Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.11.2023, Az. V ZR 59/23

5. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 8874

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Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 8. Zivilsenats des [X.] vom 17. Februar 2023 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels aufgehoben, soweit auf die Berufung der Beklagten die Klage in Höhe eines Betrages von 285.702,01 € nebst Zinsen abgewiesen worden ist.

Der Rechtsstreit wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 285.702,01 €.

Gründe

I.

1

Mit notariellem Vertrag vom 28. November 2018 verkauften die Beklagten an die Klägerin mehrere Grundstücke, auf denen sie seit rund 20 Jahren ein Hotel betrieben hatten. Nach [X.] am 15. Februar 2019 führte die Klägerin den Hotelbetrieb weiter fort. § 5 des notariellen Vertrages, der am [X.] noch gegenüber einem vorherigen Entwurf geändert worden war, lautet u.a. wie folgt:

„3. Der Käufer übernimmt keine Verbindlichkeiten des Verkäufers 1, die bis zum 31. Dezember 2018 bzw. bis zum tatsächlichen Übergang entstanden sind bzw. begründet wurden. Hierfür haftet ausschließlich der Verkäufer 1. Der Verkäufer 1 wird den Käufer auf erstes Anfordern von sämtlichen Ansprüchen Dritter, welche aufgrund einer Haftung für Verbindlichkeiten des Verkäufers 1 gegen den Käufer geltend gemacht werden, freistellen. Der Käufer übernimmt weiter keine Debitoren, Kreditoren und keine Kassenbestände.

4. …

Vom Verkäufer 1 bereits vereinnahmte Anzahlungen von Gästen für Events, Übernachtungen, Feiern o.ä., die erst nach dem Übergabetag stattfinden, sind vom Verkäufer an den Käufer zu erstatten. Gleiches gilt für die Vergütungen für bereits verkaufte Gutscheine.“

2

Mit der Klage verlangt die Klägerin Zahlung für ausgegebene Gutscheine in Höhe eines Betrages von 335.725,21 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten. Das [X.] hat der Klage bis auf einen geringfügigen Teil der Zinsen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das [X.] das Urteil des [X.]s teilweise geändert und die Klage bis auf einen Betrag von 50.023,20 € nebst Zinsen abgewiesen. Die Revision gegen seine Entscheidung hat es nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen.

II.

3

Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist § 5 Nr. 4 des Kaufvertrages dahingehend auszulegen, dass die Klägerin Zahlung nur für solche Gutscheine verlangen kann, die eingelöst wurden und für die sie innerhalb der Gültigkeitsdauer entsprechende Bewirtungsleistungen erbracht hat, nicht jedoch - so die Auffassung des [X.]s - für sämtliche von den Beklagten bis zum Übergabetag (15. Februar 2019) ausgestellten Gutscheine. Danach ergebe sich eine Forderung i.H.v. 50.023,20 €. Der Interessenlage der [X.]en entspreche es, die Ausgleichspflicht erst im Falle der Einlösung der Gutscheine anzunehmen. Die Beklagten seien nach Betriebsübergang nicht mehr in der Lage gewesen, die eingegangenen Verbindlichkeiten für bereits gebuchte Veranstaltungen zu erfüllen und Hotelleistungen für die ausgegebenen Gutscheine zu erbringen. Sie seien deshalb darauf angewiesen gewesen, dass die Klägerin die verabredeten Veranstaltungen nach Betriebsübergang durchführte sowie die Gutscheine gegen sich gelten ließ und die entsprechenden Leistungen erbrachte. Deshalb sehe der Vertrag zu den „Events, Übernachtungen, Feiern o.ä.“ auch keine einseitige Zahlungsverpflichtung der Beklagten vor, sondern gehe von einer gegenseitigen Verpflichtung im Sinne eines [X.] aus, wenn dort eine Erstattungspflicht des Verkäufers voraussetze, dass die entsprechenden Veranstaltungen „nach dem Übergabetag stattgefunden haben.“ Bei noch offenen, einzulösenden Gutscheinen sei die Interessenlage ähnlich, so dass insoweit im Hinblick auf die in der Klausel enthaltene Formulierung „Gleiches gilt“ entsprechend verfahren werden müsse. Aus der Vertragshistorie ergebe sich nichts Anderes.

4

Dieses Auslegungsergebnis werde durch die erstinstanzliche Beweisaufnahme nicht in Frage gestellt. Der als Zeuge vernommene Notar habe zwar versucht, eine eigene Interpretation dafür kund zu tun, was die [X.]en angeblich „gewollt hätten“ und was dem „[X.]“ entspräche. Er habe jedoch keine konkreten Tatsachen oder Umstände bekundet, die seine Interpretation tragen könnten. Dessen ungeachtet lasse seine Vertragsinterpretation, der das [X.] gefolgt sei, eine ganze Reihe von Umständen, insbesondere die Interessenlage der [X.]en, außer Betracht, und sie vermöge eine gebotene Auslegung nicht zu ersetzen. Die Argumentation, man habe einen eindeutigen „Cut“ gewollt und es sei beabsichtigt gewesen, alle Gutscheine auszugleichen, ganz gleich ob diese noch eingelöst würden oder nicht, überzeuge nicht, wenn man die in der Klausel in Bezug genommene Regelung zu Veranstaltungen bedenke. Auch die Angaben des [X.]als ehemaligem [X.] der Klägerin stützten das Vertragsverständnis des [X.]s nicht, auch wenn der Zeuge bekundet habe, alle Gutscheine hätten ohne Ausnahme umfasst sein sollen, und über eine Verjährung sei nicht gesprochen worden. Ein Anspruch auf Erstattung vorprozessualer Rechtsanwaltskosten scheide mangels Verzuges der Beklagten aus.

III.

5

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat ganz überwiegend Erfolg. Das angefochtene Urteil ist gemäß § 544 Abs. 9 ZPO in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Die Klägerin rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht die erstinstanzlich vernommenen Zeugen nicht erneut vernommen hat.

6

1. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten [X.] gebunden. Bei Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen ist eine erneute Feststellung geboten. Insbesondere muss das Berufungsgericht die bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nochmals gemäß § 398 Abs. 1 ZPO vernehmen, wenn es deren Aussagen anders würdigen will als die Vorinstanz. Die nochmalige Vernehmung eines Zeugen kann allenfalls dann unterbleiben, wenn sich das Rechtsmittelgericht auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit seiner Aussage betreffen. Liegt ein solcher Ausnahmefall nicht vor, verletzt die unterbliebene erneute Vernehmung der Zeugen den Anspruch der [X.] auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Juli 2009 - [X.], NJW-RR 2009, 1291 Rn. 4 f.; Urteil vom 28. Februar 2023 - VI ZR 98/22, NJW-RR 2023, 700 Rn. 6 f.).

7

2. Hier hat das Berufungsgericht die Zeugenaussagen anders als das [X.] gewürdigt.

8

a) Das [X.] ist in dem Urteil zu dem Ergebnis gekommen, dass nach dem Inhalt des notariellen Vertrages der Klägerin ein Anspruch auf Erstattung für sämtliche von den Beklagten bis zur Übergabe verkauften Gutscheine zusteht, ohne dass eine irgendwie geartete Einschränkung vereinbart worden sei. Hierbei hat es sich maßgeblich auf die Aussage des als Zeugen vernommenen Notars gestützt. Dieser habe sich erinnert, dass man einen endgültigen „Cut“ gewollt habe. Man habe nicht abwarten wollen, ob ein Gutschein irgendwann noch eingelöst werde, sondern zu einem bestimmten Stichtag eine feste Regelung treffen wollen. Alle Gutscheine hätten auf Risiko des Verkäufers erstattet oder ausgeglichen werden sollen. Die dahingehende Änderung des ursprünglichen [X.] sei übereinstimmend gewollt gewesen, um einen klaren Schnitt zu machen. Das weite Verständnis der Klausel werde auch durch die Aussagen des [X.]              gestützt. Hiernach habe sich die Erstattungsfähigkeit vollumfänglich auf sämtliche Gutscheine erstrecken sollen.

9

b) Demgegenüber geht das Berufungsgericht davon aus, der Notar habe nur eine „eigene Interpretation dafür kundgetan“, was die [X.]en „angeblich gewollt“ hätten und was dem „[X.] entspräche“. Damit nimmt es eine von dem [X.] abweichende Würdigung der Bekundungen des Notars vor. Das [X.] hat die Aussagen des Notars gerade nicht im Sinne einer bloßen Interpretation verstanden, sondern als Wiedergabe des von den [X.]en in dem Beurkundungstermin tatsächlich Gewollten. Entsprechendes gilt für die Aussage des [X.]            . Abweichend von der Würdigung des [X.]s soll sich nach dem Verständnis des Berufungsgerichts aus den Angaben dieses Zeugen nicht ergeben, dass sich die Erstattungsfähigkeit auf sämtliche Gutscheine erstrecken sollte.

3. Der Verstoß gegen den Anspruch auf das rechtliche Gehör ist ganz überwiegend auch entscheidungserheblich.

a) Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht hinsichtlich der Frage, für welche Gutscheine die Klägerin von den Beklagten eine Erstattung verlangen kann, zu einer abweichenden Entscheidung gelangt wäre, wenn es die Zeugen erneut vernommen hätte. Wenn es der übereinstimmende Wille der [X.]en (§ 133 BGB) war, dass die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung für sämtliche bis zur Übergabe ausgegebenen Gutscheine haben soll, käme es auf die von dem Berufungsgericht in den Vordergrund gerückten Überlegungen einer nach beiden Seiten interessengerechten Auslegung des Vertrages nicht an. Gäbe es einen solchen Willen der [X.]en, hätte er in § 5 Nr. 4 des notariellen Vertrages auch einen ausreichenden Ausdruck gefunden (vgl. zu dieser Voraussetzung Senat, Urteil vom 23. Juni 2023 - [X.], NJW 2023, 2942 Rn. 15 mwN).

b) Auf die Unbegründetheit des von der Klägerin geltend gemachten Anspruchs auf Erstattung vorgerichtlicher Kosten hat die unterbliebene erneute Vernehmung der Zeugen hingegen keinen Einfluss. Das Berufungsgericht verneint einen solchen Anspruch der Klägerin bereits dem Grunde nach, weil sich die Beklagten nicht im Verzug befunden hätten. Insoweit fehlt es deshalb an der Entscheidungserheblichkeit der Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Dass die Ausführungen des Berufungsgerichts an einem sonstigen zulassungsrelevanten Rechtsfehler leiden, zeigt die Nichtzulassungsbeschwerde nicht auf.

[X.]                     Hamdorf

                    Laube                            Grau

Meta

V ZR 59/23

23.11.2023

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 17. Februar 2023, Az: 8 U 72/21

§ 398 ZPO, § 529 ZPO, Art 103 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.11.2023, Az. V ZR 59/23 (REWIS RS 2023, 8874)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 8874 MDR 2024, 459-460 REWIS RS 2023, 8874

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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