Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 21.06.2013, Az. 3 B 89/12

3. Senat | REWIS RS 2013, 4810

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Gegenstand

Unionsrecht; innerstaatliche Verfahrensautonomie; Effektivitätsgrundsatz; Bestandskraftdurchbrechung


Gründe

I.

1

Der Kläger begehrt im Wege des [X.] des Verfahrens höhere Ausgleichs- und Flächenzahlungen nach den Stützungsregelungen für Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen.

2

Dem Kläger wurden für die Jahre 1993 bis 2004 Ausgleichs- und Flächenzahlungen bewilligt, deren Höhe auf der Grundlage von Verordnungen des [X.] bestimmt wurde, die das [X.] für den Getreideanbau in mehrere [X.] mit unterschiedlichen Durchschnittserträgen unterteilten. Für den Kläger ergab sich daraus ein Fördersatz, der unter dem Durchschnitt im [X.] lag. Er legte deshalb zunächst gegen mehrere Bewilligungsbescheide Widerspruch ein, die er nach Mitteilung, dass die Musterprozesse abgeschlossen seien, im [X.] zurück nahm.

3

In seinem Urteil vom 25. Juli 2007 - BVerwG 3 [X.] 10.06 - (BVerwGE 129, 116 = [X.] 451.513 Sonst. [X.]) hat der Senat inzident entschieden, dass die in der [X.] für die Jahre 2000 bis 2004 vorgenommene Unterteilung des [X.]gebiets in [X.] mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht vereinbar und deshalb nichtig ist; das [X.] sei ohne sachliche Rechtfertigung abweichend zum Gebiet der anderen Länder in mehrere [X.] aufgeteilt worden. Die [X.] sah für die Jahre 1993 bis 1999 eine im Wesentlichen gleiche Unterteilung in [X.] vor.

4

Den im Dezember 2007 gestellten Antrag des [X.], ihm im Wege des [X.] des Verfahrens für die Jahre 1993 bis 2004 höhere Zahlungen zu gewähren, hat die Beklagte abgelehnt. Die hiergegen erhobene Klage blieb in beiden Instanzen erfolglos. Ein [X.]grund im Sinne von § 51 Abs. 1 VwVfG liege nicht vor. Ein Wiederaufgreifen im Ermessenswege habe die Beklagte fehlerfrei abgelehnt; ihr Ermessen sei auch durch Unionsrecht nicht auf Null reduziert.

II.

5

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor.

6

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf.

7

1. Mit der Frage,

ob eine direkte oder analoge Anwendung bzw. weite Rechtsauslegung der [X.]-Rechtsprechung (Urteil vom 13. Januar 2004 - [X.]. [X.]-453/00, [X.] u. [X.] - Slg. 2004, [X.]) im Lichte von Art. 4 Abs. 3 [X.] ([X.]. 10 EGV) ausgeschlossen ist, wenn nicht alle im Einzelfall benannten Voraussetzungen vorliegen,

möchte der Kläger sinngemäß geklärt wissen, ob sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 [X.]) eine unionsrechtliche Verpflichtung zum Wiederaufgreifen eines Verfahrens nur unter den Voraussetzungen ergeben kann, die vom [X.] (im Folgenden: Gerichtshof) in seinem Urteil in der Rechtssache [X.] u. [X.] genannt worden sind. Damit knüpft der Kläger zwar daran an, dass das Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage dieses Urteils angenommen hat, es sei unverzichtbare Voraussetzung für eine unionsrechtlich gebotene Bestandskraftdurchbrechung, den nationalen Rechtsweg auszuschöpfen ([X.]). Eine klärungsbedürftige Frage ist damit gleichwohl nicht dargetan.

8

Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ist es mangels einschlägiger Unionsregelungen Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung, das Verfahren zu regeln, innerhalb dessen der Schutz der Rechte gewährleistet wird, die sich aus dem Unionsrecht ergeben. Diese Verfahrensautonomie wird allerdings durch den Äquivalenz- und den [X.] begrenzt ([X.], Urteile vom 4. Oktober 2012 - [X.]. [X.]-249/11, [X.] - juris Rn. 69, vom 13. März 2007 - [X.]. [X.]-432/05, [X.] - Slg. 2007, [X.] Rn. 39, 43 und vom 19. September 2006 - [X.]. [X.]-392/04 und [X.]-422/04, [X.] und [X.] - [X.], [X.] Rn. 57). Der [X.] verlangt, dass die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird. Dabei anerkennt der Gerichtshof, dass die Bestandskraft zur Rechtssicherheit beiträgt und das Unionsrecht daher nicht verlangt, dass eine Verwaltungsbehörde grundsätzlich verpflichtet ist, eine bestandskräftig gewordene Entscheidung aufzuheben ([X.] Urteile vom 4. Oktober 2012 a.a.[X.] Rn. 76, vom 12. Februar 2008 - [X.]. [X.]-2/06, [X.] - Slg. 2008, [X.] Rn. 37 f., vom 19. September 2006 a.a.[X.] Rn. 51 und vom 13. Januar 2004 a.a.[X.] Rn. 24). Vielmehr sind vom nationalen Recht vorgesehene Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung grundsätzlich mit Unionsrecht vereinbar; sie machen die Verwirklichung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich und erschweren sie nicht übermäßig, selbst wenn ihr Ablauf zur vollständigen oder teilweisen Abweisung der Klage führt ([X.], Urteil vom 2. Dezember 1997 - [X.]. [X.]-188/95, [X.] u.a. - Slg. 1997, [X.] Rn. 48).

9

Liegen besondere Umstände vor, kann sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit in Gestalt des [X.]es allerdings die Verpflichtung ergeben, eine bestandskräftig gewordene Entscheidung zu überprüfen. Einen solchen Fall hat der Gerichtshof in der Rechtssache [X.] u. [X.] unter den dort genannten Voraussetzungen angenommen und nachfolgend weiter präzisiert ([X.], Urteile vom 12. Februar 2008 a.a.[X.] und vom 16. März 2006 - [X.]. [X.] 234/04, [X.] - Slg. 2006, [X.]). Er hat darüber hinaus aber auch in anderen besonders gelagerten Fällen angenommen, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit die Aufrechterhaltung einer bestandskräftigen Entscheidung nicht mehr rechtfertigen kann. Eine solche Situation hat der Gerichtshof etwa für die Rückforderung unionsrechtswidriger Beihilfen angenommen ([X.], Urteil vom 16. Juli 1998 - [X.]. [X.]-298/96 - Ölmühle, [X.], [X.] Rn. 23 f.). Eine Verletzung des [X.]es und des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit in der Aufrechterhaltung einer bestandskräftigen Entscheidung hat er auch im Falle eines gegen die Freizügigkeit verstoßenden, fortdauernden Ausreiseverbots gesehen ([X.], Urteil vom 4. Oktober 2012 a.a.[X.] Rn. 78 ff.; parallel, zur Erstreckung der Rechtskraft auf im Urteil getroffene Feststellungen und einer hieraus folgenden Perpetuierung einer möglicherweise unionsrechtswidrigen Besteuerung [X.], Urteil vom 3. September 2009 - [X.]. [X.]-2/08, [X.] - juris Rn. 24 ff.; vgl. auch Urteil vom 29. April 1999 - [X.]. [X.]-224/97, [X.]iola - Slg. 1999, I-2530).

Die Frage, ob mit den in der Rechtssache [X.] & [X.] genannten Voraussetzungen abschließend alle Fälle erfasst werden, in denen aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit eine unionsrechtliche Verpflichtung zum Wiederaufgreifen eines Verfahrens folgen kann, lässt sich danach auf der Grundlage der Rechtsprechung des [X.] verneinend beantworten und bedarf auf [X.] dieser Abstraktion keiner weiteren Klärung.

2. Die weitere Frage,

ob der Kläger nach einem Urteil des [X.] bzw. der Entscheidung vom 13. Januar 2004 (a.a.[X.]) einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens hat,

weist für sich gesehen weder über den Einzelfall hinaus noch bezieht sie sich unmittelbar auf die Klärung der Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer bestimmten Norm oder eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes. Sinngemäß möchte der Kläger mit ihr geklärt wissen, ob sich unter den Umständen seines Falles aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit in Verbindung mit den Bestimmungen der §§ 48 ff. des Verwaltungsverfahrensgesetzes ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ergibt. Damit hat der Kläger einen über die Rechtsprechung des [X.] hinausweisenden Klärungsbedarf jedoch nicht in der gebotenen Weise dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

In der Rechtsprechung des [X.] ist im Übrigen geklärt, dass allein der Umstand eines Urteils, aus dem sich die Rechtswidrigkeit parallel gelagerter, bestandskräftiger Entscheidungen ableiten lässt, nicht dazu verpflichtet, diese Entscheidungen einer erneuten Überprüfung zu unterziehen ([X.], Urteil vom 14. September 1999 - [X.]. [X.]-310/97 P, [X.] - Slg. 1999, [X.] Rn. 63). Darüber hinaus gilt, dass die Frage der Gewährleistung des [X.]es auf der Grundlage der jeweils einschlägigen nationalen Verfahrensvorschrift, deren Stellung im Verfahren, des [X.] und deren Besonderheiten zu beantworten ist ([X.], Urteil vom 4. Oktober 2012, a.a.[X.] Rn. 75). Entsprechend verweist der Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. September 2006 (a.a.[X.] Rn. 61) zurück auf die Vorschrift des § 48 Abs. 1 VwVfG und die Rechtsprechung des [X.]verwaltungsgerichts zu den Fällen, in denen die Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts schlechthin unerträglich ist und sich das Rücknahmeermessen zu einem Anspruch verdichtet ([X.], Urteil vom 19. September 2006 a.a.[X.] Rn. 50, 63 f.). Im Übrigen überantwortet der Gerichtshof die Beurteilung des Einzelfalls - dort eines Bescheides, dessen Rechtswidrigkeit sich ebenfalls aufgrund einer mit dem Grundgesetz nicht vereinbaren Verordnung und darüber hinaus wegen eines vom Gerichtshof festgestellten klaren Unionsrechtsverstoßes ergab - dem nationalen Gericht ([X.], Urteil vom 19. September 2006 a.a.[X.] Rn. 71 f.).

Meta

3 B 89/12

21.06.2013

Bundesverwaltungsgericht 3. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend OVG Lüneburg, 1. August 2012, Az: 10 LC 180/10, Urteil

§ 48 Abs 1 VwVfG, Art 4 Abs 3 EU

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 21.06.2013, Az. 3 B 89/12 (REWIS RS 2013, 4810)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4810

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RO 7 K 14.410

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