Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.10.2011, Az. 3 StR 351/11

3. Strafsenat | REWIS RS 2011, 1858

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 351/11
vom
27. Oktober 2011
in der Strafsache
gegen

wegen
Totschlags

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Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des [X.] am 27. Oktober 2011 gemäß § 349 Abs. 4 [X.] einstimmig beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 30. Mai 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Frei-heitsstrafe von acht Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entzie-hungsanstalt angeordnet. Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet das Verfahren.

1. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg. Der Schuldspruch hat keinen Bestand, denn das Urteil entbehrt einer die Annahme von Tötungsvor-satz tragenden
lückenlosen Beweiswürdigung.

a) Nach den Feststellungen half der Angeklagte am 10. November 2010 gegen 24.00 Uhr seiner erheblich alkoholisierten Ehefrau von der Toilette hoch, wobei diese niederfiel und im Badezimmer zu liegen kam. Schon zu diesem Zeitpunkt, spätestens aber im Laufe des folgenden Vormittags entschloss er 1
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sich, seine (weiterhin) so daliegende Ehefrau zu töten. Hierzu würgte er sie mehrere Minuten mit beiden Händen, so dass sie schließlich erstickte. "[X.] vor oder nach" der Tat legte er ihr ein Kissen unter den Kopf und deckte sie mit einer Decke zu. Nicht sicher ausschließen kann das [X.], dass der ebenfalls unter Alkoholeinfluss stehende Angeklagte "aufgebracht und derart enthemmt war, dass seine Steuerungsfähigkeit im Zeitpunkt der Gewaltaus-übung erheblich eingeschränkt war".

b) Auf den Vorsatz des Angeklagten, seine Ehefrau zu töten, schließt das [X.] daraus, dass ihm aufgrund der dauerhaften und massiven Einwirkung auf deren Hals deren "lebensbedrohliche Situativerborgen bleiben können." Die Art der Einwirkung lasse "keinen anderen Rückschluss zu als dass der Angeklagte mit Tötungsabsicht gehandelt hat". Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Zwar ist das Würgen eines Menschen über
mehrere Minuten eine
äußerst gefährliche Gewalthandlung, deren Lebensbedrohlichkeit für gewöhn-lich ohne weiteres erkennbar ist und die deshalb grundsätzlich darauf schließen lässt, der Täter habe den Tod des Opfers beabsichtigt oder jedenfalls billigend in Kauf genommen. Rechtsfehlerfrei ist ein solcher Schluss jedoch nur dann, wenn der Tatrichter auch alle nach Sachlage in Betracht kommenden subjekti-ven und objektiven Umstände in seine Erwägungen einbezieht, die dieses Er-gebnis in Frage stellen können; dies gilt insbesondere bei der Annahme direk-ten Tötungsvorsatzes ([X.], Beschluss vom 2. August 2011 -
3 [X.]). So versteht es sich etwa nicht von selbst, dass ein Täter, der in einem seine Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigenden Maße alkoholisiert ist, noch erkennt, dass seine Gewalthandlung zum Tode des Opfers führen kann (vgl. [X.], Beschluss vom 7. November 2002 -
3 [X.], NStZ
2004, 51).
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Danach hätte sich das [X.] bei der Prüfung des Tötungsvorsat-zes auch damit auseinandersetzen müssen, dass der Angeklagte zur Tatzeit möglicherweise unter erheblichem, seine Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchti-genden Alkoholeinfluss stand. Dies gilt um so mehr, als das [X.] ein Tatmotiv nicht feststellen und nicht ausschließen kann, dass der Angeklagte seiner Ehefrau nach dem Geschehen noch ein Kissen unter den Kopf legte und sie zudeckte.

Wegen der bei dieser Sachlage erforderlichen Gesamtwürdigung aller objektiven und subjektiven Tatumstände gibt der Senat dem neuen Tatrichter Gelegenheit, nicht nur zur inneren Tatseite, sondern insgesamt neue [X.] zu treffen.

2. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es danach nicht mehr an. Gleichwohl bemerkt der Senat:

Lehnt der Tatrichter eine Mehrzahl von Beweisanträgen deshalb ab, weil er die darin unter Beweis gestellten Indiztatsachen aus tatsächlichen Gründen als für die Entscheidung ohne Bedeutung erachtet (§ 244 Abs. 3 Satz 2 [X.]), so darf er die einzelnen Anträge nicht nur für sich betrachten. Vielmehr hat er

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jeweils auch die weiteren [X.] (erneut) in Bedacht zu nehmen und in dem ablehnenden Beschluss darzulegen, weshalb er selbst bei einer Gesamtwürdigung aller dieser Indiztatsachen einen im Falle ihres [X.] nur möglichen Schluss nicht ziehen möchte ([X.]/[X.], [X.], 26.
Aufl., § 244 Rn. 225 mwN).

[X.] von [X.]Schäfer

Mayer Menges

Meta

3 StR 351/11

27.10.2011

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.10.2011, Az. 3 StR 351/11 (REWIS RS 2011, 1858)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1858

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

1 StR 248/16

Zitiert

3 StR 351/11

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