Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 11.07.2023, Az. 4 B 4/23

4. Senat | REWIS RS 2023, 5202

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Gegenstand

Erfolgreiche Rüge eines Verstoßes gegen Überzeugungsgrundsatz in einer bauordnungsrechtlichen Sache


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird der Beschluss des [X.] für das [X.] vom 20. Dezember 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht für das [X.] zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten, soweit über die Kosten nicht bereits rechtskräftig entschieden ist.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das erstinstanzliche Verfahren auf 10 000 € und für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht und das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt. Die Festsetzung des Streitwertes in dem Beschluss des [X.] für das [X.] vom 13. Dezember 2021 bleibt hiervon unberührt, soweit der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung verworfen worden ist.

Gründe

1

Die [X.]eschwerde hat mit der Verfahrensrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO Erfolg. Der [X.] hebt den [X.]eschluss auf und verweist den Rechtsstreit nach § 133 Abs. 6 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, soweit das Urteil des [X.] nicht nach § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig geworden ist.

2

1. Allerdings durfte das Oberverwaltungsgericht im Wege des [X.]eschlusses nach § 130a VwGO entscheiden, obwohl es die [X.]erufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten zugelassen hatte. Denn die Grenzen des von § 130a Satz 1 VwGO eröffneten Ermessens werden insoweit erst überschritten, wenn im vereinfachten [X.]erufungsverfahren ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, obwohl die Sache in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht außergewöhnlich große, das Maß des § 124 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VwGO übersteigende Schwierigkeiten aufweist ([X.]VerwG, Urteile vom 30. Juni 2004 - 6 C 28.03 - [X.]VerwGE 121, 211 <217> und vom 9. Dezember 2010 - 10 C 13.09 - [X.]VerwGE 138, 289 Rn. 24 sowie [X.]eschluss vom 24. Oktober 2018 - 6 [X.] 151.18 - [X.] 421.0 Prüfungswesen Nr. 435 Rn. 16). Solche außergewöhnlichen Schwierigkeiten warf der Fall nicht auf. Sie ergaben sich auch nicht daraus, dass der Kläger im Jahr 2018 bei der - insoweit unzuständigen - Gemeinde den Verzicht auf die [X.]aulasten beantragt hatte und die Gemeinde diese Anträge an den [X.]eklagten als Träger der nach § 85 Abs. 3 Satz 1 [X.]auO [X.] zuständigen [X.]auaufsichtsbehörde weitergeleitet hat.

3

2. Die [X.]eschwerde macht ebenso erfolglos geltend, das Oberverwaltungsgericht habe [X.]eweis darüber erheben müssen, ob die [X.]ebauung auf dem [X.]. ... mit dem materiellen [X.]aurecht in Übereinstimmung steht. Insoweit verfehlt sie die Anforderungen, die § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die [X.]ezeichnung eines Aufklärungsmangels stellt (vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 17. Oktober 2019 - 4 CN 8.18 - [X.]VerwGE 166, 378 Rn. 29 und [X.]eschluss vom 2. März 2023 - 4 [X.] 16.22 - Rn. 7). Hiervon unabhängig liegt auch kein Verfahrensmangel nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor. Denn nach der - insoweit maßgeblichen (vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 17. Dezember 2015 - 4 C 7.14 - [X.]VerwGE 153, 361 Rn. 22 und [X.]eschluss vom 22. Juni 2015 - 4 [X.] 59.14 - juris Rn. 43) - materiellen Rechtsauffassung des [X.] ([X.]A S. 11) kam es nicht darauf an, ob die [X.]ebauung auf dem [X.]. ... baurechtswidrig ist.

4

3. Die [X.]eschwerde rügt der Sache nach einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Diese Rüge hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht.

5

Fehler der Sachverhalts- und [X.]eweiswürdigung des Tatsachengerichts, die dem Überzeugungsgrundsatz gemäß § 108 Abs. 1 VwGO genügen muss, sind regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen. Die Grenzen der Freiheit der richterlichen Überzeugungsbildung sind mit der Folge des Vorliegens eines Verfahrensfehlers aber dann überschritten, wenn das Gericht seiner Sachverhalts- und [X.]eweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen oder sonst von objektiver Willkür geprägt sind (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 19. August 1997 - 7 [X.] 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 15, vom 23. August 2021 - 4 [X.] 7.21 - Rn. 3 m. w. N. und vom 2. März 2023 - 4 [X.] 16.22 - Rn. 26), ferner auch, wenn es Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätten aufdrängen müssen ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 30. Dezember 2016 - 9 [X.] 3.16 - NVwZ-RR 2017, 1037 Rn. 12).

6

Ein solcher Verfahrensfehler liegt vor. Nach Auffassung des [X.] durfte der [X.]eklagte bei seiner Ermessensausübung von einem Fortbestand des öffentlichen Interesses für die [X.]aulast ausgehen ([X.]A S. 10). Ein Eigentümer, der sich von einer mit der [X.]aulast übernommenen Verpflichtung befreien wolle, müsse einen entsprechenden Löschungsanspruch gegenüber der [X.]ehörde geltend machen. In diesem auf Löschung der [X.]aulast gerichteten Verfahren sei zu klären, ob die Eintragung gelöscht werden müsse oder fortbestehe. "Hier", also im Falle des [X.], fehle es an der "Geltendmachung eines Löschungsanspruchs" ([X.]A S. 11). Das Oberverwaltungsgericht hat seinen [X.]eschluss damit auf die Annahme gestützt, der Kläger habe keine Verfahren zur Löschung der [X.]aulasten betrieben. Dies trifft indes nicht zu. Das bestätigt der vom [X.]eklagten als Anlage [X.] 7 übersandte [X.], der den Antrag auf Löschung der [X.]aulast zu Gunsten des ehemaligen [X.]. ... (jetzt ...) enthält. Eines Hinweises des [X.] auf die Einleitung des Verfahrens bedurfte es nicht. Denn bereits das erstinstanzliche Urteil hatte den Antrag des [X.] zur Löschung der [X.]aulast zu Gunsten des (inzwischen vereinigten) Grundstücks [X.]. ... (ehemals [X.]. ... und ...) ([X.] erwähnt und der [X.]eklagte im [X.]erufungszulassungsverfahren auf "drei Anträge auf Löschung der [X.]aulasten" hingewiesen (Schriftsatz vom 28. Mai 2020, [X.]l. 20 der OVG-Akte; vgl. auch Schriftsatz vom 7. Oktober 2022, [X.]l. 132 der OVG-Akte).

7

Über die Anträge des [X.], die [X.]aulasten zu löschen, war noch nicht entschieden. Auf diesen Umstand kam es aber nach der materiell-rechtlichen Auffassung des [X.] nicht an. Es hat sich darauf gestützt, dass ein solcher Anspruch nicht geltend gemacht worden sei. Diese Formulierung lässt keinen Raum für die Auslegung, es komme auf eine wirksame oder bestandskräftige Entscheidung an, auf die [X.]aulast zu verzichten. Ob und unter welchen Voraussetzungen die (bloße) Geltendmachung des Anspruchs auf Löschung [X.]edeutung für das von dem [X.]eklagten auszuübende Ermessen hat, hat das Oberverwaltungsgericht in eigener Zuständigkeit nach Maßgabe des Landesrechts zu prüfen.

8

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG. Der [X.] hat Anlass gesehen, die Festsetzung des Streitwertes durch das Verwaltungsgericht nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 GKG von Amts wegen zu ändern, um der wirtschaftlichen [X.]edeutung der Angelegenheit Rechnung zu tragen. § 63 Abs. 1 Satz 2 GKG steht dieser Änderung nicht entgegen, da die Entscheidung in der Hauptsache noch nicht in vollem Umfang Rechtskraft erlangt hat und das Verwaltungsgericht bei seiner Streitwertfestsetzung zwischen den einzelnen Regelungen des [X.]escheides nicht unterschieden hat. [X.]ei der abschließenden Kostenentscheidung wird das Oberverwaltungsgericht zu berücksichtigen haben, dass der Kläger in erster Instanz zu einem Teil rechtskräftig obsiegt hat, über die Kosten des Verfahrens auf [X.]erufungszulassung zu einem Teil bereits rechtskräftig entschieden ist und nur ein Teil des ursprünglichen Streitgegenstandes Gegenstand des [X.]erufungs- und [X.]eschwerdeverfahrens geworden ist.

Meta

4 B 4/23

11.07.2023

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 20. Dezember 2022, Az: 10 A 1459/20, Beschluss

§ 132 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 133 Abs 6 VwGO, § 130a VwGO, § 108 Abs 1 S 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 11.07.2023, Az. 4 B 4/23 (REWIS RS 2023, 5202)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 5202

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