Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17.10.2011, Az. 2 C 14/10

2. Senat | REWIS RS 2011, 2353

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Gegenstand

Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für Krankenhausleistungen in der Schweiz; Kosten einer vergleichbaren Inlandsbehandlung; Notfallbehandlung


Leitsatz

Sofern eine kostengünstigere Behandlung für den Beamten tatsächlich nicht erreichbar ist, darf die Beihilfe für notwendige medizinische Leistungen nicht nach einer fiktiven Vergleichsberechnung begrenzt werden.

Tatbestand

1

Die Klägerin, eine Richterin im Landesdienst des Beklagten, erlitt Anfang 2007 in der [X.] ([X.]) bei einem Skiunfall einen Bruch des Oberschenkelknochens. Mit ihrem [X.] machte sie unter anderem Aufwendungen von insgesamt 20 256,35 € für Krankenhausleistungen in der [X.] geltend, von denen der Beklagte 7 774,86 € als beihilfefähig anerkannte, weil nur insoweit bei einer vergleichbaren Behandlung in [X.] keine höheren Kosten angefallen wären.

2

Die auf die Zahlung einer weiteren Beihilfe in Höhe von 5 578,44 € nebst Zinsen gerichtete Klage hat in der Berufungsinstanz hinsichtlich des Hauptbegehrens Erfolg gehabt. Zur Begründung hat das Berufungsgericht im Wesentlichen ausgeführt:

3

Die in der Beihilfeverordnung enthaltene Beschränkung auf die in [X.] beihilfefähigen Kosten verletze das [X.] und ihrer Mitgliedstaaten mit der [X.]. Die Beschränkung behindere den freien Dienstleistungsverkehr zwischen [X.] und der [X.] in unzulässiger Weise, indem sie die Inanspruchnahme einer ärztlichen Behandlung in der [X.] einer ungünstigeren Regelung unterwerfe, als dies bei einer inländischen Dienstleistung üblicherweise der Fall sei. Damit sei sie grundsätzlich geeignet, einen Beihilfeberechtigten von einer medizinischen Behandlung in der [X.] abzuschrecken. Eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit sei auch bei Personen möglich, die sich zu touristischen Zwecken bereits im Ausland aufhielten und aufgrund eines Notfalls einen dortigen Arzt aufsuchen müssten. Bereits die Normierung des Kostenvergleichs als solche sei geeignet, Beihilfeberechtigte wegen des [X.] bei einem Notfall von einer Reise in die [X.] und der Inanspruchnahme der dortigen touristischen Dienstleistungen abzuhalten.

4

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Revision. Er beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs [X.] vom 19. Januar 2010 insoweit aufzuheben, als es der Berufung der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 13. März 2008 stattgegeben hat, und die Berufung der Klägerin auch insoweit zurückzuweisen.

5

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision des [X.]n, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist mit der Maßgabe begründet, dass die Sache an das Berufungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen ist (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Das angefochtene Urteil beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) und revisiblem Landesrecht (§ 127 Nr. 2 BRRG, § 191 Abs. 2 VwGO). Aus dem durch Gesetz vom 2. September 2001 ([X.]) in den Rang einfachen Bundesrechts überführten Abkommen der [X.] und ihrer Mitgliedstaaten mit der [X.]ischen Eidgenossenschaft vom 21. Juni 1999 (im Folgenden: "Abkommen") folgt dann ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer weiteren Beihilfe zu Aufwendungen für Krankenhausleistungen in [X.], wenn die [X.] der [X.] bislang nicht die höchsten Kosten zugrundegelegt hat, die bei einer vergleichbaren Inlandsbehandlung beihilfefähig gewesen wären. Ob dies der Fall ist oder ob sich das angegriffene Urteil aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO), kann der Senat nicht abschließend beurteilen, weil das Berufungsgericht die hierzu erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nicht getroffen hat.

7

Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 der [X.] Beihilfeverordnung vom 28. Juli 1995 ([X.]) in der hier maßgeblichen Fassung vom 20. Februar 2003 ([X.] - [X.] -) sind außerhalb der [X.] entstandene Aufwendungen nur insoweit und bis zu der Höhe beihilfefähig, wie sie in der [X.] am Sitz der Beihilfestelle oder deren nächster Umgebung beihilfefähig gewesen wären. Diese Kostenbeschränkung entfällt hier nicht schon aufgrund der Regelung des § 13 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 [X.] (1). Jedoch könnte sie im Einzelfall gegen das Abkommen mit [X.] verstoßen (2). Soweit sie auch Notfallbehandlungen erfasst, verstößt sie zudem gegen Art. 3 Abs. 1 GG und verlässt ihre gesetzliche Ermächtigungsgrundlage (3). Besteht für den Beamten demgegenüber die tatsächliche Möglichkeit, eine kostengünstigere - inländische - Behandlung in Anspruch zu nehmen, wären die Kosten für die ärztlichen Leistungen außerdem gemäß § 6a Abs. 1 Satz 1 GOÄ um 25 v.H. zu kürzen (4).

8

1. Nach § 13 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 [X.] findet keine Kostenbeschränkung statt, wenn bei Aufenthalt in der Nähe der Grenze aus akutem Anlass das nächstgelegene Krankenhaus aufgesucht werden muss. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Klägerin nicht in der Nähe der Grenze aufhielt, als sich der Skiunfall ereignete. Selbst wenn bei der Auslegung des Begriffs der "Nähe der Grenze" die zunehmende Mobilität und die Üblichkeit weiter Tagesausflüge zu berücksichtigen wären, bildet der Wortlaut die Grenze der Auslegung. Eine Grenznähe ist auf jeden Fall nicht mehr gegeben, wenn sich - wie hier - der Unfall etwa 130 km (etwa 1 1/2 Fahrstunden) entfernt von der [X.] Grenze ereignet.

9

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts verletzt die Beschränkung der Beihilfefähigkeit in § 13 Abs. 1 Satz 1 [X.] das Abkommen mit [X.] nur, soweit bei der Bewilligung einer Beihilfe zu Aufwendungen für Krankenhausleistungen in [X.] der Berechnung nicht die höchsten Kosten zugrunde gelegt werden, die bei einer vergleichbaren Inlandsbehandlung beihilfefähig gewesen wären. In diesen Fällen behindert die Regelung den freien Dienstleistungsverkehr zwischen [X.] und [X.] (vgl. zum völligen Ausschluss der Beihilfefähigkeit medizinischer Dienstleistungen im Ausland: Urteil vom 19. Februar 2009 - [X.] 2 [X.]N 1.07 - [X.] 271 [X.]). Ob dies der Fall ist, hat das Berufungsgericht bislang nicht ermittelt.

Bei ärztlichen Dienstleistungen einschließlich Krankenhausbehandlungen, die in [X.] gegenüber [X.] Staatsangehörigen erbracht werden, handelt es sich um grenzüberschreitende Dienstleistungen im Sinne des Abkommens, das zur Definition insoweit auf den [X.], also insbesondere auf Art. 49, 50 EGV (jetzt Art. 56 Abs. 1, Art. 57 AEUV) Bezug nimmt (vgl. Urteil vom 19. Februar 2009 a.a.[X.] Rn. 27 m.w.[X.]). Dies ist in der Rechtsprechung des [X.] geklärt und wird auch in seiner späteren, für die Auslegung des 1999 geschlossenen Abkommens nach dessen Art. 16 Abs. 2 Satz 1 allerdings nicht mehr maßgeblichen, Rechtsprechung fortgeführt (vgl. [X.], Urteile vom 12. Juli 2001 - [X.]. [X.], [X.] u.a. - Slg. 2001, [X.] Rn. 41, 43 und - [X.]. [X.]/99, [X.], verh. [X.] u.a. - Slg. 2001, [X.] Rn. 55 ff., jeweils m.w.[X.], vom 16. Mai 2006 - [X.]. [X.]/04, [X.] - Slg. 2006, [X.] Rn. 86, vom 19. April 2007 - [X.]. [X.]/05, Stamatelaki - Slg. 2007, [X.] Rn. 19 und vom 15. Juni 2010 - [X.]. [X.]/08, [X.] - [X.] 2010, 671 Rn. 47, 56; st[X.]pr; vgl. auch [X.], Urteil vom 19. Februar 2009 a.a.[X.] Rn. 27).

Als Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit ist es anzusehen, wenn die Erstattung der Kosten für eine grenzüberschreitende Dienstleistung einer ungünstigeren Regelung unterliegt als die Erstattung der Kosten einer inländischen Dienstleistung (vgl. Urteil vom 19. Februar 2009 a.a.[X.] Rn. 28 ff.; [X.], Urteil vom 28. April 1998 - [X.]. [X.]/96, [X.] - Slg. 1998, [X.] Rn. 33 m.w.[X.], st[X.]pr, fortgeführt zuletzt in den Urteilen vom 19. April 2007 a.a.[X.] Rn. 25 m.w.[X.] und vom 15. Juni 2010 a.a.[X.] Rn. 55). Eine solche Beschränkung enthält § 13 Abs. 1 Satz 1 [X.] dann nicht, wenn die Erstattung der im Ausland entstandenen Aufwendungen lediglich auf die Höhe der im Inland erstattungsfähigen Kosten (vgl. die Kostenbeschränkung für Krankenhausbehandlungen im Inland in § 6a und § 7 [X.]) beschränkt wird, damit also der Umfang der Kostenerstattung für Behandlungen im Inland und im Ausland gleich ist (vgl. zur entsprechenden Vorschrift des § 13 Abs. 1 BhV: [X.], Urteil vom 18. März 2004 - [X.]. [X.]/02, [X.]. 2004, [X.] Rn. 48 m.w.[X.]). Im Inland sind aber die Kosten für Krankenhausbehandlungen nicht der Höhe nach auf diejenigen Kosten begrenzt, die am Sitz der Beihilfestelle oder deren nächster Umgebung entstanden und beihilfefähig gewesen wären (vgl. einerseits § 13 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz [X.], andererseits § 6a [X.]). Vielmehr werden auch höhere Kosten erstattet. Diese sind lediglich begrenzt auf diejenigen Kosten, die in einem nach § 108 [X.] zugelassenen Krankenhaus, das nach der [X.] oder dem Krankenhausentgeltgesetz abrechnet, entstanden wären (vgl. insbes. § 6a Abs. 3 [X.]). Diese können im Einzelfall höher sein als diejenigen, die in einem Krankenhaus im Sinne von § 13 Abs. 1 Satz 1 [X.] (hier: [X.] in [X.]) entstanden wären. Ist dies der Fall, verstößt diese Beschränkung auf Behandlungskosten in bestimmten Krankenhäusern in § 13 Abs. 1 Satz 1 [X.] gegen das Abkommen mit [X.].

Im Übrigen lässt das Unionsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt. In Ermangelung einer Harmonisierung auf [X.] der [X.] bestimmt somit das Recht jedes Mitgliedstaats, unter welchen Voraussetzungen zum einen ein Recht auf [X.] an ein System der sozialen Sicherheit oder eine Verpflichtung hierzu und zum anderen ein Anspruch auf Leistung besteht. Deshalb können die Mitgliedstaaten selbst den Umfang des [X.] für die Versicherten bestimmen. Eine Beschränkung, die zwischen Kosten im Inland und solchen im Ausland differenziert, stellt eine unzulässige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit dar (vgl. [X.], Urteil vom 28. April 1998 - [X.]. [X.]/96, [X.] - Slg. 1998, [X.] Rn. 17 ff. m.w.[X.]; fortgeführt mit Urteilen vom 18. März 2004 a.a.[X.] Rn. 48 m.w.[X.], vom 16. Mai 2006 - [X.]. [X.]/04, [X.] - Slg. 2006, [X.] Rn. 92 m.w.[X.] und vom 15. Juni 2010 a.a.[X.] Rn. 53). Ob und unter welchen Voraussetzungen in Fällen einer "unerwarteten", erst im Ausland notwendig gewordenen Behandlung eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit aus den im Urteil des Gerichtshofs vom 15. Juni 2010 (a.a.[X.] Rn. 64 ff., 72 ff.) dargelegten Gründen zu verneinen ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Diese neue Rechtsprechung war bei Unterzeichnung des Abkommens mit [X.] noch nicht existent und ist deshalb nicht zu berücksichtigen, solange eine entsprechende Änderung des Abkommens nicht in [X.] getreten ist (Art. 16 Abs. 2 Satz 3, Art. 18 des Abkommens).

3. Soweit § 13 Abs. 1 Satz 1 [X.] danach nicht bereits wegen Verstoßes gegen das Abkommen mit [X.] unwirksam ist, bedarf die Regelung als eine beihilferechtliche Vorschrift, die einen Leistungsausschluss oder jedenfalls die erhebliche Erschwerung einer Leistung zum Gegenstand hat, einer ausdrücklichen gesetzlichen Verordnungsermächtigung (vgl. Urteil vom 19. Februar 2009 a.a.[X.] Rn. 15). Die Beihilfeverordnung hat ihre Rechtsgrundlage in § 101 des [X.] (im Folgenden: [X.]) in der bis zum 31. Dezember 2010 gültigen Fassung vom 19. März 1996 ([X.]). Satz 2 dieser Vorschrift enthält die Ermächtigung an den Verordnungsgeber, das Nähere zur Gewährung der Beihilfe zu regeln. Dabei ist nach § 101 Satz 3 Nr. 4 [X.] insbesondere zu bestimmen, wie die Beihilfe zu bemessen ist. Die Beihilfe soll grundsätzlich zusammen mit Leistungen Dritter und anderen Ansprüchen die tatsächlich entstandenen Aufwendungen nicht übersteigen; sie soll die notwendigen und angemessenen Aufwendungen unter Berücksichtigung der Eigenvorsorge und zumutbarer Selbstbehalte decken (§ 101 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 [X.]). Ein Verweis auf Kosten, die in einem nach § 108 [X.] zugelassenen Krankenhaus, das nach der [X.] oder dem Krankenhausentgeltgesetz abrechnet, entstanden wären, konkretisiert in zulässiger Weise den Begriff der angemessenen Aufwendungen unter Berücksichtigung der Eigenvorsorge und zumutbarer Selbstbehalte im Sinne dieser Vorschrift (vgl. zum Ganzen: Urteil vom 22. Januar 2009 - [X.] 2 [X.] 129.07 - [X.]E 133, 67 <70> = [X.] 271 [X.] Rn. 9 m.w.[X.]). Dies gilt allerdings nur in den Fällen, in denen der Beamte tatsächlich die Möglichkeit hat, eine kostengünstigere - inländische - Behandlung in Anspruch zu nehmen. Soweit eine solche Kostenbeschränkung auch Notfallbehandlungen im Ausland erfasst, verstößt sie gegen Art. 3 Abs. 1 GG und verlässt ihre gesetzliche Ermächtigungsgrundlage.

a) Aufwendungen in Krankheitsfällen sind dem Grunde nach notwendig, wenn sie für eine medizinisch gebotene Behandlung entstanden sind, die der Wiedererlangung der Gesundheit oder der Besserung oder Linderung von Leiden dient (Urteil vom 7. November 2006 - [X.] 2 [X.] 11.06 - [X.]E 127, 91 <92> = [X.] 237.8 § 90 RhPLBG Nr. 2 S. 2). Sie sind der Höhe nach angemessen, wenn und soweit keine gleich wirksame preisgünstigere Behandlung zur Verfügung steht (Urteil vom 18. Februar 2009 - [X.] 2 [X.] 23.08 - [X.] 270 § 6 [X.] Rn. 9). Deshalb entspricht es in der Regel dem Grundsatz der Angemessenheit, wenn der Dienstherr bei Krankenhausleistungen die Erstattung auf die Höhe der Entgelte eines Krankenhauses der Maximalversorgung "begrenzt", weil solche Krankenhäuser in der Regel eine zweckmäßige und ausreichende Versorgung gewährleisten (vgl. Urteil vom 22. Januar 2009 a.a.[X.] Rn. 12).

b) Handelt es sich nicht um eine geplante medizinische, sondern um eine Notfallbehandlung, etwa aufgrund eines Unfalls, reicht es für eine Begrenzung der Aufwendungen nach dem Grundsatz der Angemessenheit nicht aus, dass in dem von der Beihilfestelle herangezogenen [X.] eine zweckmäßige und ausreichende Versorgung - theoretisch - gewährleistet gewesen wäre (zu diesem Erfordernis vgl. Urteil vom 22. Januar 2009 a.a.[X.] Rn. 12). Um gleich wirksam zu sein, muss diese medizinische Versorgung vielmehr auch tatsächlich zugänglich sein, und zwar so zeitnah, wie dies medizinisch geboten ist. Dies ist gerade bei medizinischen Notfällen, insbesondere bei der Erstbehandlung infolge eines Unfalls nicht der Fall, wenn es darauf ankommt, dass die medizinische Behandlung so schnell wie möglich einsetzt, so dass das nächstgelegene Krankenhaus aufgesucht werden muss. In den Fällen einer solchen Notfallbehandlung ist eine Kostenbegrenzung wie diejenige für Auslandsbehandlungen in § 13 Abs. 1 Satz 1 [X.] unzulässig und deshalb insoweit nichtig.

Für diese Fallgruppe verletzt eine allgemeine Kostenbegrenzungsregelung die im Beihilfesystem angelegte Sachgesetzlichkeit und damit den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, weil sie ohne zureichenden Grund medizinisch gebotene und angemessene Aufwendungen von der Beihilfe ausschließt (vgl. Urteile vom 18. Februar 2009 a.a.[X.] Rn. 14, vom 19. Februar 2009 a.a.[X.] Rn. 20 f. und vom 12. November 2009 - [X.] 2 [X.] 61.08 - [X.] 270 § 5 [X.] Rn. 11, jeweils m.w.[X.]). Nach dem beihilferechtlichen Leistungsprogramm (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 [X.] und § 101 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 [X.]) sind grundsätzlich diejenigen Aufwendungen beihilfefähig, die durch einen konkreten Anlass verursacht werden. Die Beihilfefähigkeit in Krankheitsfällen knüpft weder an bestimmte Arzneimittel noch an bestimmte Behandlungen oder gar an bestimmte Krankenhäuser an. Diese Anlassbezogenheit kommt in dem Grundsatz zum Ausdruck, dass in Krankheitsfällen die Behandlungskosten im Rahmen der Notwendigkeit und der Angemessenheit beihilfefähig sind (vgl. zum Ganzen: Urteil vom 18. Februar 2009 a.a.[X.] Rn. 14 m.w.[X.]).

c) Von dieser im Beihilfensystem angelegten Sachgesetzlichkeit wird zu Lasten der hiervon betroffenen Beamten abgewichen, wenn krankheitsbedingte Aufwendungen trotz ihrer Notwendigkeit und Angemessenheit von der [X.] ausgenommen werden. Durch Leistungseinschränkungen und Leistungsausschlüsse darf sich der [X.] innerhalb des geltenden Beihilfensystems nicht zu seiner grundsätzlichen Entscheidung in Widerspruch setzen, Beihilfe zu gewähren, soweit sie dem Grunde nach notwendig und der Höhe nach angemessen ist (§ 5 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Da es sich bei der Begrenzung der Beihilfefähigkeit durch Leistungsausschlüsse und Leistungsbeschränkungen um eine Einschränkung dieses Grundsatzes handelt, bedarf ein Ausschluss oder eine Begrenzung in materieller Hinsicht einer inneren, den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG standhaltenden Rechtfertigung und in formeller Hinsicht einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage (vgl. Urteil vom 12. November 2009 a.a.[X.] Rn. 11). An beidem fehlt es hier. Allein Gründe der Verwaltungsvereinfachung, der Kostenbeschränkung oder der Umstand, dass Auslandsbehandlungen versicherbar sind, rechtfertigen nicht, die Angemessenheit medizinisch gebotener Aufwendungen auf einen Betrag zu begrenzen, zu dem Leistungen am Unfallort nicht angeboten werden; sie stehen im Widerspruch zu § 5 Abs. 1 Satz 1 [X.] und § 101 Satz 3 Nr. 4 [X.] (vgl. Urteile vom 19. Februar 2009 a.a.[X.] Rn. 21 und 23, vom 18. Februar 2009 a.a.[X.] Rn. 17 f. und vom 12. November 2009 a.a.[X.] Rn. 15). Eine solche Begrenzung macht die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für eine medizinisch erforderliche Notfallbehandlung erkrankter Beamter unzulässigerweise davon abhängig, wo sich der Notfall ereignet.

4. Sollte eine medizinisch ausreichende Behandlung der Folgen des [X.] im Inland für die Klägerin tatsächlich erreichbar gewesen sein, so durfte der [X.] die ärztlichen Leistungen auch nach § 13 Abs. 1 Satz 1, § 5 Abs. 1 [X.] i.V.m. § 6a Abs. 1 Satz 1 GOÄ um 25 v.H. mindern. Für die Anwendung der Kürzungsregelung des § 6a Abs. 1 Satz 1 GOÄ ist es unerheblich, ob die in Rechnung gestellten ausländischen Arztkosten ausschließlich die Behandlungskosten für die Klägerin oder ob sie auch tatsächliche oder kalkulatorische Vorhaltekosten umfasst haben, die in der [X.] Bestandteil der abrechnungsfähigen ärztlichen Leistungen nach der Gebührenordnung für Ärzte sind. Da schon im Inland nicht im Einzelfall zu prüfen ist, ob in den Arztkosten Kosten für Sach- und Personalkosten enthalten sind, kann dies auch bei einer Behandlung im Ausland nicht erheblich sein. Auf etwaige [X.] zwischen der Honorierung ärztlicher Leistungen bei einer Krankenhausbehandlung im Ausland und einer solchen in der [X.] kommt es deshalb auch nach dem nach § 13 Abs. 1 Satz 1 [X.] vorzunehmenden Vergleich nicht an.

5. Da das Berufungsgericht auf der Basis seiner Rechtsauffassung bisher die notwendigen tatsächlichen Feststellungen nicht hat treffen müssen, wird es dies nachzuholen haben. Zum einen wird es zu klären haben, welche Kosten die Beihilfestelle bei einer Behandlung im Inland höchstens als beihilfefähig anerkannt hätte. Es kann insoweit auf die der Abrechnung im maßgeblichen Zeitraum zugrunde gelegten Basisfallwerte für eine Krankenhausbehandlung zurückgreifen. Zum anderen wird es aufzuklären haben, ab welchem Zeitpunkt der Klägerin aus medizinischer Sicht ein Transport aus dem Krankenhaus in [X.] in ein kostengünstigeres Krankenhaus in [X.] möglich war. Dabei sind auch die Krankentransportkosten zu berücksichtigen und in einem Wirtschaftlichkeitsvergleich den höheren Kosten für das [X.] Krankenhaus gegenüberzustellen.

Meta

2 C 14/10

17.10.2011

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 19. Januar 2010, Az: 4 S 1070/08, Urteil

Art 3 Abs 1 GG, § 13 Abs 1 S 1 BhV BW 1995, § 13 Abs 2 Nr 3 BhV BW 1995, § 5 Abs 1 BhV BW 1995, Art 16 EGFreizügAbk CHE, Art 18 EGFreizügAbk CHE, Art 56 Abs 1 AEUV, Art 57 AEUV, § 101 BG BW vom 19.03.1996

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17.10.2011, Az. 2 C 14/10 (REWIS RS 2011, 2353)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2353

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1 K 17.136

2 S 930/18

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