Bundesfinanzhof, Beschluss vom 15.10.2015, Az. I B 93/15

1. Senat | REWIS RS 2015, 3870

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Buchführungspflicht einer ausländischen Immobilienkapitalgesellschaft


Leitsatz

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob eine ausländische Kapitalgesellschaft, die nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG 2009 i.V.m. § 2 Nr. 1 KStG 2002 mit ihren inländischen Vermietungseinkünften beschränkt körperschaftsteuerpflichtig ist, zu den gewerblichen Unternehmern i.S. von § 141 AO gehört und deshalb nach dieser Vorschrift buchführungspflichtig ist.

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Finanzgerichts des [X.] vom 16. Juli 2015  3 V 172/12 aufgehoben und die Vollziehung der Mitteilung vom 1. September 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. Dezember 2011 ist bis zum Abschluss des finanzgerichtlichen Hauptsachverfahrens (Az.: 3 K 1521/11) ausgesetzt.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.

Tatbestand

1

I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist eine Aktiengesellschaft liechtensteinischen Rechts mit Sitz in ... Nach den Feststellungen der Vorinstanz hat sie im Inland keinen ständigen Vertreter und ist deshalb nur mit ihren aus der Vermietung des in [X.] belegenen Grundstücks R erzielten Einkünften beschränkt körperschaftsteuerpflichtig (§ 2 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes 2002 --KStG 2002--). Da die Antragstellerin für das [X.] aus der Vermietung dieses Grundstücks einen nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f des Einkommensteuergesetzes 2009 (EStG 2009) i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 als gewerbliche Einkünfte zu erfassenden Gewinn in Höhe von 133.131,82 € erklärt hatte, erließ der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) ihr gegenüber mit Bescheid vom 1. September 2011 die [X.]itteilung nach § 141 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung ([X.]) über den Beginn der Buchführungspflicht für den Gewerbebetrieb "Vermietung und Verwaltung von Grundbesitz". Der hiergegen erhobene Einspruch wurde vom [X.] mit Einspruchsentscheidung vom 5. Dezember 2011 als unbegründet zurückgewiesen. Über die daraufhin erhobene Klage hat das Finanzgericht ([X.]) noch nicht entschieden. Auch der beim [X.] gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) blieb ohne Erfolg; der hiergegen gerichtete Einspruch wurde gleichfalls mit Einspruchsentscheidung vom 5. Dezember 2011 zurückgewiesen.

2

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der gerichtliche Antrag nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O), die Vollziehung der [X.]itteilung über den Beginn der Buchführungspflicht auszusetzen. Er wurde vom [X.] des Landes Sachsen-Anhalt mit Beschluss vom 16. Juli 2015  3 V 172/12 abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom [X.] zugelassene Beschwerde.

Entscheidungsgründe

3

II. Die Beschwerde ist begründet. Der Beschluss der Vorinstanz ist aufzuheben und die Vollziehung der Mitteilung vom 1. September 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. Dezember 2011 ist bis zum Abschluss des finanzgerichtlichen Hauptsacheverfahrens (Az.: 3 K 1521/11) auszusetzen.

4

1. Die Beschwerde gegen die Entscheidung des [X.] über die AdV nach § 69 Abs. 3 [X.]O ist statthaft, weil sie vom [X.] ausdrücklich zugelassen wurde (§ 128 Abs. 3 Satz 1 [X.]O). Auf die Schlüssigkeit des [X.] ist nicht einzugehen, da es einer Beschwerdebegründung der Antragstellerin nicht bedarf, wenn --wie vorliegend-- ihr Begehren ohne Weiteres dem erstinstanzlichen Antrag entnommen werden kann und damit ausreichend erkennbar ist (Beschluss des [X.] --BFH-- vom 21. Juli 2009 II B 8/09, [X.], 1845; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 129 Rz 6, m.w.N.).

5

2. Der gerichtliche [X.] ist --wovon auch die Vorinstanz zu Recht ausgegangen ist-- nach § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 [X.]O zulässig. Die Mitteilung nach § 141 Abs. 2 [X.], durch die das [X.] auf die Verpflichtung hinweist, ab Beginn des nächsten [X.] Bücher zu führen und aufgrund jährlicher Bestandsaufnahmen Abschlüsse zu machen, ist ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt, dessen Vollziehung gemäß § 69 [X.]O ausgesetzt werden kann (so bereits [X.], S. 124, rechte Spalte; [X.] vom 6. Dezember 1979 IV B 32/79, [X.], 300, [X.] 1980, 427; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 141 [X.] Rz 44; [X.] in Bermann/[X.], [X.]O § 69 Rz 41, jeweils m.w.N.).

6

3. Entgegen der Ansicht des [X.] hat der Antrag auch in der Sache Erfolg, weil ernstliche Zweifel an der gegenüber der Antragstellerin ergangenen Mitteilung nach § 141 Abs. 2 [X.] bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 [X.]O).

7

a) Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 [X.]O liegen u.a. dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken. Die AdV setzt nicht voraus, dass die gegen die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründe überwiegen. Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so ist im summarischen Verfahren nicht abschließend zu entscheiden, sondern im Regelfall die Vollziehung auszusetzen (ständige Rechtsprechung, Senatsbeschluss vom 18. Dezember 2013 I B 85/13, [X.], 320, [X.] 2014, 947, m.w.N.).

8

b) Hiervon ist vorliegend auszugehen.

9

aa) Nach § 141 Abs. 1 Satz 1 [X.] sind "gewerbliche Unternehmer", für die sich die Buchführungspflicht nicht aus § 140 [X.] ergibt, u.a. dann verpflichtet, für diesen "Betrieb" Bücher zu führen und auf Grund jährlicher Bestandsaufnahmen Abschlüsse zu machen, wenn sie nach den Feststellungen der Finanzbehörde für den einzelnen Betrieb einen Gewinn aus "Gewerbebetrieb" von mehr als 50.000 € im Wirtschaftsjahr gehabt haben. Es unterliegt im vorgenannten Sinne ernstlichen Zweifeln, ob zu dem von § 141 [X.] angesprochenen Personenkreis auch die Antragstellerin gehört, die nach den bisherigen Feststellungen keine originäre gewerbliche Tätigkeit entfaltet hat, aber als Aktiengesellschaft liechtensteinischen Rechts (vgl. zum sog. [X.] z.B. BFH-Urteil vom 23. Juni 1992 IX R 182/87, [X.], 285, [X.] 1992, 972) nach § 2 Nr. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 2002 und § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG 2009 beschränkt körperschaftsteuerpflichtig ist. Während Satz 1 der zuletzt genannten Bestimmung nicht nur das Erzielen von Vermietungs- oder [X.] (u.a.) aus inländischen unbeweglichem Vermögen (z.B. Grundstücken), sondern darüber hinaus auch die Gewerblichkeit dieser Einkünfte i.S. von § 15 EStG erfordert ([X.] 612/93, S. 66; [X.] in [X.], EStG, 14. Aufl., § 49 Rz 43, m.w.N.), dehnt § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG 2009 den Tatbestand der "Einkünfte aus Gewerbebetrieb" im Wege der Fiktion auf lediglich vermögensverwaltend tätige ausländische Kapitalgesellschaften aus ([X.], a.a.[X.], S. 66); die Gewerblichkeit wird m.a.W. kraft Rechtsform fingiert (BTDrucks 12/6078, S. 125 und 16/10189, S. 58). Hieraus ergibt sich zwar, dass auch diese gewerblich fingierten Einkünfte nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 4 ff. EStG über die Bestimmung des Gewinns zu ermitteln sind (Senatsurteil vom 5. Juni 2002 I R 81/00, [X.], 300, [X.] 2004, 344 zu § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG 1990/1994); auch mag es zutreffen, dass dieser [X.] ein inländisches gewerbliches Betriebsvermögen zugrunde liegt (vgl. zum Streitstand [X.] in [X.], a.a.[X.], § 49 Rz 47). Gleichwohl ist zweifelhaft, ob durch die aufgezeigten Regelungszusammenhänge eine Buchführungspflicht nach § 141 [X.] begründet wird, da letztere Vorschrift --wie eingangs [X.] tatbestandlich an das Vorliegen eines tatsächlichen "(Gewerbe-)Betriebs" sowie in personeller Hinsicht an die Einkunftserzielung durch einen "gewerblichen Unternehmer" anknüpft und nach der Rechtsprechung des Senats hierdurch auf die Gewerblichkeit i.S. von § 15 Abs. 2 EStG Bezug genommen wird (Senatsurteil vom 21. Januar 1998 I R 3/96, [X.], 262, [X.] 1998, 468; vgl. auch [X.] in Beermann/[X.], [X.] § 141 Rz 11, m.w.N.: § 15 Abs. 2 und 3). Demgemäß muss es der Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, ob der Tatbestand des § 141 [X.] auch für die in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG 2009 genannte Fiktion geöffnet werden kann und insbesondere der Zweck dieser Vorschrift eine solche Auslegung erfordert (vgl. zum Begriff des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs in § 14 [X.] Senatsurteil vom 25. Mai 2011 I R 60/10, [X.], 59, [X.] 2011, 858). Erwägungen hierzu erübrigen sich nicht deshalb, weil sich nach der Rechtsprechung des Senats die Buchführungspflichten des § 141 [X.] ausschließlich auf die im Inland steuerbaren Einkünfte beziehen (Urteil vom 17. Dezember 1997 I R 95/96, [X.], 16, [X.] 1998, 260). Dies steht auch vorliegend nicht im Streit, gibt jedoch keine Antwort auf die weitergehende --und vorliegend streitige-- Frage danach, ob die steuerbaren inländischen Einkünfte der Antragstellerin im Wege der Überschussrechnung oder --gestützt auf die Regelungen des § 141 [X.]-- durch einen Betriebsvermögensvergleich zu ermitteln sind.

bb) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Mitteilung gemäß § 141 [X.] bestehen ferner insoweit, als die zuletzt genannte Bestimmung eine originäre steuerrechtliche Buchführungspflicht begründet und ihr gegenüber den in § 140 [X.] angesprochenen (d.h. aus anderen als den Steuergesetzen sich ergebenden) Buch- und Aufzeichnungspflichten nur subsidiäre Bedeutung zukommt. Da demnach § 141 [X.] nur den über § 140 [X.] hinausgehenden Kreis von Buchführungspflichtigen erfasst (so ausdrücklich [X.], S. 124; s. auch BTDrucks 7/79, S. 93) und der Senat mit Urteil vom 25. Juni 2014 I R 24/13 ([X.], 404, [X.] 2015, 141) ausdrücklich offengelassen hat, ob ausländische Buchführungspflichten nach § 140 [X.] materiell-rechtlich die Art der Gewinnermittlung nach [X.] Ertragsteuerrecht bestimmen, hätte es --was im Hauptsacheverfahren nachzuholen sein wird-- der Aufklärung bedurft, ob die Antragstellerin nach liechtensteinischem Recht Bücher zu führen hatte. Der Senat hat mit dem zuletzt genannten Urteil des Weiteren erkannt, dass eine ausländische Buchführungspflicht ebenso wie eine tatsächliche (freiwillige) Buchführung jedenfalls das Wahlrecht zur Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG ausschließt. Angesichts dessen wird im Hauptsacheverfahren ggf. auch unter diesem Blickwinkel darüber zu entscheiden sein, ob angesichts dieser materiell-rechtlichen Beurteilung und der hiermit verbundenen bilanziellen Gewinnermittlung noch Raum für die Begründung einer Buchführungspflicht gemäß § 141 [X.] besteht.

cc) Die Antragstellerin ist durch den Bescheid vom 1. September 2011 (Mitteilung nach § 141 Abs. 2 Satz 1 [X.]) selbst dann beschwert, wenn man ihre Bilanzierungspflicht nach liechtensteinischem Recht bejaht. Dies ergibt sich bereits daraus, dass eine auf § 141 [X.] gestützte Buchführungspflicht nicht allein durch ein Unterschreiten der Grenzwerte des § 141 Abs. 1 [X.], sondern erst nach einer entsprechenden Feststellung der Finanzbehörden mit Ablauf des darauf folgenden [X.] endet (§ 141 Abs. 2 Satz 2 [X.]; dazu [X.], a.a.[X.], § 141 Rz 45).

4. [X.] beruht auf § 143 Abs. 1 i.V.m. § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

I B 93/15

15.10.2015

Bundesfinanzhof 1. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 16. Juli 2015, Az: 3 V 172/12, Beschluss

§ 140 AO, § 141 Abs 2 AO, § 49 Abs 1 Nr 2 Buchst f S 2 EStG 2009, § 2 Nr 1 KStG 2002, § 8 Abs 1 S 1 KStG, EStG VZ 2012

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 15.10.2015, Az. I B 93/15 (REWIS RS 2015, 3870)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 3870

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

I R 81/16 (Bundesfinanzhof)

Buchführungspflicht einer ausländischen Immobilienkapitalgesellschaft


12 V 1784/23 (FG München)

Negativer Feststellungsbescheid, Feststellungsbescheiden, Inländische Einkünfte, Ausländische Einkünfte, Feststellungsbeteiligter, Antragsgegner, Streitjahr, Aussetzung der Vollziehung, Gesonderte und …


I B 57/18 (Bundesfinanzhof)

Gemeinnützigkeitsrechtliches Ausschließlichkeitsgebot - Zurechnung von Beteiligungseinkünften - Zurückverweisung im AdV-Beschwerdeverfahren


I B 157/10 (Bundesfinanzhof)

Steuerabzug bei einem in der Schweiz ansässigen Vergütungsgläubiger - Haftung des Vergütungsschuldners - Antragsbefugnis und …


I B 49/10 (Bundesfinanzhof)

Sog. Mindestbesteuerung bei endgültigem Ausschluss der Verlustverrechnung ernstlich zweifelhaft


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.