Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.09.2023, Az. V ZB 16/23

5. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 8450

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Gegenstand

Elektronischer Rechtsverkehr: Erforderlichkeit eines Dienstsiegels bei Übermittlung des Vollstreckungsantrags der Vollstreckungsbehörde über das besondere elektronische Behördenpostfach


Leitsatz

Für den elektronisch einzureichenden Vollstreckungsantrag der Vollstreckungsbehörde nach § 322 Abs. 3 AO, der über das besondere elektronische Behördenpostfach übermittelt worden ist, genügt die einfache Signatur der verantwortenden Person. Eines Dienstsiegels bedarf es nicht (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 6. April 2023 - I ZB 84/22, NJW-RR 2023, 906).

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Beteiligten zu 3 werden der Beschluss des [X.] - 6. Zivilkammer - vom 28. Februar 2023 aufgehoben und der Beschluss des [X.] vom 2. Februar 2023 geändert.

Der Beitritt der Beteiligten zu 3 zu dem Verfahren des [X.] über die Zwangsversteigerung der in dem Grundbuch von [X.]auf Blatt 12485 unter laufender Nr. 1 und 2 des [X.] eingetragenen Grundstücke (66 K 2016/21) wird zugelassen.

Gründe

I.

1

Auf Antrag der Beteiligten zu 1 hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 21. September 2021 die Zwangsversteigerung des eingangs genannten Grundbesitzes des Schuldners angeordnet und am 9. September 2022 den Beitritt der Beteiligten zu 2 zugelassen. Die Beteiligte zu 3, die [X.], vertreten durch das Hauptzollamt (nachfolgend: Hauptzollamt), hat am 28. Dezember 2022 über das besondere elektronische Behördenpostfach einen Antrag nach § 322 Abs. 3 [X.] auf Zulassung des Beitritts als einfach elektronisch signiertes Dokument an das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Amtsgerichts übermittelt. Der Aufforderung, den Antrag in Papierform oder elektronisch mit qualifizierter Signatur zu übersenden, ist das Hauptzollamt nicht nachgekommen. Daraufhin hat das Amtsgericht den Antrag auf Zulassung des Beitritts zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg gehabt. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt das Hauptzollamt seinen Antrag weiter.

II.

2

Das Beschwerdegericht meint, die Übermittlung des Antrags auf Zulassung des Beitritts zu dem Zwangsversteigerungsverfahren nach § 322 Abs. 3 [X.] über das besondere Behördenpostfach ohne qualifizierte elektronische Signatur genüge nicht den erweiterten Anforderungen an einen titelersetzenden Vollstreckungsauftrag. Auch nach Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs bedürfe es zur Wahrung des materiellen Schriftformerfordernisses bei Vollstreckungsaufträgen mit titelersetzender Wirkung der qualifizierten elektronischen Signatur oder eines elektronischen Siegels der Behörde. Nur auf diese Weise könne Verantwortung für den Vollstreckungsauftrag übernommen und die von der Rechtsprechung des [X.] vor Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs geforderte und auch nach neuer Rechtslage weiter zu fordernde besondere Authentizität durch Erkennbarkeit und Nachweis der die Verantwortung tragenden Person umgesetzt werden. Ein in das elektronische Dokument eingefügtes Dienstsiegel biete, anders als die qualifizierte elektronische Signatur, das elektronische Siegel oder das gestempelte Siegel auf einem privatschriftlichen Dokument, für die Beurteilung der Authentizität keinen Mehrwert.

III.

3

Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 575 ZPO) Rechtsbeschwerde ist begründet. Entgegen der Ansicht des [X.] bedurfte der über das besondere Behördenpostfach elektronisch übermittelte Antrag des [X.] auf Zulassung des Beitritts zu dem Zwangsversteigerungsverfahren (§§ 15, 27 [X.]) weder einer qualifizierten Signatur noch eines Dienstsiegels.

4

1. Die Finanzbehörden können Verwaltungsakte, mit denen eine Geldleistung, eine sonstige Handlung, eine Duldung oder Unterlassung gefordert wird, im [X.] vollstrecken (§ 249 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Für die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen verweist § 5 VwVG auf die Vorschriften in § 77 Abs. 2, §§ 322, 323 [X.]. Nach § 322 Abs. 1 Satz 2 [X.] sind auf die Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen des Schuldners die für die gerichtliche Zwangsvollstreckung geltenden Vorschriften, namentlich die §§ 864 bis 871 ZPO und das Zwangsversteigerungsgesetz, anzuwenden. Der auf die Anordnung eines [X.] (§ 15 [X.]) oder einen Beitritt (§ 27 [X.]) bezogene Antrag fällt in den Verantwortungsbereich der Vollstreckungsbehörde (§ 322 Abs. 3 Satz 1, § 249 Abs. 1 Satz 3 [X.]; vgl. Senat, Beschluss vom 15. Juli 2021 - [X.], [X.], 1800 Rn. 21; [X.], 53, 56). Sie hat hierbei zu bestätigen, dass die Voraussetzungen für die Vollstreckung vorliegen (§ 322 Abs. 3 Satz 2 [X.]). Ob dies zutrifft, darf nicht durch das Vollstreckungsgericht nachgeprüft werden (§ 322 Abs. 3 Satz 3 [X.]). Die Maßnahmen, die zur Durchführung der Zwangsversteigerung eines Grundstücks getroffen werden müssen, bestimmen sich nach dem Zwangsversteigerungsgesetz (vgl. Senat, Beschluss vom 15. Juli 2021 - [X.], [X.], 1800 Rn. 7).

5

2. Nach der grundsätzlich auch im Zwangsversteigerungsverfahren anwendbaren Zivilprozessordnung (§ 869 ZPO) muss die Vollstreckungsbehörde den Antrag gemäß §§ 15, 16, 27 [X.] auf Anordnung des [X.] bzw. auf Zulassung des Beitritts als elektronisches Dokument übermitteln (§ 130d ZPO). Nach § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO muss das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Zu den sicheren Übermittlungswegen gehört nach § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ZPO der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfach einer Behörde und der elektronischen Poststelle des Gerichts.

6

3. Anders als das Beschwerdegericht meint, legt § 130a ZPO die formellen Anforderungen an den [X.] der Vollstreckungsbehörde nach § 322 Abs. 3 [X.] abschließend fest.

7

a) Das Berufungsgericht stützt sich für seine Beurteilung auf den Beschluss des [X.] vom 18. Dezember 2014 ([X.], [X.], 1117) zu §§ 6, 7 [X.] aF (§§ 6, 7 [X.]). Ob diese Rechtsprechung auf einen [X.] nach § 322 Abs. 3 [X.] überhaupt übertragbar ist, lässt sich, wie die Rechtsbeschwerde zutreffend geltend macht, im Hinblick auf die in § 322 Abs. 3 Satz 3 [X.] getroffene Regelung bezweifeln; es handelt sich nämlich - anders als das Beschwerdegericht annimmt - nicht um einen titelersetzenden [X.] (vgl. Senat, Beschluss vom 15. Juli 2021 - [X.], [X.], 1800 Rn. 21).

8

b) Das kann aber dahinstehen, weil sich selbst für das [X.] die Anforderungen an den (dort titelersetzenden) [X.] zwischenzeitlich geändert haben. Der [X.] hat - allerdings erst nach Erlass des angegriffenen Beschlusses - entschieden, dass die zuvor geltenden Anforderungen an einen in Papierform eingereichten titelersetzenden [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Dezember 2014 - [X.], [X.], 1117 Rn. 16) auf einen elektronisch eingereichten [X.], der den Vorschriften über die Zwangsvollstreckung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten unterliegt, nicht übertragen werden können. Nimmt das Verfahrensrecht auf die Vorschrift des § 130a ZPO Bezug, ergeben sich daraus die Anforderungen an die Übermittlung des titelergänzenden [X.]s als elektronisches Dokument. Titelersetzende [X.] entsprechen danach den im elektronischen Rechtsverkehr geltenden Formanforderungen, wenn sie entweder von der sie verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert worden oder von der sie verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden sind. Durch die Einreichung über einen sicheren Übermittlungsweg ist die Authentizität des [X.]s mit Blick auf dessen Herkunft von der dazu befugten Behörde gewährleistet. Weitere Formerfordernisse bestehen nicht, es sei denn, das Verfahrensrecht, dem der titelersetzende [X.] unterliegt, bestimmt etwas anderes (vgl. zum Ganzen [X.], Beschluss vom 6. April 2023 - [X.], NJW-RR 2023, 906 Rn. 22 ff., 27 ff., 32 zu dem [X.] nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 [X.]; Beschluss vom 1. Juni 2023 - [X.], [X.], 1469 Rn. 11 ff., 13 zu der Vollstreckung nach § 5a Abs. 1 Satz 5 VwVG NW aF/§ 5a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwVG NW nF).

9

c) Ebenso legt die von § 322 Abs. 1 Satz 2 [X.] durch Verweisung auf die Zivilprozessordnung in Bezug genommene Vorschrift des § 130a ZPO die formellen Anforderungen an den [X.] der Vollstreckungsbehörde nach § 322 Abs. 3 [X.] abschließend fest. Für den elektronisch einzureichenden [X.] der Vollstreckungsbehörde nach § 322 Abs. 3 [X.], der über das besondere elektronische Behördenpostfach übermittelt worden ist, genügt die einfache Signatur der verantwortenden Person. Die (einfache) Signatur in Verbindung mit einem sicheren Übermittlungsweg ist der qualifizierten elektronischen Signatur nach § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO gleichgestellt. Eines Dienstsiegels bedarf es nicht. Der Gesetzgeber hat in § 130a ZPO kein solches Formerfordernis vorgesehen (vgl. [X.], Beschluss vom 6. April 2023 - [X.], NJW-RR 2023, 906 Rn. 32).

4. Der Antrag des [X.] auf Zulassung des Beitritts gemäß § 322 Abs. 3 [X.], § 27 [X.] entspricht den Anforderungen des elektronischen Rechtsverkehrs. Er wurde nach § 130a Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ZPO auf einem sicheren Übermittlungsweg über das besondere elektronische Behördenpostfach eingereicht und ist von der verantwortenden Person (einfach) signiert.

III.

1. Der angefochtene Beschluss kann somit keinen Bestand haben. Da die Sache entscheidungsreif ist, kann der Senat über den Antrag des [X.] selbst entscheiden und seinen Beitritt zulassen (§ 577 Abs. 5 ZPO). Aus dem in Bezug genommenen Antrag vom 28. Dezember 2022 ergibt sich, dass das Hauptzollamt das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Vollstreckung bestätigt hat (§ 322 Abs. 3 Satz 2 [X.]).

2. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da sich die Beteiligten in einem Zwangsversteigerungsverfahren im Grundsatz - und auch hier - nicht kontradiktorisch gegenüber stehen (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Januar 2007 - [X.], [X.]Z 170, 378 Rn. 7).

Brückner     

      

Göbel     

      

Haberkamp

      

Laube     

      

Grau     

      

Meta

V ZB 16/23

28.09.2023

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Oldenburg (Oldenburg), 28. Februar 2023, Az: 6 T 96/23

§ 130a Abs 3 S 1 ZPO, § 130a Abs 4 S 1 Nr 3 ZPO, § 130d ZPO, § 322 Abs 3 AO, § 15 ZVG, § 27 ZVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.09.2023, Az. V ZB 16/23 (REWIS RS 2023, 8450)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 8450

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