Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.09.2015, Az. VI ZR 391/14

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 5451

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR 391/14
vom

15. September 2015

in dem Rechtsstreit

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Der VI. Zivilsenat des [X.] hat am 15. September 2015 durch den Vorsitzenden [X.], die Richter Wellner
und
Stöhr
und
die Richte-rinnen von
Pentz und Dr.
Oehler

beschlossen:

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der [X.] wird der Be-schluss des 15. Zivilsenats des [X.] vom 16.
September 2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

r-zu 2.

Gründe:
I.
Die Klägerin
zu 1 vertrieb von der Klägerin zu 2 hergestellte "[X.]", unter anderem an [X.], die die Taschen an Endkun-den weiterverkauften. In aufgedruckten Slogans waren die Taschen als umwelt-schonend und "100 % kompostierbar" beschrieben.

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Am 10. und 13. April 2012 gab der Beklagte zu 1, dessen Bundesge-schäftsführer der Beklagte zu 2 ist, Pressemitteilungen heraus, die sich mit den Tüten befassten. In der Überschrift der ersten Pressemitteilung heißt es, die -
namentlich benannten
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[X.] täuschten die Verbraucher "mit vermeintlich nachhaltigen Einkaufstüten"; die als kompostierbar beworbenen Tragetaschen bestünden zu mehr als zwei Dritteln aus Erdöl und würden weder kompostiert noch recycelt. Im weiteren Text wird eine Äußerung des Beklagten zu 2 zitiert, wonach die angeblich "grünen" Plastiktüten nicht kompostiert wür-den. Weiter heißt es, in industriellen [X.] würden die Tüten gemeinsam mit herkömmlichen Plastiktüten als Störstoffe aussortiert. Eine Um-frage
unter mehr als 80 [X.] Anlagen belege, dass eine Kompostierung biologisch abbaubarer Kunststoffe -
darunter auch die vermeintlich zu 100 % kompostierbaren Tragetaschen der Handelsketten
-
praktisch nicht stattfinde. Zwar seien die Tüten nach der [X.] EN 13432 biologisch abbaubar. Diese Norm offenbare jedoch bei genauerer Betrachtung eine große Schwäche. Denn nach ihrer Vorgabe müssten die Plastiktüten erst innerhalb von zwölf Wochen unter bestimmten Bedingungen zu 90 Prozent zersetzt sein, während [X.] [X.] in der Regel mit erheblich kürzeren Verweilzeiten zwischen ein bis acht Wochen arbeiteten. In der zweiten Pressemitteilung werden die Vorwürfe wiederholt und es wird berichtet, der Beklagte zu 1 habe die Einzel-handelsketten wegen
Verbrauchertäuschung abgemahnt.
Die benannten [X.] stellten daraufhin den Verkauf der Tüten ein. Mit ihrer Klage verlangen die [X.] Ersatz des ihnen durch den Abbruch der Lieferbeziehungen entstandenen Schadens. Das [X.] hat
die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung der Kläge-rinnen zurückgewiesen.
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II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß §
544 Abs.
7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
1. Art.
103 Abs.
1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unter-lassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der [X.] haben. In diesem Sinne gebietet Art.
103 Abs.
1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die
nicht erfolgte
Berücksichtigung eines erheblichen Beweis-angebots verstößt gegen Art.
103 Abs.
1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. Senat, Beschluss vom 12.
Mai 2009 -
VI
ZR 275/08, [X.], 1137 Rn.
2 mwN).
2. So verhält es sich im Streitfall. Die Nichtzulassungsbeschwerde
bean-standet zu Recht, das Berufungsgericht habe gehörswidrig unter Beweis ge-stellten erstinstanzlichen Vortrag der [X.] zur Behandlung kompostier-barer Kunststoffe in [X.] [X.] übergangen.
a) Das Berufungsgericht hat seine Feststellung, dass eine Kompostie-rung der "Bio-Tragetaschen" in [X.] [X.] praktisch nicht stattfinde, im Wesentlichen auf eine von den Beklagten durchgeführte Um-frage unter den Betreibern von mehr als 80 Anlagen gestützt. Obwohl es davon ausgegangen ist, dass bei der Umfrage Informationen über lediglich etwa 8 % der [X.] Anlagen zur Verfügung gestellt wurden, hat es das [X.] als tragfähig angesehen. Das hat es damit begründet, dass sich aus 4
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dem eigenen Vorbringen der [X.] nicht ergebe, dass und ggf. in wel-chem Umfang die übrigen Anlagen im maßgeblichen Zeitraum die fraglichen "Bio-Tragetaschen" tatsächlich kompostiert hätten. Bei dieser Würdigung hat es zwar gesehen, dass die [X.] sich erstinstanzlich auf einzelne Mitteilun-gen berufen haben, nach denen eine Kompostierung der "Bio-Tragetaschen" tatsächlich stattfindet. Es hat aber nicht hinreichend berücksichtigt, dass die [X.] die in Rede stehenden Anlagen nur beispielhaft benannt haben. Darüber hinaus haben sie mit Bezug auf die fraglichen Tragetaschen in erster Instanz
unter Benennung eines Zeugen
vorgetragen, es sei "bei einer Mehrzahl der [X.] Bioabfam-postierbaren Kunststoffe im Prozess verbleiben". Indem es diesen Beweis nicht erhoben hat, hat das Berufungsgericht gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen. Denn das [X.] war erheblich und seine Nichtberücksichtigung findet im Prozessrecht keine Stütze (vgl. nur Senatsbeschluss vom 12.
Mai 2009
-
VI
ZR 275/08, [X.], 1137 Rn.
2; [X.], [X.], 492, 493; jeweils mwN).
Die unter Beweis gestellte Behauptung widerspricht der vom Berufungs-gericht getroffenen Feststellung. Wenn als Bioabfall entsorgte kompostierbare Kunststoffe und damit auch die "Bio-Tragetaschen" der [X.] bei den meisten [X.] [X.] im Prozess verbleiben, also nicht aussortiert werden, kann nicht angenommen werden, dass eine Kompostierung der Taschen in solchen Anlagen praktisch nicht stattfindet.
b) Der Annahme einer Gehörsverletzung steht es nicht entgegen, dass die [X.] im Berufungsverfahren nicht auf ihr vom Berufungsgericht nicht berücksichtigtes [X.] zurückgekommen sind.
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aa) Zwar ist das [X.] bezüglich des bis zum 31.
Dezember 2001 geltenden [X.] davon ausgegangen, dass eine -
hier vorliegende
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globale Bezugnahme des Berufungsklägers auf sein [X.] erster Instanz im Regelfall nicht ausreicht, um das Berufungsgericht verfassungsrechtlich in die Pflicht zu nehmen, den gesamten erstinstanzlichen Vortrag auf seine Bedeutsamkeit für das Berufungsverfahren hin zu überprüfen. Eine Ausnahme hiervon hat das [X.] jedoch für den Fall anerkannt, dass das erstinstanzliche Gericht ein unter Beweis gestelltes [X.] des Berufungsklägers als unerheblich behandelt hat, der [X.] mit seiner Berufung gerade diese Rechtsauffassung angreift und das [X.] den betreffenden Sachvortrag ebenfalls als erheblich ansieht ([X.]E 36, 92, 99; 46, 315, 319 f.; 60, 305, 311; [X.], NJW-RR 1995, 828; vgl. auch Senatsurteil vom 3. Juni 1997 -
VI
ZR 133/96, [X.], 1422, 1423). In solchen Fällen verstößt die Nichtberücksichtigung des Beweisantritts auch unter der Geltung des reformierten [X.] gegen Art.
103 Abs.
1 GG. Denn ebenso wie im früheren Recht gibt es im neuen Recht keine Vor-schrift, die den Berufungskläger dazu anhält, einen erstinstanzlichen Vortrag zu wiederholen, auf den es aus Sicht des erstinstanzlichen Gerichts nicht ankam (für den Berufungsbeklagten vgl. [X.], NJW 2015, 1746 Rn.
17). Vielmehr gelangt mit einem zulässigen Rechtsmittel grundsätzlich der gesamte aus den Akten ersichtliche Prozessstoff der ersten Instanz ohne weiteres in die [X.] (vgl. Senatsurteil vom 20. Dezember 2005 -
VI
ZR 180/04, [X.], 290, 297 mwN).
bb) Nach diesen Grundsätzen hätte das Berufungsgericht den [X.] auch ohne Wiederholung im Berufungsverfahren berücksichtigen müssen, um den Anspruch der [X.] auf
rechtliches Gehör zu erfüllen.
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Für die Würdigung des [X.] kam es nicht auf das [X.] an. Das [X.] hat die in Rede stehende Tatsachenbehauptung betref-fend die Behandlung der "Bio-Tragetaschen" in [X.] enger verstanden als das Berufungsgericht. Es hat die Behauptung nur auf 79 von 81 [X.] bezogen, für die im Rahmen der von den Beklagten durchgeführten Umfrage Antworten eingegangen waren. Gegen diese Würdi-gung haben die [X.] sich mit der Berufung gewandt. Das [X.] hat dann die fragliche Äußerung weitergehend dahin ausgelegt, dass sie sich -
von vereinzelten Ausnahmen abgesehen
-
auf die Praxis aller [X.] [X.] bezieht. In dem Umfrageergebnis hat es lediglich den entscheidenden Beleg für die Richtigkeit dieser Behauptung gesehen. Bei die-ser Würdigung hätte es zur Vermeidung eines Gehörsverstoßes auch die erst-instanzlichen [X.]e der [X.] berücksichtigen müssen, soweit diese erst auf Grund des vom [X.] abweichenden Auslegungsergebnis-ses erheblich wurden.

cc) Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung dieses Vorbringens zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Wegen der deswegen erheblichen Verletzung des rechtlichen Gehörs ist die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück-zuverweisen. Bei der neuen Verhandlung wird das Berufungsgericht Gelegen-heit haben, auch die weiteren [X.] der Nichtzulassungsbeschwerde bezüg-lich eines übergangenen Vorbringens
zu berücksichtigen.
Dies gilt insbesonde-
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re für den Vortrag, dass die
"Bio-Tragetaschen" in deutlich kürzerer Zeit verrot-ten als nach der [X.] EN 13432 vorgegeben ist.
Galke
Wellner
Stöhr

von Pentz
Oehler

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 15.01.2014 -
28 O 116/13 -

O[X.], Entscheidung vom 16.09.2014 -
15 U 28/14 -

Meta

VI ZR 391/14

15.09.2015

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.09.2015, Az. VI ZR 391/14 (REWIS RS 2015, 5451)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 5451

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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VI ZR 391/14

15 U 28/14

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