Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.07.2019, Az. 3 StR 155/19

3. Strafsenat | REWIS RS 2019, 5671

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Gegenstand

Revisionsverfahren in Strafsache: Abschiebung als Prozesshindernis


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 10. Dezember 2018 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung zu Freiheitsstrafe verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Seine Revision, mit der er ein Prozesshindernis geltend macht und die Verletzung materiellen Rechts rügt, ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 [X.].

2

1. Anders als die Revision meint, begründet es kein - dauerndes oder vorübergehendes - Prozesshindernis im Sinne von § 206a Abs. 1 bzw. § 205 Satz 1 [X.], dass der Angeklagte nach Einlegung der Revision und vor Zustellung des angefochtenen Urteils aus der Untersuchungshaft heraus in den [X.] abgeschoben worden ist.

3

a) Hat ein Angeklagter einen Verteidiger, so hindert seine Abschiebung den Fortgang des Revisionsverfahrens im Grundsatz - wie auch hier - nicht (zur Überstellung eines Angeklagten aufgrund Rückführungsverlangens eines anderen Staates vor der Revisionshauptverhandlung s. [X.], Beschlüsse vom 19. Dezember 1986 - 2 StR 588/86, [X.]R GG Art. 25 Restitutionsanspruch 1; vom 18. Februar 1987 - 2 StR 588/86, juris Rn. 4; die Verfassungskonformität dieser Entscheidungen bestätigend [X.], Beschluss vom 19. Oktober 1994 - 2 BvR 435/87, NJW 1995, 651; zur freiwilligen Ausreise ins Ausland vgl. [X.] Celle, Beschluss vom 13. Oktober 2011 - 31 Ss 42/11, juris Rn. 5). Die zwangsweise Rückführung des Angeklagten gebietet weder mit Blick auf das Prinzip des fairen Verfahrens nach § 6 Abs. 1 [X.] noch auf das Recht auf Verteidigung gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchst. c [X.] für sich gesehen die Einstellung des Verfahrens.

4

Die grundsätzliche Ablehnung eines solchen Prozesshindernisses folgt aus dem Wesen der Revision als eines auf Rechtsprüfung beschränkten Rechtsmittels, dem die gesetzliche Ausgestaltung des Revisionsverfahrens Rechnung trägt, und steht in Einklang mit der Rechtsprechung zur Verfahrensvoraussetzung der Verhandlungsfähigkeit in der Revisionsinstanz.

5

aa) Zwischen dem Tat- und dem Revisionsgericht besteht eine prinzipielle Aufgabenteilung dergestalt, dass dem Tatgericht die Aufklärung und Feststellung des ihm durch die Anklage unterbreiteten Sachverhalts sowie die Rechtsanwendung hierauf einschließlich der Festsetzung gerechter Rechtsfolgen obliegt, während das Revisionsgericht zu überprüfen hat, ob das angefochtene tatrichterliche Urteil aus sich heraus Rechtsfehler enthält und in gesetzmäßiger Weise zustande gekommen ist.

6

Dementsprechend kann in der Hauptverhandlung vor dem Tatgericht die Einlassung des Angeklagten wesentliche Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung sein. Er kann selbst Anträge stellen und Zeugen befragen. Er wird vor Entscheidungen des Gerichts neben seinem Verteidiger angehört. Diese Rechte geben dem Angeklagten die Möglichkeit, das Verfahren unabhängig von seinem Verteidiger mitzugestalten und sich so zu verteidigen. Demgegenüber finden im Revisionsverfahren Erörterungen tatsächlicher Art im Allgemeinen nicht statt. Die Möglichkeiten des Angeklagten, dieses Verfahren mitzugestalten, sind gering. Selbst kann der Angeklagte das Rechtsmittel lediglich einlegen und zurücknehmen. Schon die Bestimmung des Umfangs der Anfechtung kann der Angeklagte nur durch seinen Verteidiger (oder zu Protokoll der Geschäftsstelle) vornehmen (§ 344 Abs. 1 [X.]). Dasselbe gilt für die nach § 344 Abs. 2 [X.] erforderliche Begründung der Revision. In der Revisionshauptverhandlung hat der auf freiem Fuß befindliche Angeklagte das Recht auf Anwesenheit und auf Gewährung des letzten Worts. Freilich kann er dabei für das Revisionsverfahren maßgebliche Erklärungen gemäß § 344 [X.], die nach § 345 [X.] nur befristet angebracht werden können und der dort genannten Form bedürfen, nicht wirksam abgeben (s. zum Ganzen [X.], Beschluss vom 8. Februar 1995 - 5 [X.], [X.]St 41, 16, 18 f.). Der nicht auf freiem Fuß befindliche Angeklagte kann seine Anwesenheit in der Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht nicht erzwingen; die Entscheidung darüber steht vielmehr in dessen Ermessen (§ 350 Abs. 2 Satz 3 [X.]). Dies ist wegen der skizzierten Ausgestaltung des Revisionsverfahrens unbedenklich, wenn der Angeklagte einen Verteidiger hat und dieser in der Hauptverhandlung anwesend ist (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Februar 1995 - 5 [X.], aaO, S. 19).

7

bb) In Anbetracht dessen ist etwa auch für die Verfahrensvoraussetzung der Verhandlungsfähigkeit anerkannt, dass es im Revisionsverfahren für die Wahrung der Verteidigungsinteressen des Angeklagten ausreichend ist, wenn er die Fähigkeit hatte, über die Einlegung des Rechtsmittels verantwortlich zu entscheiden, und wenigstens zeitweilig zu einer Grundübereinkunft mit seinem Verteidiger über Fortführung oder Rücknahme des Rechtsmittels in der Lage ist (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom 8. Februar 1995 - 5 [X.], [X.]St 41, 16, 19; vom 21. Dezember 2016 - 4 StR 527/16, [X.], 490; Urteil vom 4. Juli 2018 - 5 StR 46/18, NStZ-RR 2018, 320, 321; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit s. [X.], Beschluss vom 24. Februar 1995 - 2 BvR 345/95, NJW 1995, 1951, 1952).

8

b) Im Fall der Abschiebung ist ein Prozesshindernis zwar ausnahmsweise in Betracht zu ziehen, falls es dem Angeklagten tatsächlich nicht möglich ist, mit seinem Verteidiger in Verbindung zu treten. Da sich ein Angeklagter zu diesem Zweck moderner Kommunikationsmittel bedienen kann, wird mit der Abschiebung jedoch selten die Vereitelung einer Kontaktaufnahme einhergehen (aA - ohne nähere Begründung - [X.] Brandenburg, Beschluss vom 26. Mai 2004 - 2 Ws 97/04, [X.], 49 f.). Im zu beurteilenden Fall besteht hierfür keinerlei Anhalt. Gerade der Vortrag des Verteidigers zu Einzelheiten der Abschiebung spricht, ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt, für eine solche Kommunikationsmöglichkeit. Denn seine diesbezüglichen Kenntnisse beruhen naheliegenderweise darauf, dass der Angeklagte dem Verteidiger oder seiner in [X.] lebenden Familie, noch bevor dieser die [X.] verfasst hat, Informationen über seine zwangsweise Rückführung in den [X.] erteilt hatte.

9

c) Daraus, dass einem abgeschobenen Angeklagten versagt ist, selbst die Revisionsbegründung zu Protokoll der Geschäftsstelle zu erklären, ergibt sich nichts anderes. Trotz eines solchen Mangels bei der persönlichen Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte (zum Anspruch des verteidigten Angeklagten auf Protokollerklärung s. LR/[X.], [X.], 26. Aufl., § 345 Rn. 16; [X.] [X.]/Wiedner, § 345 Rn. 36) sind diese ausreichend gewahrt, wenn er einen Verteidiger hat, zumal dieser - anders als gewöhnlich der Angeklagte - rechtskundig ist.

Im zu beurteilenden Fall kommt hinzu, dass der im Revisionsverfahren tätige Verteidiger dem Angeklagten bereits im Ermittlungsverfahren beigeordnet worden war und an der Hauptverhandlung teilgenommen hat. Welchen revisionsrechtlich erheblichen Informationsvorsprung der Angeklagte ihm gegenüber gehabt haben könnte, der persönliche Erklärungen zu Protokoll der Geschäftsstelle als erfolgversprechender hätte erscheinen lassen, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Auch in anderem Zusammenhang gilt, dass die Beiordnung eines Verteidigers geeignet ist, erkennbare Mängel bei der persönlichen Wahrnehmung der Verteidigungsrechte zu kompensieren (vgl. [X.], Beschluss vom 9. Februar 2017 - StB 2/17, [X.]R GVG § 184 Gerichtssprache 1 Rn. 10; ferner MüKo[X.]/[X.], § 205 Rn. 34).

2. Die auf die Sachbeschwerde gebotene umfassende materiellrechtliche Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

[X.]     

      

Spaniol     

      

Berg   

      

Hoch     

      

Anstötz     

      

Meta

3 StR 155/19

09.07.2019

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Osnabrück, 10. Dezember 2018, Az: 15 KLs 17/18

§ 205 S 1 StPO, § 206a Abs 1 StPO, § 350 Abs 2 S 3 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.07.2019, Az. 3 StR 155/19 (REWIS RS 2019, 5671)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 5671

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