Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.09.2014, Az. IV ZR 379/13

4. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 3052

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Gegenstand

Abrechnung eines Unfallschadens durch die Kfz-Kaskoversicherung bei unterbliebener Reparatur des versicherten Fahrzeuges: Ermittlung des anzurechnenden Restwertes in Fällen bestehender bzw. nicht bestehender Umsatzsteuerpflicht des Versicherungsnehmers; Auslegung eines Kaufangebots "incl. MwSt." an einen nicht umsatzsteuerpflichtigen Versicherungsnehmer


Leitsatz

1. Der nach A.2.7.1 a Buchst. b AKB 2010 anzurechnende Restwert des versicherten Fahrzeuges ist derjenige Betrag, der dem Versicherungsnehmer bei der Veräußerung des Fahrzeuges am Ende verbleibt. Unterliegt er beim Fahrzeugverkauf der Umsatzsteuerpflicht, stellt lediglich der ihm nach Abführung der Umsatzsteuer an das Finanzamt verbleibende Nettokaufpreis den anzurechnenden Restwert dar. Ist er nicht umsatzsteuerpflichtig, erübrigt sich eine Unterscheidung zwischen Brutto- und Nettorestwert; anzurechnen ist dann allein der Betrag, den der Versicherungsnehmer als Kaufpreis tatsächlich erlösen kann.

2. Zur Auslegung eines Kaufangebots "(incl. MwSt.)" an einen nicht umsatzsteuerpflichtigen Versicherungsnehmer.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil der 2. Zivilkammer des [X.] vom 17. Oktober 2013 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Streitwert: 1.117,65 €

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über den Restwert eines unfallgeschädigten Kraftfahrzeugs.

2

Der Kläger hielt für seinen Pkw bei der Beklagten eine Vollkaskoversicherung nach Maßgabe der Allgemeinen Bedingungen für die [X.], Stand 1. Januar 2010 ([X.] 2010). Nach einer Unfallschadenmeldung gelangte ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten zu dem Ergebnis, die voraussichtlichen Reparaturkosten überstiegen den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs.

3

Für diesen Fall ist unter A.2.7.1 a [X.] 2010 unter anderem bestimmt:

"… Wird das Fahrzeug beschädigt, zahlen wir die für die Reparatur erforderlichen Kosten bis zu folgenden Obergrenzen:

a       

Wird das Fahrzeug vollständig und fachgerecht repariert, zahlen wir die hierfür erforderlichen Kosten … bis zur Höhe des [X.] nach [X.], …

                 

b       

Wird das Fahrzeug nicht, nicht vollständig oder nicht fachgerecht repariert, zahlen wir die erforderlichen Kosten einer vollständigen Reparatur bis zur Höhe des um den Restwert verminderten [X.] (siehe [X.] und [X.])."

4

Die in Bezug genommenen Klauseln lauten:

"[X.]

Wiederbeschaffungswert ist der Preis, den Sie für den Kauf eines gleichwertigen gebrauchten Fahrzeugs am Tag des Schadenereignisses bezahlen müssen.

                 

[X.]

Restwert ist der Veräußerungswert des Fahrzeugs im beschädigten oder zerstörten Zustand."

5

Weiter heißt es unter

"A.2.9

Mehrwertsteuer

                 
        

Mehrwertsteuer erstatten wir nur, wenn und soweit diese für Sie bei der von Ihnen gewählten Schadenbeseitigung tatsächlich angefallen ist. Die Mehrwertsteuer erstatten wir nicht, soweit Vorsteuerabzugsberechtigung besteht."

6

Im Gutachten ist für das Fahrzeug des [X.] ein Wiederbeschaffungswert ohne Mehrwertsteuer (sog. Nettowiederbeschaffungswert) ausgewiesen. Ferner hatte der Gutachter einen Restwert ohne Mehrwertsteuer (sog. [X.]) von 5.882,35 € und mit Mehrwertsteuer (sog. Bruttorestwert) von 7.000 € ermittelt. Dem lag ein von ihm eingeholtes verbindliches Kaufangebot eines Autohändlers (im Folgenden: Kaufinteressentin) zugrunde, das auf "7.000 [X.] (incl. MwSt.)" lautete.

7

Die Beklagte hat dem Kläger den Nettowiederbeschaffungswert abzüglich des Bruttorestwerts von 7.000 € und einer Selbstbeteiligung von 150 € erstattet.

8

Der Kläger meint, da er nicht vorsteuerabzugsberechtigt sei, dürfe neben der Selbstbeteiligung nur der [X.] von 5.882,35 € in Abzug gebracht werden. Die Differenz von 1.117,65 € macht er mit der Klage geltend, der das Amtsgericht stattgegeben hat. Auf die Berufung der Beklagten hat das [X.] die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

9

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Nach dessen Auffassung muss sich der Kläger den [X.] von 7.000 € auf die Versicherungsleistung anrechnen lassen. Dieser Betrag entspreche dem durch den Sachverständigen eingeholten Kaufangebot. Die Kaufinteressentin sei bereit gewesen, das Fahrzeug des [X.] zu dem genannten Preis zu erwerben. Soweit der Kläger erstmals in der Berufungsinstanz behauptet habe, das Angebot über 7.000 € habe sich nur an Verkäufer gerichtet, welche die auf den Kaufpreis entfallende Mehrwertsteuer ausweisen könnten, sei dieser Vortrag nach § 531 ZPO nicht mehr zuzulassen. Es handele sich um ein neues Angriffsmittel, welches der Kläger bereits im ersten Rechtszug hätte geltend machen können. Gründe dafür, dass dies nicht aus Nachlässigkeit unterblieben sei, seien nicht ersichtlich.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Übersteigen - wie im Streitfall - die voraussichtlichen Reparaturkosten eines versicherten Fahrzeugs dessen Wiederbeschaffungswert, beschränkt sich das Leistungsversprechen des Versicherers nach A.2.7.1 a Buchst. a [X.] 2010 im Falle einer dennoch bedingungsgemäß durchgeführten Reparatur darauf, die Reparatur- und Reparaturnebenkosten bis zur Höhe des [X.] zu tragen. Verzichtet der Versicherungsnehmer auf die Reparatur, bezweckt A.2.7.1 a Buchst. b [X.] 2010, ihn wirtschaftlich in die Lage zu versetzen, sich ein gleichwertiges Gebrauchtfahrzeug anzuschaffen. [X.] ist auch insoweit der Wiederbeschaffungswert. Der Versicherungsnehmer muss sich aber mit dem Restwert denjenigen Betrag anrechnen lassen, den er aus der Veräußerung des beschädigten oder zerstörten Fahrzeugs erlangen und somit für die Wiederbeschaffung einsetzen könnte. Maßgebend dafür ist allein der Betrag, der dem Versicherungsnehmer im Falle einer solchen Veräußerung am Ende verbleibt.

Unterliegt der Versicherungsnehmer beim Fahrzeugverkauf der Umsatzsteuerpflicht, ist er mithin verpflichtet, im Kaufpreis Umsatzsteuer auszuweisen und diese später an das Finanzamt abzuführen, stellt lediglich der ihm danach verbleibende Nettokaufpreis den nach A.2.7.1 a Buchst. b [X.] 2010 anzurechnenden Restwert dar.

Ist ein Versicherungsnehmer - wie der Kläger - im Falle eines Verkaufs nicht umsatzsteuerpflichtig, erübrigt sich eine Unterscheidung zwischen Brutto- und Nettoerlös ([X.], [X.]. zu [X.] VersR 2009, 1613, 1615); der anzurechnende Restwert ist dann allein der Betrag, den der Versicherungsnehmer als Kaufpreis tatsächlich erlösen kann.

2. Wie das Berufungsgericht zutreffend gesehen hat, bestimmt [X.] [X.] 2010, dass der Versicherer Mehrwertsteuer nur dann erstattet, wenn sie bei der vom Versicherungsnehmer gewählten Schadenbeseitigung tatsächlich angefallen ist. Die Klausel bezieht sich schon deshalb nicht auf die Veräußerung des beschädigten oder zerstörten Fahrzeugs, weil der Versicherungsnehmer dabei Geld vereinnahmt und mithin keine Umsatzsteuer entrichten muss (vgl. [X.], [X.] 2012, 444, 445). Die Regelung in [X.] [X.] 2010 führt im Streitfall lediglich dazu, dass der Kläger keine Umsatzsteuer für die Wiederbeschaffung eines [X.] verlangen kann, weil er bislang auf den Kauf eines anderen Fahrzeugs verzichtet und folglich auch keine Umsatzsteuer gezahlt hat. Es kann aber keine Rede davon sein, dass - wie die [X.] in den Vorinstanzen geltend gemacht hat - [X.] [X.] 2010 in einem solchen Fall nicht nur die Versicherungsleistung auf den Nettowiederbeschaffungswert beschränkt, sondern "spiegelbildlich" die Anrechnung eines Bruttoerlöses für die Veräußerung des versicherten Fahrzeuges festlegt. Eine solche wechselseitige rechtliche Abhängigkeit beider Geschäfte besteht nicht. Vielmehr sind die Wiederbeschaffung eines Ersatzfahrzeugs und die Veräußerung des beschädigten Fahrzeugs umsatzsteuerrechtlich voneinander unabhängige Vorgänge.

3. Im Streitfall hängt die Lösung deshalb allein davon ab, welchen Kaufpreis die Kaufinteressentin dem Kläger für sein Unfallfahrzeug tatsächlich gezahlt hätte. Dafür ist entscheidend, wie ihr Angebot "7.000 [X.] (incl. MwSt.)" gemeint war. Wollte sie damit zum Ausdruck bringen, sie sei ungeachtet eines Ausweises von Mehrwertsteuer in der Verkaufsrechnung in jedem Falle bereit, 7.000 € für das Fahrzeug des [X.] zu zahlen, müsste sich der Kläger einen Restwert in dieser Höhe anrechnen lassen. Wäre das Angebot dahin auszulegen, dass 7.000 € nur als Bruttobetrag eines umsatzsteuerpflichtigen Verkaufs, anderenfalls höchstens 5.882,35 € als entsprechender Nettobetrag geboten würden, beschränkte sich die Anrechnung auf die genannte [X.].

Das Berufungsgericht hat diese Frage nicht ausreichend geklärt. Es hat das fragliche Angebot insbesondere nicht auszulegen versucht und stattdessen das im [X.] ergänzte Vorbringen des [X.] zu Unrecht nicht gemäß § 531 ZPO zugelassen. Der [X.] kann diese Auslegung nicht selbst vornehmen, weil die Parteien Beweise für das Verständnis solcher Angebotserklärungen in den beteiligten Verkehrskreisen und für den wahren Willen der Erklärenden angeboten haben, die der Tatrichter bisher nicht erhoben hat.

a) Die Höhe des [X.], d.h. des vom Versicherungsnehmer erzielbaren Erlöses beim Verkauf des beschädigten oder zerstörten Fahrzeugs, hat der Versicherer als eine ihm günstige Tatsache darzulegen und zu beweisen. Das von der [X.]n vorgerichtlich eingeholte Gutachten hatte auf der Grundlage des vorgenannten Angebots sowohl einen Nettorestwert von 5.882,35 € als auch einen [X.] von 7.000 € ausgewiesen.

b) Bereits in der Klageschrift hat der Kläger unter Bezugnahme darauf vorgetragen, er sei nicht vorsteuerabzugsberechtigt. Damit hat er zum Ausdruck gebracht, er könne beim Fahrzeugverkauf keine Mehrwertsteuer ausweisen und verstehe das Angebot der Kaufinteressentin so, als könne er ihr deshalb nur die [X.] von 5.882,35 € berechnen. Mit Schriftsatz vom 21. Februar 2013 hat der Kläger ergänzt, da er als Verbraucher beim Fahrzeugverkauf keine Mehrwertsteuer erhalte, sei der für ihn realisierbare Restwert nicht um den [X.] zu erhöhen.

Die [X.] hat in erster Instanz lediglich ohne Beweisantritt bestritten, dass es dem Kläger nicht möglich gewesen wäre, den [X.] zu realisieren, d.h. die Kaufinteressentin ungeachtet der fehlenden Umsatzsteuerpflichtigkeit des Verkaufs zur Zahlung der vollen Angebotssumme von 7.000 € zu bewegen. Das sei indessen eine reine Rechtsfrage.

Das Amtsgericht hat ohne Beweisaufnahme angenommen, ein Verbraucher wie der Kläger könne beim Verkauf seines Fahrzeuges als Erlös stets nur dessen Nettowert erzielen.

Erst in der Berufungsbegründung hat die [X.] [X.] dafür angeboten, dass Bieter in so genannten [X.] in Unkenntnis der Vorsteuerabzugsberechtigung des jeweiligen Verkäufers davon ausgingen, den gebotenen Preis unabhängig davon zahlen zu müssen, ob in der Verkaufsrechnung Mehrwertsteuer ausgewiesen werde oder nicht. Dem ist der Kläger mit der in das Zeugnis eines Mitarbeiters der Kaufinteressentin gestellten Behauptung entgegengetreten, ihr Angebot "7.000 € (incl. MwSt.)" habe nur für einen vorsteuerabzugsberechtigten Verkäufer gegolten.

c) Dieses Vorbringen durfte das Berufungsgericht nicht zurückweisen, es hätte vielmehr nach § 531 Abs. 2 ZPO zugelassen werden müssen.

Das ergibt sich schon aus § 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, nachdem das Amtsgericht nicht erkannt hatte, dass der Streit der Parteien vorwiegend nicht um eine Rechtsfrage, sondern um die tatsächliche Frage ging, ob die konkrete Kaufinteressentin bereit gewesen wäre, den gebotenen Preis von 7.000 € auch bei einem nicht umsatzsteuerpflichtigen Verkauf zu entrichten.

Eine Pflicht, den in der Berufungsinstanz gehaltenen Vortrag des [X.] zuzulassen, folgt aber auch aus § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO. Nachlässigkeit im Sinne dieser Vorschrift ist dem Kläger nicht anzulasten, nachdem die [X.] ihrer Beweislast in Bezug auf die Höhe des möglichen Erlöses für das versicherte Fahrzeug zunächst nicht nachgekommen war und das Gericht erster Instanz weiteren Aufklärungsbedarf nicht gesehen, sondern das Klagevorbringen für ausreichend erachtet hatte.

Erst als die [X.] ihren Vortrag in zweiter Instanz unter Beweis gestellt hatte, bestand für den Kläger Anlass, dem mit dem Angebot eines Gegenbeweises entgegenzutreten.

[X.]                    [X.]                              Felsch

             Lehmann                Dr. Brockmöller

Meta

IV ZR 379/13

10.09.2014

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Dortmund, 17. Oktober 2013, Az: 2 S 14/13, Urteil

Nr A.2.7.1.a Buchst b AKB 2010, Nr A.2.6.7 AKB 2010, § 15 UStG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.09.2014, Az. IV ZR 379/13 (REWIS RS 2014, 3052)

Papier­fundstellen: NJW 2015, 160 REWIS RS 2014, 3052

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