Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.08.2017, Az. 4 StR 169/17

4. Strafsenat | REWIS RS 2017, 7058

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:020817B4STR169.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 169/17

vom
2. August
2017

[X.]St:
nein
[X.]R:
ja
Nachschlagewerk:
ja
Veröffentlichung:
ja

[X.] § 13 Abs. 1

Bei Beurteilung der Frage, ob eine strafrechtliche Garantenpflicht eines Kindes gegenüber einem Elternteil besteht, ist auf die Umstände des Einzelfalles abzu-stellen.

[X.], Beschluss vom 2. August 2017

4
StR
169/17

LG Essen

in der Strafsache
gegen

wegen versuchten Totschlags durch Unterlassen

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 2.
August 2017 gemäß §
349 Abs.
4 StPO beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 7.
November 2016, soweit es ihn betrifft,
mit
den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwur-gericht zuständige [X.] des [X.].

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten J.

R.

wegen versuchten
Totschlags durch Unterlassen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt; seinen Vater, den Mitangeklagten M.

R.

, hat es vom Vorwurf des versuchten Totschlags durch Unterlassen

rechtskräftig

freigesprochen. Der Angeklagte wendet sich mit seiner Revi-sion, die er auf die Verletzung sachlichen Rechts stützt, gegen seine [X.]. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1
-
3
-
I.
Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte ist der gemeinsame [X.] des 1938 geborenen [X.] und dessen Ehefrau, der am 30.
Oktober 2015 verstorbenen G.

R.

. Bis zu seinem 22.
Lebensjahr lebte der Angeklagte bei seinen Eltern
und bezog sodann eine eigene Wohnung im selben Mehrfamilienhaus. Seine Eltern besuchte er regelmäßig zwei-
bis dreimal wöchentlich. Seit seiner Geburt leidet der Angeklagte an Epilepsie, wodurch es in der Vergangenheit

ins-besondere in Stresssituationen

wiederholt zu
schweren epileptischen Anfällen kam. Krankheitsbedingt besteht bei dem Angeklagten eine organische We-sensänderung mit leichten hirnorganischen Defiziten (ICD-10:
F07.0). Sein Denken und Handeln ist verlangsamt. Das Umstellen auf neue geistige Inhalte ist ihm erschwert.
Seine Mutter litt nach einem operativen Eingriff seit 1988 immer wieder unter erheblichen Bauchbeschwerden, die vermutlich auf eine psychosomati-sche Erkrankung zurückzuführen waren. Um Beschwerden zu vermeiden, nahm G.

R.

stets
nur wenig Nahrung zu sich und war dadurch bereits seit
längerer [X.] stark untergewichtig. In der [X.] von Januar 2009 bis Mai 2015 war sie mindestens 20
Mal in stationärer Behandlung, ohne dass eine nachhaltige Verbesserung ihres Zustandes erreicht werden konnte. Die Einweisungen ins Krankenhaus erfolgten im Regelfall auf Betreiben ihres Ehemannes. Zuletzt befand sie sich im November 2014 und Mai 2015 in stationärer Behandlung, wo unter anderem eine anhaltende wahnhafte Störung mit hypochondrischen [X.] diagnostiziert wurde. Nach diesen Krankenhausaufenthalten wurde sie im 2
3
4
-
4
-
Dezember 2014 und zuletzt am 9.
Mai 2015 jeweils mit einem Körpergewicht von 41
kg entlassen.
In der Folgezeit hielt sich G.

R.

bis zu ihrem Tod am 30.
Okto-
ber 2015 nur noch in der ehelichen Wohnung auf. Weitere ärztliche Behandlun-gen oder Untersuchungsmaßnahmen fanden nicht mehr statt. Entsprechend einer diesbezüglichen Übereinkunft der Eheleute übernahm allein der Mitange-klagte die Pflege seiner Ehefrau. Der Angeklagte war in die Pflege nicht einge-bunden. Um ihn wegen seiner Epilepsieerkrankung nicht zu belasten, hatten seine Eltern ihn stets von familiären Problemen ferngehalten, was insbesondere für die Erkrankung seiner Mutter galt.
Während sich G.

R.

zunächst noch mittels eines Rollators in-
nerhalb der Wohnung bewegen konnte, war sie ab Anfang Oktober 2015 bett-lägerig und nicht mehr zur selbständigen Nahrungsaufnahme, zur eigenständi-gen Körperpflege und zu [X.] in der Lage. Sie hielt sich nunmehr ausschließlich im Bett eines von ihr allein genutzten Schlafraums auf.
Entgegen der zwischen den Eheleuten getroffenen Vereinbarung ver-sorgte der Mitangeklagte seine Frau in den letzten vier Wochen vor ihrem Tod weder ausreichend mit Nahrung und Flüssigkeit noch nahm er bei ihr die [X.] oder eine medizinische Versorgung vor. Anders als früher nahm er auch keine ärztliche Hilfe mehr in Anspruch. Der Zustand von G.

R.

verschlechterte sich deshalb fortlaufend. Sie verlor weiter
an Gewicht,
und es bildeten sich [X.] an mehreren Körperstellen. Einige Tage vor dem 30.
Oktober 2015 erlitt G.

R.

infolge ihrer Bettlägerigkeit und ihres ge-
schwächten Gesamtzustandes eine bakterielle Lungenentzündung, die unbe-handelt blieb und letztlich zu ihrem Tod führte.
5
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7
-
5
-
Die Lebensbedrohlichkeit des Zustandes von G.

R.

in den letz-
ten vier Wochen vor ihrem Tod war in Anbetracht ihrer Bettlägerigkeit, ihrer [X.] Gewichtsabnahme und ihres äußerst schlechten [X.] grund-sätzlich auch für einen medizinischen Laien sicher erkennbar. Der [X.] konnte aufgrund einer Demenzerkrankung den Gesundheitszustand seiner Ehefrau allerdings nicht mehr einschätzen.
Der Angeklagte besuchte seine Eltern auch im Oktober 2015 weiterhin zwei-
bis dreimal in der Woche und hielt sich hierbei auch regelmäßig im Zim-mer seiner Mutter auf, um sich mit ihr zu unterhalten. Nicht ausschließbar war n-lässlich der Besuche des Angeklagten war es im [X.] der Mutter stets dun-kel, weil sie ausgeschaltetes Licht und zugezogene Vorhänge wünschte.
Zuletzt besuchte der Angeklagte seine Mutter am Vorabend ihres Todes. Zu diesem [X.]punkt lag sie bereits in ihren eigenen [X.]. Der hiervon und von den [X.]n ausgehende Geruch wurde von dem Angeklagten wahrgenommen. Spätestens jetzt erkannte er den lebensbedrohlichen Zustand und die Hilfsbedürftigkeit seiner Mutter. Dennoch unterließ er es, die gebotene ärztliche Hilfe herbeizuholen. Hierbei war ihm bewusst, dass seine Mutter ver-sterben könnte. Er
nahm diese

von ihm
nicht erwünschte

Folge billigend in Kauf.
Im Laufe des 30.
Oktober 2015 verstarb G.

R.

, die nur noch
29
kg wog, an den Folgen ihrer Lungenentzündung, wobei nicht feststellbar war, ob durch ärztliche Maßnahmen am Vortag eine Rettung noch möglich ge-wesen wäre.
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-
6
-
II.
Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Zur subjekti-ven Tatseite leidet das Urteil unter einem Darstellungsmangel. Es weist inso-weit zudem durchgreifende Rechtsfehler in der Beweiswürdigung auf.
1.
Im Ergebnis zutreffend ist die [X.] allerdings zunächst davon ausgegangen, dass der Angeklagte in objektiver Hinsicht gegenüber seiner Mutter im Sinne des §
13 Abs.
1 [X.] garantenpflichtig und deshalb am Vortag ihres Todes verpflichtet war, geeignete Maßnahmen zur Abwendung der beste-henden Lebensgefahr einzuleiten.
a)
Nach §
1618a [X.] sind Eltern und Kinder einander Beistand und Rücksicht schuldig. Diese Vorschrift wurde als Leitlinie für alle [X.]en ins Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen. Obwohl der [X.] an einen Verstoß keine Rechtsfolgen geknüpft hat, entfaltet die Vorschrift über das bürgerliche Recht

insbesondere das Familienrecht

hinaus als Wer-temaßstab auch Wirkung bei der Konkretisierung strafrechtlicher Einstands-
bzw. [X.]. Dies bedeutet, dass bei Prüfung einer Einstandspflicht von Kindern gegenüber Eltern im Sinne des §
13 Abs.
1 [X.] maßgeblich auf §
1618a [X.] zurückzugreifen ist (vgl. [X.], Beschluss vom 13.
Oktober 2016

3
StR
248/16, [X.], 401; BeckOK-[X.]/[X.], Stand: 15.
Juni 2017, §
1618a Rn.
4; [X.]/[X.],
[X.],
16.
Aufl., §
1618a Rn.
4; [X.]/
[X.],
[X.], 76.
Aufl.,
§
1618a Rn.
3; [X.]/[X.],
[X.],
[X.], §
1618a Rn.
21; [X.], [X.] aus familiären [X.], 2006, S.
205
ff. und S.
218

ablehnend: NK-[X.]/[X.], 5.
Aufl., §
13 Rn.
61; [X.], Strafrecht Allgemeiner Teil,
Band
II, §
32 Rn.
42; Bülte, GA
2013, 391, 398). Im Rahmen des als Wertemaßstab heranzuziehenden 12
13
14
-
7
-
§
1618a [X.] ist der Gehalt der geschuldeten familiären Solidarität indes nicht einheitlich, sondern anhand der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen
(BT-Drucks. 8/2788, S.
43; [X.], 976, 977; BeckOGK/Kiene-mund, Stand: 1.
Juli
2017, §
1618a Rn.
9; MüKo-[X.]/v.
Sachsen
Gessaphe, 7.
Aufl., §
1618a Rn.
8; [X.]/[X.], aaO, §
1618a Rn.
21). [X.] Bedeutung können
in diesem Zusammenhang etwa das Alter, der Ge-sundheitszustand, die Lebensumstände und das Zusammenleben der [X.] Personen erlangen (vgl. BayObLG
aaO; MüKo-[X.]/v.
Sachsen
Gessaphe, aaO, §
1618a Rn.
8; [X.]/[X.], aaO, §
1618a Rn.
21). [X.] können auch mit §
1618a [X.] korrespondierende strafrechtliche Einstandspflichten nicht losgelöst von der faktischen Ausgestaltung des Eltern-Kind-Verhältnisses
bestimmt werden (vgl. hierzu allgemein [X.]/[X.]/
[X.]/[X.], [X.], 29.
Aufl., §
13 Rn.
21;
SK-[X.]/[X.], 9.
Aufl., §
13 Rn.
72; vgl. etwa zum Erlöschen der gegenseitigen Schutz-
und [X.] bei Eheleuten nach ernsthaft erfolgter Trennung: [X.], Urteil vom 24.
Juli 2003

3
StR
153/03, [X.]St 48, 301
ff.). Vielmehr ist auch bei der Konkretisierung der strafrechtlichen Einstandspflicht und bei Bestimmung des Pflichtenpro-gramms den Umständen des Einzelfalls und insbesondere solchen Regelungen Rechnung zu tragen, die der betroffene Personenkreis in autonomer Selbst-bestimmung getroffen hat (vgl. für die Beistandspflichten unter Eheleuten
[X.], aaO, §
32 Rn.
46; Freund, [X.] und Unterlassen, 1992, S.
289; zur einvernehmlichen Übertragbarkeit persönlicher Schutzpflichten: LK-[X.]/
Weigend, 12.
Aufl., §
13 Rn.
60, Fn.
196).
b)
Von diesen Grundsätzen ausgehend hat der 3.
Strafsenat des [X.] bei einer zwischen Elternteil und Kind bestehenden Haus-gemeinschaft eine gegenseitige strafrechtliche Einstandspflicht mit der [X.] bejaht, aus der in §
1618a [X.] normierten familiären Solidarität folge
15
-
8
-
jedenfalls bei faktischem Zusammenleben eine Schutzpflicht im Sinne von §
13 Abs.
1 [X.] ([X.], Beschluss vom 13.
Oktober 2016

3
StR
248/16, [X.], 401). Ob sich eine Garantenpflicht

ohne das tatsächliche Vorliegen
einer effektiven Familiengemeinschaft

allein aus der formal bestehenden
familienrechtlichen Beziehung ergeben kann, hat der 3.
Strafsenat ausdrücklich offengelassen ([X.], Beschluss vom 13.
Oktober 2016, aaO). Letztlich [X.] an der konkreten Ausgestaltung des Falles orientiert hat der Senat

aller-dings noch vor Einführung des §
1618a [X.] durch das Gesetz zur [X.] der elterlichen Sorge
vom 18.
Juli 1979

jedenfalls bei Lebensgefahren eine strafrechtliche Einstandspflicht des Kindes gegenüber dem Elternteil [X.], wobei er sich hierbei maßgeblich auf das enge Verwandtschaftsverhältnis dieses Personenkreises bestehe eine Rechtspflicht zur Abwendung schwerer Gefahren, und zwar unabhängig von dem Vorliegen einer häuslichen Gemein-schaft, welche im konkreten Fall jedoch zusätzlich vorlag ([X.], Urteil vom 29.
November 1963

4
StR
390/63, [X.]St 19, 167
ff.; zustimmend [X.]/
[X.]/Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil, 46.
Aufl., Rn.
1008; [X.], [X.] der [X.], 1986, S.
156; ausdrücklich ,
aaO, 396; eine generelle Ein-standspflicht des Kindes ebenfalls ablehnend: MüKo-[X.]/Freund, 3.
Aufl., §
13 Rn.
177; NK-[X.]/[X.], aaO, §
13 Rn.
61; [X.], Garantenstellung und Notwehrrecht, 2014, S.
450 f.).
c)
Auch im vorliegenden Fall ist das [X.] mit Blick auf die konkre-ten Umstände zu Recht davon ausgegangen, dass der Angeklagte aufgrund einer sich aus der [X.] herzuleitenden Garantenstellung in objektiver Hinsicht spätestens am Vorabend des Todes seiner Mutter verpflich-tet war, geeignete Maßnahmen zur Abwendung der bei ihr eingetretenen [X.]
-
9
-
bensgefahr einzuleiten. Nach den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen [X.] war das Verhältnis des Angeklagten zu seinen Eltern über die rein for-male familiäre Beziehung hinaus sowohl von besonderer räumlicher als auch persönlicher Nähe geprägt. Der Angeklagte lebte im selben Wohnhaus [X.] neben seinen Eltern, er besuchte diese mehrmals in der Woche,
und es gab keine Anzeichen einer Zerrüttung des Verhältnisses zwischen dem Ange-klagten und seinen Eltern. Im Hinblick auf die geschuldete familiäre Solidarität löst diese enge innerfamiliäre Beziehung

jedenfalls bei dem vorliegend fest-gestellten Eintritt einer Lebensgefahr, der denkbar schwersten Rechtsgutsge-fährdung

eine Einstandspflicht aus. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte aufgrund seiner Vorerkrankung in objektiver Hinsicht nicht in der Lage war, die-ser [X.] nachzukommen, ergeben die Urteilsgründe nicht.
Eine [X.] des Angeklagten bestand

jedenfalls am Vorabend ihres Todes

trotz der festgestellten innerfamiliären Rollenverteilung bei der Pflege seiner Mutter. Zwar folgt hieraus, dass die Einstandspflicht des Angeklagten grundsätzlich im Verhältnis zu seinem Vater nachrangig war. Denn nach den Feststellungen des [X.]s wurde der Angeklagte von den ge-sundheitlichen Problemen und der Pflege seiner Mutter bewusst ferngehalten; die faktische Verantwortung für ihre Pflege und Versorgung oblag aufgrund der in autonomer Selbstbestimmung zwischen G.

R.

und ihrem Ehemann
getroffenen Vereinbarung allein dem

als in häuslicher Gemeinschaft lebenden Ehemann seinerseits garantenpflichtigen

Mitangeklagten.
Die aus der klaren Rollenverteilung folgende vordringliche [X.] des Mitangeklagten führte aber nicht zu einer gänzlichen Befreiung des Angeklagten von seinen Schutzpflichten. Vielmehr traf ihn aufgrund des [X.] und fortbestehenden [X.] zu seinen Eltern eine uneinge-17
18
-
10
-
schränkte [X.], als der Mitangeklagte aufgrund seiner demenziellen Erkrankung nicht mehr in der Lage war, auf den lebensbedrohli-chen Zustand seiner Ehefrau angemessen zu reagieren und somit als (vorran-giger) Garant ausfiel.
2.
Bezogen auf die so bestimmte Garantenstellung enthält das Urteil zur subjektiven Tatseite einen durchgreifenden Darlegungsmangel.
Bei einem unechten Unterlassungsdelikt müssen die Feststellungen er-geben, dass vom Vorsatz des [X.] sämtliche tatsächlichen Umstände erfasst sind, die seine Garantenstellung begründen (LK-[X.]/Weigend, aaO, §
13 Rn.
73; MüKo-[X.]/Freund,
aaO,
§
13 Rn.
237;
NK-[X.]/[X.], aaO,
§
13 Rn.
20). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nur zum Teil [X.].
Die [X.] hat zwar festgestellt, dass der Angeklagte spätestens bei seinem letzten Besuch den lebensbedrohlichen Zustand seiner Mutter er-kannte, nicht jedoch, dass ihm gleichzeitig bewusst war, dass sein Vater [X.] der bestehenden Demenzerkrankung zu einer adäquaten Einschätzung und Bewältigung der Situation nicht mehr in der Lage war und ihn deshalb eine Einstandspflicht traf. Dem Urteil kann auch aus dem Gesamtzusammenhang schon nicht entnommen werden, dass es für den selbst krankheitsbedingt in seinen kognitiven Fähigkeiten eingeschränkten Angeklagten offensichtlich er-kennbare Symptome einer Demenzerkrankung seines [X.] gab, zumal dieser nach den Feststellungen bis zuletzt noch selbständig die eheliche Wohnung in einem ordentlichen und sauberen Zustand hielt.
19
20
21
-
11
-
3.
Darüber hinaus ist die Feststellung, dass der Angeklagte den lebens-bedrohlichen Zustand seiner Mutter spätestens am Abend des 29.
Oktober 2015 erkannte, auch mit Blick auf den eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstab (vgl. [X.], Urteile vom 3.
Juli 2014

4
StR
137/14, [X.], 146
f.; vom 9.
Juni 2005

3
StR
269/04, NJW 2005, 2322, 2326; Be-schluss vom 28.
Juni 2017

1
StR
677/16, juris Rn.
5),
nicht tragfähig belegt. Die Beweiswürdigung weist durchgreifende Lücken auf.
Zur Begründung der subjektiven Tatseite hat sich die [X.] inso-weit ausschließlich auf die von den [X.] und den [X.]n der
G.

R.

ausgehende starke Geruchsbildung gestützt, die am Abend des
29.
Oktober 2015 vorlag und die der Angeklagte wahrnahm. Dagegen hat die [X.] nicht festzustellen vermocht, dass der Angeklagte den körperlich massiv geschwächten Zustand seiner Mutter

insbesondere die weitere Ge-wichtsabnahme und die [X.]

infolge der ständigen Abdunkelung des [X.]s optisch erfasste.
Allein auf dieser Grundlage ist das Erkennen einer Lebensgefahr jedoch nicht ausreichend begründet. Vielmehr hat das [X.] wesentliche Um-stände, die gegen eine Erkennbarkeit des akut lebensbedrohlichen Zustands sprechen, nicht in seine Würdigung einbezogen. Zwar legt ein Geruch, der von [X.] beziehungsweise von [X.]n ausgeht, ohne weiteres einen schlechten hygienischen Zustand und die Notwendigkeit unverzüglicher pflege-rischer, gegebenenfalls auch medizinischer Maßnahmen nahe. Weshalb der vom Angeklagten wahrgenommene intensive Geruch darüber hinaus ein deut-liches Anzeichen für einen lebensbedrohlichen Zustand der G.

R.

war

zumal bedingt durch eine Lungenentzündung

ergeben die Urteilsgründe nicht. Dies versteht sich nicht von selbst zumal vor dem Hintergrund, dass
22
23
24
-
12
-
G.

R.

nach den Feststellungen auch noch beim letzten Besuch des
Angeklagten,
trotz ihres vom Angeklagten optisch nicht wahrgenommenen [X.],
noch zu einer normalen Kommunikation in der Lage war. Mit diesem, die Erkennbarkeit der konkreten Lebensgefahr in Frage stellenden Umstand hat sich die [X.] nicht auseinandergesetzt, obwohl sich dies schon mit Blick auf die beim Angeklagten festgestellten eingeschränkten kognitiven Fä-higkeiten aufgedrängt hat. [X.] geblieben ist in diesem Zusammenhang zudem die Frage, ob sich die Geruchswahrnehmung des Angeklagten signifi-kant von derjenigen bei seinen regelmäßigen vorangegangenen
Besuchen bei seiner Mutter unterschied. Die Erörterung auch dieser Frage hat sich [X.], da nahe liegt, dass sich ein vergleichbar strenger Geruch aufgrund der nach den Feststellungen schon länger vorhandenen [X.] bereits zu einem früheren [X.]punkt in dem [X.] entwickelt hatte, ohne dass bereits ein lebensbedrohlicher Zustand eingetreten war.
4.
Das neue Tatgericht wird Gelegenheit
haben, das angeklagte [X.] auch im Hinblick auf die Grundsätze zur eigenverantwortlichen Selbst-gefährdung (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 24.
November 2016

4
StR
289/16, [X.], 219
ff.; Urteil vom 28.
Januar 2014

1
StR 494/13, [X.]St 59, 150
ff.;
Beschluss vom 5.
August 2015

1
StR
328/15, [X.]St 61, 21
ff.) zu
25
-
13
-
würdigen, und zwar sowohl bezüglich der objektiven als auch bezüglich der subjektiven Tatseite.
Sost-Scheible
Roggenbuck
Cierniak

Bender
Feilcke

Meta

4 StR 169/17

02.08.2017

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.08.2017, Az. 4 StR 169/17 (REWIS RS 2017, 7058)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 7058

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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