Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.02.2004, Az. 1 StR 474/03

1. Strafsenat | REWIS RS 2004, 4727

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[X.] DES VOLKESURTEIL1 StR 474/03vom4. Februar 2004in der Strafsachegegenwegen schwerer räuberischer [X.] des [X.] hat in der Sitzung vom 4. Februar2004, an der teilgenommen haben:[X.] am [X.] [X.] am [X.]. [X.],[X.],[X.],[X.]in am [X.],[X.]als Vertreter der [X.],Rechtsanwalt als Verteidiger,Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,für Recht erkannt:- 3 -Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 18. Juni 2003 im [X.] den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlungund Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, aneine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.Von Rechts wegenGründe:Das [X.] hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer [X.] zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten ver-urteilt. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer wirksam auf den [X.] beschränkten und zu Ungunsten des Angeklagten eingelegtenRevision gegen das Absehen von der Anordnung der Sicherungsverwahrung;sie rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel ist begründet.[X.] Nach den Feststellungen des [X.] beging der 1952 geboreneAngeklagte vor der hier abgeurteilten Tat bereits vier Banküberfälle. Im [X.] überfiel er die Volksbank S. , wo er ca. 14.000 DM erbeutete,und auf der Flucht sodann eine Zweigstelle der [X.]; dort [X.] er die Herausgabe von 16.000 DM. Nachdem er seine Beute durchGlücksspiele verbraucht hatte, überfiel er schließlich eine Bank in [X.]und erwirkte die Übergabe von 97.000 DM. Deswegen verurteilte ihn das[X.] [X.] 1984 wegen schwerer räuberischer Erpressung in [X.] zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten,- 4 -die der Angeklagte verbüßte. Während eines [X.] überfiel er 1988eine Bankfiliale in [X.] . Dort nahm er im [X.] 50.000 DM an sich und[X.] schließlich vom Filialleiter die Herausgabe weiterer 112.000 DM. [X.] dieser Tat verurteilte ihn das [X.] Karlsruhe 1988 wegen schwererräuberischer Erpressung zur Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Mona-ten. Nachdem der Angeklagte zwischenzeitlich noch wegen Sachbeschädi-gung, begangen bei einem Fluchtversuch aus der Justizvollzugsanstalt, zu [X.] Geldstrafe verurteilt worden war, wurde er im August 1999 aus der Strafhaftentlassen.Im August des Jahres 2002 sah der Angeklagte dem Verlust seines Ar-beitsplatzes entgegen; er war zudem verschuldet. Mit zwei Bekannten erwoger, eine Bank zu überfallen. Nachdem drei verschiedene Objekte ins Auge ge-faßt waren, überfiel er schließlich am 26. August 2002 gemeinsam mit dem [X.] Mitangeklagten [X.]die Filiale der [X.]inO. . Der Angeklagte und [X.]führten je eine Schreckschuß-pistole bei sich, die für einen unbefangenen Beobachter wie echte Schußwaf-fen aussahen. Der Angeklagte hatte überdies - wie schon bei einem der [X.] eine Bombenattrappe vorbereitet, mit der er die in einer [X.] stehende Kassiererin zum Öffnen der Zugangstür zwingenwollte. [X.]war mit einer Gesichtsmaske aus Armeebeständen ausgestat-tet, der Angeklagte hatte lediglich eine Baseballmütze auf dem Kopf und ver-zichtete sonst auf Tarnung. Er trat vor die [X.], zog aus dem mitgeführ-ten Rucksack seine Schreckschußwaffe und richtete diese durch das Sicher-heitsglas auf die Kassiererin. Gleichzeitig stellte er seine Bombenattrappe di-rekt an das Sicherheitsglas und sagte: "Dies ist ein Überfall. Jetzt geht [X.] hoch. Machen Sie die Tür auf!" Als die Kassiererin erwiderte, der- 5 -Angeklagte solle "den Blödsinn" lassen, betrat auch der Mittäter [X.]dieBank und hielt seine Waffe in der Hand. Er ging zielstrebig zu den hinterenBüroräumen. Die Kassiererin fürchtete nun um ihr Leben und öffnete die Zu-gangstür zur [X.]. Der Angeklagte richtete weiter seine Waffe auf [X.] befahl ihr, sich auf den Boden zu legen. Er ging zum Schalter und packtedie auf dem [X.] liegenden Geldscheine ein. Er befahl der Zeugin, siesolle auf dem Boden liegen bleiben und ging dann zum Ausgang. Der Mittäter[X.]hatte im rückwärtigen Büroraum seine Waffe auf die junge Filialleiteringerichtet, die im dritten Monat schwanger war, in Panik geriet und Todesangstverspürte. Auch sie mußte sich auf den Boden legen und die Arme spreitzen.Sie versuchte jedoch, sich etwas auf die Seite zu legen, da sie panische Angsthatte, sich in ihrem Zustand auf den Bauch zu legen. Sie flehte den Mittäter[X.]an, ihr nichts zu tun. Als dieser hörte, daß der Angeklagte dabei war,die Bank zu verlassen, drehte er sich um und folgte diesem. Beide fuhren da-von. Die Beute belief sich auf knapp 50.000 Euro. Die beiden [X.] befanden sich infolge des Überfalls in einem Schockzustand. Die Filialleite-rin war völlig aufgelöst, mußte einen Arzt aufsuchen und war für zwei [X.]. Sie mußte danach therapeutische Hilfe in Anspruch [X.], ist nach der Geburt ihres Kindes beurlaubt und hat sich nicht vorstellenkönnen, wieder ihre Funktion als Filialleiterin auszuüben oder im [X.] zu arbeiten.Das [X.] hat von der Anordnung der Sicherungsverwahrung ge-gen den Angeklagten abgesehen. Die formellen Voraussetzungen seien zwarerfüllt (§ 66 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB). Der für die Anordnung [X.] des Angeklagten zu erheblichen Straftaten sei indessen nicht mit dernotwendigen Sicherheit feststellbar (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Bei dem Ange-klagten bestehe zwar ein "erhöhtes Rückfallrisiko". Er verfüge aber über ein- 6 -intaktes Wertesystem. Auf ihn könne durchaus positiv eingewirkt werden, [X.] positive Entwicklung nach einer fast zweijährigen Sozialtherapie [X.] des Vollzuges zeige. Das erhöhte Rückfallrisiko mindere sich [X.] die erkannte vieljährige Freiheitsstrafe. Der Angeklagte werde nach [X.] erwartenden vollständigen Verbüßung nahezu 60 Jahre alt sein. [X.] sich die Rückfallwahrscheinlichkeit, "jedenfalls für die Begehung [X.]". Aus einer erhöhten Rückfallwahrscheinlichkeit könne zudemnicht unmittelbar auf einen inneren Hang geschlossen werden. Sicherungsver-wahrung sei die ultima ratio strafrechtlicher Sanktionen. Deshalb seien beson-dere Anforderungen an die Feststellung der Voraussetzungen zu stellen. [X.] unterscheide sich die neue Tat des Angeklagten von früheren Taten. [X.] in Vorgesprächen mit dem Mittäter wechselseitig bestärktworden. Der Angeklagte selbst habe am Tattag noch zweimal Vorwände ge-funden, um die Tat bei verschiedenen angefahrenen Objekten nicht auszufüh-ren, dann aber nicht über [X.]" verfügt, seine Bedenken auszu-sprechen und das Vorhaben "abzublasen".I[X.] Die Begründung, mit der das [X.] die materiellen Vorausset-zungen der Sicherungsverwahrung verneint hat, begegnet durchgreifendenrechtlichen Bedenken.1. Soweit die [X.] ausführt, ein Hang des Angeklagten zur [X.] erheblicher Straftaten sei nicht mit der notwendigen Sicherheit fest-stellbar, läßt dies besorgen, daß sie die Anforderungen an die Annahme einessolchen Hanges überspannt hat (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB).Das Merkmal "Hang" im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verlangt eineneingeschliffenen inneren Zustand des [X.], der ihn immer wieder neueStraftaten begehen läßt. [X.] ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten- 7 -entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wie-der straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet; ebenso aber auch derje-nige, der [X.] ist und aus innerer Haltlosigkeit [X.] nicht zuwiderstehen vermag. Entscheidend ist das Bestehen eines solchen Hanges,nicht dessen Ursache (vgl. [X.]R StGB § 66 Abs. 1 Hang 1; [X.] NStZ 1999,502; [X.], Beschluß vom 20. Februar 2002 - 2 StR 486/01).Die [X.] hat ausgeführt, aus der - von ihr angenommenen - [X.] Rückfallwahrscheinlichkeit könne nicht unmittelbar auf einen [X.] geschlossen werden. Sie hätte sich in diesem Zusammenhang näher mitden Vorverurteilungen und den Umständen, unter denen es zu diesen wie auchzur verfahrensgegenständlichen Tat kam, auseinandersetzen müssen. Der An-geklagte hat nach drei Banküberfällen aus einem Hafturlaub heraus erneut1988 eine einschlägige Tat begangen und zwei langjährige Freiheitsstrafenverbüßen müssen. Zwar ist er nach seiner Haftentlassung etwa drei Jahre nichtstraffällig geworden, hat dann aber, in einer schwieriger werdenden Lebenssi-tuation im Alter von 50 Jahren die neue Tat begangen. Unter diesen [X.] hätte die [X.] darauf eingehen müssen, welche Bedeutung demUmstand zukommt, daß der Angeklagte den durch seine Lebenslage bedingtenEinflüssen und der von anderen Personen ausgehenden Versuchung letztlichnachgab. Dies deutet auf innere Haltlosigkeit und Willensschwäche hin, in de-ren Folge der Angeklagte [X.] nicht zu widerstehen vermag. Auch [X.] eine fest eingewurzelte Neigung gründen, in entsprechenden Situationenschwerwiegende Straftaten zu begehen. Nach der Begehung des [X.] liegt solches eher nahe.2. Schließlich geben die Urteilsgründe Anlaß zu der Annahme, daß das[X.] auch für die Gefährlichkeitsprognose von einem nicht zutreffenden- 8 -Maßstab ausgegangen sein könnte. Es hat ausgeführt, das erhöhte [X.] mindere sich durch die erkannte vieljährige Freiheitsstrafe; der Angeklagtewerde nach der zu erwartenden vollständigen Verbüßung nahezu 60 Jahre altsein.Bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung ist für die Gefährlich-keitsprognose (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB) nach feststehender [X.] [X.] grundsätzlich der Zeitpunkt der Aburteilung maßgeb-lich (vgl. [X.]St 25, 59, 61; [X.]R StGB § 66 Abs. 1 Hang 3; [X.] [X.],535; siehe zu § 66 Abs. 2 StGB auch [X.]R StGB § 66 Abs. 2 Ermessensent-scheidung 6; [X.], Urteil vom 2. Dezember 2003 - 1 [X.] - [X.] Frage, ob die Gefährlichkeit zum Zeitpunkt der Entlassung aus der Straf-haft noch vorhanden sein wird, muß grundsätzlich einer Überprüfung nach § 67c Abs. 1 StGB vor Ende des Vollzuges der Strafe vorbehalten bleiben. Der [X.] darf - zumal bei der Frage einer obligatorischen Sicherungsverwahrungnach § 66 Abs. 1 StGB - dem Alter des Angeklagten und den Wirkungen eineslangjährigen Strafvollzuges allenfalls dann Bedeutung beimessen, wenn schonbei Urteilsfindung mit Sicherheit angenommen werden kann, daß aufgrunddessen eine Gefährlichkeit des [X.] bei Ende des Vollzuges der Strafe nichtmehr bestehen wird. Die bloße Möglichkeit künftiger Besserung oder die Hoff-nung auf sich ändernde Umstände können die Gefährlichkeit jedoch nicht aus-räumen (vgl. [X.]R StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 3; [X.], [X.], 535;NStZ-RR 1998, 206; [X.], Urteil vom 7. November 2000 - 1 StR 377/00; [X.] 20. Februar 2002 - 2 StR 486/01). Die Würdigung der [X.], diegenannten Umstände (vieljährige Freiheitsstrafe, Lebensalter nach [X.] 60 Jahre) minderten die Rückfallwahrscheinlichkeit, wird diesen [X.] nicht gerecht. Die Charakterisierung des Angeklagten und die Pro-gnose legen eher nahe, daß eine nicht mehr bestehende Gefährlichkeit zum- 9 -Zeitpunkt der Entlassung aus der Strafhaft nicht sicher wird angenommen wer-den können. Das deutet die [X.] selbst an, indem sie von einer [X.] Rückfallwahrscheinlichkeit ausgeht.II[X.] Über die Anordnung der Sicherungsverwahrung muß mithin neu be-funden werden. Auch der Ausspruch über die Freiheitsstrafe kann danach kei-nen Bestand haben. Die [X.] hat hervorgehoben, daß sie auf eine ge-ringere Freiheitsstrafe erkannt hätte, wenn sie die Sicherungsverwahrung hätteanordnen müssen.Vorsorglich weist der Senat in diesem Zusammenhang darauf hin, daßzwischen der Bemessung der Höhe einer zu verhängenden Freiheitsstrafe undder Anordnung der Maßregel der Sicherungsverwahrung kein unmittelbarerund notwendiger Zusammenhang besteht. Die Zumessung der Strafe folgtgrundsätzlich der Schuld des [X.]; die Wirkungen, die von ihr für das künfti-ge Leben des [X.] zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen (§ 46 Abs. 1StGB; vgl. auch [X.]R StGB § 66 Strafausspruch 1).Die Sache ist an eine allgemeine [X.] zurückzuverweisen, weillediglich gegen den erwachsenen Angeklagten neu zu verhandeln und zu [X.] ist.[X.][X.] [X.] [X.] Elf

Meta

1 StR 474/03

04.02.2004

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.02.2004, Az. 1 StR 474/03 (REWIS RS 2004, 4727)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 4727

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