Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.06.2009, Az. 2 StR 105/09

2. Strafsenat | REWIS RS 2009, 3039

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 105/09 vom 17. Juni 2009 in der Strafsache gegen 1. 2.

wegen Totschlags u. a. - 2 - Der 2. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 17. Juni 2009, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am [X.] [X.] und [X.] am [X.] Prof. Dr. Fischer, [X.]in am [X.] Roggenbuck, [X.] am [X.] [X.], Prof. Dr. [X.], Oberstaatsanwältin beim [X.] als Vertreterin der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten [X.] , Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten [X.], Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - 1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger [X.]und [X.]wird das Urteil des [X.] vom 9. September 2008 mit den Fest-stellungen aufgehoben. 2. Die Revisionen der Nebenkläger werden als unzulässig verwor-fen, soweit sie über ihre jeweilige Nebenklagebefugnis hinaus-gehen. 3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurge-richtskammer des [X.] zurückverwiesen. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat die Angeklagten vom Vorwurf des Totschlags in ei-nem Fall sowie des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Kör-perverletzung in zwei Fällen freigesprochen. Die auf die Sachrüge gestützten, gegen die Beweiswürdigung des [X.] gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger [X.]und [X.]haben Erfolg, soweit sich die Revisionen der Nebenkläger im Rahmen ihrer [X.] halten. Sie sind unzulässig, soweit die Revision 1 - 4 - des Nebenklägers [X.]Taten zum Nachteil von [X.]und die Revision der Nebenklägerin [X.] Taten zu Lasten von [X.]und [X.]betreffen. 1. Nach den Feststellungen des [X.] entstand am Tattag, dem 11. November 2007, zwischen dem Angeklagten [X.] und dem Nebenklä-ger [X.] , die beide als Autohändler tätig waren, ein zunächst in mehreren Telefongesprächen und [X.] geführter Streit um eine angeblich un-berechtigte Nutzung eines Stellplatzes [X.] durch ein von [X.] abge-stelltes Fahrzeug. Schließlich kam man gegen 20.00 Uhr überein, dass das Fahrzeug alsbald abgeholt werden sollte und man sich vor Ort treffen wollte. Dabei gingen beide Seiten davon aus, dass es zu einer auch tätlichen Ausei-nandersetzung kommen konnte. [X.] bat deshalb seinen Schwager, den Angeklagten [X.] , zu seiner Unterstützung mitzufahren; beide führten Messer mit sich. Der Nebenkläger [X.] nahm seinen Sohn [X.]und seinen - stark körperbehinderten - Bruder [X.] [X.]mit; Letzterer war ebenfalls mit einem Messer bewaffnet. 2 Am [X.] kam es alsbald zu Tätlichkeiten. [X.]und Y. [X.] schlugen auf den Angeklagten [X.] ein. Möglicherweise setzte nun [X.] [X.] als erster sein 7 cm langes Messer gegen [X.] ein. Dieser griff, da er sein Leben bedroht sah, in ein Türfach seines Pkw, ergriff ein Messer und "stach nach den Angreifern". [X.] holte gleichfalls sein Messer aus dem Fahr-zeug und stach Y. [X.]in die Leistengegend, um [X.] zu helfen und [X.]kampfunfähig zu machen. Dieser erlitt eine lebensbedrohliche schwere Verletzung, entfernte sich einige Meter und blieb kampfunfähig liegen. [X.] erlitt bei dem Versuch, [X.] das Messer wegzunehmen, Abwehr-verletzungen; er wandte sich daher ab und suchte in seinem Pkw nach zum Einsatz geeigneten Werkzeugen. [X.] kämpfte unterdessen wieder mit 3 - 5 - [X.] S. . Dieser fügte ihm mehrere Stich- und Schnittverletzungen am Kopf zu, die nicht lebensgefährlich waren, jedoch sehr stark bluteten. Nun stach [X.] mit Tötungsvorsatz [X.] [X.]in den Oberbauch und sodann in die Brust, wobei der Stich 15 cm tief eindrang, drei Rippen durchtrennte und die linke Herzkammer eröffnete. [X.]verstarb unmittelbar darauf. Inzwischen hatte [X.] aus seinem Pkw eine Kurbel geholt, schlug damit auf [X.] ein und brach ihm die Hand. Sodann schlug er auf [X.] ein. Dieser stach ihn in die Brust; [X.]brach ihm mit einem Schlag der Kurbel die linke Hand. Schließlich flüchteten beide Angeklagte in ihren Pkw und fuhren davon, während [X.] [X.] mit der Kurbel noch auf Tür und Scheibe des Fahrzeugs einschlug. In der Folge wurden Polizei und Notarzt ver-ständigt. Unbeteiligte Zeugen des unmittelbaren Tatgeschehens gab es nicht. 4 Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das [X.] die Ange-klagten als nicht überführt angesehen. Alle Beteiligten haben im Ermittlungsver-fahren und in der Hauptverhandlung unterschiedliche, auch jeweils zum Teil mehrfach voneinander abweichende Angaben zum Geschehen gemacht. Das [X.] hat keine der geschilderten Versionen als glaubhaft erachtet und seinen Feststellungen "nur die übereinstimmenden bzw. die nicht zu widerle-genden Angaben der Angeklagten" ([X.]) zugrunde gelegt. Auf dieser Grundlage hat es sich nicht davon zu überzeugen vermocht, "dass die Ange-klagten mit der tätlichen Auseinandersetzung begannen und nicht in Notwehr bzw. Nothilfe handelten" ([X.]). 5 2. Die gegen die Beweiswürdigung gerichteten Revisionen sind begrün-det. Dabei kommt es auf die von den Nebenklägern [X.] und [X.][X.]im Einzelnen ausgeführten, zum Großteil urteilsfremden Erwägungen nicht an. Zutreffend rügt nämlich die Staatsanwaltschaft, dass die Urteilsgründe in 6 - 6 - entscheidenden Punkten lückenhaft sind und dass sich daher nicht ausschlie-ßen lässt, dass der Freispruch auf einem rechtsfehlerhaften Verständnis des Zweifelsgrundsatzes beruht. a) Für die Annahme des [X.], die Angeklagten hätten ihre jewei-ligen Tathandlungen möglicherweise allesamt in einer Notwehrlage begangen, welche die "[X.]" umfasste ([X.]), war die Feststellung von entscheidendem Gewicht, der später getötete [X.] [X.] habe als erster und seinerseits ohne rechtfertigenden Grund sein Messer eingesetzt. Diese Feststellung hat das [X.] - neben den Einlassungen der Angeklagten, die es allerdings als in wesentlichen Punkten unglaubhaft angesehen hat - vor allem darauf gestützt, dass von zwei zum [X.] geeilten Anwohnern neben der Hand des Getöteten ein Messer gesehen worden sei und der Nebenkläger [X.] [X.] , der sich über seinen Bruder beugte, ihnen gegenüber [X.] habe, es handele sich um das Messer seines Bruders ([X.], 37). Das [X.] hat darauf hingewiesen, dass diese beiden Zeugen in der [X.] in Abweichung von ihrer polizeilichen Vernehmung ausgesagt ha-ben, [X.] [X.] habe ihnen erklärt, es sei sein eigenes Messer (welches er nachträglich aus seinem Fahrzeug geholt hatte). Dem hat das [X.] aber nicht geglaubt: "Die Zeugen haben nämlich nicht erklären können, wie es bei der Polizei zu jener anderen Aussage gekommen war" ([X.]). 7 Mit dieser Würdigung durfte sich der Tatrichter angesichts der hier [X.] besonders schwierigen Beweislage nicht begnügen. Da unbeteiligte Zeugen des unmittelbaren Tatgeschehens nicht vorhanden waren und sowohl die Seite der Nebenkläger als auch die Angeklagten nach Ansicht des Landge-richts jeweils unzutreffende, zu ihren Gunsten geschönte Schilderungen des Geschehens abgaben, kam einer sorgfältigen, ins Einzelne gehenden Würdi-gung objektiver Beweise und der Aussagen der alsbald nach der Tat eintreffen-8 - 7 - den unbeteiligten Zeugen besondere Bedeutung zu. Das [X.] hätte [X.], da es der Zuordnung des neben dem Getöteten liegenden Messers ent-scheidendes Gewicht beimaß, den in den verschiedenen Aussagen der Zeugen [X.]und [X.]zutage getretenen Widersprüchen genauer nachgehen müssen. Aus dem Urteil ergibt sich nicht, ob und gegebenenfalls mit welchem Ergebnis die [X.] Polizeibeamten als Zeugen vernommen worden sind. b) Ein Erörterungsmangel besteht weiterhin insoweit, als das [X.] zwar festgestellt hat, dass sich an beiden Händen des getöteten [X.] [X.] Abwehrverletzungen fanden ([X.]), deren Bedeutung für die Feststellung der als möglich angenommenen Notwehrlage des Angeklagten [X.] aber nicht erörtert. Hinsichtlich des Nebenklägers [X.] hat das [X.] dem Vorhandensein von Abwehrverletzungen wesentliches Gewicht bei der Beweis-würdigung beigemessen ([X.]). 9 c) Zutreffend rügt die Revision auch, dass sich das Urteil zur Spurenlage an dem dem Getöteten zugeordneten Messer nicht verhält. Da nach den Ur-teilsfeststellungen offenbar [X.] an allen aufgefundenen Werkzeugen durchgeführt wurden ([X.] ff.), ist nicht erklärlich, warum die Urteilsgründe nicht darlegen, von wem die an dem [X.] [X.]zugeordneten Messer festgestellten Blut- und Hautabriebspuren stammten und welche Schlüsse das [X.] hieraus gezogen hat. 10 Da schon diese Lücken der Urteilsgründe zur Aufhebung des Urteils füh-ren, kommt es auf die weiteren Einzelausführungen der Revision und des [X.] zur Beweiswürdigung nicht an. 11 3. Zutreffend hat im Übrigen der [X.] auch darauf hin-gewiesen, dass die Annahme einer Notwehrlage beider Angeklagter hinsichtlich 12 - 8 - der "[X.]" zu pauschal ist. Auch die Angeklagten hatten sich, mit langen Messern bewaffnet, in der Erwartung einer tätlichen Auseinan-dersetzung an den [X.] begeben; beide Parteien waren jedenfalls zunächst Angreifer und Verteidiger zugleich. Der Tatrichter hat, anstatt die einzelnen Handlungsabschnitte und die festgestellten Gewalthandlungen jeweils einer konkreten Betrachtung im Hinblick auf mögliche Notwehr- oder Nothilfelagen zu unterziehen, nur in pauschaler Form eine Gesamt-Notwehrlage angenommen. Dies war hier nicht ausreichend. So bedurfte schon die Frage der Erörterung, ob der vorwarnungslose [X.] des Angeklagten [X.] gegen Y. [X.] , der seinerseits unbewaffnet war, durch Nothilfe gerechtfertigt sein [X.]. Auch die Beurteilung, ob der außerordentlich massive [X.] des Angeklagten [X.] gegen den körperbehinderten, ihm körperlich weit unter-legenen [X.] [X.]auch nach vorheriger Ausschaltung des Nebenklägers Y. [X.]erforderlich und geboten war, bedurfte sorgfältigerer Prüfung. Schließlich hat der [X.] auch zutreffend darauf [X.], dass das [X.] das Geschehen rechtsfehlerhaft nicht unter dem Gesichtspunkt des § 231 StGB gewürdigt hat. 13 - 9 - Die Sache muss daher insgesamt neu verhandelt werden. 14 [X.] Fischer Roggenbuck [X.] [X.]

Meta

2 StR 105/09

17.06.2009

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.06.2009, Az. 2 StR 105/09 (REWIS RS 2009, 3039)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2009, 3039

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