Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.01.2008, Az. 3 StR 479/07

3. Strafsenat | REWIS RS 2008, 6127

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[X.] vom 16. Januar 2008 in der Strafsache gegen 1. [X.]wegen versuchten Totschlags u. a. - 2 - Der 3. Strafsenat des [X.] hat auf Antrag des Generalbundes-anwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 16. Januar 2008 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen: 1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 5. Juli 2007 in den Rechtsfolgenaussprü-chen mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Land-gerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen. Gründe: Das [X.] hat die Angeklagten jeweils des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen. Den [X.]hat es deswegen zur Freiheitsstrafe von zehn Jahren ver-urteilt und die Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) gegen ihn angeordnet. Den Angeklagten [X.]hat es zur Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) bestimmt. Die Revisionen der Angeklagten rügen die Verletzung [X.] - 3 - len und materiellen Rechts. Die Rechtsmittel haben jeweils mit der Sachrüge zu den Rechtsfolgenaussprüchen einen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegrün-det gemäß § 349 Abs. 2 StPO. 1. Ohne Erfolg bleibt die auf die Feststellung von Schuldunfähigkeit im Sinne des § 20 StGB abzielende Verfahrensrüge des Angeklagten [X.], die Ablehnung seines Antrags auf Beiziehung der Vollstreckungsakte einer Vor-verurteilung sei rechtsfehlerhaft abgelehnt worden. Das [X.] hat die Ab-lehnung darauf gestützt, dass die unter Beweis gestellte Tatsache, die Untersu-chung der vom Angeklagten im Rahmen seiner Bewährungsüberwachung [X.] Urinproben hätte keinen Hinweis auf einen Alkoholkonsum erbracht, bereits erwiesen sei. Mit dieser Begründung steht nicht im Widerspruch, dass das [X.] dem psychiatrischen Sachverständigen gleichwohl darin ge-folgt ist, bei dem Angeklagten sei nach seiner Haftentlassung wieder eine nicht unerhebliche Alkoholgewöhnung eingetreten. Die Analyse von Urinproben kann wegen des vollständigen Abbaus von Alkohol und seines Ausscheidens ledig-lich Aufschluss darüber geben, ob innerhalb eines relativ kurzen [X.]raumes vor Abgabe der Proben Alkohol konsumiert wurde. Eine über einen längeren [X.]-raum bestehende vollständige oder weitgehende Abstinenz kann mit ihnen hin-gegen nicht belegt werden. 2 Die anderen verfahrensrechtlichen Beanstandungen des Angeklagten [X.] sind aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des [X.] unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Die von der Revision des Angeklagten [X.]erhobene Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht ausgeführt und damit unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). 3 2. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen Sachrügen hat zu den Schuldsprüchen keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der 4 - 4 - Angeklagten erbracht. Die Rechtsfolgenaussprüche haben hingegen keinen Bestand. Das [X.] ist auf der Grundlage der [X.] der [X.] (sechs bis achteinhalb Liter Bier innerhalb von etwa fünf bzw. acht Stunden) - sachverständig beraten - davon ausgegangen, dass bei beiden [X.] wegen des genossenen Alkohols eine erheblich verminderte Schuld-fähigkeit (Steuerungsfähigkeit) zur Tatzeit nicht sicher auszuschließen sei. Dies führe auch unter Berücksichtigung der Alkoholabhängigkeit beider Angeklagter nicht zu einer Strafrahmenverschiebung gemäß den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB. Die nicht ausschließbare erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit der Ange-klagten beruhe nämlich auf einer vorsätzlich verschuldeten Trunkenheit, wobei beide Angeklagten schon früher unter Alkohol Straftaten begangen und um die Wirkung des Alkohols auf ihre Aggression und ihre Bereitschaft zur Begehung von Straftaten gewusst hätten. 5 Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. 6 a) Zwar können Schuld erhöhende Umstände zur Versagung der fakulta-tiven Strafrahmenmilderung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB führen, wenn durch diese Umstände die durch eine Herabsetzung der Einsichts- oder Steuerungs-fähigkeit verminderte Tatschuld aufgewogen wird [X.], StGB 55. Aufl. § 21 Rdn. 20 ff.). Dies setzt im Falle einer alkoholbedingten Verminderung der Schuldfähigkeit aber regelmäßig voraus, dass sie auf eine selbst zu verantwor-tende, verschuldete Trunkenheit zurückgeht und diese dem Täter uneinge-schränkt vorwerfbar ist. Dagegen ist es insoweit ohne Belang, ob er schon [X.] unter Alkohol vergleichbare Straftaten begangen hat (vgl. [X.], 480). Seine Trunkenheit ist dem Täter jedenfalls dann nicht uneingeschränkt vorwerfbar, wenn er alkoholkrank oder alkoholüberempfindlich ist. Eine [X.] - 5 - erkrankung, bei der schon die Alkoholaufnahme nicht als Schuld erhöhender Umstand zu werten ist, kann vorliegen, wenn der Täter den Alkohol aufgrund eines unwiderstehlichen oder ihn weitgehend beherrschenden Hanges trinkt, der seine Fähigkeit, der Versuchung zum übermäßigen Alkoholkonsum zu wi-derstehen, auch nur einschränkt (st. Rspr.; [X.] 21 Rdn. 26 m. w. N.). b) Die Feststellungen des [X.]s belegen nicht hinreichend, dass eine derartige Alkoholerkrankung der Angeklagten zurzeit der Alkoholaufnahme nicht gegeben war. Zwar ist das [X.] in seinen Erwägungen zur Straf-rahmenmilderung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB lediglich von einer Alkoholab-hängigkeit ausgegangen, die ebenso wie ein Hang im Sinne des § 64 StGB für sich grundsätzlich nicht ausreicht, um den Alkoholkonsum als unverschuldet einzustufen. Indessen hätte sich das [X.] mit Blick auf das Vorleben der Angeklagten, das von langjährigem Alkoholmissbrauch und letztlich erfolglosen Therapien in Entziehungsanstalten gekennzeichnet war, mit der Frage einer solchen Alkoholerkrankung näher auseinandersetzen müssen. 8 c) Dieser Rechtsfehler führt beim Angeklagten [X.] zur Aufhe-bung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs. Eine isolierte Aufrechterhaltung der Anordnung der Sicherungsverwahrung, wie sie sich aus dem Antrag des [X.] ergibt, kam insoweit nicht in Betracht. 9 d) Aber auch beim Angeklagten [X.]war nicht nur der an demselben Rechtsfehler leidende Strafausspruch, sondern der gesamte [X.] aufzuheben. Denn ihn betreffend hält auch die Anordnung der Unter-bringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB rechtlicher Überprüfung nicht stand. 10 - 6 - Das [X.] ist - dem Sachverständigen folgend - bei seiner Anord-nung davon ausgegangen, —eine solche Maßregel sei nicht aussichtslosfi, es —bestünden – Chancen, dass es ihm (dem Angeklagten [X.]) gelingen [X.], über längere [X.] abstinent zu lebenfi und hat —die Durchführung einer Maß-nahme nach § 64 StGB nicht für aussichtslosfi gehalten. Damit hat es seiner Maßregelentscheidung einen falschen rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt. Schon nach der zum [X.]punkt des Urteilserlasses geltenden Rechtslage, die auf die Entscheidung des [X.] vom 16. März 1994 ([X.] 91, 1) zurückging, setzte die Unterbringung in der Entziehungsanstalt die hinreichend konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg voraus (st. Rspr.; vgl. [X.]St 41, 6; [X.] 64 Rdn. 18 m. w. N.). Dem hat nunmehr der Gesetzgeber durch § 64 Satz 2 StGB in der Fassung des [X.] in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 ([X.] 1327) Rechnung getragen. 11 Danach ist über die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246 a StPO) neu zu befinden. Auf den Umstand, dass das [X.] - im Einklang mit der Rechtslage zum [X.]punkt des Urteilserlasses - entgegen § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB nF keine Entscheidung über die Änderung der gesetzlichen Vollstre-ckungsreihenfolge getroffen hat, was der Senat - worauf der Generalbundes-anwalt zureffend hinweist - hätte berücksichtigen müssen (vgl. [X.], 28), kommt es daher nicht mehr entscheidend an. 12 3. Im Hinblick auf die [X.] der Angeklagten einerseits, die bisherigen Feststellungen zu deren Leistungsverhalten bei der Tat und die Angaben des Geschädigten sowie des [X.]. zur Verfassung der [X.] - 7 - geklagten zur Tatzeit andererseits, weist der Senat für das Verfahren vor dem neuen Tatrichter auf Folgendes hin: Für die Einlassung eines Angeklagten zu seinem Alkoholgenuss vor der Tat gilt - wie für alle entlastenden Angaben eines Angeklagten - der Grundsatz, dass der Tatrichter sich eine Überzeugung von deren Richtigkeit oder [X.] aufgrund des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme zu bilden hat. Er darf solche Angaben, für die keine zureichenden Anhaltspunkte bestehen und deren Wahrheitsgehalt fraglich ist, nicht ohne weiteres als unwiderlegt hin-nehmen und seiner Entscheidung zugrunde legen, nur weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt. Derartige Angaben muss er auch nicht nach dem [X.] zu Gunsten eines Angeklagten unterstellen (st. Rspr.; vgl. [X.]St 34, 29, 34; [X.], 652 m. w. N; NStZ 2005, 155). Dem [X.] ist es unbenommen, [X.] des Angeklagten als un-glaubhaft einzustufen, wenn er dafür durch die Beweisaufnahme gewonnene Gründe hat, welche seine Auffassung argumentativ tragen (vgl. [X.], [X.]. vom 8. Februar 2005 - 3 StR 500/04 m. w. N.). 14 - 8 - Dies gilt es zumal in Fällen wie diesem zu beachten, in denen die durch nichts bestätigten [X.] der Täter in einem auffallenden Wider-spruch zu ihrem bemerkenswerten Leistungsverhalten stehen. 15 Ri[X.] [X.] ist urlaubs- bedingt an der Unterzeichnung gehindert. [X.] [X.]

Meta

3 StR 479/07

16.01.2008

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.01.2008, Az. 3 StR 479/07 (REWIS RS 2008, 6127)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2008, 6127

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