Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.09.2011, Az. 5 StR 266/11

5. Strafsenat | REWIS RS 2011, 3619

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5 StR
266/11

BUNDESGERICHTSHOF

IM [X.] DES VOLKES

URTEIL

vom 1. September 2011
in der Strafsache
gegen

wegen Totschlags

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2
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Der 5. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 1. September 2011, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender [X.] Basdorf,

[X.] Dr. Raum,
[X.] [X.],
[X.] Prof. Dr. König,
[X.] Bellay

als beisitzende [X.],

[X.]

als Vertreter der [X.]schaft,

Rechtsanwalt K.

als Verteidiger,

Rechtsanwalt S.

als Nebenklägervertreter,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

-
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für Recht erkannt:

Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 10. Februar
2011 werden verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den [X.] hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Von Rechts wegen

[X.] n d e

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision erhebt
der Angeklagte
eine Verfahrensrüge und rügt
die Verletzung materiellen Rechts. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer auf den Strafausspruch beschränkten und vom [X.] in der Hauptverhandlung im Ergebnis nicht mehr vertretenen Revision
die Anwendung des § 213 Alternative 1
StGB. Beide Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

1. Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

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a) Der Angeklagte plante nach seiner Haftentlassung im April 2010,
seine Lebensgefährtin

[X.]
zu heiraten und
mit ihr nach [X.] auszuwandern, um dort ein neues Leben zu beginnen. Als Startkapital besa

[X.]
in einem nur ihr zugänglichen Bankschließfach aufbewahrte. Woher das Geld stammte, konnte nicht abschließend geklärt werden.

[X.]
hatte jedoch in der Vergangenheit für den Angeklagten dessen landwirtschaftliche Flächen und ein Hausgrunderzielt.

Der Angeklagte und

[X.]
reisten zur Vorbereitung ihrer Auswanderungspläne am
5. Mai 2010 nach [X.]. Dort lernte

G.

einen Reisebegleiter kennen, in den sie sich verliebte und mit dem sie eine sexuelle Beziehung einging. Gegenüber dem Angeklagten machte sie ibeiden zu häufigen und heftigen Streitigkeiten. Der Angeklagte, der erkannte, dass er in [X.] nicht werde
leben und arbeiten können, hoffte darauf, seine Lebensgefährtin von ihren
weiterhin bestehenden
Auswanderungsplänen abbringen und für sich zurückgewinnen zu können.
Nach einer Auseinandersetzung mit seinem Nebenbuhler, der ihn verhöhnte, kehrte der Angeklagte
gesundheitlich angeschlagen
mit

[X.]am 17. Juni 2010 nach
Deutschland zurück.

Bei neuerlichen
Streitgesprächen machte

[X.]
dem Angeklagten deutlich, dass sie sich von ihm trennen werde und er deshalb aus ihrer Wohnung ausziehen müsse.
Sie verlangte von ihm ein Drittel des vorhandenen Bargeldes. Der Angeklagte, der im Hinblick auf seine Situation verzweifelt war, bereitete seinen Auszug aus der Wohnung vor.

Am Morgen des 18. Juni 2010 nahm er in der Wohnung die [X.] für den [X.] an sich, weil nach seiner Meinung das
vorhandene
Bargeld ausschließlich ihm zustünde.

[X.]
setzte 4
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den Streit fort
und
verlangte vom
Angeklagten, seine Sachen zu packen und die Wohnung zu verlassen. Sie beanspruchte nunmehr die Hälfte des Bargeldes;
der Angeklagte erklärte ihr, dass er ihr nichts von seinem Geld abgeben
wolle. Als der Angeklagte seine Sachen zusammensuchte, lachte

G.

ihn
aus, weil er so große Angst um sein Geld habe;
er werde sein ganzes Geld nicht wiedersehen, wenn er ihr nicht die Hälfte davon abgebeüberheblichen Art reizte sie ihn immer mehr und machte ihm deutlich, dass sie ihm überlegen sei und er ohne ihr Zutun nicht an das Geld kommen wer. Sie verließ anschließend das Wohnzimmer und wiederholte
wutentbrannt nach, entnahm aus der Küche ein Küchenmesser, packte seine Lebensgefährtin von hinten und versetzte ihr
mindestens einen tiefen, horizontal verlaufenden Halsschnitt, wodurch diese zu Fall kam. Danach stach er ihr mit 15
Stichen in die linke Brustregion
und fügte ihr zwei weitere Halsschnittverletzungen zu;

[X.]
verstarb nach wenigen Minuten durch Verbluten.

b) Das Schwurgericht
hat
die Tat als mit direktem Vorsatz begangenen
Totschlag
bewertet.
Es hat
die Voraussetzungen der ersten Alternative des § 213 StGB bejaht und insofern einen minder schweren Fall des Totschlags angenommen. Zwar hat es dem Angeklagten, der nach der Tat mehrere ernsthafte Suizidversuche unternommen hat,
einen nach Beurteilung des Sachverständigen nicht ausschließbaren Affekt zugebilligt, eine weitere Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB aber abgelehnt, weil die Milderungsgründe aufgrund der engen Verknüpfung zwischen Kränkung und psychischem
Zustand
auf dieselbe Wurzel zurückgingen.

Das Schwurgericht
hat das Verhalten des [X.] gegenüber dem Angeklagten als schwere Beleidigung im Sinne der ersten Alternative des 7
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§
213 StGB
angesehen.

[X.]
habe den Angeklagten zwar nicht im technischen Sinne beleidigt.
Sie habe jedoch aufgrund ihres Verhaltens, der vorausgegangenen Untreue und der Herabwürdigung des Angeklagten im Streitgespräch, in dem sie sich ihm gegenüber als die Überlegene darstellte und ihm deutlich machte, dass er ohne sie nichts sei, bei dem Angeklagten eine heftige Gemütsbewegung
provoziert. Das wiederholte, hämische Lachen habe dann den so genannten

([X.] 37).

2. Die Begründung, mit der das Schwurgericht einen minder schweren Fall des Totschlags nach der ersten Alternative des § 213 StGB angenommen hat, hält
sachlich-rechtlicher Überprüfung stand.
Die hiergegen gerichteten Beanstandungen der Staatsanwaltschaft gehen fehl.

a) Den Anforderungen des § 213 Alternative
1 StGB genügen nur solche Provokationen, die unter objektiver Betrachtung

nicht nur aus der Sicht des [X.]

geeignet sind, den
Täter die erlittene Kränkung als schwere Beeinträchtigung seiner Persönlichkeit empfinden zu lassen,
und ihn deswegen in eine heftige Gemütsbewegung versetzen
(vgl. [X.], Beschluss vom 21.
Dezember 2010

3 [X.], [X.], 339). Insofern ist auf
Grundlage aller dafür maßgebenden Umstände, namentlich
unter Berücksichtigung der gesamten Beziehung der Streitenden zu beurteilen, ob die Kränkung als schwere Beleidigung zu bewerten ist.
Dabei ist auch deren Lebenskreis in den Blick zu nehmen, um so den Stellenwert der Provokation für die Motivationsgenese des [X.] objektiv beurteilen zu können
(vgl. [X.], Urteil vom 4. Mai 1995

5 [X.],
[X.], 33 mwN). Der hohe Rang des durch § 212 StGB geschützten Rechtsguts und die unter den Voraussetzungen des § 213 Alternative
1 StGB mildere Beurteilung der Vernichtung menschlichen Lebens gebieten es, die Anforderungen an die Schwere der Beleidigung,
auch angesichts der auf die tatauslösende Situation zulaufenden
Entwicklung der [X.],
nicht zu niedrig anzusetzen.
Jedoch kann
eine für sich gesehen
nicht als 9
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gravierend einzustufende Kränkung dann als schwer zu beurteilen sein, wenn sie nach einer
Reihe von Kränkungen oder ehrverletzenden
Situationen der
Überlau(st. Rspr., zuletzt [X.], Beschluss vom 21. Dezember 2010

3 [X.], [X.], 339 mwN).

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b) Das [X.] hat diese rechtlich gebotenen Maßstäbe im Rahmen der vorgenommenen Gesamtbetrachtung ausreichend beachtet.
Entgegen den Ausführungen der Revision hat es bei der Bewertung der [X.] nicht ausschließlich
die Sichtweise des Angeklagten ([X.], 32) zugrunde gelegt, sondern auch das vom Tatopfer so gewollte Verhalten bei dem sich zuspitzenden Streit
im Rahmen einer objektiven Betrachtung ([X.]) in den Blick genommen. Es ist insoweit nicht zu besorgen, dass die [X.] verkannt hat, dass die Provokation des [X.] von diesem bewusst ausgehen muss (vgl. [X.], Urteil vom 8. April 1986

1 [X.], [X.]St 34, 37). Sie stellt hierbei maßgeblich darauf ab, dass das Tatopfer in Kenntnis des Vorgeschehens bewusst seine Überlegenheit gegenüber dem Angeklagten
dargestellt und ihm deutlich gemacht
hat, dass er ohne sie nichts
sei

([X.] 37).

Bei der Beurteilung der Schwere der Kränkung hat das [X.] zutreffend die gesamten Ereignisse seit der Haftentlassung des Angeklagten berücksichtigt. Es durfte insbesondere zur Beurteilung des Stellenwerts der Provokation für die Motivationsgenese des Angeklagten auch seine gescheiterten Auswanderungspläne, seine Existenzsorgen vor dem Hintergrund der provozierend zur Schau gestellten Untreue des [X.] und der hieraus dem Angeklagten bedenkenlos zugemuteten Konsequenzen sofortigen Auszugs aus der gemeinsamen Wohnung heranziehen, letztlich auch die dem Tatopfer bekannte Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten, ebenso
den Umstand, dass es bei dem Streit auch um

aus dem Tatopfer bekannter Sicht des Angeklagten unberechtigte

Geldforderungen des [X.] ging
(vgl. [X.], Urteil vom 4. Mai 1995

5 [X.], [X.], 33). Dass der [X.] bei der Gewichtung der Beleidigung als schwer
ein
Wertungsfehler unterlaufen ist, zeigt die Revision nicht auf. Ohne Rechtsfehler konnte es davon ausgehen, dass das wiederholte m

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3. Die Revision des Angeklagten ist ebenfalls unbegründet.

Das [X.] hat den Beweisantrag des Angeklagten auf Vernehmung eines (weiteren) rechtsmedizinischen Sachverständigen rechtsfehlerfrei gemäß § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO abgelehnt. Der Revisionsvortrag des Angeklagten deckt des Weiteren Mängel in der Beweiswürdigung oder Strafzumessung nicht auf.
Die Nichtgewährung einer
Verschiebung des Sonderstrafrahmens des § 213 StGB nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB ist ersichtlich rechtsfehlerfrei.

Basdorf

Raum [X.]

König Bellay

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14

Meta

5 StR 266/11

01.09.2011

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.09.2011, Az. 5 StR 266/11 (REWIS RS 2011, 3619)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3619

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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