Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.12.2019, Az. 4 StR 485/19

4. Strafsenat | REWIS RS 2019, 295

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Inbrandsetzungsvorsatz bei Kenntnis von brandgefährdeter Treppenanlage und Schmerzengeldantrags-Voraussetzungen


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 15. Mai 2019 mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte im Fall II. 2 der Urteilsgründe verurteilt worden ist, und

b) im Adhäsionsausspruch.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Sachbeschädigung, versuchter schwerer Brandstiftung, gefährlicher Körperverletzung und wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt und eine Einziehungs- sowie eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 [X.].

I.

2

Nach den für die Tat II. 2 der Urteilsgründe bedeutsamen Feststellungen versuchte der erheblich alkoholisierte Angeklagte, der unmittelbar zuvor bereits die Hauseingangstür des Anwesens und den Rollladen eines Fensters im Erdgeschoss beschädigt hatte, in die im ersten Obergeschoss eines Mehrfamilienhauses gelegene Wohnung seiner ehemaligen Lebensgefährtin zu gelangen, indem er mehrfach gegen die von innen zugehaltene Wohnungstür trat und schlug und mit Rufen das Öffnen der Tür verlangte. Da seine Bemühungen, sich Zutritt zur Wohnung zu verschaffen, erfolglos blieben, lief der Angeklagte die Treppe des Mehrfamilienhauses wieder bis zu dem zwischen erstem Obergeschoss und Erdgeschoss gelegenen [X.] hinunter, auf dem ‒ wie er wusste ‒ der Kinderwagen seiner ehemaligen Lebensgefährtin stand. Mit seinem Feuerzeug zündete er die hintere Laube des Kinderwagens an und bemerkte, dass diese qualmte. Dabei nahm der Angeklagte, dem bekannt war, dass die Treppenanlage einschließlich des [X.]es aus Holz und die Stufen sowie das Podest mit Linoleum belegt waren, billigend in Kauf, dass das Feuer vom Kinderwagen auf die Holztreppe übergreifen und das [X.] setzen konnte. Anschließend verließ er das Haus.

3

Als wenig später zwei noch in Unkenntnis des [X.] alarmierte Polizeibeamte eintrafen, ging der sich vor dem Haus aufhaltende Angeklagte auf die Beamten zu und zeigte mit dem Bemerken „Guckt mal, da brennt‘s“ auf die offenstehende Hauseingangstür. Eine Polizeibeamtin lief zunächst an dem brennenden Kinderwagen vorbei ins erste Obergeschoss. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich auf dem [X.] durch vom brennenden Kinderwagen heruntertropfendes Material mehrere fünf bis zehn Zentimeter hohe Flammen gebildet. Sodann begab sich die Polizeibeamtin wieder nach unten und zerrte gemeinsam mit einem Passanten den brennenden Kinderwagen aus dem Gebäude. Anschließend wurden der Kinderwagen und die Flammen auf dem Fußboden des [X.] mit einem Feuerlöscher gelöscht. Auf dem [X.] war der [X.] bis auf den darunter befindlichen Holzfußboden durchgebrannt.

4

Eine dem Angeklagten ca. eine Stunde nach dem Geschehen entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,72 ‰.

II.

5

1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter schwerer Brandstiftung nach den §§ 22, 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB im Fall II. 2 der Urteilsgründe hat keinen Bestand. Denn die Beweiserwägungen, mit denen die [X.] einen auf die in Brandsetzung des Wohngebäudes bezogenen bedingten Vorsatz des Angeklagten bejaht hat, halten unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen [X.] (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 7. Juni 1979 ‒ 4 StR 441/78, [X.]St 29, 18, 20 f. [X.]; [X.] in Löwe/[X.], [X.], 26. Aufl., § 337 Rn. 117 ff. [X.]) einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

6

a) [X.] Vorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles Willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet, mag ihm der [X.] auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Beide Elemente des bedingten Vorsatzes müssen in jedem Einzelfall umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur aufgrund einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls erfolgen, bei welcher die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Gegebenheiten zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung einen wesentlichen Indikator sowohl für das kognitive als auch für das voluntative Vorsatzelement darstellt (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteile vom 22. März 2012 ‒ 4 StR 558/11, [X.]St 57, 183 Rn. 26; vom 1. März 2018 ‒ 4 StR 399/17, [X.]St 63, 88 Rn. 17 ff. jeweils [X.]).

7

Bei der Prüfung eines auf die Inbrandsetzung eines Wohngebäudes gerichteten bedingten Vorsatzes sind in die vorzunehmende Gesamtabwägung aller im Einzelfall maßgeblichen Umstände insbesondere die baulichen Gegebenheiten und die sonstige Beschaffenheit des [X.], die Vorgehensweise des [X.], die aus der konkreten Angriffsweise resultierende Gefährdung des [X.] sowie die psychische Verfassung des [X.] und seine Motivlage einzubeziehen (vgl. [X.], Beschluss vom 22. März 1994 ‒ 4 StR 110/94, [X.]R StGB § 306 Beweiswürdigung 6; Urteil vom 19. Oktober 1994 ‒ 2 StR 359/94, [X.], 86; Beschlüsse vom 4. September 1995 ‒ 4 StR 471/95, NJW 1996, 329, 330; vom 21. Dezember 2005 ‒ 4 [X.], [X.], 100; vom 14. Juli 2009 ‒ 3 [X.], [X.], 151; vgl. auch Urteil vom 4. Februar 2010 ‒ 4 [X.], [X.], 178, 179; [X.] in [X.], 3. Aufl., § 306a Rn. 55).

8

b) Diesen Anforderungen werden die Beweiserwägungen der [X.] zur subjektiven Tatseite nicht gerecht. Das [X.] hat seine Annahme eines die Inbrandsetzung des Wohngebäudes umfassenden bedingten Vorsatzes des Angeklagten ausschließlich damit begründet, dass dem Angeklagten die Beschaffenheit der mit Linoleum belegten hölzernen Treppenanlage bekannt gewesen sei. Eine differenzierende einzelfallbezogene Betrachtung der beiden Elemente des bedingten Vorsatzes hat die [X.] dagegen nicht vorgenommen. Die sowohl für das kognitive als auch das voluntative Vorsatzelement erforderliche Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls lassen die [X.] gänzlich vermissen. In diese Gesamtwürdigung wäre unter anderem die spontane Tatbegehung nach Scheitern des ursprünglich gewollten Eindringens in die Wohnung der ehemaligen Lebensgefährtin, eine möglicherweise auf die Zerstörung des Kinderwagens beschränkte Motivlage des Angeklagten sowie dessen erhebliche Alkoholisierung einzustellen gewesen. Des Weiteren hätte Berücksichtigung finden müssen, dass aus Sicht des ‒ im Übrigen offen auftretenden ‒ Angeklagten aufgrund seines randalierenden Verhaltens mit einem zeitnahen Erscheinen anderer Personen im Treppenhaus zu rechnen war.

9

c) Die subjektive Tatseite im Fall II. 2 der Urteilsgründe bedarf daher einer neuen tatrichterlichen Prüfung und Entscheidung. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die Annahme des [X.]s, es habe objektiv die Gefahr bestanden, dass das Feuer vom Kinderwagen auf die hölzerne Treppenanlage übergreift, allein durch die von den Zeugen M.     und [X.]bekundeten Wahrnehmungen zum Brandverlauf nicht tragfähig belegt wird. Insoweit wird die Hinzuziehung eines Brandsachverständigen zu erwägen sein. Sollte der neue Tatrichter wiederum einen auf die tatbestandliche Verwirklichung des § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB gerichteten bedingten Vorsatz feststellen, wird er unter Berücksichtigung der zutreffenden rechtlichen Ausführungen des [X.] in seiner Antragsschrift die Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch zu prüfen haben.

2. Die Aufhebung der Verurteilung im Fall II. 2 der Urteilsgründe entzieht dem [X.] die Grundlage.

3. [X.] kann ebenfalls nicht bestehen bleiben, weil es bislang an einem zulässigen Adhäsionsantrag fehlt. Ein Antrag auf Zuerkennung eines nach richterlichem Ermessen zu bemessenen Schmerzensgeldes, der ‒ wie hier ‒ keine Angaben zur Größenordnung des begehrten Schmerzensgeldes enthält, genügt nicht dem Bestimmtheitsgebot des § 404 Abs. 1 Satz 2 [X.] und ist daher unzulässig (vgl. [X.], Beschluss vom 14. März 2018 ‒ 4 StR 516/17, NStZ-RR 2018, 223 [X.]). Da ein [X.] nach der den strafrechtlichen Teil des angefochtenen Urteils betreffenden teilweisen Aufhebung und Zurückverweisung der Sache noch nachgeholt werden kann, erstreckt der Senat die Zurückverweisung auch auf die Adhäsionsentscheidung (vgl. [X.], Beschlüsse vom 27. September 2011 ‒ 3 StR 255/11 Rn. 11; vom 14. März 2018 ‒ 4 StR 516/17 aaO).

Sost-Scheible     

        

Cierniak     

        

Bender

        

Quentin     

        

Bartel     

        

Meta

4 StR 485/19

17.12.2019

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Dessau-Roßlau, 15. Mai 2019, Az: 448 Js 22588/18 - 8 KLs

§ 22 StGB, § 306a Abs 1 Nr 1 StGB, § 404 Abs 1 S 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.12.2019, Az. 4 StR 485/19 (REWIS RS 2019, 295)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 295

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

5 StR 276/17 (Bundesgerichtshof)

Bedingter Tötungsvorsatz: Beweisanzeichen bei konkreter Lebensgefährlichkeit der Ausführung einer schweren Brandstiftung


4 StR 447/23 (Bundesgerichtshof)


5 StR 493/19 (Bundesgerichtshof)

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Annahme eines Hangs


4 StR 162/18 (Bundesgerichtshof)

Besonders schwere Brandstiftung bei Todesgefahr durch Brandverursachung mit Brandbeschleuniger


4 StR 35/20 (Bundesgerichtshof)

Wohnungseinbruchdiebstahl: Verwendung eines falschen Schlüssels bei Benutzung eines vom Berechtigten vergessenen Schlüssels


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.