Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.04.2016, Az. IX ZR 145/15

9. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 13391

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Gegenstand

Insolvenzanfechtung: Ansprüche auf Prämien für eine private Krankenversicherung als Insolvenzforderung; Gläubigerbenachteiligung bei Barzahlung aus unpfändbarem Geldbetrag


Leitsatz

1. Ansprüche des Versicherers auf Prämien für einen privaten Krankenversicherungsvertrag aus der Zeit vor Insolvenzeröffnung sind Insolvenzforderungen.

2. Zahlt der Schuldner eine Versicherungsprämie für seinen privaten Krankenversicherungsvertrag in bar aus einem nach § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO unpfändbaren Geldbetrag, fehlt es an einer Gläubigerbenachteiligung.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil der 23. Zivilkammer des [X.] vom 1. Juli 2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger ist Treuhänder im Insolvenzverfahren über das Vermögen des     [X.](fortan: Schuldner). Der Schuldner hatte bei der Beklagten einen privaten [X.] abgeschlossen. Das [X.] erließ am 28. Juli 2010 auf Antrag der Beklagten einen Vollstreckungsbescheid gegen den Schuldner wegen rückständiger Versicherungsprämien. Die Beklagte führte die Zwangsvollstreckung durch; am 20. Januar 2011 zahlte der Schuldner im Rahmen der Zwangsvollstreckung an den Gerichtsvollzieher 300 € in bar.

2

Aufgrund eines bereits am 2. September 2010 gestellten Insolvenzantrags eröffnete das Insolvenzgericht am 2. Mai 2011 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners. Der Kläger verlangt von der Beklagten die gezahlten 300 € im Wege der Insolvenzanfechtung zurück.

3

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen; die Berufung des [X.] hat keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

I.

5

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das private [X.] sei als insolvenzfreies Schuldverhältnis zu qualifizieren. Daher seien die Regeln der Insolvenzanfechtung nicht anwendbar. Die [X.] des Versicherers unterfielen nicht dem [X.]. Die Unpfändbarkeit der Forderungen aus dem [X.] gemäß § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO gelte auch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Zudem sei § 850e Nr. 1 Satz 2 lit. [X.] anzuwenden. Es sei kein Grund ersichtlich, warum die [X.] vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse gezogen werden können sollten, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehenden [X.] jedoch als insolvenzfreies Schuldverhältnis außerhalb des Insolvenzverfahrens stehen sollten. Für eine Behandlung des privaten [X.]s als insolvenzfreiem Schuldverhältnis spreche auch § 193 Abs. 3 [X.].

II.

6

Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

7

1. Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, vom Schuldner im Rahmen eines privaten [X.]s gezahlte Versicherungsbeiträge unterlägen nicht der Insolvenzanfechtung. Die Zahlung von Versicherungsprämien an einen privaten Krankenversicherer ist vielmehr eine anfechtbare Rechtshandlung.

8

a) [X.] nach § 131 [X.] ist eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine inkongruente Sicherung oder Befriedigung gewährt hat.

9

aa) Insolvenzgläubiger ist jeder persönliche Gläubiger, der einen zur [X.] der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner hat. Es kommt mithin darauf an, ob der Gläubiger in der Insolvenz eine Forderung im Sinne des § 38 [X.] oder einen nachrangigen Anspruch (§ 39 [X.]) gehabt hätte ([X.], Urteil vom 19. Januar 2012 - [X.], [X.]Z 192, 221 Rn. 15 mwN). Ansprüche eines Versicherers auf Versicherungsprämien aus der [X.] vor der Insolvenzeröffnung stellen nur eine Insolvenzforderung dar (MünchKomm-[X.]/Ehricke, 3. Aufl., § 38 Rn. 105; [X.]/[X.], [X.], § 38 Rn. 160). Dies gilt ebenfalls für Ansprüche auf Versicherungsprämien für eine private Krankenversicherung ([X.], [X.], 922; [X.], [X.] 2013, 80, 82; [X.], [X.], 272, 273; [X.], Z[X.] 2015, 802). Auch solche Forderungen eines Versicherers begründen lediglich einen einfachen Vermögensanspruch gegen den Schuldner.

bb) Ausnahmebestimmungen für Ansprüche eines Krankenversicherers auf rückständige Versicherungsprämien bestehen nicht. Es kommt weder auf § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO noch auf § 850e Nr. 1 Satz 2 lit. [X.] an. Denn diese Vorschriften betreffen die Pfändbarkeit von Ansprüchen des Schuldners. Darum geht es jedoch nicht. Für eine Anfechtung nach §§ 130, 131 [X.] kommt es vielmehr ausschließlich auf die Art des Anspruchs des Gläubigers an, der gesichert oder befriedigt werden soll. Insofern genügt es, wenn es sich - wie im Streitfall - um eine Insolvenzforderung gemäß §§ 38, 39 [X.] handelt. Dass bestimmte Ansprüche des Schuldners gemäß § 36 [X.] nicht dem [X.] unterliegen, führt nicht dazu, dass Gläubiger, deren Forderungen der Schuldner mit Mitteln aus seinen nicht dem [X.] unterliegenden Ansprüchen befriedigen könnte, keine Insolvenzgläubiger wären.

b) Anders als das Berufungsgericht meint, folgt aus der Entscheidung des [X.] vom 19. Februar 2014 ([X.], [X.], 452) nichts dafür, inwieweit vor Insolvenzeröffnung gezahlte Versicherungsbeiträge anfechtbar sind. Diese Entscheidung bestimmt lediglich, dass ein zum [X.]punkt der Insolvenzeröffnung bestehender [X.] nicht von § 103 [X.] erfasst wird, der Insolvenzverwalter also kein Wahlrecht nach § 103 Abs. 1 [X.] hat. Dies ist unabhängig davon, ob es sich bei Ansprüchen auf Zahlung der Versicherungsprämie um Insolvenzforderungen handelt und ob gezahlte Versicherungsprämien deshalb der Insolvenzanfechtung unterliegen.

c) Auch die bestehende Versicherungspflicht steht einer Anfechtung nicht entgegen. Zwar bestimmt § 193 Abs. 3 [X.], dass jede Person mit Wohnsitz im Inland grundsätzlich verpflichtet ist, bei einem in [X.] zum Geschäftsbetrieb zugelassenen Versicherungsunternehmen für sich selbst eine - bestimmten Anforderungen entsprechende - Krankheitskostenversicherung abzuschließen und aufrechtzuerhalten. Werden bereits gezahlte Versicherungsprämien erfolgreich angefochten, erlischt jedoch weder der [X.] noch gibt dies dem Versicherer eine Möglichkeit, den [X.] zu beenden. Selbst wenn eine solche Insolvenzanfechtung dazu führen sollte, dass hinsichtlich der vom Versicherer gemäß § 143 Abs. 1 [X.] zurückzugewährenden Prämien ein Prämienrückstand im Sinne des § 193 Abs. 6 [X.] anzunehmen wäre, führt dies nicht dazu, dass keine Krankheitskostenversicherung mehr besteht.

Insbesondere gelten §§ 37, 38 [X.] nicht bei einem Prämienrückstand in einer Krankenversicherung (Prölss/[X.], [X.], 29. Aufl., § 193 Rn. 40). Vielmehr hat der Gesetzgeber in § 193 Abs. 6 bis 10 [X.] (für die [X.] bis 31. Juli 2013: § 193 Abs. 6 [X.] aF) geregelt, welche Folgen ein Rückstand des Versicherungsnehmers mit Versicherungsprämien hat. Dass der Vertrag danach unter Umständen ruht (§ 193 Abs. 6 Satz 4 [X.]) beziehungsweise der Versicherer das Ruhen der Leistungen feststellen konnte (§ 193 Abs. 6 Satz 2 [X.] aF), und deshalb nur noch eingeschränkte Leistungspflichten des Versicherers bestehen (vgl. § 193 Abs. 7 [X.] beziehungsweise § 193 Abs. 6 Satz 6 [X.] aF; zum Übergangsrecht Art. 7 EG[X.]), ist das Ergebnis der gesetzgeberischen Interessenabwägung zum Schutz des säumigen Versicherungsnehmers (vgl. BT-Drucks. 17/13079 S. 6). Diese Regelung gibt jedoch keinen Grund, Zahlungen auf Versicherungsprämien von den allgemein geltenden Regeln der Insolvenzanfechtung auszunehmen. Entgegen der Revisionserwiderung stellt § 193 [X.] Ansprüche des Versicherers auf rückständige Versicherungsprämien nicht insolvenzfrei. Insbesondere verschafft die Norm einem Versicherer, dessen Ansprüche auf (rückständige) Versicherungsprämien lediglich einfache Insolvenzforderungen darstellen, in der Insolvenz des Versicherungsnehmers keine Stellung eines bevorzugten Gläubigers.

Hierfür besteht auch kein Bedarf. Vielmehr kann ein Versicherungsnehmer die Versicherungsprämien entweder im Rahmen eines [X.] (§ 142 [X.]) zahlen oder aber aus pfändungsfreiem und damit nicht dem [X.] unterliegendem Vermögen, insbesondere von einem Pfändungsschutzkonto (§ 850k ZPO). Damit ist er in der Lage, [X.] seinen bestehenden Krankenversicherungsschutz zu wahren. Ein darüber hinausgehender Schutz des Versicherers widerspricht dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung. Entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung der [X.] liegt darin keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung gegenüber Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung.

2. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 1 ZPO). Ob die Anfechtungsklage begründet ist, kann auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts nicht entschieden werden.

Zwar sind die Voraussetzungen des § 131 Abs. 1 Nr. 1 [X.] erfüllt. Die Zahlung erfolgte nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Sie war inkongruent, weil die Beklagte sie innerhalb des [X.] im Wege der - unmittelbar bevorstehenden - Zwangsvollstreckung erlangte ([X.], Urteil vom 11. April 2002 - [X.], [X.], 1193, 1194 unter [X.]; vom 22. Januar 2004 - [X.], [X.]Z 157, 350, 353 mwN).

Jedoch steht nicht fest, ob die Zahlung die Gläubiger gemäß § 129 Abs. 1 [X.] benachteiligt hat. Daran fehlt es, wenn die Zahlung aus insolvenzfreiem Vermögen des Schuldners erfolgte. Befriedigt der Schuldner einen Gläubiger durch eine Verfügung über unpfändbare Gegenstände, ist diese Verfügung mangels Gläubigerbenachteiligung nicht anfechtbar, weil diese Gegenstände von vornherein nicht zur Insolvenzmasse im Sinne der §§ 35, 36 [X.] gehören (MünchKomm-[X.]/[X.], 3. Aufl., § 129 Rn. 84 mwN; [X.]/K. [X.], [X.], 19. Aufl., § 129 Rn. 52). Deshalb kann es an einer Gläubigerbenachteiligung fehlen, wenn der Schuldner die Versicherungsprämie für seinen privaten [X.] aus unpfändbarem Vermögen zahlt. Im Streitfall hat das Berufungsgericht festgestellt, dass der Schuldner im Rahmen der Zwangsvollstreckung 300 € in bar an den Gerichtsvollzieher zahlte. Insoweit kommt eine Unpfändbarkeit nach § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO in Betracht. Nachdem es bisher auf diesen Gesichtspunkt nicht ankam, ist den Parteien hierzu Gelegenheit zur Stellungnahme und zu ergänzendem Sachvortrag zu gewähren.

[X.]                      Gehrlein                              Grupp

              [X.]

Meta

IX ZR 145/15

07.04.2016

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Köln, 1. Juli 2015, Az: 23 S 26/14

§ 38 InsO, § 129 Abs 1 InsO, § 811 Abs 1 Nr 8 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.04.2016, Az. IX ZR 145/15 (REWIS RS 2016, 13391)

Papier­fundstellen: WM 2016, 1127 REWIS RS 2016, 13391

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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