Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.08.2011, Az. 3 StR 209/11

3. Strafsenat | REWIS RS 2011, 3874

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
3 StR
209/11
vom
18. August 2011
in dem Sicherungsverfahren
gegen

-
2
-
Der 3.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 18.
August 2011, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Dr. [X.] als Vorsitzender,

die [X.] am [X.]
Pfister,
von [X.],
[X.],
[X.]in am [X.]
Dr. Menges

als beisitzende [X.],

[X.] beim [X.]

als Vertreter der [X.]schaft,

Rechtsanwalt

als Verteidiger
des Beschuldigten,

Justizamtsinspektor

als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 17.
Januar 2011 mit den [X.] aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Beschuldigten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psy-chiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit sachlichrechtlichen Beanstandungen. Das vom Gene-ralbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Nach den Feststellungen des [X.] verübte der Beschuldigte im Frühjahr 2009 sowie in der [X.] von November 2009 bis Januar 2010 eine Vielzahl von telefonischen, schriftlichen und verbalen Belästigungen und Be-drohungen mit dem Ziel, die Lebensqualität der Geschädigten R.

und T.

zu beeinträchtigen. Dies führte bei dem Geschädigten R.

zu Angstzustän-1
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-
den und Schlaflosigkeit sowie einer mehrwöchigen Arbeitsunfähigkeit (Taten zu II.
1 und II.
2 der Urteilsgründe). Darüber hinaus legte der Beschuldigte im
Januar 2009 unter dem Heckfenster seines Autos einen Zettel mit auffälliger Aufschrift sowie den Kopf einer Schaufensterpuppe mit einem Filzhut aus, an dem
sichtbar ein kleines Hakenkreuz befestigt war, und stellte das Fahrzeug auf öffentlichem Straßenland ab (II. 3 der Urteilsgründe). Im Februar 2009 steckte er Pappen in den Briefkasten der [X.]

, auf denen er einen Pfarrer als [X.] bezeichnete. Mit ähnlichem Inhalt schrieb er zeitnah an die [X.] Kirchengemeinde in P.

(II. 5 und 6 der [X.]). Im Januar 2010 forderte der Beschuldigte am [X.] einer Tankstelle "sein Geld" und drohte, er würde andernfalls mit dem Auto in die Tankstelle "rein fahren" und den Mitarbeiterinnen auf dem [X.] und herausfinden, wo diese wohnen. Durch die alarmierte Polizei konnte der Beschuldigte "beruhigt werden" und die Mitarbeiterinnen ungestört die Tankstelle verlassen. Eine von ihnen litt danach unter Angst, Alpträumen sowie Schlafstörungen und war über zehn Monate krankgeschrieben (II.
4 der Urteils-gründe).

Das [X.] hat sachverständig beraten angenommen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund einer unbehandelten paranoi-den Schizophrenie sowie einer Persönlichkeitsstörung mit insbesondere nar-zisstischen, paranoiden und dissozialen Anteilen bei den Taten jeweils aufge-hoben war. Eine Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§
63 StGB) hat es abgelehnt, weil es in den bisherigen Taten des Beschuldigten lediglich "zwar lästige, aber in den Bereich der einfachen Kriminalität gehörende Taten" gesehen, die zukünftige Begehung auch schwe-rerer Taten allenfalls
für möglich aber nicht für wahrscheinlich gehalten und 3
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deswegen eine Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit verneint hat.
2. Das Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Wegen der Schwere des Eingriffs in die persönliche Freiheit und mit Rücksicht auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) können nur schwere Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in dem Bereich der mitt-leren Kriminalität hineinreichen, eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtfertigen (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 17.
August 1977
-
2 StR 300/77, [X.]St 27, 246, 248; Urteil vom 15.
August 2007 -
2 [X.], [X.], 210, 212). Auch muss aufgrund einer umfassenden Würdi-gung von Tat und Täter eine höhere oder doch bestimmte, jedenfalls über die bloße Möglichkeit hinausreichende Wahrscheinlichkeit zu bejahen sein, dass der Täter infolge seines Zustands weitere erhebliche rechtswidrige Taten bege-hen wird (vgl. [X.], Beschluss vom 24.
November 2004 -
1 [X.], [X.], 72, 73).

b) Von diesen Grundsätzen ist das [X.] zwar ausgegangen, in-des entbehrt seine Gefährlichkeitsprognose einer tragfähigen Grundlage, da es die Feststellungen zu den dem Beschuldigten zur Last gelegten Taten teilweise rechtsfehlerhaft getroffen hat.

aa) Im [X.] 4 der Urteilsgründe ist das [X.] von einer mit natür-lichem Vorsatz begangenen Bedrohung ausgegangen. Die dem Beschuldigten vorgeworfene versuchte räuberische Erpressung hat es nicht festzustellen ver-mocht, da ihm die
Absicht rechtswidrige Bereicherung "nicht nachgewiesen werden konnte". Hierfür fehlt es an jeglicher Begründung. Einer solchen bedarf es indes nicht nur bei einem freisprechenden Urteil in einer Strafsache (vgl. 4
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6
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hierzu [X.], [X.], 54.
Aufl., § 267
Rn.
33 f. mwN), sondern auch dann, wenn der Tatrichter im Sicherungsverfahren (§
414 [X.]) die für die Un-terbringung nach §
63 StGB notwendige rechtswidrige Tat nicht oder nicht in der in der Antragsschrift vorgeworfenen Ausgestaltung festzustellen vermag.

bb) Rechtsfehlerhaft ist auch die Begründung dafür, dass sich das [X.] nicht von den Vorwürfen unter 4. und 5. der Antragsschrift der [X.] hat überzeugen können. Danach soll der Beschuldigte am 25.
November 2009 nachmittags in seinem Wohnhaus in P.

in der M.

straße Nr.

an der Fensterscheibe ein von innen beleuchtetes Hakenkreuz mit einer Größe von zehn mal zehn Zentimetern angebracht haben, das von Passanten gesehen werden konnte. Außerdem soll er am 11.
Januar 2010 vor diesem Grundstück einen Werbeaufsteller aufgestellt haben, auf dem mehrere Ablichtungen von Personen mit [X.], Hakenkreuzfahnen [X.] die Darstellung des "schlampigen" Hitlergrußes durch ein Kind angebracht waren. Das [X.] hat sich auf die Feststellung beschränkt, der Beschul-digte habe zu diesen [X.]punkten seinen Wohnsitz nicht mehr in P.

son-dern bereits in B.

gehabt. Diese Begründung ist lückenhaft. Es hätte der Auseinandersetzung mit dem Umstand bedurft, dass der Beschuldigte in einer Mehrzahl von in der Stellungnahme des [X.] im Einzelnen aufgeführten Fällen zeitnah ebenfalls in oder um P.

herum rechtswidrige Taten beging.

cc) Es ist nicht auszuschließen, dass das [X.] bei rechtsfehler-freier Beweiswürdigung zu einer anderen rechtlichen Einordnung von [X.] 4 der Urteilsgründe sowie zur Überzeugung von der Täterschaft in den [X.] und 5 der Antragsschrift gekommen wäre und auf dieser Grundlage die Gefähr-lichkeit des Beschuldigten anders eingeschätzt hätte.
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3. Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, bei der rechtlichen Wür-digung darzulegen, in welcher Handlung des Beschuldigten er welchen [X.] verwirklicht sieht. Es ist nicht Aufgabe des [X.], sich
aus einer Fülle erheblicher und unerheblicher Tatsachen diejenigen herauszu-suchen, in denen eine Straftat gesehen werden kann ([X.], Beschluss vom 14.
Juni 2002 -
3 [X.], [X.], 262). Bei [X.] 4 der Urteils-gründe kommt, sofern sich das [X.] bei gleichen Feststellungen zum objektiven Sachverhalt erneut nicht vom [X.] überzeugen kann, anstelle der Bedrohung eine versuchte Nötigung in Betracht (vgl. [X.], [X.] vom 8.
November 2005 -
1 [X.], [X.], 342).

[X.] [X.]von [X.]

[X.] Menges
10

Meta

3 StR 209/11

18.08.2011

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.08.2011, Az. 3 StR 209/11 (REWIS RS 2011, 3874)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3874

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