Bundesgerichtshof, Urteil vom 05.12.2018, Az. IV ZR 81/18

4. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 857

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Gegenstand

Private Krankenversicherung: Zulässigkeit der Aufrechnung mit rückständigen Beiträgen gegen Kostenerstattungsansprüche im Notlagentarif


Leitsatz

Im Notlagentarif der privaten Krankenversicherung ist der Versicherer nicht gehindert, mit rückständigen Beiträgen gegen Kostenerstattungsansprüche des Versicherungsnehmers aufzurechnen.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des [X.] vom 28. Februar 2018 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob die [X.] gegenüber dem Anspruch des [X.] auf Übernahme der Kosten für eine Krankenhausbehandlung im so genannten [X.] die Aufrechnung mit rückständigen Prämien erklären darf.

2

Der bei der [X.]n seit 1983 krankenversicherte Kläger ist bei dieser wegen Prämienrückständen seit dem 1. September 2016 im [X.] gemäß den hierfür maßgeblichen Allgemeinen Versicherungsbedingungen versichert. Im Zeitraum vom 15. bis 18. November 2016 befand er sich in stationärer Behandlung in einem Krankenhaus. Hierfür wurden ihm 1.897,04 € in Rechnung gestellt. Mit Schreiben vom 12. Januar 2017 übersandte die [X.] dem Kläger eine Abrechnung, aus der sich eine Aufrechnung mit Prämienrückständen ergibt. Eine Zahlung an den Kläger erfolgte hierauf nicht. Der Kläger forderte die [X.] mit Schreiben vom 30. Januar 2017 zur Übernahme der Krankenbehandlungskosten auf, was die [X.] am 2. Februar 2017 ablehnte. Mit Schreiben vom 22. Februar 2017 verlangte das Krankenhaus vom Kläger Zahlung von 1.897,04 € zuzüglich Bearbeitungskosten von 5 €.

3

Der Kläger ist der Auffassung, eine Aufrechnung gegenüber Leistungsansprüchen im [X.] sei unzulässig. Das Amtsgericht hat seine auf Zahlung von 1.902,04 € nebst Zinsen sowie Freistellung von Rechtsanwaltsgebühren gerichtete Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

4

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

5

I. Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in [X.], 925, 927 f. veröffentlicht ist, hat ausgeführt, dem Kläger stehe infolge der erklärten Aufrechnung kein Leistungsanspruch in Höhe von 1.897,04 € aus der zwischen den Parteien bestehenden privaten Krankenversicherung zu. Die Aufrechnung der [X.] sei wirksam. Ein kodifiziertes [X.] sei nicht gegeben. Vielmehr ergebe sich aus § 35 [X.], dass der Versicherer eine fällige Prämienforderung gegenüber Ansprüchen des Versicherungsnehmers aufrechnen dürfe. Ein [X.] ergebe sich auch nicht aus einer Gesamtschau der maßgeblichen Vorschriften oder dem Regelungszweck. Hintergrund der Schaffung des [X.] sei der vorübergehende Schutz des Versicherungsnehmers vor weiterer Überschuldung durch zukünftig anfallende Prämien, nicht aber die Befreiung von der Zahlungspflicht schon angefallener Prämien für die [X.]. Die Aufrechnung beseitige auch nicht einen effektiven Versicherungsschutz. Der Behandlungsanspruch des Versicherten bleibe bestehen, die Kündigung einer Pflichtversicherung im Sinne des § 193 [X.] durch den Versicherer sei gemäß § 206 [X.] unzulässig. Hilfsbedürftige Personen im Sinne des [X.] könnten nach der gesetzlichen Regelung ohnehin nicht in den [X.] geraten. Das Ruhen des vereinbarten Tarifs trete nämlich nach § 193 Abs. 6 Satz 5 [X.] nicht ein bzw. ende, wenn Bedürftigkeit nach dem Sozialgesetzbuch bestehe. Hiernach drohe kein Entzug der medizinischen Grundversorgung; der [X.] solle diese gar nicht gewährleisten, sondern betreffe allein den säumigen Versicherungsnehmer, nicht den Hilfsbedürftigen.

6

II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Nachprüfung stand. Im [X.] der privaten Krankenversicherung ist der Versicherer nicht gehindert, mit vollständigen Beiträgen gegen [X.] des Versicherungsnehmers aufzurechnen.

7

1. Der Kläger ist seit dem 1. September 2016 bei der [X.] im so genannten [X.] gemäß § 193 Abs. 6 und 7 [X.] versichert. Die Neuregelung des § 193 Abs. 6 bis 9 [X.] wurde mit Wirkung zum 1. August 2013 durch das Gesetz zur Beseitigung [X.] Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15. Juli 2013 eingeführt ([X.] [X.]). Sie erfolgte, weil aus Sicht des Gesetzgebers die bisherigen Vorschriften mit der Fortsetzung einer Versicherung im Basistarif bei ausstehenden Beitragsschulden aufgrund der zum Teil hohen Beitragsforderungen zu einer weiteren Überschuldung der Versicherungsnehmer geführt hätten. In der Praxis habe sich die bisherige Regelung zum Teil als unzweckmäßig erwiesen. Ziel der Neuregelung ist es daher, die Beitragsschuldner vor weiterer Überschuldung zu schützen, gleichzeitig ihre Notfallversorgung zu gewährleisten und das Kollektiv der Versichertengemeinschaft finanziell zu entlasten (BT-Drucks. 17/13079 S. 1, 6; 17/13947 S. 31 f.; vgl. ferner Senatsurteil vom 6. Juli 2016 - [X.], [X.], 1107 Rn. 25; [X.] VersR 2017, 872, 873 [juris Rn. 12]).

8

2. In Rechtsprechung und Schrifttum wird die Frage, ob der Versicherer berechtigt ist, gegenüber Ansprüchen des Versicherungsnehmers auf Versicherungsleistungen aus dem [X.] mit rückständigen Prämien aufzurechnen, unterschiedlich beurteilt.

9

a) Teilweise wird eine derartige Aufrechnung für unzulässig erachtet (vgl. OLG Hamm [X.], 925; [X.] in [X.]/[X.], [X.] 30. Aufl. § 35 Rn. 2; HK-[X.]/[X.], 3. Aufl. § 193 Rn. 82; [X.] in [X.]/[X.], [X.] 3. Aufl. § 193 [X.] Rn. 71; [X.], [X.], 181; [X.], [X.] 11/2016 [X.]. 3; vgl. ferner [X.], Urteil vom 25. Januar 2018 - L 5 P 81/16, juris Rn. 22-25 für die private Pflegepflichtversicherung; vgl. in diese Richtung ferner [X.], 993, 994 [juris Rn. 18]). Begründet wird dies im Wesentlichen damit, nur durch ein [X.] könne ein Mindestmaß an Versorgung des Versicherungsnehmers erreicht werden. Wäre der Versicherer zur Aufrechnung mit rückständigen Prämienforderungen berechtigt, so würde der Schutz des Versicherungsnehmers aus dem [X.] faktisch entwertet und er müsste die [X.] gegenüber den medizinischen Leistungserbringern selbst übernehmen. Sei der Versicherer zur Aufrechnung berechtigt, bis sämtliche Prämienrückstände getilgt seien, so führe dies nach § 193 Abs. 9 Satz 1 [X.] ohnehin zu einer Beendigung des Vertrages im [X.] mit der Folge der Fortsetzung des [X.] geltenden Tarif.

Ein anderer Teil der Rechtsprechung und des Schrifttums hält demgegenüber auch im [X.] eine Aufrechnung des Versicherers mit rückständigen Prämienforderungen für zulässig (vgl. OLG Jena [X.], 1242, 1243 f. [juris Rn. 21-40]; [X.], 1413, 1414; [X.], Beschluss vom 20. Juni 2018 - 4 S 1/18, nicht veröffentlicht; [X.], Beschluss vom 25. August 2016 - 1 O 77/16, nicht veröffentlicht; [X.] in Langheid/Rixecker, [X.] 5. Aufl. § 193 Rn. 88a; [X.] in [X.]/[X.], [X.] 30. Aufl. § 193 Rn. 40; [X.] in [X.]/[X.], [X.] 3. Aufl. § 193 Rn. 39; HK-[X.]/Brand, § 153 Rn. 21; BeckOK-[X.]/[X.], § 153 Rn. 43a [Stand: 1. September 2018]; [X.], [X.], 1414; [X.], [X.] der privaten Krankenversicherung, 2016, [X.] ff.; offen gelassen von [X.] VersR 2017, 872, 874 [juris Rn. 18]).

b) Die letztgenannte Ansicht trifft zu.

aa) Zunächst enthält der Wortlaut der Neuregelungen der § 193 Abs. 6 bis 9 [X.] keinerlei Anordnung eines [X.]es des Versicherers. Rechtsfolge des in § 193 Abs. 6 Satz 1 bis 3 [X.] geregelten [X.] ist das Ruhen des Vertrages nach § 193 Abs. 6 Satz 4 [X.]. Dieses tritt allerdings nicht ein oder endet, wenn der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person hilfebedürftig im Sinne des [X.] oder [X.] ist oder wird (§ 193 Abs. 6 Satz 5 [X.]). Solange der Vertrag ruht, gilt der Versicherungsnehmer als im [X.] nach § 153 [X.] versichert (§ 193 Abs. 7 Satz 1 [X.]). Das Gesetz enthält sodann Einzelregelungen zur Ausgestaltung des Vertrages im [X.]. Insbesondere entfallen Risikozuschläge, Leistungsausschlüsse und Selbstbehalte während dieser [X.] (§ 193 Abs. 7 Satz 2 [X.]). Ferner ist ein Wechsel in den oder aus dem [X.] ausgeschlossen (§ 193 Abs. 7 Satz 4 [X.]). § 193 Abs. 8 [X.] regelt weiter die Mitteilungen, die der Versicherer dem Versicherungsnehmer im Einzelnen bei Fortsetzung des Vertrages im [X.] zu machen hat. Der Wechsel in den [X.] führt hierbei nicht dazu, dass die bisherigen Prämienrückstände entfallen. Vielmehr bleiben diese Forderungen des Versicherers bestehen. Dies ergibt sich im Umkehrschluss aus § 193 Abs. 9 Satz 1 [X.], wonach der [X.] fortgesetzt wird, in dem der Versicherungsnehmer vor Eintritt des Ruhens versichert war, wenn alle rückständigen [X.] einschließlich der Säumniszuschläge und der Beitreibungskosten gezahlt sind.

Auch aus § 153 [X.] in der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung (bis 31. Dezember 2015: § 12h [X.]) ergibt sich kein [X.] für den Versicherer. Die Regelung bestimmt, dass die Nichtzahler nach § 193 Abs. 7 [X.] einen eigenständigen Tarif bilden. Der [X.] sieht ausschließlich die Aufwendungserstattung für Leistungen vor, die zur Behandlung von akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft erforderlich sind (§ 153 Abs. 1 Satz 2 [X.]). Aus der Regelung in § 153 Abs. 2 Satz 6 [X.], wonach auf die im [X.] zu zahlende Prämie die Alterungsrückstellung in der Weise anzurechnen ist, dass bis zu 25 Prozent der monatlichen Prämie durch Entnahme aus der Alterungsrückstellung geleistet werden, kann hierbei entgegen der Ansicht der Revision nicht geschlossen werden, dass der Versicherer in der gänzlich anders gearteten Fallgestaltung der Geltendmachung von Leistungsansprüchen des Versicherungsnehmers nicht mit rückständigen Prämienforderungen seinerseits aufrechnen dürfte (vgl. [X.], [X.] der privaten Krankenversicherung, 2016, [X.] f.). § 153 Abs. 2 Satz 6 [X.] enthält - trotz der Bezeichnung als Anrechnung - der Sache nach eine Sonderregelung für eine Aufrechnung, weil er die Aufrechnung mit noch nicht fälligen Gegenforderungen gegenüber dem monatlichen Prämienanspruch erlaubt. Ein Ausschluss der Aufrechnung des Versicherers mit fälligen Forderungen aus [X.] gegen den vom Eintritt eines Leistungsfalls abhängigen Erstattungsanspruch des Versicherungsnehmers lässt sich aus dieser Vorschrift nicht herleiten.

bb) Nichts anderes folgt aus der systematischen Stellung der Regelung über den [X.]. Der gesetzlichen Regelung lässt sich an keiner Stelle ein [X.] für den Versicherer gegenüber Leistungsansprüchen des Versicherungsnehmers im [X.] entnehmen.

(1) Die grundsätzliche Zulässigkeit der Aufrechnung mit einer Prämienforderung des Versicherers ergibt sich zunächst aus § 394 Satz 2 BGB. Zwar findet eine Aufrechnung, soweit eine Forderung der Pfändung nicht unterworfen ist, gegen diese nicht statt (§ 394 Satz 1 BGB). Gegen die aus Kranken-, Hilfs- oder Sterbekassen, insbesondere aus [X.] und Kassen der [X.], zu beziehenden Hebungen können aber geschuldete Beiträge aufgerechnet werden (§ 394 Satz 2 BGB). Hieraus wird überwiegend geschlossen, dass der Versicherer berechtigt ist, ausnahmsweise auch gegen eigentlich gemäß § 850 b Abs. 1 Nr. 4 ZPO unpfändbaren Forderungen aufzurechnen (vgl. OLG Jena [X.], 1242, 1243 f. [juris Rn. 29, 38]; [X.] in Langheid/Rixecker, [X.] 5. Aufl. § 193 Rn. 88a; [X.] in [X.]/[X.], [X.] 30. Aufl. § 193 Rn. 40; HK-[X.]/Brand, § 153 Rn. 21; vgl. auch [X.]/[X.], 3. Aufl. § 394 Rn. 18; einschränkend [X.]/[X.], § 394 Rn. 16 [Stand: 1. August 2018]).

(2) § 35 [X.] steht einer Aufrechnung durch den Versicherer ebenfalls nicht entgegen. Hiernach kann der Versicherer eine fällige Prämienforderung oder eine andere ihm aus dem Vertrag zustehende fällige Forderung gegen eine Forderung aus der Versicherung auch dann aufrechnen, wenn diese Forderung nicht dem Versicherungsnehmer, sondern einem [X.] zusteht. Entgegen der Auffassung der Revision findet § 35 [X.] auch in der Krankenversicherung Anwendung ([X.] in [X.]/[X.], [X.] 30. Aufl. § 35 Rn. 2; Rixecker in Langheid/Rixecker, [X.] 5. Aufl. § 35 Rn. 3; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 3. Aufl. § 35 [X.] Rn. 4; [X.] in [X.]/[X.], Versicherungsrecht 2. Aufl., § 35 [X.] Rn. 1; a.A. [X.], Beschluss vom 16. Oktober 2009 - L 20 [X.]/09 So ER, BeckRS 2009, 73630 unter II 3 a; MünchKomm-[X.]/[X.] 2. Aufl. § 35 Rn. 3; [X.]/Brand in [X.]/[X.], [X.] 3. Aufl. § 35 Rn. 6). § 194 [X.], der eine Regelung zu den anzuwendenden Vorschriften in der Krankenversicherung enthält, schließt § 35 [X.] nicht von der Anwendbarkeit aus.

Die private Krankenversicherung ist auch - anders als die Revision meint - keine Pflichtversicherung im Sinne von §§ 113 ff. [X.] mit der Folge eines Ausschlusses der Aufrechnung nach § 35 [X.] (§ 121 [X.]). Die §§ 113 ff. [X.] finden ausschließlich auf eine Haftpflichtversicherung gemäß §§ 100 ff. [X.] Anwendung. Nur dort ist die Anwendung von § 35 [X.] ausgeschlossen. Eine Übertragung auf andere Versicherungsarten kommt nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 6. Dezember 2000 - [X.], [X.], 235 unter [X.] b [juris Rn. 15, 18] zu § 35b [X.] a.F.). Eine entsprechende Anwendung dieses [X.]s auf die private Krankenversicherung scheidet schon deshalb aus, weil anders als bei der Pflichtversicherung ein Direktanspruch gemäß § 115 [X.] im Rahmen des [X.] gemäß § 193 Abs. 6 und 7 [X.] nicht besteht. Die §§ 113, 121 [X.] bezwecken auch nur den Schutz des außerhalb des Versicherungsverhältnisses stehenden [X.], nicht aber des Versicherungsnehmers (vgl. MünchKomm-[X.]/Brand, 2. Aufl. § 121 Rn. 1).

cc) Ferner ergibt sich ein [X.] auch nicht aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes (so zu Recht OLG Jena [X.], 1242, 1243 f. [juris Rn. 32]). Den Gesetzesmaterialien zu dem Gesetz zur Beseitigung [X.] Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung in der 17. Legislaturperiode lässt sich an keiner Stelle entnehmen, dass der Gesetzgeber dem Versicherer die Aufrechnung mit Prämienansprüchen gegenüber Leistungsansprüchen des Versicherungsnehmers untersagen wollte (vgl. BT-Drucks. 17/13079 S. 1, 6 f., 9 f.; 17/13947 S. 31 f.). Hierfür ergibt sich auch nichts aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage in der 16. Legislaturperiode (vgl. BT-Drucks. 16/13892 [X.]). Die Antwort der Bundesregierung zur Unzulässigkeit einer Aufrechnung der eingereichten Rechnungen des Versicherten mit den noch ausstehenden Beitragszahlungen bezog sich allein auf die seinerzeit gültige Regelung für den Basistarif und ist für die Willensbildung des Gesetzgebers in der 17. Legislaturperiode mit der Einführung des [X.] ohne Aussagekraft.

dd) Schließlich gebieten auch der Sinn und Zweck des Gesetzes nicht, dem Versicherer die Aufrechnung mit Prämienforderungen gegenüber Leistungsansprüchen des Versicherungsnehmers aus dem [X.] zu untersagen. Ziel der Einführung des [X.] war es, die Beitragsschuldner vor weiterer Überschuldung zu schützen, gleichzeitig ihre Notfallversorgung zu gewährleisten und das Kollektiv der Versichertengemeinschaft finanziell zu entlasten (BT-Drucks. 17/13079 S. 6). Diese Ziele werden auch im Falle einer zulässigen Aufrechnung nicht vereitelt.

(1) Eine weitere Überschuldung des [X.] wird dadurch vermieden, dass die Versicherung nicht im bisherigen Tarif oder im Basistarif, sondern im [X.] mit geringeren Beiträgen fortgesetzt wird. Entsprechend wird einer weiteren Überschuldung für die Zukunft vorgebeugt. Demgegenüber führt der [X.] - wie bereits ausgeführt - nicht dazu, dass auch die bisherigen Prämienforderungen des Versicherers untergehen. Diese bleiben vielmehr, wie sich aus § 193 Abs. 9 Satz 1 [X.] ergibt, erhalten. Ziel des [X.] mit der Herabsetzung der Beitragspflicht ist es gerade auch, dem Versicherungsnehmer die Bezahlung rückständiger Prämien aus der [X.] vor der [X.] des Vertrages zu ermöglichen. Kommt es hierzu, so wird der Vertrag gemäß § 193 Abs. 9 Satz 1 [X.] im bisherigen Tarif fortgesetzt.

(2) Auch das vom Gesetzgeber vorgesehene Ziel einer Notfallversorgung wird erreicht, ohne dass es eines [X.]s bedürfte. Der Gesetzgeber hat vielmehr hierfür durch verschiedene Regelungen gesorgt. Zunächst bleibt dem Versicherungsnehmer auch im [X.] der Versicherungsschutz erhalten. Gemäß § 206 Abs. 1 Satz 1 [X.], der von den Regelungen des [X.] unberührt bleibt, ist jede Kündigung einer Krankheitskostenversicherung, die eine Pflicht nach § 193 Abs. 3 Satz 1 [X.] erfüllt, durch den Versicherer ausgeschlossen. Ist der Versicherungsnehmer wegen seiner finanziellen Verhältnisse nicht in der Lage, die Forderungen der Leistungserbringer selbst zu begleichen, so sieht das Gesetz - wie schon oben erwähnt - eine Lösung über § 193 Abs. 6 Satz 5 [X.] vor. Hiernach tritt das Ruhen des Vertrages nicht ein oder endet, wenn der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person hilfebedürftig im Sinne des [X.] oder [X.] ist oder wird. Die Hilfebedürftigkeit ist auf Antrag des Versicherungsnehmers vom zuständigen Träger zu bescheinigen. Hilfebedürftige Personen kommen deshalb entweder gar nicht in den [X.] oder fallen mit Eintritt der Hilfebedürftigkeit aus diesem heraus (vgl. OLG Jena [X.], 1242, 1244 [juris Rn. 35]; [X.] in Langheid/Rixecker, [X.] 5. Aufl. § 193 Rn. 88a; [X.] in [X.]/[X.], [X.] 3. Aufl. § 193 Rn. 39; [X.], [X.], 1414, 1416). Der [X.] ist mithin - anders als der Begriff nahelegt - von vornherein nicht der Tarif für einen bedürftigen Versicherungsnehmer, der grundsätzlich nicht in der Lage ist, seinen Verpflichtungen aus dem Versicherungsvertrag nachzukommen und dem wegen seiner finanziellen Verhältnisse Ansprüche auf Leistungen aus dem Sozialgesetzbuch zustehen. Der Grund für die Nichtzahlung spielt beim [X.] gerade keine Rolle. Es handelt sich bei ihm in der Sache um einen reinen Tarif für Nichtzahler, wie sich auch aus § 153 Abs. 1 Satz 1 [X.] ergibt (OLG Jena [X.], 1242 Rn. 36; [X.] in [X.]/[X.] aaO). Ist der Versicherungsnehmer im Einzelfall trotz fehlender Hilfebedürftigkeit im Sinne von § 193 Abs. 6 Satz 5 [X.] nicht in der Lage und/oder willens, Forderungen medizinischer Leistungserbringer selbst zu bezahlen, weil der Versicherer seine Leistungspflicht aus dem [X.] nicht durch Bezahlung der Forderung des Leistungserbringers oder durch Freistellung erfüllt, sondern durch Aufrechnung mit ihm weiterhin zustehenden Prämienforderungen, fällt dies in seinen Risikobereich. Der [X.] ist hierfür nicht vorgesehen, was sich schon daraus ergibt, dass er neben der Gewährleistung der Notfallversorgung, die er durch § 193 Abs. 6 Satz 5 [X.] sichert, auch das Kollektiv der Versichertengemeinschaft entlasten soll (vgl. BT-Drucks. 17/13079 S. 1, 6).

(3) Hätte der Gesetzgeber über den Ausschluss des Kündigungsrechts gemäß § 206 Abs. 1 Satz 1 [X.] sowie von [X.], [X.] und Selbstbehalten gemäß § 193 Abs. 7 Satz 2 [X.] hinaus dem Versicherer trotz seines fortbestehenden Anspruchs auf Bezahlung der rückständigen Prämien das Recht nehmen wollen, mit seinem Anspruch auf rückständige Prämienleistungen gegenüber Leistungsansprüchen des Versicherungsnehmers aus dem [X.] aufzurechnen, hätte er dies ausdrücklich normieren müssen, was er aber nicht getan hat.

Entgegen der Auffassung der Revision ist auch kein Raum für eine Korrektur der gesetzlichen Regelung im Wege allgemeiner Billigkeitserwägungen oder nach [X.] und Glauben. Dies gilt schon deshalb, weil der Gesetzgeber eine Regelung getroffen hat, die vor dem dargestellten Hintergrund keine planwidrige Lücke erkennen lässt. Dieses Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke kann nicht über die vom Gesetzgeber bereits in § 193 Abs. 6 Satz 5 [X.] vorgesehene Regelung hinaus korrigiert werden. Der Gesetzgeber hat - etwa anders als beim Basistarif in § 192 Abs. 7 [X.] - beim [X.] dem Leistungsträger auch keinen Anspruch auf unmittelbare Leistungserstattung gegen den Versicherer eingeräumt (zur ebenfalls streitigen Frage einer Aufrechnungsmöglichkeit des Versicherers im Basistarif vgl. [X.] in [X.]/[X.], [X.] 30. Aufl. § 192 Rn. 225). § 193 Abs. 6 bis 9 [X.] kann entgegen der Ansicht der Revision keine gesetzgeberische Willensentscheidung des Inhalts entnommen werden, dass die privatrechtliche Vollstreckung per Aufrechnung mit [X.]n für Heilbehandlungen abschließend durch das Ruhen der Leistungen und die Umstellung in den [X.] ersetzt werden soll. Von einer vollständigen Aushöhlung des [X.] kann - wie oben im Einzelnen gezeigt - nicht gesprochen werden, wenn dem Versicherer weiterhin das Recht zur Aufrechnung mit Prämienansprüchen zusteht. Immerhin führt die zügige Begleichung der Prämienrückstände dazu, dass der Versicherungsnehmer zeitnah wieder in seinen ursprünglichen Tarif mit einem umfassenderen Leistungsspektrum als es der [X.] vorsieht, zurückkehren kann (§ 193 Abs. 9 Satz 1 [X.]).

[X.]     

        

Prof. Dr. Karczewski     

        

Lehmann

        

Dr. Brockmöller      

        

Dr. Bußmann      

        

Meta

IV ZR 81/18

05.12.2018

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Osnabrück, 28. Februar 2018, Az: 9 S 375/17, Urteil

§ 193 Abs 6 VVG, § 193 Abs 7 VVG, § 193 Abs 8 VVG, § 193 Abs 9 VVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 05.12.2018, Az. IV ZR 81/18 (REWIS RS 2018, 857)

Papier­fundstellen: MDR 2019, 100-101 WM2019,81 NJW 2019, 359 REWIS RS 2018, 857

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IV ZR 99/20

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