 329). Geschäftsverteilungs-
und Mitwirkungspläne eines Gerichts dürfen mit Rücksicht auf das Gebot des Art.
101 Abs.
1 Satz
2 GG keinen vermeidbaren Spielraum bei der Heranziehung der einzelnen [X.] zur Entscheidung einer Sache und damit keine unnötige Unbestimmtheit hinsicht-lich des gesetzlichen [X.]s lassen.
Ein Verstoß gegen Art.
101 Abs.
1 Satz
2 GG liegt allerdings nicht schon dann vor, wenn zur Bestimmung des gesetzlichen [X.]s auslegungsbedürfti-ge Begriffe verwendet werden. Auslegungszweifel in Bezug auf die zur Voraus-bestimmung des gesetzlichen [X.]s verwendeten Kriterien sind deshalb [X.]. Sie eröffnen nicht den Weg zu einer Besetzung der [X.]bank von Fall zu Fall, sondern zu einem rechtlich geregelten Verfahren, das der Klärung der Zweifel dient. Jeder Spruchkörper hat bei auftretenden Bedenken die Ord-nungsmäßigkeit seiner Besetzung zu prüfen und darüber zu entscheiden ([X.]
95, 322, 330).

Art.
101 Abs.
1 Satz 2 GG enthält über die Notwendigkeit abstrakt-genereller Regelungen zur Bestimmung des gesetzlichen [X.]s weiterge-hend das Verbot, von Regelungen, die der Bestimmung des gesetzlichen Rich-ters dienen, abzuweichen (vgl. [X.] 95,
322, 328).
2. Gemessen an diesen Maßstäben hält der zur Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit berufene 2. Strafsenat die Zuständigkeit des 4. Strafsenats für gegeben und sieht sich trotz Durchführung einer Revisionshauptverhandlung nicht gehindert, die Sache an diesen abzugeben.
a) Dabei kann dahinstehen, ob die zwischen den Senaten streitige Aus-legung des [X.] für den [X.] für das [X.] sogar darauf hinweisen könnte, dass die dort zur Frage der Abgabe von 6
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Verfahren getroffene Regelung jedenfalls mit Blick auf die Strafsenate den ver-fassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit und Klarheit solcher Normen nicht genügt und schon deshalb die vom 4.
Strafsenat angenommene Einschränkung der Prüfungs-
und Entscheidungsbefugnis des mit der Sache befassten Senats unwirksam wäre.
b) Jedenfalls ergibt sich bei einer an Wortlaut sowie Sinn und Zweck ori-entierten Auslegung der Geschäftsverteilung, dass die Abgabe einer -
wie hier
-
unstreitig zur [X.] eines anderen Senats gehörenden Sache auch noch nach Durchführung einer Revisionshauptverhandlung möglich ist. Dies hat der 2.
Strafsenat bereits mit seinem Abgabebeschluss vom 23.
Juli 2014 entschieden; an dieser nach Erörterung in mündlicher Verhandlung ge-fundenen Rechtsmeinung, an die der 4.
Strafsenat -
auch wenn er an jene [X.] selbst nicht gebunden gewesen sein mag (s. dazu unten III.)
-
gebunden ist, hält der Senat auch unter Berücksichtigung der vom 4. Strafsenat vorge-brachten Bedenken fest.
Die Begründung der [X.] eines Senates, wie hier des 4.
Strafsenats für Verkehrsstrafsachen, dient in erster Linie der Einheitlichkeit der Rechtsprechung, die gewährleistet werden soll, ohne dass die mitunter aufwändige Einschaltung des [X.] notwendig ist. Sie geht regelmä-ßig davon aus, dass ein Senat mit besonderer Zuständigkeit über Spezialwis-sen verfügt, der ihn in besonderer Weise befähigt, über die in seine besondere Zuständigkeit fallenden Sachen zu entscheiden. Sie sichert damit zugleich eine gleichmäßige Rechtsanwendung und legt schon in diesem Ausgangspunkt na-he, umfassend möglichst sämtliche beim [X.] eingehenden Sa-chen, die in den Bereich der [X.] fallen, zu erfassen. Jede Ausnahme gefährdet das mit der Begründung einer [X.] ver-folgte Ziel; dies spricht ohne Weiteres dafür, mögliche Ausnahmen restriktiv zu 10
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handhaben. Dies gilt auch mit Blick auf das Beschleunigungsgebot, dessen Be-folgung nicht dazu führen darf, das Recht auf den gesetzlichen [X.] auszu-höhlen.
Vor diesem Hintergrund scheidet die vom 4.
Strafsenat dargelegte Aus-legung von Ziffer A.
VI. 1.a der Schlussbestimmungen zum [X.] 2014 aus, wonach mit Blick auf das Beschleunigungsgebot eine [X.] grundsätzlich nur "vor Anberaumung eines Termins zur mündlichen Ver-handlung" möglich sein soll. Denn ein solches Verständnis dieser Regelung ließe das Recht auf den gesetzlichen [X.] so weit zurück treten, dass von seinem Kernbestand nur wenig übrig bliebe.
Jeder Spruchkörper hat -
wie das [X.] betont hat
-
bei auftretenden Bedenken die Ordnungsmäßigkeit seiner Besetzung zu prüfen und darüber zu entscheiden. Ihm muss es deshalb auch möglich sein, nach seiner Einschätzung zu entscheiden und das Recht des Betroffenen auf den gesetzlichen [X.] durchzusetzen. Dies würde einem Senat nach dem [X.] des 4. Strafsenats aber dann verwehrt, wenn er nicht einstimmig, aber mit Mehrheit die Zuständigkeit eines anderen Senats für gegeben hielte. Denn nach dem eindeutigen Wortlaut der Schlussbestimmungen zum [X.] ist in diesem Fall jede Abgabe vor der Anberaumung eines Ter-mins zur mündlichen Verhandlung ausgeschlossen, weil es an der [X.] fehlt. In einer "mündlichen Verhandlung" aber käme eine nunmehr mit Mehrheit gefasste Abgabe an einen anderen Senat nicht mehr in Betracht, weil sie im Widerspruch zum Beschleunigungsgebot und [X.] zu spät käme. Eine derartige Beschränkung des Rechts auf den gesetzli-chen [X.] stünde mit Art.
101 Abs.
1 Satz
2 GG nicht im Einklang.

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Im Übrigen würde Art.
101 Abs.
1 Satz
2 GG auch eine Regelung verbie-ten, die es einem Senat erlaubte, eine Sache, für welche ersichtlich keine [X.] besteht, durch bloße Eröffnung einer Hauptverhandlung endgültig an sich zu ziehen.
c) Vor allem mit Blick auf den Schutzbereich von Art. 101 Abs.
1 Satz
2 GG ist damit eine Auslegung der genannten Bestimmung geboten, die es ([X.] mit Blick auf nicht einstimmige Beurteilungen der Zuständigkeiten) er-möglicht, eine Sache noch in einer mündlichen Revisionshauptverhandlung ab-zugeben. Diese Auslegung ist ohne Weiteres möglich, wenn man -
wie der 2.
Senat
-
Ziffer [X.]. 1.a der Schlussbestimmungen zum [X.] ausschließlich als Vorschrift begreift, die eine Regelung für Abgaben vor
einer mündlichen Verhandlung betrifft, ohne spätere Abgaben in oder nach mündlicher Verhandlung auszuschließen.
3. Dies gilt ungeachtet der Frage, ob Ziffer [X.]. 1.a der Schlussbestim-mungen überhaupt für Strafsachen Geltung hat. Dass diese Bestimmung (eher) auf das Verfahren vor den [X.] zugeschnitten ist, hat der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 23.
Juli 2014 dargelegt. Über die dort angeführten Erwägungen hinaus gibt der Senat zu bedenken, dass die dort weiter getroffene Regelung, wonach eine Bindungswirkung des Abgabebeschlusses dann nicht besteht, "wenn zwischen dem Eingang der Rechtsmittelbegründung und dem Übernahmeersuchen nicht mehr als sechs Monate vergangen sind", ersichtlich allein auf die zivilprozessuale Rechtslage in der Revisionsinstanz abgestimmt ist und im strafgerichtlichen Revisionsverfahren sinnlos ist. Anders als in zivilge-richtlichen Revisionsverfahren (vgl. §§
544 Abs. 1 Satz
2, 549 Abs.
1 Satz
1 ZPO) fehlt es im strafgerichtlichen Revisionsverfahren an einem "Eingang der Rechtsmittelbegründung" beim Revisionsgericht; vielmehr wird die strafrechtli-che Revision durch Schriftsatz bei dem Gericht, dessen Entscheidung ange-14
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fochten ist, begründet (§
345 Abs.
1 [X.]). Dies kann -
wie im zugrunde lie-genden Fall
-
nicht selten dazu führen, dass bereits mehr als sechs Monate vergangen sind, bevor die Sache überhaupt beim [X.] eingegan-gen ist. Verstünde man nun Ziffer [X.]. 1.a der Schlussbestimmungen als Vor-schrift, die auch für Strafsachen gilt, wäre es in einer Vielzahl von Fällen von vornherein ausgeschlossen, eine Sache noch mit Bindungswirkung an einen anderen Senat abzugeben. Es hinge -
was mit dem Regelungsgehalt von Art.
101 Abs.
1 Satz
2 GG nicht vereinbar wäre
-
allein vom Willen des um Übernahme ersuchten [X.] ab, ob er für die Sache zuständig würde.
III.
Dieser Abgabebeschluss ist für den 4. Strafsenat bindend. Es mag an dieser Stelle dahinstehen, ob die telefonische Anhörung der
Vorsitzenden des 4.
Strafsenats vor dem Abgabebeschluss vom 23.
Juli 2014 dem im [X.] aufgestellten Erfordernis einer "Anhörung des Senats" genügt, nachdem der 4.
Strafsenat im Rahmen seines Beschlusses vom 9.
September 2014 in der Sache Stellung genommen hat und jedenfalls insoweit "angehört" worden ist. Dies ermöglicht es dem 2. Strafsenat unter Beibehaltung seiner be-reits in seinem Beschluss vom 23.
Juli 2014 verbindlich vorgenommenen Aus-legung der Geschäftsverteilung des [X.] für das [X.], die Sache nunmehr mit Bindungswirkung an den 4.
Strafsenat abzugeben (zur [X.] mit Bindungswirkung vgl. insoweit [X.], Beschluss vom 16.
September 2014 -
1 [X.]). Dies dient der Wahrung der [X.] des 4.
Strafsenats und dem Recht des Angeklagten auf seinen gesetzlichen [X.].
Die Bindungswirkung entfällt auch nicht ausnahmsweise deshalb, weil der Abgabebeschluss willkürlich wäre. Wie bereits dargelegt, hat jedes Gericht bei auftretenden Bedenken die Ordnungsmäßigkeit seiner Besetzung zu prüfen 17
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und darüber selbst zu entscheiden; dies hat der 2. Strafsenat getan und ist un-ter Auslegung des [X.] des [X.] zu der Ansicht gelangt, dass auch nach Durchführung
einer Hauptverhandlung eine Abgabe an den (unstreitig) zuständigen 4. Strafsenat zulässig (und geboten) ist.
Eine Entscheidung der [X.] durch das Präsidium kam nicht in Betracht. Dieses hat im Geschäftsverteilungsplan für das [X.] ei-ner Abgabe an den für zuständig gehaltenen Spruchkörper -
ersichtlich im Inte-resse beschleunigter Erledigung negativer Kompetenzkonflikte
-
im Falle einer jedenfalls jetzt durchgeführten Anhörung bindende Wirkung beigelegt (zu dieser Möglichkeit siehe auch [X.], in: Löwe/[X.], [X.], 26.
Aufl., §
21e [X.], Rn.
22). Auf die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Vorausset-zungen eine Entscheidungskompetenz des Präsidiums gegeben ist, kommt es deshalb nicht an (vgl. [X.] aaO). Möglicherweise
ist die Rechtsfrage im Wege des §
132 [X.] zu entscheiden.
Fischer [X.]Krehl

Eschelbach

Zeng

19

Meta

2 StR 104/14

08.10.2014

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.10.2014, Az. 2 StR 104/14 (REWIS RS 2014, 2385)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 2385

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2 StR 104/14

1 StR 382/14

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