Bundesfinanzhof, Beschluss vom 04.06.2014, Az. VII B 180/13

7. Senat | REWIS RS 2014, 5056

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Gegenstand

Klageänderung nach Anfechtung einer Abrechnungsverfügung in Verpflichtung zum Erlass eines Abrechnungsbescheids - Unzulässigkeit der ohne erfolgloses Vorverfahren erhobenen Klage - Keine "Heilung" durch nachträglichen Erlass des beantragten Verwaltungsaktes


Leitsatz

1. NV: Der Übergang von einer Anfechtungs- zu einer Verpflichtungsklage und nochmals zu einer Anfechtungsklage ist jeweils eine Klageänderung, wenn sich das Klagebegehren auf unterschiedliche Verwaltungsakte bezieht .

2. NV: Der Übergang von der Anfechtung des Abrechnungsteils eines Festsetzungsbescheids zur Verpflichtung, einen Abrechnungsbescheid zu erlassen, ist nur zulässig, wenn neben den Voraussetzungen des § 67 FGO das FA den zuvor beantragten Bescheid abgelehnt hat oder ein Untätigkeitseinspruch erfolglos geblieben ist .

3. NV: Der nachträgliche Erlass des beantragten Verwaltungsaktes heilt die Unzulässigkeit der ohne erfolgloses Vorverfahren erhobenen Klage nicht .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) streitet seit Jahren mit dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --[X.]--) um eine Abrechnung zur Umsatzsteuer 2002. Da er die im Umsatzsteuerbescheid 2002 enthaltene Abrechnung für rechnerisch nicht nachvollziehbar ansah, verpflichtete sich das [X.] in dem darüber geführten Klageverfahren (12 K 3648/07 AO), einen Abrechnungsbescheid zu erteilen. Der Rechtsstreit wurde daraufhin für erledigt erklärt. Gegen den vom [X.] erlassenen Abrechnungsbescheid vom 3. Dezember 2008 legte der Kläger Einspruch ein, weil auch dieser rechnerisch nicht nachvollziehbar sei. Eine Einspruchsentscheidung hat das [X.], das mangels näherer Erläuterungen des Klägers zu dem ihm übersandten "[X.]" den Einspruch als erledigt betrachtete, nicht erlassen.

2

Auf den [X.] für das [X.] vom 29. Oktober 2009 und die gleichzeitig erlassene Abrechnungsverfügung erhob der Kläger "Einspruch gegen den Abrechnungsbescheid betreffend Umsatzsteuer 2002" und auf die ablehnende Einspruchsentscheidung vom 30. Juli 2012 Klage "wegen Abrechnung Umsatzsteuer 2002" mit dem Antrag, den Bescheid vom 29. Oktober 2009 und die Einspruchsentscheidung vom 30. Juli 2012 aufzuheben (Aktenzeichen 12 K 3080/12 AO). Aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. März 2013, in der das [X.] einen Abrechnungsbescheid auf den 7. März 2013 in Aussicht stellte, beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom 24. Mai 2013, das [X.] unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 30. Juli 2012 zu verpflichten, einen Abrechnungsbescheid zur Umsatzsteuer 2002 zu erlassen. Das [X.] sah darin eine Klageänderung, der es nicht zustimmte.

3

Mit Datum vom 17. Juni 2013 erließ das [X.] unter Hinweis auf den Bescheid vom 3. Dezember 2008 einen (weiteren) Abrechnungsbescheid, den der Kläger wiederum anfocht mit der Begründung, auch dieser Bescheid enthalte alle bereits wiederholt vorgetragenen Mängel der "[X.]" und darüber hinaus weitere --im Einzelnen dargestellte-- [X.]. Gleichzeitig --mit Schriftsatz vom 22. Juli 2013-- beantragte er im hiesigen Klageverfahren, die [X.] zur Umsatzsteuer 2002 vom 3. Dezember 2008 und 17. Juni 2013 aufzuheben.

4

Das Finanzgericht ([X.]) hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Der Abrechnungsbescheid vom 17. Juni 2013 sei nicht nach § 68 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) Gegenstand des Verfahrens geworden und der nunmehr gestellte Klageantrag sei eine Klageänderung, die unzulässig sei, weil die nach § 67 [X.]O erforderlichen Sachurteilsvoraussetzungen nicht erfüllt seien. Die Einbeziehung des Abrechnungsbescheids vom 3. Dezember 2008 sei ebenfalls eine die Anforderung des § 67 [X.]O nicht erfüllende Klageänderung. Selbst wenn man bereits das ursprüngliche Klagebegehren als Verpflichtungsklage auf Erlass eines (neuen) Abrechnungsbescheids zur Umsatzsteuer 2002 auslegen könnte, sei diese Verpflichtungsklage gemäß § 44 [X.]O unzulässig gewesen.

5

Der Kläger hält die Klageabweisung als unzulässig für verfahrensfehlerhaft und beantragt, die Revision zuzulassen.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Beschwerde ist unbegründet. Ein Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O, der die Zulassung der Revision oder jedenfalls die Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und Zurückverweisung erfordert, liegt nicht vor.

7

Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] ([X.]) ist es ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O, wenn über eine zulässige Klage nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden wird. In einem solchen Fall wird zugleich der Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör verletzt (vgl. u.a. [X.]-Beschlüsse vom 8. April 2004 VII B 181/03, [X.]/NV 2004, 1284; vom 8. Juni 2004 XI B 46/02, [X.]/NV 2004, 1417, m.w.N.; vom 16. April 2007 VII B 98/04, [X.]/NV 2007, 1345; vom 23. April 2009 X B 43/08, [X.]/NV 2009, 1443).

8

Anders als der Kläger meint, hat das [X.] die Klage zu Recht als unzulässig verworfen.

9

Der Senat teilt die Auffassung des [X.], dass der maßgebliche, vom Kläger noch in der mündlichen Verhandlung des Klageverfahrens (Aktenzeichen 12 K 3080/12 AO) wiederholte Klageantrag eine Klageänderung i.S. des § 67 Abs. 1 [X.]O beinhaltet.

Eine Klageänderung liegt vor, wenn während der Rechtshängigkeit das Klagebegehren geändert, d.h. anstelle des ursprünglichen Begehrens oder auch neben ihm ein weiterer Klageantrag gestellt wird ([X.]-Urteil vom 19. Mai 2004 III R 18/02, [X.]E 206, 201, [X.], 980, m.w.N.).

Im finanzgerichtlichen Verfahren hat der Kläger seinen Klageantrag zweimal umformuliert. Bei Klageerhebung beantragte er die Aufhebung des Bescheids vom 29. Oktober 2009 und der Einspruchsentscheidung vom 30. Juli 2012, in der ersten mündlichen Verhandlung und dem klarstellenden [X.] die Verpflichtung des [X.], einen Abrechnungsbescheid zur Umsatzsteuer 2002 zu erlassen, und in der zweiten mündlichen Verhandlung die Aufhebung des [X.] vom 3. Dezember 2008 und des zwischenzeitlich ergangenen Bescheids vom 17. Juni 2013.

Es bedarf keiner näheren Begründung, dass der Übergang von einer Anfechtungs- zu einer Verpflichtungsklage und nochmals zu einer Anfechtungsklage im Streitfall jeweils eine Klageänderung ist. Gerade hier wird deutlich, dass der Kläger mit dem jeweils neuen Klageantrag bezweckte, sein Klagebegehren dem veränderten Verfahrensstand anzupassen.

Nach § 67 Abs. 1 [X.]O ist eine Klageänderung zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Bei fristgebundenen Klagen wie der Anfechtungs- und der Verpflichtungsklage ist eine Klageänderung, unabhängig von den im Wortlaut des § 67 Abs. 1 [X.]O genannten Voraussetzungen, nur statthaft, wenn für jeden Klageantrag, also sowohl für das ursprüngliche als auch für das geänderte Klagebegehren, die einschlägigen Sachentscheidungsvoraussetzungen vorliegen ([X.]-Urteile vom 9. Februar 2011 IV R 15/08, [X.]E 233, 290, [X.], 764; in [X.]E 206, 201, [X.], 980). Zu den Fällen der Klageänderung gehören auch die Fälle, in denen im Wege der Klagehäufung ein weiterer [X.] in das Verfahren eingeführt wird ([X.]-Urteile vom 5. Juni 1991 II R 83/88, [X.]/NV 1992, 267; vom 9. August 1989 II R 145/86, [X.]E 158, 11, [X.] 1989, 981; [X.] in Tipke/ [X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 67 [X.]O Rz 2, m.w.N.). Auch in Form der Klagehäufung ist eine Klageänderung nur zulässig, wenn sowohl das ursprüngliche Klagebegehren als auch das geänderte (neue) Klagebegehren die übrigen Sachentscheidungsvoraussetzungen erfüllt (z.B. [X.]-Urteil vom 19. April 2007 V R 48/04, [X.]E 217, 194, [X.] 2009, 315, m.w.N.).

Im Streitfall war danach bereits die erste Klageänderung unzulässig. Die ursprünglich erhobene Klage betraf bei zutreffender Auslegung allein die mit der [X.] 2002 verbundene Abrechnungsverfügung, die als rein kassenmäßige Abrechnung keine positive oder negative Rechtsposition im Hinblick auf später erkannte [X.] begründet ([X.]-Beschlüsse vom 13. Januar 2005 VII B 147/04, [X.]E 208, 404, [X.] 2005, 457, und vom 19. Oktober 2006 VII B 78/06, [X.]/NV 2007, 200) und deshalb abzuweisen gewesen wäre. Der Übergang zu der vom Kläger beabsichtigten Verpflichtungsklage scheitert an dem fehlenden Vorverfahren. Nach § 44 Abs. 1 [X.]O ist eine Verpflichtungsklage (§ 40 Abs. 1 Halbsatz 2 [X.]O) --vorbehaltlich der §§ 45 und 46 [X.]O-- nur zulässig, wenn das Vorverfahren über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist. Da der Kläger zu diesem Zeitpunkt keinen Antrag auf Erlass eines (weiteren) [X.] nach § 218 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung [X.]) beim [X.] gestellt hatte, war das Vorverfahren auch nicht als Sprungverpflichtungsklage nach § 45 Abs. 1 [X.]O entbehrlich ([X.]-Urteile in [X.]E 158, 11, [X.] 1989, 981, und in [X.]/NV 1992, 267). Aber selbst wenn das [X.] die wiederholten Aufforderungen des [X.] zur Klärung der Abrechnungsfragen als Antrag auf Erlass eines [X.] hätte verstehen müssen und mangels Entscheidung des [X.] ebenfalls weder eine Sprungverpflichtungsklage noch ein Einspruch erhoben werden konnte, wäre die Verpflichtungsklage unzulässig. Denn der Kläger hätte in diesem Fall [X.] gemäß § 347 Abs. 1 Satz 2 AO einlegen müssen. Erst wenn dieser erfolglos geblieben ist, kann eine Verpflichtungsklage wegen Unterlassens eines beantragten Verwaltungsaktes (§ 40 Abs. 1 Alternative 2 [X.]O) erhoben werden (vgl. auch [X.]-Urteil vom 29. Oktober 1981 I R 89/80, [X.]E 134, 245, [X.] 1982, 150).

An alledem ändert auch nichts, dass das [X.] unter dem 3. Dezember 2008 bereits einen vom Kläger mit Einspruch angefochtenen Abrechnungsbescheid erlassen hat. Denn mit dem [X.] sollte ein neuer Abrechnungsbescheid erstritten werden, während dieser "alte" Bescheid später ausdrücklich --im Wege der Klagehäufung unzulässigerweise (s.o.)-- in die Anfechtungsklage einbezogen worden ist.

Schließlich ändert an der Unzulässigkeit der Verpflichtungsklage auch nichts, dass das [X.] den angestrebten --wenn auch inhaltlich vom Kläger nicht [X.] vom 17. Juni 2013 erlassen hat. Denn der nachträgliche Erlass des beantragten Verwaltungsaktes heilt die Unzulässigkeit der Klage nicht ([X.]-Urteil in [X.]E 206, 201, [X.], 980).

Aus der Unzulässigkeit der zwischenzeitlich erhobenen Verpflichtungsklage hat das [X.] die zutreffende Schlussfolgerung gezogen, dass auch die zweite Änderung des Klagebegehrens zu einer Anfechtung der [X.] vom 17. Juni 2013 und vom 3. Dezember 2008 unzulässig ist. Ob bei einer zulässigen Verpflichtungsklage ein Fall des § 68 [X.]O vorgelegen hätte, braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger sein --im Grunde [X.] Ziel, abschließende Klarheit über die Abrechnung des [X.] zu bekommen, ohne Weiteres durch Weiterverfolgen seines Einspruchs gegen den Abrechnungsbescheid vom 3. Dezember 2008 hätte erreichen können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VII B 180/13

04.06.2014

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend FG Düsseldorf, 6. September 2013, Az: 12 K 3080/12 AO, Urteil

§ 218 Abs 2 AO, § 347 Abs 1 AO, § 67 FGO, § 45 FGO, § 46 FGO, § 40 Abs 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 04.06.2014, Az. VII B 180/13 (REWIS RS 2014, 5056)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5056

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